02. Eine Entscheidung in Ketten
ALARA DÍAZ
Ich stand vor dem großen Panoramafenster in meinem Zimmer und blickte sehnsüchtig hinaus. Am Ende unseres riesigen Grundstücks erhob sich eine massive Steinmauer, die mir die Aussicht versperrte. Hinter dieser Mauer lag New York, die Stadt, in der ich seit 19 Jahren lebte, die ich aber noch nie besucht hatte.
Seitdem mein Vater vorgestern bei dieser Veranstaltung der Familie Santiago gewesen war, verhielt er sich seltsam. Er sprach kein einziges Wort mit mir. Natürlich sprach er generell nie wirklich mit mir, es sei denn, er wollte mir erneut klarmachen, dass ich völlig nutzlos war. Doch dieses Mal war etwas anders.
Er saß bei jeder Mahlzeit in Gedanken versunken da, als würde er über etwas Wichtiges nachdenken. Was nur war auf diesem Meeting verkündet worden? Eigentlich wollte ich es gar nicht wissen, doch ein beklemmendes Gefühl sagte mir, dass ich es bald erfahren würde.
Langsam ließ ich meinen Blick über das weitläufige Gelände schweifen und genoss die letzten Sonnenstrahlen des Tages, auch wenn ich diese nur durch die kugelsichere Fensterscheibe spüren konnte. Seufzend wandte ich mich vom Fenster ab und ging zu meinem Bett, auf das ich mich sinken ließ.
Eigentlich hätte man denken können, dass mein Zimmer genauso luxuriös eingerichtet war wie der Rest der Villa. Doch das Gegenteil war der Fall. In meinem Zimmer befand sich nur das Nötigste. Mein Vater hielt es nicht für wichtig, seinen Reichtum an mich zu verschwenden.
Ein Blick auf die Uhr zeigte mir, dass es schon vor drei Minuten Zeit gewesen war, hinunterzugehen. Jeden Abend um Punkt 20 Uhr gab es Abendessen, das ich mit meinem Vater einnahm. Es war jeden Tag dasselbe. Ich verließ mein Zimmer nur zu den Mahlzeiten, wenn Rosa, unsere Köchin, das Essen fertig hatte.
Hastig verließ ich mein Zimmer, lief den langen Flur entlang und stieg die breite Treppe hinab. Ich durfte auf keinen Fall zu spät kommen. Ich durfte ihm keinen Grund geben, mich zu bestrafen. In der großen Eingangshalle angekommen, eilte ich zu einer reich verzierten Tür, hinter der sich das Esszimmer befand.
Einer der Angestellten öffnete mir die Tür und ließ mich eintreten. Suchend ließ ich meinen Blick durch das riesige Zimmer schweifen und stellte erleichtert fest, dass mein Vater noch nicht da war. Schnell setzte ich mich an das hintere Tischende und wartete geduldig. Es wäre mir niemals eingefallen, ohne ihn anzufangen.
Das grelle Licht der Designerlampen brannte in meinen Augen und verursachte Kopfschmerzen. Doch ich ignorierte den pochenden Schmerz und nahm jedes Detail des Raumes in mich auf. Schließlich durfte ich nur dreimal am Tag kurz aus meinem Zimmer heraus.
Rosa hatte wieder großartige Arbeit geleistet. Der lange Esstisch war mit einer Vielzahl von Speisen gedeckt. Sie und ihre Tochter Cécilia waren die einzigen Menschen, mit denen ich eine engere Bindung hatte. Cécilia war selten zu sehen, doch ich konnte sie trotzdem als meine beste Freundin bezeichnen.
Die beiden waren mein einziger Trost. Sie waren der Grund, warum ich es nicht einfach beendete. Rosa sah ich nur, wenn sie den Dienern half, die Mahlzeiten zu servieren. Doch ich wusste, dass sie es tat, um mich kurz zu sehen und mir ein aufmunterndes Lächeln zu schenken.
Cécilia schlich sich gelegentlich in mein Zimmer, um mit mir zu reden, obwohl sie damit ihr Leben riskierte. Mein Vater schreckte vor keiner Grausamkeit zurück.
„Alara, gut, dass du schon da bist", erklang plötzlich die harsche Stimme meines Vaters. Er setzte sich an das andere Tischende und sah mich mit einem siegessicheren Grinsen an. „Es gibt etwas Wichtiges zu besprechen."
Ein kalter Schauer lief über meinen Rücken, und ich begann nervös auf meinem Stuhl herumzurutschen. Während er sich an den zahlreichen Speisen bediente, konnte ich mich kaum konzentrieren. Was wollte er mit mir besprechen?
„Es geht um deine Zukunft und um die Zukunft meiner Mafia", begann er schließlich, ließ mich jedoch absichtlich zappeln. Meine Nervosität stieg ins Unermessliche.
„Wir beide werden am Samstag auf einen Ball gehen, auf dem du deinen zukünftigen Ehemann treffen wirst. Du wirst ihn heiraten, egal ob du es willst oder nicht. Du kannst sowieso nichts dagegen tun."
Mir stockte der Atem. Was hatte er gerade gesagt? Ich sollte heiraten? Ein Ball bedeutete, dass alle von meiner Existenz erfahren würden. Das konnte doch nicht sein! Doch der Ausdruck in seinen kalten Augen ließ keinen Zweifel daran, dass er es ernst meinte.
„Was?", entfuhr es mir geschockt.
„Du hast schon richtig verstanden", sagte er ungerührt. „Im Moment ist noch nicht wichtig, wer dein Ehemann wird. Und jetzt sei ruhig."
Seine kalten Worte trafen mich tief. Wie konnte ein Mensch nur so herzlos sein? Warum war das Schicksal nie auf meiner Seite?
Nach diesen Worten tat mein Vater so, als wäre nichts passiert. Er begann zu essen, während ich wie in Trance vor meinem Teller saß. Tränen verschleierten meine Sicht, und meine Kopfschmerzen wurden stärker.
Ich wusste, dass ich nichts tun konnte. Es war hoffnungslos. Heute Morgen noch hatte ich geglaubt, dass meine Situation nicht schlimmer werden könnte, doch ich war eines Besseren belehrt worden.
Eine Ehe sollte aus Liebe entstehen, nicht aus Zwang. Ich hatte zumindest gehofft, meinen zukünftigen Mann selbst wählen zu können, doch diese Illusion war zerstört worden.
Meine Trauer verwandelte sich allmählich in Wut. Wut auf meinen Vater. Ich wollte schreien, ihn verfluchen, doch ich saß schweigend am Esstisch und brachte keinen Bissen herunter. Innerlich explodierte ich vor Wut, doch ich presste die Zähne aufeinander und blieb still.
Ich hasste meinen Vater. Ich hasste ihn so sehr.
Wie findet ihr das zweite Kapitel?
Was haltet ihr von Alaras Vater?
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