Eile und heile
Die nächsten Tage komme ich langsam in meinen neuen Job rein. Ich gewöhne mich an das Autofahren, wage es, den dritten Gang einzulegen, und habe weitaus weniger Angst als bei den ersten Malen. Nach dem Aufstehen gehe ich hin und wieder für Foxy Gutscheine eintauschen, besorge Essen und führe Stella aus. Dabei bekomme ich ihre heilige Kamera mit und muss alles dokumentieren, als erwarte sie, dass ich ihr irgendwas antue. Foxy hat ihr beigebracht, nur im Garten zu bleiben. Weiter will sie sie nicht unbegleitet gehen lassen, da sie Angst hat, sie würde von Hunden verletzt.
Mein Schuldenberg schrumpft und das Trinkgeld steigt. Langsam gewöhne ich mich auch an Foxy. Sie hat ein paar Brettspiele in der Hütte und lässt sich manches Mal darauf ein, mal nicht zu arbeiten. Was genau sie treibt, weiß ich bis heute nicht. Sie tippt in den Computer und äußerst selten geht sie aus, wobei sie auf meine Begleitung verzichtet. Allgemein habe ich das Gefühl, dass sie jeglichen Kontakt zur Außenwelt meidet.
Ich lerne, Wäsche mit einem Reibebrett zu waschen, kümmere mich um die Abfallentsorgung und helfe Foxy bei allem, was sie früher alleine erledigt hat.
Zehn Tage später streiche ich den letzten Schuldenbetrag von der Wand.
„Du hast dich gut gehalten", merkt Foxy an.
„Und du keine Gelegenheit gefunden, mir neue Schulden aufzudrücken."
Sie tippt sich an die Unterlippe. „Keine Sorge, ich ersinne gerade neue Gebühren für dich."
„Vielleicht bin ich bereit dafür zu zahlen, dass du mir etwas über dich erzählst."
„Das kannst du dir nicht leisten, sorry."
„Warum machst du so ein Geheimnis daraus?"
„Vielleicht will ich nur mysteriös bleiben?"
„Vertraust du mir nicht?"
„Ich möchte dem Club der Naivlinge nicht beitreten." Sie verschränkt die Arme hinter dem Kopf und legt sich auf den Boden. Stella pflanzt sich auf ihren Bauch und lässt sich kraulen.
„Sag mir zumindest, ob diese Hütte in irgendeine Form dir gehört."
„So wie den Amerikanern der Mond. Ich hab meine Fahne hier gehisst."
„Hast du nicht Angst, dass du erwischt wirst?"
„Erst seitdem du hier lebst."
„Du könntest mich rauswerfen."
Sie sieht mich nachdenklich an. Als ich ihren Blick erwidere, weicht sie aus. „Ich verdiene gut an dir."
„Darf ich dich was Verrücktes fragen?"
„Schieß los."
„Ich spare mir jetzt Geld. Wenn ich mir eine Wohnung leisten kann, würdest du miteinziehen?"
„Verschwendung. Hast du eine Ahnung, wie hoch die Mieten sind? Abgesehen von Wasser, Strom und Gas?"
„Ehrlich gesagt nicht."
„Ich hebe mein Geld lieber auf."
„Wofür?"
„Ich erzähl es dir, wenn es so weit ist."
„Du machst mich verrückt." Ich werfe die Hände über den Kopf.
Sie streicht sich durch die Haare. „Das ist mein Job."
Flirten wir gerade? Ich sehe zu Boden. „Ich möchte gerne einen Brief an meine Freundin schreiben."
Sie richtet sich auf. „Tu dir keinen Zwang an", meint sie eine Spur kühler.
„Du hältst das sicher für Geldverschwendung."
„Mail ihr doch."
„Ich hab kein Internet und auch keine Mail."
Sie verdreht die Augen. „Frag mich doch einfach."
„Dürfte ich?"
Sie seufzt langgezogen und notiert mir ihre E-Mail Adresse auf einen Notizzettel. „Sag ihr, sie soll dahin schreiben. Wenn sie's tut, richten wir dir einen Account ein."
Ich berühre ihre Hand einen Moment länger als notwendig. „Danke."
Sie entzieht mir ihre Hand und starrt mit geröteten Wangen zur Seite. „Geh deinen Brief schreiben."
Ich verfasse eine Nachricht an Linda, die grob meine aktuelle Situation umschreibt. Auch wenn ich ein Freund der Ehrlichkeit bin, so lasse ich einige Details doch unerwähnt. Alleine, dass ich mit einem Mädchen ein Zelt teile, dürfte sie nicht allzu freundlich stimmen. Irgendwo fühlt sich das falsch an. Wir waren immer völlig ehrlich zueinander. Foxys Lebenseinstellung färbt langsam auf mich ab. Als ich den Brief abschicke, überkommt mich ein Gefühl von Hoffnung. Die letzten Tage bestanden vorwiegend aus Arbeit, dem Wunsch, schuldenfrei zu sein. Jetzt fange ich endlich damit an, Geld anzusparen. Ich erfülle mir den Traum. Sobald ich eine ansprechende Summe gespart habe, werde ich versuchen, eine bessere Arbeit zu bekommen. Wenn eine Wohnung wirklich so teuer ist, wie Foxy meint, dann werde ich sie mit zehn Euro am Tag nicht finanzieren können.
Die nächsten Tage fange ich zu sparen an. Die Kunden mögen meine freundliche Art. Einige sind überrascht, dass ich fließend Deutsch spreche und so jung bin. Das alles motiviert sie dazu, mir immer mal wieder ein Trinkgeld zuzustecken. Mittlerweile verdiene ich manchmal das Doppelte von dem, was Sahil mir von sich aus gibt. Vielleicht komme ich ja doch mit dieser Arbeit aus. Ich mag Sahil. Er ist zwar ein Gauner, denn er hat sich bei verschiedensten Lieferapps unter allen möglichen Namen angemeldet, aber sein Essen scheint in Ordnung zu sein. Immerhin bestellen einige öfters bei ihm. Als Chef ist er klar aber freundlich. Wenn mir mal ein Fehler unterläuft, geht die Welt nicht unter. Ich würde ihn nicht unbedingt als Gönner bezeichnen. Foxy erzählte mir mehr als einmal, dass er vor mir schon unzählige andere Mitarbeiter ausgebeutet hat, aber zumindest zahlt er, was er mir zusagte.
Nach einer Woche habe ich mir über hundert Euro angespart. Ich liefere einem Kunden gerade mehrere Pizzen aus und er zahlt mit einem Hunderter. So einen großen Schein hatte ich mein Leben lang nicht in der Hand. Ich tausche meine Ersparnisse dagegen aus und gebe Sahil die kleineren Scheine. Während ich im Auto sitze und auf Sahils Anruf warte, betrachte ich ihn von allen Seiten. Ich fühle mich unheimlich reich, auch wenn ich weiß, dass das bescheuert ist. Auf jeden Fall habe ich einen Meilenstein erreicht. Vor einigen Wochen hätte ich das kaum für möglich gehalten. Ich war am Ende. Heute werde ich Foxy eine Überraschungspizza mitbringen. Wir ernähren uns ähnlich sparsam wie zu meiner Zeit bei Paps. Hin und wieder gönnt sie sich etwas, aber grundsätzlich scheint sie auf ein größeres Ziel zu sparen. Ich wüsste zu gerne, was das ist, aber sie schweigt eisern darüber.
Wir verstehen uns zwar mittlerweile blendend, auch wenn sie ihre überhebliche Art nicht ablegen will und mich ständig aufzieht, aber sie ist und bleibt ein Geheimnis für mich. Dafür wird Stella immer zutraulicher. Zeitweise erwische ich sie sogar dabei, wie sie sich nachts in meinen Teil des Zelts schleicht. Foxy erklärt das damit, dass sie meinen Gestank mag.
Ich bekomme einen Anruf auf dem Handy. Es ist nicht das Diensttelefon, sondern mein privates. Wahrscheinlich Paps, der sich über den Stand der Dinge informiert. Er ist in irgendeiner Art Heim untergekommen. Er beteuert, dass es ihm gut geht, aber ich kann ihn mir nicht untätig vorstellen. Er steht auch auf meiner geistigen Liste. Wenn ich eine Wohnung habe, dann kann er zu mir ziehen. Überraschenderweise ist es Foxy, die mich anruft. Das hat sie noch nie gemacht. Für gewöhnlich nutzt sie die Zeit meiner Abwesenheit, um ungestört arbeiten zu können. Wenn ich nur wüsste, was sie da genau tut. Vielleicht wäre das auch was für mich. Jedenfalls muss es besser bezahlt sein, als Pizza auszuliefern, sonst würde sie den Job ja machen.
„Adam, du musst sofort herkommen!" Ihre Stimme überschlägt sich fast. Ich habe sie noch nie dermaßen aufgeregt gehört. Höchstens wütend und dann bin ich in der Regel der Grund dafür.
„Ich arbeite gerade, was ist los?"
„Es geht um Stella!"
Mein Diensthandy klingelt. Es ist Sahil. „Warte einen Moment. Ja?"
„Adam, ich habe eine Riesenbestellung reinbekommen. Zwanzig Pizzen. Die müssen sofort raus. Ein Großkunde, ich will, dass das perfekt über die Bühne geht."
„Bin gleich da."
Ich steige aus dem Auto und laufe zum Lokal rüber. „Bist du noch dran?", frage ich ins Telefon.
„Sag mal, bist du taub? Ich brauche dich hier. Jetzt!"
„Was ist mit Stella? Hat sie wieder Durchfall?"
„Schlimmer, wir müssen sofort zum Tierarzt."
„Gibt es nicht zwei hier in der Ortschaft?"
„Da kann ich nicht hin."
„Warum?"
Ich eile ins Lokal, klemme das Handy zwischen Schulter und Ohr ein und trage die ersten fünf Pizzakartons ins Auto.
„Könntest du bitte mit der Geheimniskrämerei aufhören, wenn du meine Hilfe willst?"
Sie zögert, ehe sie schließlich mit hörbarem Widerwillen sagt: „Die kennen mich dort."
„Und weiter?"
„Die würden meiner Familie Bescheid geben. Adam, bitte, ich kann da nicht hin. Es gibt eine Ärztin in Knagg. Du musst mich da schnell hinfahren."
Ich sehe auf die Adresse der Rechnung. Sie liegt in die entgegengesetzte Richtung. „Scheiße, ich hab eine riesige Lieferung."
„Adam, bitte."
Ich hole eilends die restlichen Kartons und knalle den Kofferraum zu. „Also gut, ich bin auf dem Weg."
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