Allein für's Schauen wirst du verhauen
Ich knalle auf den Boden und schüttele den Arm aus, der sich anfühlt, als wäre ich in eine Bärenfalle geraten. Mit der freien Hand schütze ich mein Gesicht, das mit Schlägen traktiert wird. Wäre ich nicht halb erfroren, ich fühlte mich um einiges wehrhafter. So bin ich eher der Spielball der Bestien, die hier drin hausen.
Für einen Moment scheint die Zeit stillzustehen. Ich ignoriere den Schmerz, versuche zu eruieren, mit was ich es zu tun habe. Etwas drückt auf meinen Bauch, klemmt mich auch seitlich ein. Es fühlt sich wie ein Mensch an, der rittlings auf mir sitzt. Könnte aber genauso gut ein großes Tier sein, das sich auf mich gestürzt hat. Den schrillen Geräuschen nach, die dieses Wesen von sich gibt, scheint es sich aber doch um Ersteres zu handeln.
An meinem Arm hat sich mit Sicherheit ein Hund verbissen. Er stößt Knurrgeräusche aus, derweil er den Kopf zu beutelt.
Ich werde mich heute auf keinen Fall umbringen lassen. Mit einem Ruck drehe ich mich zur Seite und reiße die Bestie an meinem Arm mit mir. Er stößt ein Jaulen aus und lässt los. Die Schlagtirade über mir hält für einen Moment inne und ich schlage blindlings zurück. Ein äußerst menschliches Aua ertönt und der Druck auf meinen Oberkörper lässt nach. Ich rutsche zur Wand und halte die Hände kampfbereit vors Gesicht. „Ich komme in Frieden!"
Für einen Moment rührt sich nichts. Ich höre ein Klicken. Der Schein einer Taschenlampe blendet mich. „Warum brichst du dann hier ein, du Volldepp?", erklingt die Stimme eines Mädchens.
Ich mache vage die Umrisse eines Fuchses neben mir aus, der mit gesträubtem Haar eine Armlänge entfernt knurrt. „Könntest du aufhören, mich zu blenden?"
„Wenn du aus meinem Haus verschwindest."
„Dein Haus?" Ich erkenne vage die Umrisse von Holz, das sich an der Wand stapelt. Alles in Richtung des Mädchens ist von dem grellen Licht übertüncht.
„Problem damit?"
„Das ist ein Gartenhaus."
„Und weiter?"
„Da draußen ist es schweinekalt."
„Du Blitzchecker – was glaubst du, warum ich hier drin bin?"
„Ich brauche einen Schlafplatz."
„Dann such dir einen."
„Ich bin halb erfroren."
Sie seufzt theatralisch auf. „Und das ist mein Problem?"
„Wenn du eine Leiche vor deiner Hütte liegen haben willst."
„Hat man dir schon mal gesagt, dass du nervst?"
Ich hebe die Schultern und schirme die Hände gegen das Licht ab. Den Blick lasse ich über den Boden wandern. Ich erkenne vage leere Chiptsüten, PET-Flaschen, ein Notebook, Kabeltrommel, ein Zelt. Die scheint wirklich hier zu leben. „Sieh mal, ich bin von zuhause ausgezogen und auf Wohnungssuche. Leider hat das nicht geklappt wie geplant. Ich bräuchte nur für heute Nacht einen Unterschlupf."
Sie fährt sich mit der Hand durchs Gesicht und richtet die Lampe für einen Moment gen Decke. Sie ist in meinem Alter, wahrscheinlich eine Spur jünger. Rotorangene Haare, die an das Fell ihres Fuchses erinnern, stechend grüne Augen und das Gesicht voller Sommersprossen. Eine zugleich wilde, aber auch äußerst gutaussehende Erscheinung. „Bist du ein Perverser?"
„Wie kommst du darauf?"
„Weiß auch nicht. Die meisten Kerle sind irgendwie pervers. Und Typen, die nachts draußen rumlungern, sind in der Regel Junkies oder Triebtäter."
„Ich bin weder das eine noch das andere."
„Klar, wer würde das nicht sagen? Zeig mir deine Arme."
Ich runzele die Stirn und ziehe die Ärmel so weit hoch, wie es mit der Jacke möglich ist. Sie nickt zufrieden darauf und stiert in meine Augen, ein weiteres Nicken.
„Wie hast du dir das vorgestellt? Mit einem Mädchen hier zu schlafen?"
Ich hab mir das überhaupt nicht vorgestellt, aber ich weiß, worauf sie hinauswill. „Du in der einen Ecke, ich in der anderen?"
Sie deutet hinter sich. „Ich schlafe im Zelt."
„Dann ich außerhalb davon?", schlage ich vor.
Sie verengt die Augen. Ihr Blick fällt auf ihr Notebook. „Ich kann dir nicht vertrauen."
Ich halte ihr die Hand hin. „Adam."
„Was soll das?"
„Wenn du mich kennst, fühlst du dich vielleicht sicherer."
„Bullshit." Sie packt ihre wichtigsten Sachen zusammen und stellt sie in ihrem Zelt ab. „Wenn du mir zu nahe kommst, stech ich dich ab. Ich hab da drin ein Jagdmesser."
Ich hebe abwehrend beide Hände. „Schon gut."
Sie wirft mir einen letzten abschätzigen Blick zu, ehe sie in ihr Zelt zurückkehrt und den Zip schließt. Ihr Fuchs – zumindest folgt er ihr auf Schritt und Tritt – schlüpft nach ihr rein. Als sie die Taschenlampe ausschaltet, sitze ich wieder im Finstern. Was für eine skurrile Situation, aber ich bin viel zu müde, um darüber nachzudenken. Ich kuschele mich an die Wand und versuche zu schlafen.
Wenige Minuten später ist die Wärme des Kampfs verflogen und ich spüre den Wind, der durch die Ritzen der Wände zieht. Jetzt ist zumindest klar, warum sie in einem Zelt übernachtet. Es ist hier drinnen etwas besser als in der Bahnhofsunterführung. Vielleicht könnte ich es aushalten, wenn mir nicht bereits so kalt wäre. Ich verfalle in einen Dösschlaf, werde aber ständig davon geweckt, dass meine Nase läuft und ich huste.
Das Öffnen des Zips weckt mich endgültig aus dem Dämmerschlaf. „Bei dem Krach kann ja keiner schlafen." Die Taschenlampe wird wieder aufgedreht und das Mädchen stiert mich sauertöpfisch an.
Ich wische mir über die Nase. „Sorry, ich bemühe mich, das Husten runterzuschlucken."
„Mein Gott was für'n Opfer. Jeder halbwegs fähige Gangstertyp hätte versucht, mir das Zelt streitig zu machen." Sie schüttelt den Kopf und fährt sich durch die Haare. „Ist dir kalt?"
„Nicht unbedingt gut gedämmt dein Schuppen."
„Ach nee wirklich?" Sie deutet hinter sich. „Das Zelt hat zwei Schlafkabinen."
„Bist du dir sicher?"
„Ich will morgen keine Leiche hier rausschleifen."
Ich könnte heulen vor Freude, aber ich bewahre mir einen Hauch von Würde und krieche ins Zeltinnere. „Darf ich den Schlafsack benutzen?", frage ich mit einem Deut in die zweite Kabine.
„Nein, bitte leg dich daneben."
„In Ordnung." Zumindest besser, als auf nacktem Boden zu schlafen.
„Das war ein Witz. Natürlich darfst du ihn benutzen, du Hirni!" Sie klatscht sich auf die Stirn und zieht den Zip hinter mir zu. „Verkneif es dir, wenn du pissen musst. Du stehst nicht vor mir auf. Wenn ich was Verdächtiges höre, leg ich dich um."
„Ich weiß mich zu benehmen."
„Klar deswegen brichst du auch nachts in Gartenhäuser ein", frotzelt sie verdrießlich.
Das Licht geht erneut aus. Ich kuschele mich in den Schlafsack, der auf einer Isomatte liegt. Es ist definitiv wärmer, aber meine Glieder bekommen das eine ganze Weile nicht mit. Doch dieses Mal schaffe ich es zumindest, einzuschlafen.
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