29. Der Fuchs und sein Engel
Seit etwa zehn Minuten gibt Fox keinen Laut mehr von sich.
Ich schätze, das muss daran liegen, dass er stockbesoffen mit dem Kopf auf der Tischplatte eingeschlafen ist. Kaum zu glauben, ich weiß. Dem ewig wachsamen Fox hätte ich so ein Verhalten eigentlich nicht in hundert Jahren zugetraut.
Doch es ist nicht bei den drei Whiskys geblieben.
Ich frage mich immer noch, wie um alles in der Welt er überhaupt so lange durchgehalten hat. Dieses Ausmaß an Trinkfestigkeit ist echt nicht normal.
Mit verschränkten Armen sitze ich Fox nach wie vor gegenüber und betrachte ihn müde. Für mich wäre es auch langsam an der Zeit ins Bett zu gehen. Mir fallen schon fast die Augen zu und mein Kopf fühlt sich leicht schaukelig an – auch wenn ich im Gegensatz zu ihm nur ein Glas hatte.
Ich glaube nicht, dass ich nach dieser Sache je ein Whisky-Glas auch nur von der Seite anschielen werde. Wie schon erwähnt, härtere Sachen als Bier vertrage ich nicht so besonders gut. Aber lerne ich daraus? Scheinbar nicht unbedingt.
Ich stehe leise auf und will schon nach oben gehen. Doch ich halte inne und betrachte Fox nachdenklich. Ich merke, dass ich nicht kaltherzig genug dafür bin, ihn so unbequem da sitzen zu lassen. Er wird noch eine heftige Nackenverspannung kriegen, wenn er bis morgen in dieser Position bleibt...
Also gehe ich zu ihm und rüttle ihn sanft an der Schulter. »Hey, Schlafmütze.«
Mit einem leisen Schnaufen öffnet er die Augen auf Halbmast. »Was isss?!«, murrt er. Charmant wie eh und je.
»Du kriegst morgen üble Schmerzen, wenn du so sitzen bleibst. Leg dich auf die Couch«, sage ich in ruhigem Tonfall, meiner Genervtheit zum Trotz.
Er schließt die Augen wieder und ich seufze. Sein Problem, wenn er sich nicht rühren will. Ich drehe mich um und gehe auf die Treppe zu, als von hinten ein leises »Hey, warte...« ertönt.
Wider besseren Wissens drehe ich mich um.
»Ist da etwa jemand von den Toten erwacht?«, frage ich sarkastisch. »Ich binnnich tot«, grummelt er. Mit verschränkten Armen komme ich auf ihn zu. »Du siehst aber so aus.« Er murmelt irgendwas, das höchstens er selbst verstehen kann. Wenn überhaupt.
»Was?«, frage ich, als ich bei ihm angelangt bin.
»Was ›was‹?«
»Du hast gesagt ›warte‹, also?«
»Du msss mir aufstehnhelfn.«
»Wie bitte? Wer soll denn das verstehen, was du da von dir gibst?«, maule ich ungeduldig. Scheint, als würde die Müdigkeit und Strapazen unseres Ausfluges nicht ganz spurlos an mir vorbeiziehen. Er blitzt mich an. Ja, er blitzt mich an. Das kann er anscheinend zu jeder Lebenslage, auch wenn er hackedicht ist.
Fox schließt wieder träge die Augen. »Ich bin bsoffn, was erwartesssu?« Stimmt, wie konnte ich das bloß vergessen? »Also?«, hake ich nach.
Er räuspert sich. »Hilf mir auf... aufzustehen... bitte.« Er hat sich diesmal sichtlich bemüht verständlich zu klingen, was mich Widerwillen grinsen lässt.
»Aber nur, weil du so schön gefragt hast«, gebe ich nach.
»Du bissss ein Engel, Ella.« Ich pruste. Wenn ich ihm morgen erzähle, was er an diesem Abend alles von sich gegeben hat, wird er mir das niemals glauben.
»Du siehsss auch aus wie'n Engel.«
Prompt werde ich rot. Wieso gebe ich eigentlich auch nur einen Pfifferling auf das, was aus seinem betrunkenen Mund herauskommt? »Ich binnnner Fuchs un du bisss mein Engel.«
»Aha«, feixe ich. Klingt wie der Anfang eines sehr surrealen Märchens. Langsam fange ich an, das richtig unterhaltsam zu finden.
»Komm, du Fuchs, wir müssen dich auf die Couch verfrachten«, ordne ich augenrollend an. Ich hänge mir mit der einen Hand seinen schlaffen Arm um den Hals und umschlinge mit der anderen seine Mitte. Plötzlich sinkt sein Kopf zur Seite und ich denke schon, dass er wieder eingeschlafen ist, aber...
Okay... was macht er da?!
»Du riechsss wie 'ne Blumenwiese.« Ich erstarre, die Augen geweitet. Seine Nase kitzelt mich an der Wange.
»Schnüffelst du gerade an meinen Haaren?!«
»Ja, dasss sag ich doch.«
»Äh, okay?«, murmle ich reichlich irritiert. »Hm?«, murmelt er. Ich schüttle den Kopf.
»Ach, nichts. Komm schon.«
Und so wanken wir nebeneinander her in Richtung Sofa. Ich muss währenddessen feststellen, dass dieser Mann deutlich schwerer ist, als er aussieht. Mit einem Ächzen lade ich ihn schließlich auf dem Sofa ab. »So, und jetzt: Gute Nacht!«
Schwungvoll drehe ich mich um und will mich schon zügig davon machen, da packt er – ziemlich zielsicher für einen Betrunkenen – mein Handgelenk und zieht mich zu sich, sodass ich unsanft auf ihm lande. Er blickt mich bei weitem intensiver an, als man es von einem Betrunkenen erwarten könnte.
»Fox, hör auf mit dem Mist...«
Meine Stimme verliert sich, als ich mich in seinen dunklen Augen verliere, die fest zu mir hochblicken.
Er hebt die Hand, wickelt sich eine meiner Haarsträhnen um den Zeigefinger und lässt sie wieder runtergleiten. Dann streift er mit dem Finger meinen Kiefer entlang, zu meinem Kinn und weiter zu meiner Unterlippe. Ich weiß nicht, ob die Röte, die sich quer über seinen Nasenrücken zieht, nur vom Alkohol kommt.
Mein Puls rast und ich fühle mich, als würde mein Herz in Flammen aufgehen. Jetzt streicht er mit beiden Händen über meine Wangen ohne mich aus den Augen zu lassen. Ich kann mich nicht bewegen.
»Was machsu bloß mit mir?«, murmelt er. Das unbestimmte Gefühl eines Déjà-vus schweift am Rande meiner Gedanken vorbei. »Was hast du da gesagt?«, frage ich atemlos.
Er schließt die Augen als wollte er sich sammeln. Dann antwortet er um eine deutliche Aussprache bemüht: »Was... machst du... bloß mit mir?«
Und da macht es auf einmal ›Klick‹ in mir, als wäre ein Puzzleteil eingerastet. Er hat das schon einmal zu mir gesagt. Das war, als ich auf dem Weg hierher im Auto geschlafen habe. Ich dachte damals, dass ich das nur geträumt hätte...
»Morgn werde ich mir innnArsch tretn dafür, aber was soll's?«, vernehme ich seine undeutliche Stimme unter mir.
Bevor ich überhaupt weiß, wie mir geschieht, packt er plötzlich mein Gesicht, zieht es zu sich herunter und küsst mich. Scharf atme ich ein.
Oh Gott. Was passiert hier gerade?! Mein erster Impuls, mich loszumachen, das Richtige zu tun, erstirbt, als seine Zunge an meiner Unterlippe entlang streift, sanft und liebkosend.
Seufzend lasse ich mich zu ihm runter sinken und erwidere zaghaft den Kuss. Er schmeckt nach Whisky und Hitze.
Sanft bewegen sich seine Lippen an meinen und mir entschlüpft ein leises Stöhnen. Dafür, dass er unglaublich betrunken ist, küsst er wirklich ausgezeichnet. Diese Künste hätte ich ihm eigentlich nicht mal in nüchternem Zustand zugetraut...
Von feuriger Leidenschaft gepackt vergrabe ich meine Hände in seinen dicken Haaren und beiße sanft in seine Unterlippe, worauf ich ein Grollen in seiner Brust spüre, welche unter meiner liegt.
Von meiner plötzlichen Hingabe erschrocken, halte ich eine Sekunde inne. Diese Sekunde reicht aus, um den Nebel der Lust und Euphorie in meinem Kopf zu lichten.
Was zur Hölle tue ich da?!
Abrupt löse ich mich von ihm.
Mit wildem Blick und komplett zerzaustem Haar blickt Fox keuchend zu mir auf.
»Wir müssen...«, ich schnappe nach Luft, »... damit aufhören. Ich...«, flüstere ich mit hochrotem Kopf. Mir ist durchaus klar, wohin das hier führt, wenn wir so weitermachen...
Es fühlt sich so falsch an. Aber verdammt, es fühlt sich auch gleichzeitig so richtig an!
Er mustert mich grinsend mit hochgezogenen Brauen. »Ich hab kein Wort verstann...«, nuschelt er. Ich rolle mit den Augen. »Ha, deine alkoholgeschwängerten Witze sind wirklich einmalig.«
Eine Weile sieht er mich nur an. Doch dann grinst er plötzlich ein so atemberaubendes Grinsen, dass mein Magen bittersüß flattert.
»Du bist so schön, wenn du lächelst«, entfährt es mir und ich könnte mich im selben Moment ohrfeigen. Was um alles in der Welt, Ella?! Fox wird prompt hochrot im Gesicht und nuschelt: »Du bisss... ein Engel.«
»Hör auf...«
»Doch, 'türlich! Deine Augen sin so blau wieer Himmel.« Leise lächelnd schließt er die Augen.
Mit den Ellenbogen vorsichtig auf seine Brust gestützt betrachte ich ihn nachdenklich. Ich weiß, dass ich eigentlich gehen sollte... dass das hier nicht korrekt ist.
Doch ich bringe es einfach nicht über mich – keine Ahnung, ob es an den einen Glas Whiskey liegt oder einfach daran, dass ich von ihm trunken bin.
»Sieht ganz so aus, als hätte ich eine Schwäche für Kriminelle, was? Erstmal Jack, wobei ich das bei dem ja nicht wusste, und dann du«, plappere ich nervös.
Ein leiser Schnarcher entschlüpft Fox. Mir klappt die Kinnlade runter. »Ich glaub das jetzt einfach nicht...«, murmle ich fassungslos. Ist er gerade echt eingeschlafen?!
Ich kann mir nicht helfen und muss lächeln. Seine dunklen Wimpern werfen Schatten auf sein sommersprossiges Gesicht, welches im Schlaf so ungewöhnlich friedlich wirkt.
Ich spüre, wie meine Augenlider ebenfalls schwer werden und lasse meine Wange auf seine Brust sinken. Ich werde nur kurz meine Augen zumachen, dann gehe ich nach oben... nur ganz kurz...
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