20. Nicht jetzt
Verwundert schaue ich mich in der Hütte um.
Sowas wie einen Flur gibt es hier nicht. Wir stehen praktisch direkt im Wohnzimmer, in dem auch eine kleine Küchenzeile und ein Essbereich untergebracht sind.
Was mich aber überrascht ist, dass hier alles so modern eingerichtet ist, was in krassem Kontrast zur Fassade der Hütte steht, welche ja eher traditionell anmutet.
Die vier Wände sind in einem warmen Weiß gestrichen. Alle Möbelstücke hier sind entweder schwarz, weiß oder aus Glas, manchmal auch mit eingearbeiteten Holzelementen. Der Tisch, zum Beispiel, besteht aus einer Glasplatte, welche von einem knorrigen, dicken Ast in der Mitte gehalten wird. Der Raum ist wirklich hübsch, das muss ich gestehen.
»Ich muss telefonieren, richte dich schon mal ein«, sagt er abwesend. Damit verschwindet er nach draußen und ich bleibe allein zurück.
So beschließe ich, Fox' Anweisung Folge zu leisten und mache mich auf den Weg nach oben, um meinen Koffer auszupacken.
Die Treppe, die nach oben führt, ist aus dem gleichen dunklen Holz gemacht wie die Fassade des Hauses.
Ächzend steige ich Stufe für Stufe nach oben, meinen Koffer in der Hand, bis ich etwas sehe, das meine Aufmerksamkeit weckt. Behutsam stelle ich mein Gepäck auf die Stufe unter mir und betrachte die gerahmten Bilder an der Wand.
Der junge Mann, der auf den meisten auftaucht, scheint der Besitzer des Hauses zu sein. Mal ist er mit seinen Eltern abgebildet, dann mit anderer Verwandtschaft und dann...
Das ist Fox!
Unwillkürlich muss ich grinsen. Ich hätte mir fast denken können, dass er es hasst, fotografiert zu werden.
In dem Bild sind die Zwei zusammen vor dem Haus, der Typ mit einem fröhlichen Grinsen im Gesicht und Fox mit einer missglückten Grimasse, die wohl sowas wie ein Lächeln darstellen soll. Seine Frisur ist ähnlich mit der von heute, allerdings etwas kürzer. Die beiden müssen dort ungefähr vierzehn oder fünfzehn gewesen sein, Fox' Gesicht fehlen die geschliffenen Kanten von heute.
Ich gehe weiter nach oben, noch mehr Fotos betrachtend. Als ich fast die letzte Stufe erreicht habe, halte ich inne.
Hier ist ein Schnappschuss nur von Fox allein, in dem er in die Kamera schaut und breit lächelt. Es ist das erste Mal, dass ich ein echtes Lächeln auf seinem Gesicht sehe, nicht irgendeine sarkastische Grimasse. Es ist ein schönes Lächeln.
»Das war an meinem achtzehnten Geburtstag.«
Erschrocken fahre ich herum. »Mann, hast du mich erschreckt!«, entfährt es mir. Fox steht direkt hinter mir und betrachtet nachdenklich dieses Bild.
»Wie alt bist du jetzt?«, frage ich in dem Wissen, dass ich vermutlich keine Antwort erhalten werde.
»Geht dich nichts an«, kommt es tatsächlich wie aus der Pistole geschossen. Ich verdrehe die Augen.
»Ach, komm, jetzt stell dich nicht so an. Was denkst du denn, wie alt ich bin?«, frage ich kokett lächelnd.
Er zuckt die Schultern, dann sieht er mich unverwandt an. »Zweiundzwanzig«, sagt er schließlich. Anklagend zeige ich mit dem Finger auf ihn und rufe: »Das hast du schon vorher gewusst, du Schummler!« Er zuckt erneut mit den Schultern.
Wie alt könnte er sein? Vierundzwanzig? Fünfundzwanzig? Abschätzend betrachte ich ihn, bis er schließlich die Augen verdreht und sagt: »Einundzwanzig.«
Mir klappt die Kinnlade runter und ich reiße die Augen auf. »Was?! Du bist jünger als ich?!«
»Sieht so aus«, sagt er gleichgültig. Ich fasse mir ungläubig an den Kopf. Das hätte ich nie erwartet. Ich meine, es ist bloß ein Jahr, aber... trotzdem!
»Komm mal wieder zu dir, ich bin sowieso erwachsener als du.« Ein winzig kleines Lächeln schleicht sich in seinen rechten Mundwinkel – ein wirklich ansteckendes Lächeln, muss ich anmerken. Ich haue ihm spielerisch auf die Schulter. »Das denkst aber auch nur du!«
Er zieht bloß vielsagend die Brauen hoch, als wüsste er etwas, das ich nicht weiß, und nimmt meinen Koffer mit nach oben.
So etwas wie eine Raumaufteilung scheint es in dieser Hütte nicht zu geben. Das Dachgeschoss ist, genau wie das Erdgeschoss, ein einziger Raum. Zumindest fast. Das Badezimmer oben ist schon in einem separaten Zimmer. Eine weitere Sache fällt mir sofort auf: Es gibt nur ein Bett.
Angespanntes Schweigen breitet sich aus.
»Wer schläft auf der Couch?«, frage ich schließlich mit verschränkten Armen.
»Ich bestimmt nicht.«
»Ich auch nicht.«
»Dann werden wir wohl oder übel eine Münze werfen müssen.« Er kramt Besagte aus der Hosentasche. »Kopf.«
»Zahl!«, rufe ich prompt.
Mit dem Daumen schnipst er die Münze elegant in die Luft, fängt sie auf und klatscht sie auf seinen Unterarm. »Ach, verdammt«, grummelt er. Bevor ich einen Blick auf die Münze werfen kann, schnappt er sie sich jedoch und steckt sie zurück in seine Hosentasche. Ich ziehe die Brauen zusammen. Hat er mich etwa ausgetrickst?
Prompt schüttle ich den Kopf über den Gedanken. Wieso sollte er das tun, schließlich habe ich ja gewonnen.
»Juhu! Ich krieg das Bett!«, rufe ich also glücklich und tänzle schadenfroh um ihn herum. Fox versucht, mich mit wedelnden Bewegungen zu verscheuchen. »Geh mir aus den Augen, du kannst nicht tanzen.« Ich kann sehr wohl tanzen, lasse mich aber nicht auf eine Diskussion ein, sondern werfe mich mit einem Hechtsprung auf das breite Bett.
»Hach, ist das schön!«, säusele ich provozierend. Kopfschüttelnd verdreht er die Augen und geht nach unten. Lächelnd rolle ich mich vom Bett runter und mache mich daran, meinen Koffer auszupacken. Viel ist es ja nicht gerade, sodass ich ziemlich schnell fertig bin.
Als ich runter komme, will ich schon nach Fox rufen. Da merke ich, dass er auf der Couch liegt, und halte inne. Ich sehe ihn nur von hinten, also tapse ich leise näher um festzustellen, ob er tatsächlich schläft.
Seine Augen sind geschlossen und seine Brust hebt und senkt sich gleichmäßig, also gehe ich davon aus, dass er wirklich im Land der Träume ist. Nachdenklich betrachte ich sein Gesicht. Im Schlaf wirkt er so viel friedlicher als sonst...
»Zählst du meine Sommersprossen, oder was?«
Er schlägt die Augen auf und sieht mich unverwandt an. Unwillkürlich macht mein Herz einen kleinen Satz, doch ich stemme die Hände in die Hüften und versuche, mir meine Verlegenheit nicht anmerken zu lassen.
»Mir ist nur aufgefallen, dass du viel entspannter wirkst, wenn du schläfst«, erwidere ich so ungerührt wie möglich. Er schließt die Augen wieder. »Ich habe nicht geschlafen, ich ruhe mich aus«, murmelt er monoton. Mir fällt nichts ein, was ich dazu sagen könnte, also drehe ich mich um und gehe zum Küchenbereich.
Mit geschlossenen Augen lehne ich meine Stirn an den kalten Stahl der Kühlschranktür. Wie peinlich!
Eine Weile stehe ich noch so da, dann drehe ich mich um... und schreie auf.
Denn wer steht da direkt vor mir? Genau, Fox. Ich knurre genervt. »Würdest du vielleicht aufhören mich so zu erschrecken?!« Er grinst.
Es ist nicht mal unbedingt ein schadenfrohes Grinsen, sondern fast schon – naja – nett.
Seine Augen funkeln und erinnern mich an einen schwarzen Nachthimmel mit Sternen. Ich hole tief Luft, welche irgendwo auf dem Weg zurück nach draußen in meiner Brust hängen bleibt. Ein sehr merkwürdiges Gefühl macht sich in der Gegend meines Zwerchfells breit und mir ist kurz schwindelig.
Sein Lächeln erlischt und er betrachtet mich kritisch. »Was ist los? Du siehst ziemlich scheiße aus.« Und da ist er wieder, der alte Fox den ich kenne und (nicht) liebe. Ich zeige ihm den Mittelfinger.
Mir ist allerdings tatsächlich etwas schwummerig zumute. »Ich glaube, ich hab heute zu wenig getrunken«, murmle ich widerwillig. Entweder das, oder Fox' Grinsen hat mich plötzlich dehydriert. Vielleicht ist es ja beides.
Wortlos schiebt er mich zur Seite und holt eine Flasche Wasser aus dem gut gefüllten Kühlschrank. Abwesend fahre ich über die Stelle an meinen Oberarmen, an denen er mich berührt hat. Das hat sich komisch angefühlt.
Klimpernd kramt er zwei schicke Gläser, die wie perfekte Würfel aussehen, aus dem Schrank. »Bei mir gibt's kein einziges Glas, das zu einem anderen passt«, merke ich an, da ich nicht weiß, wie ich diese komisch aufgeladene Stille zwischen uns sonst füllen soll. »Ich hab's mit eigenen Augen gesehen«, grummelt er missmutig, dann schiebt er mir energisch ein volles Glas hin. »Und jetzt trink.«
Ich habe keine Lust, mich mit ihm anzulegen, also trinke ich brav aus.
Ein schriller Ton durchbricht die Stille und ich zucke zusammen. Es ist Fox' Handy. »Ja?«, meldet er sich barsch.
Am anderen Ende der Leitung scheint ein Mann zu sprechen, so klingt die Stimme jedenfalls aus der Entfernung. »Hm... Heute?... Nein, lass es... Gut...«
Eine Zeit lang schweigt er und hört der Person am Handy zu. Dann wird er plötzlich rot und fährt sich grollend durch die Haare, sodass sie noch chaotischer von seinem Kopf abstehen. »Aber das ergibt doch gar keinen Sinn! Was –... Aha... Hm... Was soll's... Tut das, und wir sprechen uns noch.« Er legt auf.
Fragend sehe ich ihn an, aber er schüttelt nur den Kopf mit den Worten »Nicht jetzt«. Er will schon an mir vorbeistürmen, da packe ich ihn am Oberarm. Ich habe endgültig die Nase voll von seiner ständigen Geheimniskrämerei!
»Pass auf, wenn es was mit Jack zu tun hat, dann gibt es kein ›Nicht jetzt‹, okay?!«
Mit missbilligend verzogenem Mund reißt er sich von mir los und knurrt: »Stell mich nicht auf die Probe, klar?« Scheinbar ist er gerade nicht in der Stimmung dafür, mit mir zu diskutieren. Tja, sein Pech.
»Hatte es was mit ihm zu tun, ja oder nein?«, frage ich hartnäckig. Um unter seinem drohenden Blick nicht einzuknicken, richte ich mich noch ein Stück auf und hebe das Kinn. Blitzend sieht er mich mit diesen schwarzen Augen an und ich widerstehe dem Drang, mich abzuwenden.
»Ja«, sagt er schließlich, widerwillig, wie mir scheint. »Schlechte Nachrichten?«, hake ich nach.
Er runzelt die Stirn und atmet einmal tief ein. Als er die Luft ausstößt, wirkt es, als hätte er mit ihr auch alle Wut ausgeatmet und er sackt auf einen Stuhl am Esstisch.
»Ich verstehe das nicht«, murmelt er in seine vor dem Mund zusammengefalteten Hände.
Ich setze mich neben ihn. Fox so ratlos zu sehen, ist selten. Das weiß ich, obwohl ich ihn noch nicht sonderlich lange kenne.
»Was verstehst du nicht?«
Mit verschränkten Armen lehnt er sich zurück und stiert entrückt vor sich hin. Dann hebt er den Blick und schaut mich an. »Jack und seine Komplizin sind verschwunden.« Stille.
»Wie ›verschwunden‹?!«, entfährt es mir schließlich.
»Das frage ich mich auch...«, murmelt er grimmig. Verwirrt halte ich inne. »Warte, warte, Moment... Dann war das tatsächlich eine Frau? Sind Sie hier in der Stadt gesehen worden? Und wer war das am Telefon? Was –«
Plötzlich legt Fox mir den Zeigefinger auf den Mund. »Halt mal kurz die Luft an, ja?«, sagt er erstaunlich sanft. Verdutzt nicke ich. Er nimmt den Finger wieder weg und ich ertappe mich dabei, das zu bedauern. Schnell schiebe ich diese Erkenntnis weit von mir.
»Ich habe einige Informanten, die die beiden seit gestern im Auge behalten. Bisher haben sie sich nicht allzu auffällig benommen, was mich eigentlich wundert, so blöd wie sie sind... Die Frau schreit einfach am See rum, dass sie Waffen haben...« Missbilligend schüttelt er den Kopf und seine Stimme verliert sich.
»Hallo?«, frage ich irgendwann, um ihn zum Weiterreden zu animieren. Er blickt auf und fährt sich mit der Hand übers Gesicht.
»Sie haben nichts Ungewöhnliches gemacht, hier und da mal Essen gekauft, das Auto getankt und dann ein Zimmer in einem Motel genommen. Das Blöde ist nur, dass sie jetzt plötzlich wie verschwunden zu sein scheinen! Ich verstehe einfach nicht, wie das möglich ist. Meine Leute haben alle Ein- und Ausgänge dieses Schuppens und deren Zimmer fest im Blick gehabt, wie können die einfach so von der Bildfläche verschw –« Seine Stimme verliert sich wieder.
Abrupt richtet er sich auf. »Oh, verdammte Scheiße!«, ruft er plötzlich. »Was? Was ist?!«, frage ich aufgeregt.
Auf einmal springt er vom Stuhl auf, rennt nach draußen und knallt die Tür hinter sich zu. Das alles so schnell, dass seine Konturen fast schon vor meinen Augen verwischen. Völlig verdattert bleibe ich in der Küche zurück.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro