Kapitel |11|
Plötzlich verstummte das bitterliche Weinen abrupt und eine unheimliche Atmosphäre ging von Souya aus. Er blinzelte einmal und riss dann seine Augen weit auf, sodass sie leer und bedrohlich auf uns gerichtet waren. "Rette sich wer kann!" schrie Takemitchy panisch, woraufhin ich Chichis Hand ergriff und losrannte.
"LAUF!"
Angry feuerte wild um sich, ohne Rücksicht darauf zu nehmen, wen oder was er traf. Immer wieder lud er die Waffe nach und ich fragte mich, woher er überhaupt die ganze Munition hatte? Er zielte auch auf uns, traf uns jedoch glücklicherweise nicht, da wir wie verrückt im Zick-Zack liefen.
Beim Rennen konnten wir auch die Schreie anderer Spieler hören, die ihm wahrscheinlich im Weg standen und die er gnadenlos abschoss. Ich fühlte mich geradezu wie in einem Rambo Film. Chichi schaute ab und zu verwirrt nach hinten und verstand nicht so wirklich, was jetzt passierte, während ich sie immer weiter hinter mir herzog und Ausschau nach einem Unterschlupf hielt. "Da Chichi! Eine Grube!" Wir beide warfen einen letzten Blick nach hinten, um sicherzugehen, dass der blauhaarige Mann nicht in der Nähe war. Zum Glück war er nicht da, also sprangen wir gemeinsam in die tiefe Ebene. Wir setzten uns nebeneinander in den Dreck und lauschten aufmerksam, ob sich die Bedrohung in der Nähe befand. Doch nur in der Ferne waren noch vereinzelte Schüsse zu hören. Wir nahmen unsere Helme ab und warfen sie vor unsere Füße.
"Wir sollten hier sicher sein" hechelte ich völlig aus der Puste und auch sie schien sichtlich nach Luft zu japsen.
"Was war das gerade, der war ja wie ausgewechselt?!" Sie winkelte ihre Beine an und schlung ihre Arme drum.
"Weißt du, wenn Angry los heult, kommt sein innerer Dämon aus ihm heraus und keiner ist dann vor ihm sicher. Frag mich nicht wieso, wir wissen es alle selber nicht genau, aber nach einer Weile hört das auch auf und er ist wieder der Alte"
Belustigt schüttelte sie den Kopf und legte ihn auf ihre Knie. "Toman ist wirklich eine seltsame Truppe" sagte sie. Ich musste über ihre Worte selbst ein wenig lachen, denn es entsprach tatsächlich der Wahrheit.
"Da hast du recht, aber du bist auch nicht wirklich normal, sowohl äußerlich als auch vom Charakter her" sie verengte ihre Augen. Dann kniff sie mir in die Wange. "Was soll das denn heißen, Schlumpfkopf? Sehe ich etwa so seltsam aus?"
"Au, das habe ich nicht so gemeint. Im Gegenteil, mir gefällt dein Aussehen. Besonders die weiße Strähne, die du dir gefärbt hast, gefällt mir sehr, das hat was". Rot angelaufen, drehte sie ihren Kopf zur Seite, zwirbelte die Strähne um ihren Finger und murmelte etwas wie: "Die ist nicht gefärbt"
"Wie, willst du mir sagen das ist Natur?"
verwundert, hob ich eine Braue, als sie ihren Kopf dann wieder zu mir drehte.
"Jop, Poliosis. Genauer gesagt eine Pigmentstörung, die nur das Haar betrifft, nicht die Haut. Nichts Dramatisches, nur eine Erbkrankheit, die ich von meiner Mutter geerbt habe" Sie zuckte einmal mit den Schultern, als ob es nichts Besonderes wäre, und legte dann wieder ihren Kopf auf ihre Knie.
"Boaaah, das macht es ja noch interessanter!" Wie von selbst griff ich nach der weißen Strähne und ließ die einzelnen Haare durch meine Finger gleiten. Plötzlich zog sie mir jedoch heftig an meinem Ohr, sodass ich vor Schmerz kurz aufschrie. "Das war aber keine Einladung für den Streichelzoo!"
"Autsch sorry.... Hab mal wieder nicht nachgedacht" Einige Minuten verharrten wir in unangenehmer Stille, bis es mir zu viel wurde und ich es nicht mehr aushielt. "Chichi, ich weiß eigentlich so gut wie gar nichts von dir."
"Ich doch auch nicht über dich, außer das du ne Frauenphobie hast"
Sie streckte ihre Beine aus und verschränkte dabei die Arme, während sie ihren Kopf nach hinten lehnte. "Wie gemein von dir" spielend legte ich die Hand auf meine linke Brust und tat so, als ob mir ihre Worte weh taten. "Lass uns vereinbaren, dass wir abwechselnd antworten, wenn wir ein Thema haben" fügte ich noch hinzu und schaute sie wie ein kleiner Welpe an, während ich meine Hände falten tat, damit sie zustimmte.
Genervt schnaufte sie einmal auf und rieb sich dabei ihren Schläfe.
"Naaaa gut, wenn's sein muss. Ich fang aber nicht an verstanden Schlumpfkopf?" Freudestrahlend nickte ich ihr zu und rutschte näher zu ihr, sodass die Lücke zwischen uns kaum noch zu sehen war. Auch ich winkelte dabei meine Beine an und legte meine Arme als Kopfstütze darauf.
"Also....was ist dein Lieblingsessen?" Als ob ich total verblödet wäre, schaute sie mich an und um ehrlich zu sein fühlte ich mich auch genau so." Meinst du das ernst, Schlumpfkopf? Du hättest mich alles fragen können, aber dir fiel nur das ein? ahhh...."
"Sollte ich direkt mit der Tür ins Haus fallen? Ich dachte, die Frage wäre gut als Einsteiger"
Sie hielt sich die Hand vor die Stirn, als sie wieder zu sprechen begann. "Pizza Tunfisch und deins?"
"Eh.... um ehrlich zu sein, habe ich keins, ich esse alles was auf dem Tisch kommt"
"Wow wie spannend"
"Ok, dann stelle ich jetzt spannendere Fragen. Warum bist du im Kinderheim aufgewachsen und wo sind deine Eltern?" Erschrocken über meine Frage, hielt ich mir die Hände vor den Mund und riss dabei die Augen auf. Sie zuckte kurz zusammen und starrte leer in die Luft, offenbar begann sie zu überlegen.
"Meinen Erzeuger kenne ich nicht und wahrscheinlich weiß er nicht einmal, dass es uns gibt. Meine Mutter..... naja als sie gestorben ist, mussten wir dann halt ins Heim in Osaka" sagte sie, immer noch mit ihrem Blick in die Ferne des Himmels gerichtet. Sie blieb still und schien etwas Revue passieren zu lassen. "Das tut mir leid.... Wi... Wie ist sie verstorben?"
Auf einmal eine Regung, aber nicht die, die ich erwartet hatte. Nein, sie kniff mir wieder in die Wange und zog dann auch noch daran. "Hey ich bin jetzt dran! Was mit deinen Eltern?"
Ein Kloß bildete sich in meinem Hals, und erst jetzt spürte ich die Schwere, die sich hinter solchen Gesprächen verbarg. Aber jetzt musste ich da durch. "Zu meiner Mutter habe ich leider kaum Erinnerungen, weißt du. Ich war halt noch ein kleiner Junge, da war sie bereits schwer an Krebs erkrankt und hat dann auch den Kampf dagegen verloren. Und mein Vater?.....nun ja, er war nie derjenige, der uns mit Liebe überschüttet hat, und seit dem Tod unserer Mutter wurde er nur noch kälter. Jetzt sehen wir ihn so gut wie gar nicht mehr, da er nur noch seine Arbeit im Kopf hat" Der Kloß ließ sich nur schwerfällig runterschlucken, dennoch ging er hinunter, auch wenn der Nachgeschmack wirklich bitter war.
"Meine Mutter war auch krank, aber nicht so wie deine..." Überrascht schaute ich zu ihr. Ohne dass ich nachfragen musste, ging sie auf meine letzte Frage ein. "Sagen wir es so, sie war nicht ganz bei Verstand.... und auch nicht immer so gut zu uns.... Eines Morgens wachte ich auf, ging ins Badezimmer... Und da fand ich sie..."Abrupt hörte sie auf, aber ich verstand sofort, was sie damit meinte.
Ich beließ es dabei, direkt etwas darauf zu sagen, und um ehrlich zu sein wusste ich nicht einmal, was ich dazu sagen sollte. Der bittere Geschmack, den ich gerade hatte, müsste für sie ein höllisches Brennen im Hals gewesen sein, bei der Last, die sie jahrelang schlucken musste. Ihre Geschichte ließ ich noch einmal durch meinen Kopf gehen, und dabei fiel mir etwas auf. "Chichi.... Tut mir leid wenn ich dich jetzt überrumpel, aber du hast die ganze Zeit, wir gesagt"
Ein kleines Lächeln huschte über ihre Lippen, gefolgt von einem leichten Schimmer in ihren Augen. "Ich habe eine kleine Schwester.... Sie wurde aber nach ein paar Monaten, als wir ins Heim kamen, adoptiert."
Allein.... Sie war am Ende, ganz alleine und das so jung. Wie konnte es da noch überraschen, dass sie so verschlossen war und niemanden an sich heranlassen wollte.
"Wie heißt sie?" Am liebsten hätte ich mich selbst geohrfeigt für all die Fragen, ohne ihr auch nur eine Atempause zu gönnen. Tatsächlich zögerte sie nicht, zu antworten und fuhr fort zu sprechen. "Nata...." Ihre Augen ruhten auf dem Boden und ein leichtes Seufzen entkam ihrer Kehle. "Ich weiß ganz genau, dass dir noch mehr auf der Zunge liegt, Schlumpfkopf. Frag ruhig" Ihre Stimme zitterte leicht und eigentlich sollte ich aufhören, sie mit Fragen zu durchlöchern, aber vielleicht brauchte sie genau das jetzt gerade.
"Warum haben sie nur deine Schwester adoptiert?"
"Im Gegensatz zu meiner damals 5 jährigen, engelsgleichen Schwester war ich mit meinen 7 Jahren ein reines Problemkind. Und wer möchte schon so etwas haben, hm?" Ich boxte ihr gegen den Arm, worauf sie mich perplex anschaute und zornig wurde. "Willst du mich verarschen?! Was sollte das?"
"Sag das nie wieder über dich! Ich will sowas nicht aus deinem Mund hören, hast du verstanden?! Du konntest nichts dafür, dass du sowas als Kind miterleben musstest und alleine warst.... wie kommst du bloß darauf, dass du ein Problemkind warst! Das warst du nicht und bist es jetzt immer noch nicht! Du bist perfekt, so wie du bist, Chichi." Ihre Augen weiteten sich und kein einziges Wort kam aus ihrem Mund. Instinktiv legte ich meinen Arm um ihre Schulter und zog sie zu mir heran. Mir war es egal, ob sie es gerade nicht wollte, denn ich wollte es. Ich wollte ihr die Nähe zeigen, die sie all die Jahre gebraucht hätte.
Ihr Kopf ruhte auf meinem Brustkorb, fast schon als wäre er dort zu Hause. Ich spürte ihr weiches Haar auf meiner Haut. Unter meinem T-Shirt schlug mein Herz wild gegen meine Brust, in einem unregelmäßigen Rhythmus, der nur für sie bestimmt ist. Trotzdem blieb sie regungslos, als hätte sie schon lange darauf gewartet, endlich an so einem Ort angekommen zu sein. "Darf ich jetzt auch mal Fragen stellen?"
"Sicher" unsere Blicke trafen sich, als sie auf mein Einverständnis zu mir hoch sah und meine Wangen wieder anfingen zu glühen.
"Was willst du in Zukunft mal werden?"
Ich kratzte mir mit dem anderen Arm am Nacken und tat so, als ob ich noch grob überlegte, aber insgeheim hatte ich bereits einen Wunsch für die nahe Zukunft. "Ähm... Also mein allergrößter Wunsch wäre Astronaut zu werden..."
Plötzlich lachte sie laut. Sie konnte sich nicht mehr beherrschen und hielt sich dabei fest den Bauch, während sie vor lauter Lachen schon krümmte. Beleidigt zog ich eine Schnute, da ich wirklich nicht damit gerechnet hätte, dass sie mich für meinen Traum auch noch auslachte. "Was ist denn so witzig daran?"
"Pfff... ach nichts Schlumpfkopf. Aber hast du deshalb dieses Modell Raumschiff in deinem Zimmer? Herrje, ich kann mir dich gar nicht vorstellen da oben. Du gehst doch bestimmt verloren und schwirrst irgendwo im Weltall herum...."
Es war das erste Mal, dass ich sie zum lachen gebracht hatte, auch wenn man es eher auslachen nenn konnte. Aber seltsamerweise freute es mich dennoch und ließ mein Herz vor Glück erwärmen. In diesem Moment war es das Einzige, was ich mir wünschte, sie so glücklich lachend zu sehen, und das alles wegen mir "Wie lustig ich lach mich schlapp" gab ich sarkastisch wieder und zog sie wieder fester zu mir, wo sie wieder sofort still wurde. Langsam hatte ich den Dreh raus, wie ich sie aus dem Konzept bringen konnte.
"Ich glaube du wirst Model, Schlumpfkopf"
"Wie kommst du darauf?"
"Ich hab's im Urin"
Schmunzelnd ließ ich es so und es trat wieder Stille ein. Aber keine bedrückende, sondern eine angenehme Stille. Sie blendete sogar die Hintergrundgeräusche aus, sodass wir nur noch unser gegenseitiges Ein- und Ausatmen hören konnten. Ihr Atem wurde dabei immer flacher und mit jeder Sekunde ruhiger, bis ich schließlich bemerkte, wie ihr Kopf immer schwerer auf meiner Brust wurde. Sie war eingeschlafen.Während sie so friedlich aussah und ihren Mund leicht geöffnet hatte, konnte ich einfach nicht widerstehen, meinen anderen Arm um sie zu legen. Nun war sie fest in meinen Armen und ich lehnte meinen Kopf sanft an ihren, atmete dabei ihren Duft ein und drückte sie fester an mich. Ich wollte jeden einzelnen Moment davon genießen, bevor sie aufwachte und mir wieder eine runter haut.
Einige Minuten verharrte ich noch in derselben Position mit ihr, und sie schlief immer noch, bis vor mir oben am Rand der Grube vier Köpfe hervorstachen. "Stören wir euch gerade?"
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Stunden vergingen, als die muskulöse Mitarbeiterin uns buchstäblich aus dem Gebäude warf und uns lebenslanges Hausverbot erteilte. Angry entschuldigte sich tausendmal bei uns, obwohl es eigentlich die Schuld seines Bruders war, der sich total in das Spiel hineingesteigert hatte. Als Entschädigung luden die Zwillinge uns zu McDonald's ein und so verbrachten wir noch eine schöne Zeit gemeinsam dort, bis schließlich der Abend hereinbrach.
Danach brachte ich Chichi alleine wieder nach Hause oder wie auch immer man es nennen konnte. Sie stieg vom Motorrad ab, woraufhin ich es ihr gleich tat und ihr zur Eingangstür folgte. Ich weiß ja, dass Chichi eher der Typ ist, der sich lieber im Hintergrund hält, aber dennoch war sie die ganze Zeit, nachdem wir uns in der Grube unterhielten, merkwürdig abwesend.
"Wieso bist du nachdenklich?"
Ich blieb am unteren Ende der Treppe stehen, während Chichi bereits die Stufen hinaufging. Sie zog ihr Handy aus der Tasche und begann, etwas einzutippen. "Du stellst fragen... Ich glaube ich bin einfach nur müde" Sie Log. Ich durchschaute ihre Fassade und irgendwas war im Busch aber sie wollte es mir nicht sagen, warum auch immer. "Hm ok ich belasse es mal dabei... Willst du nicht rein gehen?"
"Ich habe gerade Daisi geschrieben, dass sie mir die Tür öffnet. Wir dürfen eigentlich nicht so spät draußen sein, und wenn ich jetzt klingeln würde, wäre die Hölle los." Sie rollte genervt mit den Augen, als sie ihr Handy wieder wegsteckte. Dann drehte sie sich noch einmal zu mir um und ihr leerer Blick wurde von einem warmen Lächeln abgelöst. Ihr wunderschönes Lächeln strahlte mich an und ließ mein Herz höherschlagen. Als ob die Welt um uns herum für einen Moment stillstand und nur wir beide existierten.
"Danke Hakkai.... Nicht wegen dem Ausflug sondern... Wegen deinen Worten die du zu mir gesagt hast" der Wind wehte durch ihre Haare und mir wurde schlagartig wieder so warm... Daisi öffnete die Eingangstür und winkte mir noch zu, als Chichi an ihr vorbeiging und zum Abschied noch ein "Wir sehen uns, Hakkai" sagte. Die Tür fiel ins Schloss und da stand ich nun: mit roten Wangen, einem klopfenden Herzen und die Musik in meinen Ohren, wie sie meinen Namen sagte.
Auf dem Weg zu meinem Motorrad wiederholte ich ihre Worte "Danke Hakkai" und "Wir sehen uns Hakkai" mehrmals, und betonte ihre Sätze, die immer wieder in meinem Kopf nachhallten. Das Kribbeln in meinem Bauch breitete sich in meinem ganzen Körper aus und meine Mundwinkel zogen sich nach oben. Was machte dieses Mädchen nur mit mir? Wie ein kleines Kind hüpfte ich die restlichen Meter zu meinem Motorrad, stieg auf und fuhr durch die Straßen von Tokyo auf dem Weg nach Hause.
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