22. Beeindruckenderes
Mit einem richtig heftigen ›Wusch‹ in meinen Ohren schießt mir das Blut ins Gesicht und ich reiße die Augen auf. Was soll das denn jetzt für eine Frage sein?!
Als ich immer noch nicht antworte, dreht er sich um und sieht mir ins Gesicht. »Was ist?«, fragt er arglos. Als ich abermals nichts antworte, dreht er sich schulterzuckend um und hebt eine beschichtete Pfanne aus der Halterung.
Wie gebannt starre ich auf diese dämliche Pfanne und in diesem Moment wird mir klar, dass ich einfach nur total bescheuert bin.
Er hat mich gefragt, was ich essen will. Und nicht, was mich heiß macht.
Gerade würde ich am liebsten meine Stirn auf die Tischplatte hauen. Ich sollte wirklich nicht trinken. Niemals wieder!
Anstatt meinen Kopf jedoch auf die Platte zu schlagen, lege ich lieber sanft meine Wange auf das kalte Holz und schließe die Augen.
»Hey, ich hab dich was gefragt.«
Mit einem Ruck hebe ich den Kopf und alles fängt an, sich zu drehen. Ich kann nicht genau sagen, ob es daran liegt, dass ich angeschwipst bin, oder dass Fox' Gesicht nur noch wenige Zentimeter von mir entfernt ist.
Er blinzelt und eine sanfte Röte zieht sich über seine Wangen. Der Whisky muss bei ihm ebenfalls seine Wirkung entfaltet haben. Natürlich nicht so stark wie bei mir.
»Was ist denn?«, frage ich forsch, um Miene Verlegenheit zu überspielen. Mit auf die Tischplatte gestützten Händen beugt er sich noch ein Stückchen nach vorne, bis ich sogar seinen Atem auf meinem Gesicht spüre.
Mir bleibt die Luft in den Lungen stecken, als sein herber Geruch mir in die Nase steigt.
»Ich habe dich gefragt...«, beginnt er leise und gedehnt, »... ob Reis mit gegrilltem Gemüse okay ist?«
Reis mit gegrilltem Gemüse...
Mein Kopf fühlt sich an wie Zuckerwatte und ich habe kein Wort von dem wahrgenommen, was er da gesagt hat. Alles, was ich gehört habe, war sein samtener Tonfall. Mit der gleichen Stimme hätte er irgendwen verführen können, verdammt! Und er tut noch so unschuldig...
Spöttisch zieht er eine Braue hoch, als wüsste er genau, was ich in diesem Moment denke. »Du hast heute fast nichts gegessen, was dir den Alkohol sofort in den Kopf geschossen hat.«
Seine Worte kitzeln mich an der Wange. »Danke, Herr Doktor, das weiß ich auch!«, schnappe ich leicht nuschelnd. Er funkelt mich noch mal an, dann dreht er sich endlich um. Ich atme leise auf.
»Ich mache uns jetzt den Reis«, sagt er während er irgendwas am Herd fuhrwerkt.
Er hat mich durcheinander gebracht. Fox hat mich durcheinander gebracht!
Ich rede mir ein, dass das nur der Fall war, weil mir seine plötzliche Nähe so unangenehm war.
Ja, genau! Sehr unangenehm sogar!
Und überhaupt, was denkt er sich eigentlich, mir so nahe zu kommen?
Sehr undamenhaft stürze ich mich auf den Reis und verkneife mir ein wonnevolles Stöhnen.
Dieser Typ kann kochen, das muss man ihm lassen!
»Irgendwann musst du mir beibringen, wie man das macht«, nuschle ich mit vollem Mund. »Mal sehen«, ist alles, was er dazu sagt, das rote Gesicht gesenkt.
Ich weiß ja, dass Fox mit Komplimenten in etwa so gut umgehen kann, wie meine Oma mit Kindern – also gar nicht.
Einmal hat sie den etwas lebhaften Nachbarskindern über ihr angedroht, sie mit ihrem Angora-Schal zu erdrosseln, wenn sie das Trampeln nicht sein lassen. Als Gott das Nettigkeits-Gen verteilt hat, war meine Familie vermutlich gerade nicht anwesend.
»Willst du noch was?«, fragt Fox. Ich schüttle den Kopf und lehne mich schlapp zurück.
Er hebt kurz die Schultern und sagt: »Kriegst eh nichts.« Ich schnaube und unterdrücke ein Lächeln. Diese Antwort sieht ihm ähnlich.
»Halt die Klappe«, grummele ich gespielt beleidigt.
»Ich stopf dir deine gleich.«
Und so plänkeln wir noch eine Weile herum bis mir fast müde die Lider zufallen. Nachdem wir abgespült und das Geschirr zurückgeräumt haben, verkünde ich kraftlos: »Ich glaube, ich gehe schlafen. Gute Nacht.«
Er brummt nur irgendwas undeutliches vor sich hin, das mit ein wenig Fantasie auch nach ›Gute Nacht‹ hätte klingen können. Schwerfällig schleppe ich mich die Treppen hoch und falle oben in meinem Bett sofort in einen tiefen, traumlosen Schlaf.
...
Als ich am nächsten Morgen aufwache, habe ich einen dermaßen ekligen Geschmack im Mund, dass ich am liebsten kotzen würde. Mit gepeinigt verzogenem Gesicht gehe ich ins Bad und spüle mir den Mund aus.
Das muss wohl am Alkohol von gestern liegen, der über Nacht als Gift von meinem Körper ausgestoßen wurde... oder wie auch immer sowas funktioniert. Und die Tatsache, dass ich am Abend keine Zähne geputzt habe, hat die Sache bestimmt nicht besser gemacht.
Energisch krame ich meine Zahnbürste aus meinem Kulturbeutel und drücke einen riesigen Klecks Zahnpasta drauf. Kritisch betrachte ich die weiße Creme. Mit der Menge könnte man wahrscheinlich zwanzig Leuten die Zähne putzen.
Nachdem ich fertig geputzt habe, fühlt mein Mund sich schon viel besser an. Prüfend schnüffle ich an meinen Achseln. Vielleicht sollte ich auch gleich unter die Dusche, wenn ich schon mal hier bin.
Nachdem ich also ausgiebig geduscht habe, verlasse ich zufrieden seufzend in meinen Frotteemantel gekuschelt das Bad und suche mir danach einen weißen, schlabberigen Pullover mit einer rissigen blauen Skinny-Jeans zum Anziehen heraus.
Gedankenverloren ziehe ich meinen Bademantel aus und lege ihn auf das Bett.
So komplett nackt und mit vom Duschen noch feuchter Haut ist mir ein wenig kalt, also suche ich schnell im Koffer nach meinem weißen Spitzen-BH mit dazu passendem Slip.
Als ich beides endlich gefunden habe, ziehe ich es in Lichtgeschwindigkeit an und greife schon nach dem Pulli, da geht plötzlich die Tür auf.
Wie erstarrt stehe ich da, mit meinem weißen Pulli in der Hand, und sehe Fox mit weit aufgerissenen Augen an, welcher wiederum selber wie ein Reh im Scheinwerferlicht ausschaut. Ich hätte nie gedacht, dass ich das mal über ihn sagen würde.
Sein Blick zuckt kurz runter zu meinen Brüsten. Fast in Millisekundenschnelle wechselt seine Gesichtsfarbe von dem üblichen sommersprossigen Porzellan in ein tiefes Paprikarot. Sein Mund öffnet und schließt sich, aber er sagt nichts.
Nachdem er kurz den Kopf geschüttelt hat, als wollte er den Anblick förmlich aus seinem Hirn schütteln wollen, macht er auf dem Absatz kehrt und knallt die Tür hinter sich zu.
Mein Herz rast und ich fühle mich, als hätte mir jemand eine Ladung heißes Wasser ins Gesicht geschüttet. Mein Gott, wie peinlich!
Ich fasse mir an die brennenden Wangen und schließe gequält die Augen. Wie soll ich denn jetzt noch da runter gehen?!
Am liebsten würde ich mich einfach für den Rest meines Lebens hier oben verschanzen um Fox nie wieder ins Gesicht sehen zu müssen. Aber natürlich weiß ich, dass das nicht möglich ist.
Also ziehe ich einfach meine Sachen an und gehe so aufrecht wie möglich die Treppen hinunter. Ich beschließe einfach so zu tun, als wäre das nie passiert.
Als ich Fox mit dem Rücken zu mir am Herd stehen sehe, muss ich mich dem Drang widersetzen, sofort umzudrehen. Stattdessen setze ich mich an den Tisch, lege das Kinn in die Handfläche und betrachte seinen Rücken.
Heute hat er wieder etwas schwarzes an, dieses Mal allerdings ausnahmsweise keinen Kapuzenpulli, sondern ein lockeres, langärmeliges T-Shirt aus einem Stoff, der sehr weich aussieht.
Ich kann mir einfach nicht helfen und betrachte das Spiel seiner Rückenmuskeln während er am Herd die Pfanne hin und herschwenkt. Er hat wirklich einen schönen Rücken...
Plötzlich muss ich an Jack denken und das schlechte Gewissen beißt mich heftig in den Bauch. Schnell wende ich den Blick ab.
»Heute gibt's Omelett mit Pilzen und Feta«, informiert er mich, ohne sich umzudrehen.
Seine Stimme ist ja immer rau, aber jetzt scheint sie noch eine Spur rauer zu sein als gewöhnlich. Er genau so verlegen, wie ich mich fühle. Ich murmle etwas Zustimmendes.
Am liebsten würde ich die Zeit zu dem Moment zurückdrehen, als ich diesen blöden Bademantel ausgezogen habe. Ich hätte das Ding nur zwei Minuten länger anlassen sollen und alles wäre gut gewesen.
Diese komische Situation hätte vermieden werden können. Plötzlich kocht Wut in mir hoch und ich schnauze aus einem Impuls heraus: »Hey!« Langsam dreht er sich um. Eine seiner geraden Brauen wandert in die Höhe als wollte er sagen: ›Suchst du Streit?‹
Quietschend schiebe ich den Stuhl über den Boden und gehe zu ihm. »Hör auf dich so komisch zu benehmen! Hast du etwa noch nie eine halbnackte Frau gesehen?« Sobald ich die Worte ausgesprochen habe weiß ich, dass es die falschen waren.
Schneller als ich schauen kann, packt Fox mich bei den Schultern und drängt mich gegen den Kühlschrank. »Aua, was...«
Ich verstumme als er mir tief in die Augen sieht und mein Kinn mit dem Zeigefinger anhebt.
Grimmig erwidere ich seinen Blick und versuche mich, nicht von seinem Geruch einlullen zu lassen.
Langsam beugt er sich vor, immer weiter und weiter, bis ich sogar das dunkle Muster seiner Iris sehen kann. Oh, mein Gott... Er will mich doch nicht küssen, oder?!
Gerade als ich denke, dass er seinen Mund auf meinen senken wird, streift er mit seinen Lippen an meinem Mundwinkel vorbei, dann weiter an meiner Wange, bis er sie an mein Ohr legt.
Eine Weile verharrt er dort und ich muss mich zwingen in normaler Geschwindigkeit zu atmen. Er öffnet die Lippen und kitzelt mich dabei am Ohr. »Ich habe schon Beeindruckenderes gesehen«, murmelt er schließlich.
Ein ungläubiges Keuchen entfährt mir und ich mache mich von ihm los, habe mich aber schnell wieder im Griff.
Hochmütig hebe ich eine Augenbraue und verschränke die Arme. »Aha, und deswegen ist dir auch fast der Schädel explodiert? Weil du schon Beeindruckenderes gesehen hast?«, zische ich süffisant.
Triumphierend beobachte ich wie sich ein sanfter Purpur-Schleier quer über seinen Nasenrücken zieht. Das hält ihn allerdings nicht davon ab mich weiterhin mit seinem Blick festzunageln.
»Na, also...«, murmle ich selbstgerecht. Doch gerade als ich mich davonmachen will, packt er meinen Unterarm und zieht mich mit einem Ruck zu sich. »Du schnurrst wie ein Kätzchen, aber du spielst mit dem Feuer, vergiss das nicht!«, zischt er.
Die Atmosphäre ist geladen wie kurz vor einem Gewitter, wenn jeden Moment der erste Blitz runterkrachen kann...
Drohend hebe ich das Kinn. »Tu ja nicht so unschuldig! Was glaubst du –«
Plötzlich ertönt das Klicken eines sich drehenden Schlüssels und die Tür springt auf.
Fox und ich fahren herum. Im Türrahmen steht ein junger Mann mit in den vorderen Hosentaschen vergrabenen Fäusten und hochgezogenen Schultern. Er grinst.
»Störe ich?«
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