11 - Fußfesseln
Ich war wirklich froh, dass meine Mitgefangenen – denn das waren wir – scheinbar alle friedlicher Natur waren. Allerdings war ich ja auch erst ein paar Stunden hier. Okay.. die Regeln hier hatte ich schon verstanden. Minimales Abweichen davon bedeutete Prügel, schwerste Prügel, Folter oder Schlimmeres.
Wir saßen abends zusammen im Schlafsaal, hatten einige Matratzen zusammen geschoben und die anderen machten sich mit mir bekannt. Jeder erzählte etwas aus seinem Leben.. ob das immer der Wahrheit entsprach, sah ich mal als dahingestellt. Irgendwo waren wir auch alle darauf bedacht, so wenig wie möglich von uns preiszugeben.. zu groß war die Angst vor Enttäuschungen und Verrat.
Alles konnte, wie man so schön sagte, auch gegen uns verwendet werden.
Ein paar der Jungs testeten meine Fingerfertigkeiten als Dieb und gaben mir Tipps. Die Übergabe der Drogen und das Kassieren mussten für die Augen anderer immer unsichtbar bleiben. Aber ich war bei Damiano in eine harte Schule gegangen. Die ersten Abreibungen von ihm brachten mich dazu, soviel und so gut wie möglich zu lernen. Mein Leben hing davon ab. Ich zeigte also ein paar von den Tricks, die ich auf Lager hatte und bekam von manchen der Jungs Beifall.
„Du wirst morgen einen Bauchgurt bekommen, den du unter deinem Pulli trägst. Er hat drei Kammern. Die linke Seite enthält die Pillen – die rechte die Kokspacks. In die mittlere wird das Bare gesteckt. Das ermöglicht es dir, die Ware schon in der Hand zu haben, wenn ein Kunde dich anspricht. Alles, was du für dich selbst stiehlst, musst du auch irgendwie oder irgendwo selbst verstauen", erzählte mir Luke, ein achtundzwanzig jähriger Hispanic.
„Wir haben hier im Raum einen Codex! Niemand bestiehlt hier einen anderen von uns. Sollte so etwas vorkommen und bewiesen werden, gibt es Gruppenprügel!" Darüber hatte ich auch schon nachgedacht. Es gab keinerlei Möglichkeiten, unsere Habe sicher zu verstauen. Ich trauerte um meinen Stahlschrank in Coopers Garage. „Was macht ihr mit euren Schätzen?", fragte ich Luke. Der schaute in die Runde und sagte „Zeigt es ihm!"
Ein Junge stand auf und drehte seine Matratze um. Jede hatte einen harten blauen Bezug und am Kopfende einen Reißverschluss. Der wurde nun geöffnet und man sah den Matratzenkern. Der Junge griff darunter und zog einen Umschlag hervor, und Luke erklärte „So einen haben wir alle für unsere eigenen Wertsachen. Leider passen nur Scheine hinein, ohne aufzufallen. Das ist nicht wirklich das beste Versteck, aber wir haben eins. Jeder hat soviel, wie es seine Geschicklichkeit zulässt. Münzen werden am besten sofort ausgegeben, denn du kannst sie am Ende der Tour schlecht vor dem Boss verstecken."
Luke gab mir einen Umschlag, der gebraucht schien, aber aus reißfestem Material war. Ich würde das Versteck benutzen, solange ich keine bessere Möglichkeit fand. Etwas anderes blieb mir gar nicht übrig. Ich würde mich nicht ausweisen können. Meine Wertsachen und Dokumente lagen im Stahlschrank bei Cooper. Lediglich der Schlüssel dazu steckte im Boden meines Rucksacks. Würde also heißen.. griffen mich die Cops auf und ich konnte mich nicht ausweisen, ging es auf die Wache. Thoran würde Angst um meine Verschwiegenheit haben und versuchen, mich umzubringen. So wie es Claudia Williams damals sagte.. „..es gibt Kollegen, die auch gerne mal wegsehen. Allerdings nur, wenn der Preis stimmt!"
Sollte ich es jemandem sagen? Oder sollte ich es darauf ankommen lassen? Je nachdem, in welchem Bezirk ich eingesetzt würde, hätte ich keinen Kontakt zu Claudia. Und mein Einsatzort würde täglich geändert. Keine Chance, zu planen.
Wir saßen noch ein paar Stunden zusammen und tauschten unsere Erfahrungen aus. Bei der Gelegenheit erfuhr ich, dass ich morgen im Bus eine Fußfessel bekommen würde. Luke beruhigte mich und meinte, das wäre immer noch besser als ein implantierter Chip. Die Fessel hatte eine Reichweite von dreihundert Metern und mit viel Glück konnte man innerhalb dieses Radius eine Toilette erreichen.
Ich schaute in jeden Winkel an der Decke des Schlafsaals. Es gab nur eine Kamera. Oben, neben der linken Seite der Türe. Ich glaubte nicht, dass die Kamera so jeden Winkel des Zimmers erreichte. Vielleicht war sie nur zur Abschreckung da? Scheinbar war sie im Moment abgeschaltet. Die rote Funktionslampe leuchtete nicht. Meine Matratze lag in der rechten Ecke. Abgehört würden wir nicht, sagte Eric, aber ich beschloss, mich darauf nicht zu verlassen. Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste. Nach und nach begab sich jeder auf seine Matratze; Cedric öffnete die Tür und löschte das Licht und die Lampe an der Überwachungskamera ging an.
An Schlaf konnte ich zunächst nicht denken. Zu viele Dinge gingen mir durch den Kopf. Cooper Jennings würde mich in der Schule vermissen. Claudia Williams würde mich vermissen und bei Cooper nachfragen. Señora Montoya würde mich vermissen und sich schließlich jemanden anderes suchen. Pablo würde sich Sorgen machen, wenn ich seine Briefe nicht beantworten würde. Ich musste einen Weg finden, mich bemerkbar zu machen. Das ging nur mit wenigstens einem bisschen Kleingeld.
Im Schutz der Dunkelheit zog ich mein Notizheft aus dem Rucksack, fischte den Zehn-Dollar-Schein heraus und steckte das Heft wieder zurück. Den Schein rollte ich so schmal wie nur möglich zusammen. Ein Versteck müsste ich mir morgen früh dafür suchen. Die neuen Zöpfe auf meinem Kopf waren ungewohnt, als mein Kopf auf der Matratze lag. Aber ich würde mich daran gewöhnen. Ich hatte mich in meinem kurzen Leben schon an so vieles gewöhnen müssen, dass mir das nun wie ein Spaziergang vorkam. In so viele Gedanken und Überlegungen vertieft, schlief ich dann schließlich ein.
Ich wurde wach, als einer der Jungen wild um sich schlug. Scheinbar war er in einem Albtraum gefangen. Ich stand auf und ging zu ihm. Er lag mit Schweißperlen im Gesicht auf seiner Matratze und murmelte immer wieder „Nein.. fass mich nicht an.. Nein.. ich will das nicht.. NEIN!" Seine Stimme wurde lauter und seine Arme schlugen immer noch wild hin und her. Ich fing eine seiner Hände auf und er beruhigte sich langsam. Ich setzte mich an sein Kopfende und langsam öffnete er die Augen.
„Hey.. Du hast geträumt. Alles ist gut. Ich bin hier und pass auf dich auf. Keiner fasst dich an. Versprochen!", sagte ich leise und schaute ihn an. „Du bbbbisst dooch der der Neueee? Mason?" stammelte er leise und ich nickte. „Soll ich bleiben, bis du eingeschlafen bist?", fragte ich ihn. „Ich werde dich nicht anfassen!", versprach ich, aber ich hielt noch immer seine Hand und nun drückte er sie. „Danke, Mason. Ich bin Josh". Damit schloss er die Augen, wickelte sich fast um meine Hand und war wenige Minuten später wieder eingeschlafen.
Nachdem ich zu meiner Matratze zurückgeschlichen war, schlüpfte ich unter das dünne Laken, das hier jeder auf seinem Platz liegen hatte, und schlief bald wieder ein. Lautes Getöse, das sich anhörte, wie das Horn eines Trucks, ließ mich praktisch von null auf hundert auf der Matratze stehen. Ich drückte meine Hände auf die Ohren und wartete, bis es vorbei war. Das war.. so unmenschlich, widerlich und die reinste Folter. „Du wirst dich auch daran gewöhnen, Kleiner. So werden wir hier jeden Morgen geweckt", sagte Eric und schnappte sich den Pulli seines Joggers.
Alle waren auf den Beinen und versuchten, in kürzester Zeit ihren Gang zur Toilette und die Morgenwäsche zu erledigen. „Das Wasser ist rationiert. Also nur das Allernötigste, damit wir alle Wasser zum Waschen abbekommen. Der Boss ist sehr erfinderisch in seinen Foltermethoden. Er geht an die Psyche.. Das macht uns schließlich klein, wenn wir es zulassen oder schwächer sind als andere. Denk immer dran, Mason!" Als ich an der Reihe war, erledigte ich alles in Rekordschnelle; drehte den Wasserhahn kurz auf, schippte mir Wasser ins Gesicht und drehte ihn wieder zu. Ich nahm die gerollte Zehn-Dollar-Note und steckte sie unter die Innensohle meiner Sneakers.
Als alle fertig waren, ging es im Gänsemarsch zum Esszimmer und jeder nahm seinen Platz ein. Zwei Teller mit trockenen Toastscheiben wurden auf den Tisch gestellt und zwei Kannen mit Tee. Holzbecher wurden dazu gestellt und dann wurde gegessen. Den trockenen Toast bekam man nur mit Tee hinunter. Wir konnten also entweder nichts essen oder bis zum Abendessen hungern. Was wir in der Zwischenzeit essen würden, dafür mussten wir selbst sorgen. Also wurde der Toast hinuntergewürgt.
Anschließend ging es ins Büro des Bosses. Cedric stand an einem Tisch, auf dem zwölf Gürtel lagen. Jeder von uns bekam einen, den er im Beisein von Cedric anlegen musste. „Jeder Gürtel hat zwanzig E-Pills und zwanzig Packs Koks. Wir wissen also immer genau, was ihr abrechnen müsst."
Sein Text war an mich gerichtet, weil die anderen die Prozedur ja schon kannten. Ich zog die Pills aus der linken Seite des Gürtels und zählte sie nach.
„Was denkst du dir, du Wichser? Meinst du, ich bescheiße dich?.. oder der Boss?" brüllte Cedric, aber ich ließ mich nicht ablenken. Er legte mir die Hand in den Nacken.. ich zählte weiter. Was sollte mir passieren? Es war doch so schon alles schlimm genug! Er umklammerte meinen Nacken.. ich zog die Kokspacks raus und zählte. Cedric glotzte mich mit großen Augen an und verzog keine Miene. Ich glotzte zurück.
Nachdem ich fertig gezählt hatte, legte ich schnell den Gürtel an. Wir mussten uns in einer Reihe aufstellen und den rechten Fuß vorsetzen. Nacheinander wurden uns von Jaleel und Elroy Fußfesseln angelegt, wie man sie nur aus Krimis kannte. Das war für mich der Beweis, dass Detective Williams mit ihrer Behauptung recht hatte. Es gab korrupte Cops im NYPD. Wie wäre Thoran sonst an die Fesseln gekommen?
Draußen - in einer Art Hinterhof mit Ausfahrt – warteten drei unscheinbare Autos. Zu viert mussten wir einsteigen und bekamen wieder die Säcke über den Kopf gezogen. Die Fahrt ging los. Ich wollte mir irgendwie die Fahrtzeit und Geräusche einprägen, doch es war umsonst. Ich hörte Cedric sagen: „Wir fahren in Abständen von vier Stunden eure Standorte ab. Solltet ihr dann schon alles verkauft haben, könnt ihr einsteigen.. ansonsten bleibt ihr, bis alles weg ist!"
Der Wagen hielt und mir wurde der Sack vom Kopf gezogen. Als ich unsanft aus der Tür geschubst wurde, traute ich meinen Augen nicht. Ich stand in einem Abbruchviertel am Zaun eines leeren Basketballplatzes.. Niemand war zu sehen. Keine Menschen, keine Geschäfte.. Nichts. Cedric fuhr los und ich war allein und am Arsch...
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