Feuer
Rauch vernebelte die Luft und brannte heiß in Kobolds Lungen. Er wusste nicht wo er war oder in welche Richtung er gerade lief. Ob es Norden oder Westen war, ob er im Zentrum des Lagers oder am Rande war.
Seine Augen tränten in dem Rauch und dem Staub, doch er zwang sich sie weiter aufzuhalten. Einige Wärter rannten schreiend an ihm vorbei, offenbar ebenfalls unwissend was sie tun sollten.
'Ja, jetzt seit ihr nicht mehr so mutig', dachte er, war jedoch froh das sie sich nicht für ihn interessierten. Das letzte was Kobold jetzt gebrauchen konnte, waren Wärter die versuchten ihn wieder einzufangen. Doch dabei hätten sie viel zu tun, denn Kobold stellte fest, dass er nicht der einzige entflohene Insasse war. Ein Wesen mit menschlichen Oberkörper und den Beinen einer Ziege sprang eilig an ihm vorbei, die strahlenden Augen weit aufgerissen vor Angst. Kobold sah ihm nach, als der gehörnte Kopf in einer Rauchschwade verschwand.
Ob dieses Geschöpf nun seine Freiheit genießen konnte? Oder würde es wieder eingefangen?
'Werde ich wieder in einem Käfig sitzen?'
Bei diesem Gedanken ertönte ein peitschendes Geräusch vermischt mit einer schrillen Stimme. Kobold erstarrte, seine Augen fixierten einen Schatten hinter einer Rauchwolke. All seine Sinne verschärften sich augenblicklich und die heiße Flamme des Zorns loderte wieder in ihm hoch. Alles um ihn verschwamm wie in Trance, als hätte man ihm wieder die Pulver verabreicht. ‚Was wenn es so ist?' Dieser Gedanke ließ ihn kurz zögern. ‚Was wenn das alles ein Traum ist, wenn ich noch in meinem Käfig sitze und mir all dies nur einbilde...' Es war eine furchtbare Vorstellung, eine die ihn zurück torkeln ließ. Unsicherheit brannte in ihm wie die Flammen um ihn herum. Wieder ertönte das peitschende Geräusch und die zornerfüllte Stimme von ihm. So unwirklich und doch ließ sie alle Zweifel aus dem ehemaligen Insassen verschwinden. Die Wut, der Hass trieb ihn an und er sprang über das brennende Holz. Rauch fegte ihm entgegen und er musste husten. Seine linke Hand hielt er hinter sich, während die andere – noch vorhandene – seine Augen schützte. Verschwommen nahm er vier Schemen war. Eines davon wirkte merkwürdig, hatte einen unmenschlichen Körper. Kobold trat etwas zurück darauf bedacht die Situation erst einmal zu überblicken und erkannte ihn. Der Direktor mit seiner Peitsche in der Hand, neben sich zwei Wärter. Alle samt schienen sie etwas abbekommen zu haben. Ersterer blutete aus einer Platzwunde aus der Schläfe, während die anderen Schrammen im Gesicht und an den Seiten hatte. Kobold gönnte es ihnen aus ganzem Herzen und wollte gerade blind vorstürzten, als sein Blick zu dem Wesen glitt. Die gigantische Schlange richtete sich viel größer als sie im Käfig gewirkt hatte, zu ihrer vollen Größe auf. Zwei gebogene Hörner schmückten ihren Hinterkopf und ihr schlanker Körper hielt sich auf vier verhältnismäßig kleinen Beinen. Das Maul war zu einem drohenden Zischen aufgerissen, während die vier Augen zornig blitzten. Der Direktor hieb immer wieder mit der Peitsche nach ihr, während die Wärter mit abgebrochenen Käfigteilen versuchten an sie heran zu kommen. „NEIN, DU GEHÖRST MIR, GEHORCHE!", brüllte der Direktor voller Wut. Kobold ballte die rechte Hand zur Faust und bedachte die Striemen, welche sich auf dem gewundenen Körper des Wesens bereits bildeten. Er wusste nicht warum oder wieso ihn dieses Tier überhaupt interessierte, doch seine Gedanken flogen wieder zurück zu jenem Moment als dieses Geschöpf die Musik gehört hatte. Es war nicht nur in seinem Kopf gewesen, sie hatte es ebenfalls gehört! Er war nicht der einzige. Als der Direktor wieder nach ihr ausholte sprang Kobold vor und rammte seine Faust mit aller Kraft in das verhasste Gesicht seines Peinigers. Er spürte das Knacken von Knochen und ein wildes Triumphgefühl machte sich in ihm breit. Dem dicklichen Mann entwich ein gellender Schrei und er fiel zu Boden. Seine Anhänger fuhren herum, doch bevor der erste auf ihn losgehen konnte packte die Schlange den ersten mit den Zähnen. Kobold hörte nur ein fürchterliches Reißen und darauf ein Gurgeln. ‚Das hat bestimmt weh getan... So wie ich ihm weh tun werde!' Der Direktor lag am Boden und starrte erschrocken zu ihm hinauf, als könne er nicht glauben, dass er ihn angriff. Und für einen Moment, einen winzigen Augenblick... zögerte Kobold. Er hasste diesen Mann so sehr, doch er war der einzige, der vielleicht mehr wusste. Der mehr sagen konnte über seine verschwommene Vergangenheit. Kobold wusste nicht was er tun sollte. Plötzlich knallte etwas hartes gegen seine Schläfe und Schmerz explodierte in seinem Kopf. Schreiend fiel er zur Seite und bedachte den zweiten Wärter über sich. Er hatte mit einem Holzknüppel nach ihm geschlagen und hatte anscheinend schon Bekanntschaft mit den Schlangenzähnen gemacht. Die Kleidung war zerrissen und Kobold erhaschte seinen verängstigten Blick. „Gut gemacht!", lachte der Direktor beinahe wahnsinnig und richtete sich auf. Er wischte sich das Blut seiner gebrochenen Nase aus dem Gesicht und lachte laut. Die Peitsche hatte er in der Hand und zischte durch die Luft. Automatisch schloss Kobold die Augen, den rasenden Schmerz erwartend, doch stattdessen ertönte ein Zischen. Die Schlange wich zurück, offenbar getroffen und sah sich panisch um. Blaues Blut tropfte aus den Striemen ihrer Wunden, welche ihr bald schon zum Verhängnis werden würden, wenn sie nicht fliehen konnte. Doch die Peitsche hatte sie am Bein erwischt. „Wer bin ich?", fauchte Kobold zornig, um ihn von dem Wesen abzulenken. „Sag mir wer ich hin! Was hast du denn noch zu verlieren?" Der Direktor wandte sich zu ihm um, die dunklen Augen weit aufgerissen. Er wirkte in diesem Moment so erbärmlich, das er Kobold leid getan hätte, währe die Situation eine völlig andere. „Du... Du bist mein Eigentum, kleiner Kobold!", erwiderte er dann. „Das warst du immer und bist du jetzt noch!" „War ich nicht", erwiderte er und richtete sich etwas auf. Seine Muskeln waren angespannt, bereit jederzeit hoch zu springen. Doch sein Kopf schmerzte immer noch schrecklich, und heißes Blut lief ihm die Schläfe hinunter. „Du hast es selbst gesagt! Du hast mich gefunden, am Wegesrand, vor nicht all zu langer Zeit! Wann war das? Vor ein paar Monden?" Er wusste, dass es absurd war. Wie sollte er in ein paar Monden sein ganzes Leben vergessen? Die Pulver waren stark aber nicht so stark. So glaubte er... „Das war vor sieben Jahren! Du bist mein Besitz und daran ändert auch das hier nichts! Ich sorge dafür, dass du wieder spurst, kleiner–" Weite kam er nicht, denn Kobold wirbelte hoch, packte den Wärter mit dem Holz und schleuderte ihn hinter sich. Die gewünschte Reaktion erfolgte, denn wieder ertönte das Zuschnappen des Schlangenmauls, welche sich mit letzter Kraft auf den Mann stürzte. Ohne seine Rückendeckung blitzte Angst in den Augen des Direktors auf. Er wich zurück, die Peitsche zum Schlag bereit haltend. Kobold trat auf ihn zu, seine Muskeln brannten und der Rauch um sie herum verdichtete sich. Er wusste, dass er sich nicht zu viel Zeit lassen durfte, ansonsten würde er sterben. ‚Der Direktor aber auch. So oder so, er wird heute tot sein! Ich sorge dafür.' „Hätte ich dich zurück in den Wald schicken sollen aus dem du kamst? Ich habe dich gerettet vor den grausigen Kreaturen, die nach deinem Leben trachteten! Vor allem! Du hast Verpflegung bekommen, Aufmerksamkeit und warst sicher. Du solltest mir danken!" Angewidert schnaubte Kobold. Seine dunklen Augen flogen zu einem Holzscheitel, einen Schritt von ihm entfernt. Da unter glänzte es merkwürdig. ‚Vielleicht ein Dolch oder eine zertrümmerte Käfigstange? Hoffentlich spitz!' „Danken?", erwiderte er kalt. „Du hast mich zu einem Sklaven der Gesellschaft gemacht, mir eingeredet ich sei irre!" „Das bist du auch! Niemand anderes hört diese Flötenmelodie! Du bist krank und ich werde dich gesund machen..." Die Peitsche hallte durch die Luft und Kobold sprang zur Seite. Er stürzte sich auf den Holzscheitel und griff mit seiner Hand nach dem glänzenden Gegenstand. Kurz darauf blitzte ein Haken in der kühlen Nachtluft auf. Die Flammen spiegelten sich in dem geschliffenen Metall. Der Direktor holte wieder mit der Peitsche nach ihm aus, doch dieses Mal flog sie ihm aus der Hand. Erschrocken wirbelten beide herum. Die Schlange hatte die Schnur mit dem Maul gepackt und riss sie ihrem Peinige mit einem Ruck aus der Hand. Schreiend und nun unbewaffnet suchte der dickliche Mann nach einer Fluchtmöglichkeit, doch der Rauch hatte sie vollkommen eingehüllt. Kobold drehte den Haken in der Hand und fixierte ihn eisig. Doch er zögerte – wieder. „Woher weißt du das?" Kurz entwich sein Zorn der Verwirrung. Die Schlange schien währenddessen ihre Kraft zu verlieren und legte den Kopf auf den Boden. Das blaue Blut befleckte die Asche. „W–Was meinst du...?", erwiderte der Direktor entsetzt. „Ich sagte nie etwas von einer Flötenmelodie. Woher weißt du das?" Seine Stimme wurde lauter und ein schrecklicher Verdacht schlich sich in seinen noch schmerzenden Schädel. Der Direktor schien sich ertappt zu fühlen und wich zurück. „Ich... Du redest im Schlaf–" „Lügner!" Auch wenn sich Kobold nicht sicher war, ob es nicht doch stimmte, war er sich sicher, dass der Mann log. „Du weißt etwas über die Melodie! Was ist sie?" „So schön die Melodie, so scheinheilig wie noch nie. Folgst du dem Flötenspiel, wird der Wald dich täuschen wie ein Krokodil." Wenn er nicht die Bewegung des Schlangenmauls gesehen hätte, hätte er sich gefragt wessen Stimme gesprochen hatte. Entgeistert blickte er das Wesen an und auch der Direktor schien sichtlich überrascht. Die vier Augen lagen auf Kobold, während ihr Atem rasselte. „Wie war das...?", hauchte dieser, doch bevor er eine Antwort bekam, näherten sich Schritte. Zu spät bemerkte Kobold, das er zu unvorsichtig gewesen war. Der Direktor stürzte auf ihn zu, einen dicken Arm erhoben um nach ihm zu schlagen. Kobold blinzelte instinktive in Erwartung des Schmerzes. Plötzlich ertönte ein merkwürdiges Zischen. Etwas was so unnatürlich klang, das es von keinem Tier stammen konnte. Im nächsten Moment flog der Direktor in einer weißen Wolke zurück. Krachend kam sein Körper in den Überresten eines Käfigs auf. ‚War das... Wasserdampf?' Kobold blickte erstaunt zu der Schlange, aus dessen aufgerissenen Maul die Rettung gekommen war. Die vier Augen schlossen sich ermüdet. Kobold nickte ihr kurz zu und stürzte dann auf seinen am Boden liegenden Peiniger zu, bevor sich dieser Regen konnte. Ein gellender Schrei überschattete das Knistern des Feuers, als Kobold den Haken direkt in sein Herz rammte. Er wusste nicht was er fühlen sollte, als der Direktor noch einmal nach Luft schnappte und dann still wurde. Rotes Blut beschmutzte die Asche. Kobold riss den Haken wieder aus der Leiche und sah eisig in die blicklosen Augen von dem Mann, der ihn all die Zeit – sieben Jahre, wie er nun wusste – eingesperrt und den Leuten vorgeführt hatte. Der Überlebende des Waldes, immer die gleiche Show. In der Ferne ertönte das grausige Knacken von Holz. ‚Wenn ich noch länger bleibe, Ende ich wie er!' Ob der Gedanke so schrecklich war, konnte er im Moment nicht einordnen. ‚Nur ich?' Er sah zu der Schlange. Ihr Atem stockte, während das blaue Blut weiter aus den Striemen lief. Kobold kniete sich hin, den Knubbel seiner Linken wieder hinter dem Rücken und flüsterte: „Hör zu. Wir müssen hier weg, und zwar schnell! Kannst du aufstehen?" Die Augen öffneten sich flackernd. Kurz blitzte in ihnen etwas auf, als würde man durch eine dunkle See tauchen und plötzlich auf eine Leuchtalge treffen. Dann begannen die grünlichen Schuppen zu vibrieren. Automatisch wich Kobold etwas zurück und machte große Augen, als der Körper zu zerfließen begann. Klares Wasser sickerte über den aschebedeckten Boden und die Schlange schrumpfte. Leise keuchend beobachtete er, wie sie auf die Größe eines Unterarms schrumpfte, doch die Atmung hielt weiter an. Kobold nahm die Schlange und befestigte den Haken an seinem zerfledderten Hemd. Zum ersten Mal seit er denken konnte, vermisste er seine linke Hand. Der Rauch war heiß und die Flammen schienen nach ihm zu greifen. Die Klauen der Schlange bohrten sich in seinen Unterarm, während Kobold den Platz des Jahrmarktes zum ersten Mal in Freiheit verließ. Der Körper des Direktors verbrannte in den Flammen. Keiner vermisste ihn.
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