Fluten
Als Kobold am nächsten Morgen erwachte, erwartete er, dass Aquareen verschwunden sei. Warum sollte sie ihm auch helfen? Jedoch entdeckte er die Schlange ganz in der Nähe. Sie war aus dem Wasser gekommen, genau so groß wie am Vortag und hatte sich neben einem umgestürzten Baumstamm niedergelassen. Kobold erhob sich und klopfte sich den Schmutz von den Klamotten, was jedoch keinen Unterschied machte. Der Direktor hatte ziemlich gespart was die Verpflegung seiner Ausstellungen anging, drum hatte sein Hemd Löcher, so wie seine Hose, welcher vom Knie abwärts keine Hosenbeine mehr hatte. Nun beschmutzten sie auch noch Brandflecken. Es war ihm immer egal gewesen, so egal wie ihm das kalte Huhn gewesen war. Oder die Pulver. Bei dem Gedanken an jene fasste er sich an den Kopf, welcher sich zu drehen schien. Murrend torkelte er durch das Laub und blinzelte die Schlange an. „Du bist noch hier..." Aquareen stieß ein empörtes Schnauben aus. „Na was dachtest du denn? Im Gegensatz zu euch Menschen brechen wir unsere Versprechen nicht!" Kobold lehnte sich gegen den Stamm und bedachte das silbrig glänzende, welches zwischen den vertrockneten Blättern lag. „Wir? Wie heißt deine... Spezies überhaupt?" „Ich bin eine Lóng. Sag bloß du hast noch nie von uns gehört." Kobold schüttelte den Kopf. „Habe ich tatsächlich nicht... Ähm, wird das dein Frühstück?" Er betrachtete den kalten, glitschigen Fisch. Das schuppige Wesen drehte beleidigt den Kopf zur Seite, schob jedoch eines der ‚Leckereien' – mehr oder weniger – ihm mit dem Schweif zu. „Nicht nur mein Frühstück. Iss oder lass es, mir egal." Kobold nahm den Fisch an zwei Fingern hoch und zwang sich zu einem Lächeln. „Ich... weiß nicht. Ich habe irgendwie keinen Hunger." „Wenn es dir nicht schmeckt, sag es einfach!" „Nein, wirklich, ich hab keinen Appetit." Es war nicht mal gelogen, denn in Kobolds Magen rumorte es merkwürdig. Und der Anblick des glitschigen Frühstücks verschaffte ihm keine Linderung. Stattdessen stand er auf und lief zum Bach zurück. Aquareen sah ihm nach, ihre vier Augen funkelten merkwürdig. Als Kobold sich das Gesicht wusch, fiel ihm etwas glänzendes ins Auge. Der Haken lag immer noch neben seinem Schlafplatz. Getrocknetes Blut klebte an seiner Spitze, seit diese sich in das Herz des Direktors gebohrt hatte. Langsam nahm Kobold ihn hoch und drehte ihn in seiner verbliebenen Hand. ‚Brauche ich ihn überhaupt noch?' Es war die Waffe, die ihm seine Rache verschafft hatte, doch würde er ihm auch auf der Suche seiner Vergangenheit helfen. ‚Am besten, Ich lasse ihn hier. Dann kann ich mit diesen sieben Jahren auch abschließen...' Er hob den Arm, doch etwas hielt ihn zurück. Der glänzende Gegenstand hing über dem Wasser und würde von jenem im Sand begraben werden. Ob man ihn dann je wieder finden würde? Einer inneren Eingebung nach, hing Kobold den Haken wieder an sein Hemd, unwissend, dass er von vier Augen beobachtet wurde. Aquareen senkte wieder den Kopf, als er sich umdrehte und schlang die drei Fische in einem hinunter.
Als die Sonne sich dem Mittelpunkt näherte, brachen sie aus dem Wald hervor. Kobold war mehr als froh die bedrohlichen Astklauen hinter sich zu lassen und sog die frische Luft ein. Aquareen schwamm neben ihm im Bach her, welcher sich in einen Fluss verwandelt hatte. Sie bestand darauf, beim Wasser zu bleiben, bis sie sicher waren, das sie woanders hin mussten. „Bist du sicher, dass das der richtige Weg ist?" Kobold blickte über das sanfte Hügelland und versuchte die leichte Übelkeit zu unterdrücken. Er dachte es würde weggehen, wenn er sich erstmal bewegte, doch es war nur schlimmer geworden. Aquareen tauchte aus dem Wasser auf. „Auf jeden Fall. Dieser Fluss führt direkt in meine Heimat!" Dabei glänzten ihre Augen. Kobold lächelte. „Und mich zu diesem Dort. Vielleicht finde ich da Antworten..." Er lief weiter, während die Lóng in sanften Schlangenlinien durch das Wasser schwamm. „Und wenn nicht? Was tust du, wenn dir niemand sagen kann was geschehen ist?" Kobold biss sich auf die Unterlippe. Diesen Gedanken hatte er immer weggeschoben, und tat es auch dieses Mal. Er lief weiter am Ufer entlang und versuchte nicht die vieräugigen Blicke seiner Begleiterin aufzufangen. Es war ihm unangenehm, zumal ihn bei jedem Windstoß die Kälte durchfuhr. Zitternd umfasste er seinen Körper, während der Haken bei jedem Schritt gegen seine Brust schlug. Das Wasserrauschen wurde immer lauter und die Strömung reißender. Kobold fragte sich wie sich Aquareen überhaupt in dem Wasser halten konnte. Diese bedeutete ihm mit einem schnellen Blick zu warten. Er runzelte die Stirn als sie untertauchte und kurz in dem braunen Wasser verschwand. Langsam und sich plötzlich so allein fühlend kletterte er das Ufer hinunter, darauf achtend nicht abzurutschen. Das letzte was er nun brauchte war ein unfreiwilliges Bad. ‚Obwohl es mir gut tun würde.' Er erinnerte sich gar nicht mehr an das letzte Mal schwimmen oder gar Waschen. Ob es der Direktor ihm je gestattet hatte? Doch desto mehr er nachdachte, desto größer wurden seine Kopfschmerzen. Das Wasser rauschte und donnerte neben ihm und riss alles mit, was ihm irgendwie in die Fänge geriet. Aquareen tauchte wieder auf, dem Sog so mühelos widerstehend wie ein Felsen und schwamm ans Ufer. „Flussabwärts wird er breiter und hat eine Gabelung, nicht weit von hier." „Und das bedeutet?" Kobold zwang sich seiner Stimme einen festen Klang zu geben, doch er ahnte schon schlimmes. „Die Gabelung würde dir den Weg abschneiden. Du musst ans andere Ufer!" Aquareen deutete mit dem Kopf auf die andere Seite des Flusses. Kobold folgte ihm Blick und schloss entsetzt die Augen. „Kann ich nicht außen um die Gabelung herum gehen?" „Das würde zu lange dauern. Der Fluss erstreckt sich da noch meilenweit!" „Und zurückgehen? An eine Stelle, wo er nicht so reißend ist wie hier? Wo ich zum Beispiel nicht ertrinken würde?" Aquareen wiegte den Kopf nachdenklich flussaufwärts, wo sie hergekommen waren. Das Wäldchen war schon lange nicht mehr zu sehen. Dort wäre es ein leichtes gewesen, ihn zu durchqueren. „Ja, ein Bisschen zurück können wir. Aber wir müssen heute noch die Hügel hinter uns lassen." „Wieso?", erwiderte Kobold und stolperte am Ufer entlang flussaufwärts. Durch das Rauschen war es schwer, ihre Stimme zu hören, doch er verstand die zischenden Worte so gut es ging. „Ich kenne mich nicht so aus, aber ich glaube nachts würde es hier von Panther und Banditen nur so wimmeln. Was mir nicht so viel ausmacht wie dir..." Der Spott in ihrer Stimme war nicht zu überhören, doch Kobold ignorierte ihn. Er suchte sich die schmalste Stelle aus und berechnete die Entfernung zum anderen Ufer. Die Strömung sah immer noch stark aus, doch wenigstens war es nicht soweit. „Ist es tief hier?" Aquareen wiegte den Kopf etwas. „Nicht für mich, aber stehen kannst du leider nicht." „Na toll..." „Versuch dich anzuspannen und deine Bewegungen zu koordinieren." Die Lóng paddelte im Wasser mit ihren kümmerlichen Beinchen herum, wobei sie sich in Kobolds Augen etwas lächerlich machte. „Und achte drauf, dass du das Wasser weg schiebst." „Entschuldigung...", erwiderte er und fuchtelte mit seinem linken Arm herum. „Ich habe nur eine Hand!" „Und ich einen Körper für das Wasser und trotzdem kann ich an Land stehen. Und nun los, wir haben nicht den ganzen Tag Zeit!" Kobold seufzte ergeben und schob das Übelkeitsgefühl bei Seite. Langsam wartete er ins Wasser, die Strömung zerrte an seinen Kleidern. Es war eisig kalt und er fröstelte sofort. Aquareen schwamm neben ihm her, so dass er gegen ihren Körper gedrückt wurde. Die Schuppen waren merkwürdig warm und gaben ihm Trost. Langsam begann er zu paddeln wie sie ihm gezeigt hatte und prustete sich Wasser aus dem Gesicht. ‚Ich hätte mir die Schuhe ausziehen sollen!' Jene hatten sich bereits voll aufgesogen und jeder Beinschlag zog ihn eher runter, als voran. „Nicht mehr weit, gleich ist die Hälfte geschafft", flüsterte Aquareen zuversichtlich. Ein Platschen ertönte, als ein großer Baumstamm durch das Wasser polterte direkt auf sie zu. Die Schlange wich aus, wodurch Kobold runter gezogen wurde. Das Wasser klatschte über ihm zusammen und sein Schrei erzeugte nur einige Blubberblasen, welche von der Strömung mitgerissen wurden. Panisch strampelte er, unwissend wo oben oder unten war. Auch wenn er die Augen öffnete, erkannte er nichts als Braun und ab und zu etwas silbrig glänzendes. Er knallte auf den Grund und für einen Moment ließ der tödliche Sog nach. Kobold ruderte mit allen Gliedmaßen in die Richtung in die er die Oberfläche vermutete. Doch etwas riss ihn zurück und er merkte, dass sein Bein sich in Schlingpflanzen verfangen hatte. Er packte eine der grünen Todesfallen, nur um wieder zurückzuzucken. Seine Hand brannte wie Feuer, so wie auch sein Bein. Die Linderung war das einzig gute, was ihm das eisige Wasser gerade tat. Er versuchte wieder nach dem Grünzeug zu packen und biss die Zähne bei dem Schmerz zusammen. Das Adrenalin fegte die Übelkeit hinfort, doch so langsam ging ihm die Luft aus. Ihm wurde schummrig und seine Glieder schwächer. „Kobold!" Aquareens Stimme hallte merkwürdig durch das Wasser, doch sie wirkte fern. „Wo bist du? Hörst du mich?" Mit letzter Kraft hob Kobold die Hand und griff nach dem Haken an seiner Brust. Es kam einem Wunder gleich, das er nicht hinfort gewirbelt wurde und mit einem letzten Hieb durchtrennte er die Schlingpflanzen. Schwach fühlte er seinen Körper im Wasser schweben, wie er von der Strömung wieder erfasst wurde und weiter trieb. Und dann... Leicht flog die Melodie durch das Nichts und umschmeichelte ihn. Da war wieder dieser Drang, ihr zu folgen, nachzusehen wer die wunderschöne Flöten spielte. Jedoch verklang sie wieder, als sein Körper aus dem Wasser gehoben wurde...
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