016 | Louis
Louis' P.o.V
Ich hatte große Mühe mit Harry mitzuhalten, nicht nur weil mir die Kraft dazu fehlte, sondern auch weil mir viele Dinge im Kopf umschwirrten. Meine ganze Konzentration lag darauf, dass ich meine Gedanken nicht Preis gab. Harry sollte nichts von meinem inneren Chaos mitbekommen. Ich musste mir erstmal klar darüber werden was heute früh passiert war. Wir hatten uns vereinigt. Auch jetzt schrie mein Inneres nach Harry. Der Drang war einfach zu groß. Mein Herz wollte, dass wir uns einfach irgendwo einkuschelten. Egal wo, Hauptsache gemeinsam.
Plötzlich blieb Harry abrupt vor mir stehen, weswegen ich ihn krachte. Wimmernd rappelte ich mich wieder auf und schüttelte mich durch. Harry stand steif vor mir und ging plötzlich in Angriffshaltung, jedoch blieb er schützend in meiner Nähe. Neugierig wollte ich an ihm vorbeischauen, doch ein lauter Knall ertönte und ließ mich zusammenzucken.
Lauf!
Ohne ihn wollte ich aber nicht weg. Langsam schüttelte ich meinen Kopf. Weitere Schüsse fielen und eine Kugel streifte mein Fell. Panisch blickte ich zu Harry, welcher mich kurz anknurrte.
Geh verdammt noch mal! Los!
Unfähig etwas darauf zu erwidern rannte ich in die Richtung, aus der wir gekommen waren. Harrys Knurren schallte bis zu mir, obwohl ich mittlerweile einen großen Abstand zwischen uns gebracht hatte. Meine Beine brannten und auch mein Brustkorb meldete sich. Harry hatte sich ganz schön auf mich gestützt. Der Schmerz nahm mir fast die Luft zum Atmen. Doch ich sprintete weiter. In der Hoffnung Harry würde mich gleich einholen und alles wäre in Ordnung lief ich weiter.
Bei unseren Häusern angekommen rannte ich auf den Trainingsplatz und hechtete direkt zu Liam. Vor seinen Pfoten brach ich schweratmend zusammen. Meine Kräfte verließen blitzartig meinen Körper. Alles fühlte sich schwer an und dieses Gefühl hielt mich regelrecht am Boden.
Louis, was ist denn los? Wo hast du Harry gelassen?
Mühsam setzte ich mich auf und schaute in die Richtung, aus der ich kam.
Da waren Menschen. Sie haben geschossen. Harry hat- Harry hat mich weggeschickt.
Liam erwiderte daraufhin nichts. Er wollte anscheinend keine Zeit verlieren. Er gab nur ein Zeichen und schon schossen die Betas los. Sie waren unglaublich schnell, sodass der Waldboden regelrecht bebte. Mein Blick viel auf meine Schwestern, welche langsam zu mir trotteten und sich verwandeln. Ich tat es ihnen gleich und ließ mich wieder ins Gras fallen. Meine Atmung hatte sich immer noch nicht beruhig und mein Herz hämmerte unaufhörlich gegen meine Brust. Mir tat einfach alles weh. Bei jeder Bewegung brannten meine Muskeln. Ich glaube ich war in meinem Leben noch nie so schnell gelaufen.
Mein Mund war vollkommen trocken und mein Hals schmerzte. Schwer atmend schaute ich zu meinen Schwestern. "Waren es wirklich Menschen? Wie haben schon so lange keine mehr gesehen. Ich dachte in diesen Wäldern halten sie sich nicht auf. Sind wir hier nicht sicher?"
Mit viel Anstrengung setzte ich mich wieder auf und blickte zu ihnen. "Ich weiß es nicht. Ich-." Ich wusste es tatsächlich nicht. Es war das erste Mal in meinem Leben, dass ich soweit hinausgelaufen bin. Unsere Eltern hatten alles darangelegt, dass ich mich nicht zu weit vom Haus entfernte. Die Strecke von unserem Haus bis hin zum See war das absolute Maximum. Obwohl es ihnen auch nie gefiel.
Traurig darüber, dass sie sich noch nicht einmal mehr über meine unerlaubten Spaziergänge aufregen konnten ließ ich meinen Kopf hängen. Meine Sorge gegenüber Harry wurde auch von Sekunde zu Sekunde immer größer.
Lottie und Fizzy schlossen mich in eine feste Umarmung. Zusammen ließen wir uns wieder ins Gras fallen. Ich wusste nicht wie viel Zeit vergangen war, doch die Sonne stand nicht mehr so hoch am Himmel und der Trainingsplatz lag mittlerweile vollkommen im Schatten.
"Liam ist wieder da." Lotties Stimme riss mich aus meinen Gedanken. Schnell stand ich auf und stolperte in seine Richtung. Er war auch in Menschengestalt und blieb vor mir stehen. "Wo ist er? Wo ist Harry?" Anstatt das er etwas sagte schüttelte er nur seinen Kopf. Meine Augen wurden immer größer. "N-Nein." Tränen bildeten sich und störten über meine Wangen. Das konnte doch nicht wahr sein. Fest biss ich mir auf die Lippe und wollte den Aufkommenden Schmerz unterdrücken. Liam hockte sich zu mir hinunter und nahm meine Hände in seine. "Er wird schon zurückkommen."
Überrascht schaute ich ihn an. "Woher weißt du das er lebt?" Schluchzend ließ ich mich in seine Arme fallen und rang nach Luft.
"Du weißt noch so wenig", murmelte Liam und legte sanft eine Hand auf meine Schulter, wo sich Harrys Symbol unter dem Stoff versteckte.
"Ihr seid miteinander verbunden. Glaub mir du wüsstest, wenn ihm etwas fehlt. Und andersherum ist es genauso." Aufmunternd lächelte er mich an und half mir wieder auf die Beine. "Wir vermuten, dass er sich außerhalb des Gebietes befindet. Vermutlich hat er die Verfolgung aufgenommen." Liam wendete sich nun auch an meine Geschwister und erklärte es ihnen.
Ich legte meine Hand auf das Symbol und schniefte leise. Aus Angst ich könnte jeden Moment zusammenbrechen lehnte ich mich an Fizzy und vergrub mein Gesicht in ihrer Halsbeuge. Ihren dünnen Arm legte sie um meine Taille und hielt mich eng bei sich.
"Können wir hier auf ihn warten?" Zermürbt schaute ich meine Schwestern an.
"Natürlich, lass uns noch eine Decke zum Hinsetzten holen." Fizzy übergab mich an Lottie und lief schnell in Haus.
"Danke", murmelte ich leise und presste mich an Lottie. Als Fizzy wieder da war setzten wir uns zusammen auf die Decke und kuschelten uns gemeinsam hin. Es dauerte nicht lange und die Zwillinge leisteten uns ebenfalls Gesellschaft. Die Sonne ging langsam unter und ich starrte immer noch auf den Fleck wo Liam vor ein paar Stunden aus dem Wald trat.
"Hey ihr fünf." Ich zuckte zusammen und schaute zu Anne, welche sich näherte und sich mit großer Mühe zu uns auf die Decke setzte. "Liam hat mir erzählt was passiert ist. Robin und die anderen sind nochmal los. Mach dir nicht so viele Gedanken Louis. Glaub mir, Harry weiß was er tut." Sie schien keineswegs besorgt zu sein, denn es war nicht ein Hauch von Angst oder Unruhe in ihrer Mimik zu erkennen. Langsam nickte ich und rieb mir meine Augen. Inzwischen war ich ziemlich müde und behielt nur mit Mühe meine Augen auf. Doch ich wollte erst schlafen, wenn ich sicher sein konnte, dass mit Harry wirklich alles in Ordnung war.
"Du machst dir trotzdem Sorgen, oder?" Anne schaute mich liebevoll an und öffnete ihre Arme. Lottie gab mich frei und ich ließ mich in Annes Arme fallen. Bedrückt schmiegte ich mich an sie. Aufgrund der Kälte zitterte ich leicht und genoss es, dass sie so eine Wärme ausstrahlte.
Anne war für uns Kinder wie eine Ersatzmutter. Jeden Abend nach dem Tod unserer Eltern sorgte sie dafür, dass sich meine Schwestern nicht alleine fühlten. Sie las ihnen vor oder erzählte alte Stammesgeschichten. Deswegen zogen die Mädchen auch gar nicht erst in den für uns bestimmten Bungalow. Wir waren von Anfang an immer im Haupthaus. Damit es sich nicht anfühlte als wäre wir nur Gäste, die abends wieder das Haus verließen. Währenddessen lag ich meist bei ihnen und hörte zu. Am Morgen danach wachte ich in Harrys Bett mit ihm auf meiner Brust auf.
Mir war es nie wirklich aufgefallen, da ich mich immer dagegen gesträubt hatte. Aber auch Harry hatte sich gekümmert. Vielleicht nicht so wie Anne es tat. Aber er hat es zumindest versucht, auch wenn er oft in unpassenden Situationen verschwand.
Tränen bildeten sich wieder und die Trauer packte mich erneut. Ich wollte zu Harry. Doch seinen Geruch konnte ich überhaupt nicht wahrnehmen. Vorhin hatte ich es nochmal versucht, aber eine Fährte aufzunehmen war für mich unglaublich schwer.
Anne legte ihre Arme fester um mich und die Mädels schmiegten sich von hinten an meinen Rücken.
Nach einer Weile stand Anne auf und verließ uns mit den Worten: "Ich hole euch noch ein paar zusätzliche Decken und etwas zu essen."
Ich dachte an heute Morgen zurück und automatisch schlug mein Herz schneller. Aber es war nicht dieses komische Gefühl, welches mein Herz zum schneller schlagen brachte. Es war nicht dieses Gezwungene.
Ich dachte an das, was er für mich getan hatte. Er hatte sich daran erinnert, dass ich mein erstes Mal nicht so haben wollte. Und Harry hat darauf Rücksicht genommen. Auch Streit war plötzlich nicht mehr so von Bedeutung, wie er es anfangs für mich war. Ob es daran lag, dass Harry und ich jetzt vereint, einen gemeinsamen Weg gingen? Ich hatte noch so viele Fragen und wollte, dass Harry sie mir beantwortete. Nur wusste ich nicht wie ich die alle stellen sollte, wenn er nicht bald zurückkam.
Schweren Herzens musste ich mir eingestehen, dass das was zwischen Harry und mir war, mir langsam gefiel. Uns hing nicht mehr das Thema mit der Vereinigung im Nacken, deshalb konnte wir doch jetzt von vorne starten, oder? Konnten wir das überhaupt? Es war bereits so viel geschehen und meine Gefühle spielten vollkommen verrückt. Konnte man überhaupt bei dem was bereits zwischen uns stand neu anfangen? Ich wusste ja noch nicht einmal viel über Harry. Selbst Liam war es aufgefallen, dass ich kaum etwas wusste. Dank meiner Eltern wusste ich ja kaum etwas über mich selbst.
Und die Hitzephase oder was auch immer es war, beschäftigte mich ebenfalls. Nicht im Traum hätte ich daran gedacht, dass es sowas auch bei Männern geben könnte. Ich wusste einfach so vieles nicht und dennoch war ich froh darüber, dass ich Harry hatte. Er wusste bestimmt vieles. Und das in jeglicher Hinsicht. Er war schließlich auch sieben Jahre älter. Wenn er wieder da ist, könnten wir uns bestimmt ins Gras kuscheln und reden. Doch nun realisierte ich, dass Harry immer noch nicht da war und fehlte.
Bedrückt schaute ich auf und entdeckte Anne, welche mit einem riesigen Stapel Decken und einem Korb aus dem Haus schritt. Schnell stand ich auf und ging auf sie zu, um ihr zu helfen.
Allerdings kam ich nicht weit, denn ich brach vor den Augen aller zusammen.
Der Schmerz, welcher von dem Symbol ausging, riss mir förmlich die Beine weg. Schreiend wand ich mich auf dem Boden, schloss meine Augen, um die aufkommenden Tränen zurückzuhalten und zitterte am ganzen Körper. Immer wieder zog sich mein Herz qualvoll zusammen. Es fühlte sich an, als würde es jeden Moment zerbersten. Die Schmerzen waren, im Vergleich zu heute morgen, unerträglich. Schlagartig tauchten vor meinem inneren Auge Bilder auf.
Bilder von Harry, welche mich nach ihm schreien ließen.
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1728 Wörter 12/07/2020
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