7 - Happy New Year
East Harlem, Januar 2017
Es war viel passiert nach meinem Geburtstag.
Pablo und Lucia wurden im November von Ihrem Schwager abgeholt. Sie nahmen nur das Nötigste mit.. Soviel Nötiges, wie in ein einzelnes Zimmer für zwei Personen passte. Die restlichen Möbel wurden in einem Lagerraum deponiert, den man anmieten konnte. Lucias Schwager bezahlte dafür und Pablo war froh, dass sie später nicht alles neu anschaffen mussten. Lucias Schwager war sehr nett und erklärte mir, dass er gerne die Miete für die Wohnung weiter gezahlt hätte, damit ich eine Bleibe hätte. Natürlich nur für ein bis zwei Monate. Aber der Lagerraum kostete nur einen Bruchteil der Miete und so war es entschieden. Er ließ mir eine Luftmatratze, einen Schlafsack und einen Rucksack da. Es gab gute Menschen.. aber die musste man suchen.
Ich bedankte mich, dass er überhaupt über all das nachgedacht hatte und ging zu Pablo. Es flossen viele Tränen und Pablo klammerte sich an mich. „Ich kann nicht mehr auf dich aufpassen, Amigo. Wer macht das jetzt? Wann kommst du mich besuchen? Wie kann ich dich erreichen? Oh, Mann.. das geht so nicht. Wie soll das funktionieren?" Ich versuchte, meinen besten Freund zu beruhigen. „Wir können uns schreiben, Pablo. Señora Montoya nimmt sicher gerne deine Briefe für mich an.. oder Detective Williams. Ich habe deine Adresse von deinem Onkel bekommen. Sie steht in meinem Notizbuch. Wir werden uns schon nicht aus den Augen verlieren."
Die nächsten zwei Wochen würde ich allein in der Wohnung bleiben, bis der Vermieter die Schlüssel von Lucia bekommen hätte. Genug Zeit für mich, mein Leben ohne Pablo und Lucia zu planen. Mister Jennings hatte mir Bücher besorgt, die ich demnächst brauchen würde und die einige Schulabgänger dort gelassen hatten. So konnte ich weiter zur Schule gehen. Morgen würde ich zu Claudia Williams aufs Revier gehen. Sie wollte mit mir in mein altes Zuhause, um mich nach Dingen umzuschauen, die ich noch aus der Wohnung haben wollte.
Nachdem sich Lucia auch weinend von mir verabschiedet hatte, stand ich am Straßenrand und winkte mit feuchten Augen dem Wagen hinterher. Lange blieb ich nicht dort stehen, denn ich fühlte mich seit einiger Zeit nicht mehr wohl, allein auf der Straße. Ich fühlte mich beobachtet.. Also joggte ich scheinbar gemächlich von Pablos Haustür weg und auf meinem bekannten Schleichweg zu Lucias Hintertür. Den Schlüssel hatte sie mir selbst gegeben und ich war vorsichtig genug, dass mich niemand beim Öffnen der Hintertür beobachtete.
Ich ging in die Küche und schloss gleich hinter mir ab. Den Schlüssel ließ ich von innen stecken.
All meine Sachen, die ich bei Pablo und Lucia aufbewahren durfte, hatte ich in die Plastikkiste gepackt. Immer griffbereit. Waschzeug hatte mir Lucia da gelassen. Morgen würde ich wieder Rocket und Groot laufen lassen und meine restliche Kleidung in den Waschsalon bringen. Dazu ging so nach und nach mein gebunkertes Geld drauf. Aber es kam ja auch immer wieder Neues dazu und ich brauchte auch nichts mehr abzugeben.
Mittlerweile hatte ich eine warme Jacke aus der örtlichen Kleiderkammer bekommen und neue Schuhe hatte ich mir nach meinem Geburtstag gekauft. Trotzdem war es sehr kalt und die Vorhersage hatte neue Schneefälle angekündigt. Lucia hatte mir zu Weihnachten einen warmen Pullover von ihrem Neffen geschenkt, der mal wieder herausgewachsen war. Ich war dankbar dafür. Etwas Neues aus dem Geschäft hätte ich nie erwartet. Pablo hatte eine Mütze, Schal und Handschuhe dazugelegt und bei dem jetzigen Wetter konnte ich alles gut gebrauchen.
Ich wusch mich im Bad, wo ich nur zwei Kerzen angesteckt hatte. Anschließend überprüfte ich, ob alle Fenster und Türen geschlossen und verriegelt waren. Dann schlüpfte ich wieder in meine Klamotten, die ich tagsüber angehabt hatte, löschte die Kerzen und schlüpfte in den Schlafsack, den ich in Pablos Zimmer ausgelegt hatte.
Am nächsten Morgen ging ich zur Schule und fühlte so was wie Freiheit, obwohl Pablo und Lucia nicht mehr da waren. Ich war allein und musste nun auch wieder alles allein schaffen. Mister Jennings bat mich nach dem Unterricht zu bleiben und sprach mich dann auf meine Situation an.
„Ich bin froh, dass du wenigstens deine Stimme wiedergefunden hast, Mason. Hat sich die Jugendbehörde schon eingeschaltet? Was tut sich bei dir?" Ich wusste nicht, wie ich seine Fragen beantworten sollte. „Detective Williams will sich darum kümmern. Ich weiß nicht, wie weit sie damit ist, aber ich sehe sie heute Nachmittag."
Mister Jennings schaute mich eindringlich an. „Wohin gehst du, bis man eine Pflegefamilie für dich gefunden hat?" Ich erschrak. Eine Pflegefamilie.. Neue Menschen, die ich nicht kannte. „Ich weiß es noch nicht, Mister Jennings. Vielleicht haben die Schwestern einen Platz für mich. Ich werde schon etwas finden." Aber das war Jennings nicht genug. "Komm mal mit, mein Junge. Ich zeig' dir was." Ich vertraute Mister Jennings und so ging ich hinter ihm her in den Heizungskeller der Schule.
„Ich werde morgen hier ein Feldbett für dich aufstellen und Bettzeug wirst du auch vorfinden, Mason. Hier ist es warm und du kannst hier im Notfall schlafen. Den Schlüssel wirst du dir beim Hausmeister im Nachbarhaus abholen, falls du ihn brauchen solltest. Ich werde mit ihm sprechen, damit er Bescheid weiß. Er ist ein netter alter Mann und immer für alle Schüler da. Und du wirst ihn am nächsten Morgen dorthin zurückbringen. Bitte nimm ihn nicht mit dir, wenn du nicht im Gebäude bist. Du könntest ihn verlieren oder man könnte ihn dir stehlen. Versprich mir das."
Das tat ich und bedankte mich für seine Hilfe.
„Wo bist du an Weihnachten, Mason?" Ich schaute meinen Lehrer verständnislos an. „Ich weiß es nicht, Mister Jennings." Er schaute mich traurig an und legte mir die Hand auf die Schulter. „Meine Frau und ich haben eine Tochter in deinem Alter. Wir würden uns sehr freuen, wenn du die Feiertage bei uns verbringen würdest, Mason. Frag nicht, warum. Du bist herzlich eingeladen." Bis Weihnachten hatte ich den Heizungskeller in der Schule fünfmal besucht und achtete auch genau auf die Abgabe des Schlüssels.. und immer noch fühlte ich mich beobachtet.
Die zwei Wochen in Pablos altem Heim vergingen wie im Flug. Ich hatte täglich ein paar meiner Klamotten bei Señora Montoya im Keller deponiert.. immer soviel ich in meinem Rucksack transportieren konnte. Den Schlüssel für die Wohnung ließ ich einfach in der Küche auf der Fensterbank liegen und zog die Hintertür ins Schloss. Die restlichen Nächte hatte ich - wenn sie noch mild genug waren - unter einer Brücke bei anderen Obdachlosen verbracht. Das war ich jetzt also.. Ein obdachloses Kind. Ich trug nie irgendetwas, das von Wert für mich war bei mir und hatte ein Küchenmesser in meinem Strumpf versteckt. Nur für den Fall..
Claudia Williams war mit mir zur Jugendbehörde gegangen und hatte meinen Fall erklärt. „Mason braucht dringend ein neues soziales Umfeld. Eine Pflegefamilie, die sich gut um ihn kümmert. Da die Kumpane seines Stiefvaters auf freiem Fuß sind, müssen wir Übergriffe befürchten. Je eher Mason von der Straße ist, desto besser für sein Leben", setzte sie in dringendem Ton hinterher.
Die Sachbearbeiterin versprach, sofort tätig zu werden und sich nach einem Platz für mich umzuhören. Allerdings könne das trotzdem einige Zeit in Anspruch nehmen.
Am Heiligen Abend holte mich Mister Jennings im Heizungskeller ab und wir brachten den Schlüssel zum Hausmeister. Wir fuhren nach Upper Manhattan, dem Stadtteil unterhalb von East Harlem, wo die Jennings lebten. Ich war noch nie von Harlem weg und atmete tief durch. Julianne Jennings drückte mir einen Jogginganzug in die Hand und schickte mich duschen. Ich schämte mich, aber Mrs. Jennings nahm mir die Scheu und sagte nur lächelnd „..wir haben schon alle geduscht. Du fehlst noch. Lass dir Zeit. Penny hat ihr Kindershampoo auf dem Board stehen. Das darfst du gerne für deine Haarpracht benutzen."
Am Abend sprach ich Mister Jennings auf ein heikles Thema an. „Ich brauche dringend einen sicheren Platz für meine Bücher, Papiere und Ersparnisse, Mister Jennings. Ich kann sie nicht ständig mit mir herumtragen. Bis jetzt hab ich mein Erspartes hinter einem Stein in einem alten Keller deponiert und auch die Kiste mit meinen Anziehsachen und Schulsachen steht dort. Aber Señora Montoya, für die ich arbeite und der dieser Keller gehört, ist schon alt und wird wohl bald ihren Laden aufgeben müssen. Wissen sie eine Lösung für mich?"
„Zunächst einmal nennst du mich bitte Cooper. Ich heiße Cooper Jennings. Mister Jennings bin ich nur in der Schule. Für dich heiße ich ab heute Cooper.. Nur nicht in der Schule", lachte er und ging mir voraus in seine große Garage. Dort stand ein zweitüriger Metallschrank. Er öffnete ihn, räumte ein paar Dinge raus und drückte mir ein Schloss mit Schlüssel in die Hand. „Das ist ab heute deiner, mein Junge. Hol dir Putzzeug von meiner Frau und mach ihn dir sauber. Er wird für deine Sachen ausreichend sein." Ich war so happy, dass ich Cooper Jennings spontan umarmte. „Danke, Cooper." Er tätschelte meine Schulter und sagte „Dir auch frohe Weihnachten, Mason."
Coopers Tochter Penny zeigte mir Weihnachten das ganze Haus. Sie redete wie ein Wasserfall und wollte gleichzeitig auch alles von mir wissen. Cooper bremste sie nach einer halben Stunde dann aus und erklärte ihr „Langsam, Penny. Schalt mal einen Gang runter. Mason ist es gar nicht gewohnt, soviel zu reden. Ich hatte meine liebe Not mit ihm", lachte er und sah mich dabei an. „Es ist ihm in der Vergangenheit nicht gut ergangen. Darf ich was erzählen, Mason?" Soviel Verständnis hatte ich zuletzt nur bei den Cristóbals und Claudia Williams erfahren. Ich nickte.
„Masons Mom ist im letzten Jahr gestorben und sein Stiefvater ist nicht mehr da. Er ist völlig allein und muss sich durch jeden Tag kämpfen. Wir wollen versuchen, ihm ein schönes Fest zu bereiten und ihm zu helfen, wann immer es nötig ist. Ist das genug Info für dich, mein Schatz?" Penny schaute mich mit großen Augen an, nahm meine Hand und meinte lächelnd „Das reicht. Spielst du mit mir Monopoly?" Damit war das Eis gebrochen. Julianne Jennings machte mir jeden Abend die ausziehbare Couch im Wohnzimmer zurecht und ich erlebte mein erstes Weihnachtsfest überhaupt.. und im Kreis einer intakten Familie.
Am ersten Weihnachtstag holte ich mir Putzzeug bei Julianne und ging in die Garage. Penny kam mir hinterher und nachdem ich erklärt hatte, worum es ging, half sie mit. Nach den Feiertagen holte Cooper mit mir die Sachen aus Señora Montoyas Keller und ich war froh, dass meine wenige Habe in Sicherheit war. Ich blieb dann bis Neujahr bei den Jennings und dann ging mein alter Trott von vorne los.
Trotzdem.. Ich hatte wieder Hoffnung für das neue Jahr.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro