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Ella erwachte erneut in ihrem weißen Bett der Hoffnung, Zuversicht und anderer Lügen. War diese verdammte Scheiße wieder so ein falsches Aufwachen? Woher konnte sie wissen, dass ihr jetziges Aufwachen ein richtiges Aufwachen ist? Vielleicht waren ja all die letzten Tage nur ein Schauspiel ihres verwirrten Geistes. Sie nahm ihre flache Hand und schlug sich mit Kraft ins Gesicht. Das tat weh, aber richtig. Ihre Wange wurde rot und pulsierte. Sie spürte das Blut in ihren Adern, den Saft des Lebens. Beweise dafür, dass sie wach war.
Ein Blick unter ihr Bett bestätigte, dass weder der Teppich noch die Falltür existierten. Ihr Zimmer wirkte real, und die Taschenlampe war nirgends zu sehen. Diese Welt schien echt zu sein. Die reale Realität.
Ella griff nach ihrem Kopfkissen und wollte sich in einer warmen Umarmung des Kissens Trost suchen. Doch als sie den Kissenbezug erblickte, erkannte sie, dass etwas ganz und gar nicht in Ordnung war. Der einst weiße Überzug war von roten, schwarzen und beigen Flecken übersät. Ihr Make-up hatte sich auf ihm abgelagert. Panik ergriff sie. Das war's. Corbyn wird sie rausschmeißen. Sie würde wieder auf der Straße landen und in den kalten Winternächten erfrieren. Erfrieren, wenn sie bis dahin nicht verhungert ist. Verhungern, wenn sie bis dahin nicht ermordet wurde.
Nein. Es muss eine Lösung geben. Sie würde den Bezug waschen, bevor er es bemerkte. Nichts leichter als das.
Das Badezimmer, in dem sie sich die Haare schnitt, war nicht weit von hier. Und sie erinnerte sich an eine Waschmaschine. Sie riss das Laken förmlich vom Kissen, um keine Zeit zu verlieren und rannte so gut es ging auf Zehenspitzen aus ihrem Zimmer. Der stellenweise eingedellte Kautschukboden sorgte dafür, dass sie heftig ins Taumeln kam und fast hinfiel, aber sie konnte sich retten. Sie war entschlossen, sich auch dieses Mal wieder zu retten. Entschlossen, weiter zu rennen.
Am Bad angekommen kniete sie sich vor die Waschmaschine und versuchte verzweifelt, die Tür zu öffnen. Sie zerrte mit aller Kraft, doch diese verdammte Tür bewegte sich keinen Millimeter. Da muss es einen Trick geben, eine Kindersicherung oder etwas derartiges. Ella hat in ihrem Leben noch nie eine Waschmaschine benutzt und sie verfluchte diesen Fakt. Das Schwein besaß keine und gab seine Sachen immer in die Wäscherei. Für ihre Sachen war dabei selten Geld über. All ihre Pflegefamilien davor hatten eine Waschmaschine. Dort hätte sie gelernt, wie man diese beschissene Tür öffnete. Sie verfluchte sich selbst, dass sie bei dem Schwein gelandet ist. Das war alles ihre Schuld. Wäre sie nicht so ein ungezogenes Kind gewesen, dann hätten ihre Pflegefamilien sie nicht immer und immer wieder aufgeben müssen. Sie hat mehr als genug Chancen auf ein würdevolles Leben bekommen, doch alle achtlos weggeworfen. Was war falsch mit ihr? Wieso tat sie das, immer und immer wieder? Sie schlug gegen die Waschmaschine. Sie war doch im Kern verdorben. Sie würde sich auch diese Chance verbauen, ihre letzte. Denn an dem Punkt, an dem Corbyn ihr wahres, verdorbenes Ich sieht, wird er sie rausschmeißen. Und das wird er nur allzu bald, schließlich hat sie dieses dreckige Ich auf seinem Bett verewigt. Sie erinnerte sich daran, wie sie früher ihre Kleidung mit Handseife wusch. Ein Versuch war's wert. Sie öffnete den Badschrank, um nach Seife zu suchen. Im selben Moment hörte sie wieder Schritte. Sie war geliefert. Noch zehn Meter Gehweg, wenn es gut geht. Er blieb nicht stehen. Immerzu stampfte er auf den Flurboden. Es war, als würde er die Nägel in ihren Sarg treten. Und die Schritte wurden immer lauter...
Blick zur Tür. Auch die Badtür hatte kein Schloss. Scheiße. Verzweifelt zog sie ihr Nachthemd aus und sprang unter die Dusche. Sie riss den Wasserhahn auf, wohlwissend, dass Corbyn bereits vor der Tür stand.
"Ich dusche", rief sie.
"Keine Sorge, das stört mich nicht", erwiderte Corbyn und öffnete die Tür.
Reflexartig drehte sich Ella gegen die Wand, kreuzte ihre Beine und bedeckte ihre Brustwarzen mit einem Arm. In der anderen Hand hielt sie den abnehmbaren Duschkopf, steif. Sie war wie eingefroren.
Corbyn schlug den Klodeckel hoch gegen die Fliesen. Wo lag der Bezug nochmal? Ihre Atmung wurde hektisch und es bildete sich ein Kloß in ihrem Hals. Wann würde er ihn entdecken? Er öffnete den Reisverschluss seines Hosenstalls und zog sich seine Unterhose herunter. Das wäre jetzt ein Zeitpunkt zum Beten, dachte sie sich.
Alle guten Gaben, alles was wir haben, kommt - oh Gott - von dir, wir danken dir dafür?
Unpassend. Aber vielleicht bringt es ja etwas.
Alle guten Gaben, alles, was wir haben, kommt - oh Gott - von dir, wir danken dir dafür.
Vielleicht wäre Religionsunterricht doch keine schlechte Wahl gewesen. Corbyn begann zu urinieren. Sie hörte, wie seine Pisse auf das Keramik der Toilette plätscherte. Verzweifelt hob den Kopf gen Himmel, gen weißer Rauhfaserdecke, viel mehr.
Dann blitzte es auf. Dieses Bild.
Ihr nackter Körper hing von der Decke. Ihre Augen waren auf die doppelte Größe angeschwollen und mit Blut gefüllt. Lauter rote Punkte zierten ihr Gesicht, und wie die Kratzer ihren Hals zierten... war da ihre linke Hand. Sie hing mit zwei Fingern zwischen ihrem Hals und dem Duschschlauch, mit dem sie sich das Leben nahm. Mit diesem Tod hätte sie nicht gerechnet.
Corbyn schüttelte ab und spülte. Angsterfüllt wagte Ella einen Schulterblick. Ihr Blick fiel direkt in den seinen. Er wusch sich die Hände und nahm Augenkontakt über den Spiegel auf. Wenn sie jetzt nach dem Kissenbezug schaut, merkt er, dass etwas nicht stimmt. Sie zwang sich, die Augen nicht von seinen zu nehmen und lächelte. Er nickte, drehte den Hahn zu und schüttelte überflüssiges Wasser von den Händen. Dann drehte er sich zur Badtür, die Hand auf dem Griff, im Sinne, sie zu erlösen. Ella spürte, wie die Taubheit ihres Körpers nachließ und atmete auf.
"Eines noch...", sagte Corbyn.
Ihr Blick wurde plötzlich unscharf und ihr Schwand jegliches Gefühl über ihren Körper. Grob konnte sie die Schlinge des Duschkopfes erahnen.
"Wenn du wirklich sauber werden willst, musst du den Duschkopf bewegen."
Er verließ den Raum.
Sie verblieb noch eine Minute in dieser Position, bevor sie das Wasser abstellte und sich umdrehte. Dann sah sie, dass sie ihr Nachthemd auf den Kissenbezug fallen lassen hat.
~~~
Irgendwie habe ich mich sehr auf diese Szene gefreut. Als mir die Idee kam, fand ich sie so genial grotesk, dass ich die als Motivation genutzt habe, um bis zu ihr weiterzuschreiben. Jetzt muss ich schauen, was meine nächste Zielszene wird.
Ich würde mich sehr über eure Meinung dazu freuen.
~ Manon
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