
Kapitel 7
Bevor wir zu uns nach Hause fuhren, machten wir einen Abstecher zur Zentrale, um Liam und Harry aussteigen zu lassen – Liam würde den noch nicht volljährigen Harry heimfahren, da sie in derselben Richtung wohnten, sodass am Ende nur noch mein Vater und ich zu zweit im Wagen saßen und uns in einer bedrückenden Stille gegenseitig anschwiegen.
„Irgendetwas ist doch vorgefallen", brach er schließlich das Schweigen und durchbohrte mich mit seinen bekannten forschenden Blicken. „Was hat dieses Arschloch wirklich zu dir gesagt?".
„Herrgott nochmal, wieso glaubst du mir denn nicht?".
„Weil ich weiß, was Malik für ein Typ ist. Und weil ich genau sehe, dass mir dir etwas nicht stimmt".
„Echt? Du siehst das?". Ich lachte trocken auf. „Ich bin beeindruckt".
„Niall, hör jetzt auf mit dem Scheiß", sagte er streng. „Irgendwann muss auch wieder gut sein mit diesem Benehmen".
Ich antwortete nichts mehr und stieg, kaum dass das Auto im Hof stand, aus, knallte die Tür hinter mir zu und suchte auf direktestem Wege mein Zimmer auf, bevor jemand mit nervtötenden oder gefährlichen Fragen kommen konnte.
Den restlichen Tag ging ich keinen Schritt aus meinem Zimmer. Ein einziges mal hatte es geklopft (ich nehme an, dass es Mum war) und die Tür war aufgemacht worden, doch da ich glücklicherweise zufällig gerade im Bett lag als ob ich schlafen würde, hatte sie mich in Ruhe gelassen und war wieder verschwunden. Erst um zehn Uhr nachts, als sich meine Eltern schon hingelegt hatten, schlich ich mich die Treppe hinunter in die Küche, um mit zurückgekehrtem Appetit einen Toast zu verputzen. Von meiner Schulter spürte ich nicht mehr allzviel, weshalb ich annahm, dass es nur eine kleine Prellung war, die in ein paar Tagen komplett verschwunden sein würde. Soweit ich wusste, hatte Greg heute Nachtdienst in der Zentrale, sodass ich mir keine Sorgen machen musste, von ihm überrascht zu werden – es war nicht so, dass ich irgendetwas Verbotenes tat, ich wollte einfach ungestört sein. Doch als in der nächsten Sekunde oben die Klospülung losröhrte, wusste ich, dass es mit der seligen Ruhe gleich ein Ende haben würde, wenn ich mich nicht schleunigst verzog. Kurzerhand beschloss ich, Greg bei seiner stinklangweiligen Nachtwache Gesellschaft zu leisten.
Die Zentrale war zu Fuß innerhalb von einer Viertelstunde zu erreichen, sodass ich weder Moped noch Auto nutzen musste, deren Motoren meinen Vater, der einen (meiner Meinung nach viel zu) leichten Schlaf hatte, unweigerlich geweckt hätten.
Als ich den Telefonraum der Zentrale betrat, empfing mich ein müder, aber dennoch erstaunter Greg, der, sobald er mich erkannt hatte, auf mich zustürmte und mich in eine brüderlich vertraute Umarmung schloss. Manchmal hatte ich das Gefühl, dass Greg für mich so etwas wie ein Vaterersatz war – zu den Momenten zählte auch dieser hier. Er überhäufte mich nicht mit Fragen oder Vorwürfen, sondern hielt mich einfach nur fest, wie es Brüder untereinander taten, wenn sie ein gutes Verhältnis pflegten, was wir zu hundert Prozent taten.
„Was machst du denn so spät noch hier?", wollte Greg wissen, während er einen Stuhl für mich an seinen Schreibtisch heranzog und mir fragend seine Kaffeekanne entgegenhielt. Ich lehnte dankend ab und ließ mich auf den Stuhl fallen, der ein ungesund klingendes, altersschwaches Knarzen von sich gab. „Hab es zu Hause nicht mehr ausgehalten", antwortete ich schulterzuckend. Greg nickte verstehend. „Hat Dad dir zu sehr die Hölle heiß gemacht?".
„Nein, eigentlich nicht. Es ist nur ...". Hilflos wischte ich mit der Handfläche über die penibel sauber gehaltene Arbeitsfläche.
„Außer der Abeit war ihm alles scheißegal", vollendete Greg meinen Satz wissend. Er wusste wovon er sprach, immerhin war Dad auch sein Vater, der mit ihm wahrscheinlich nicht anders umgegangen war wie mit mir jetzt. Ich nickte nur missmutig. Mein Bruder schwieg für eine Weile, bevor er die nächste Frage stellte. „Ich habe gehört, du hast Malik persönlich kennengelernt?". Er bemühte sich sichtlich um einen sanften, nicht drängenden Tonfall. „Wie genau ist das abgelaufen?".
„Seltsam". Ich kämpfte mit mir. Sollte ich ihm wirklich den genauen Ablauf verraten? Eigentlich konnte ich Greg immer alles anvertrauen, er behielt immer Stillschweigen. Okay. Ich holte tief Luft und schaute in Gregs fragendes Gesicht. „Wie gesagt, es war seltsam. Ich hatte damit gerechnet, dass er mich wenigstens zusammenschlägt oder Ähnliches, aber irgendwie ... er ist nur auf mir gelegen und hat mich angestarrt und geredet. Mein erster Gedanke war, dass er mich vergewaltigen will oder so, aber das hat sich nicht als wahr herausgestellt". Bei der Erinnerung musste ich sogar leicht grinsen. Die Maliks vergewaltigten keine Polizisten, das hätte schon lange in der Zeitung gestanden. Mein Bruder musterte mich besorgt. „Was hat er denn gesagt?".
Nein. Das würde ich nicht einmal Greg sagen. Ich meine, wie teilte man auch jemandem mit, dass ein gesuchter Schwerverbrecher einen als schön bezeichnet und mit Süßer angeredet hatte?! „Dass wir eben aufpassen sollen und so weiter und sofort", erwiderte ich ausweichend.
„Bist du dir sicher, dass das alles war?". Forschend musterte er mich. Er wusste, dass ich ihm nicht die ganze Wahrheit gesagt hatte. Als er von mir nur Schweigen zurückbekam, seufzte er tief. „Was auch immer er gesagt hat, dass du so dermaßen verwirrt bist, irgendwann werde ich ihn dafür in den Arsch treten. Und äh ...". Er stockte für einen Augenblick. „Du weißt schon, dass Zayn Malik schwul ist?".
„Kann schon sein". Innerlich dachte ich Willkommen im Club und fragte mich, ob er wohl gewusst hatte, dass ich ebenfalls schwul war. Verhalten hatte er sich jedenfalls so.
„So wie du es mir jetzt schilderst ...". Wieder ein kurzes Zögern, dann begann Greg zu meiner Überraschung breit zu grinsen. „ ... fand Malik dich wohl ziemlich heiß".
„Bullshit". Ich musste ebenfalls lachen. „Der Typ wollte mich doch nur verunsichern".
„Schlag diese Möglichkeit nicht so leichtfertig aus dem Rennen", ermahnte mich Greg, der sich inzwischen die dritte Tasse Kaffee einschenkte. „Wenn ja, dann hat er zumindest einen guten Geschmack".
„Ha ha". Gedankenverloren starrte ich auf den Bildschirm seines Laptops. „Was tust du eigentlich noch?"
Seufzend drehte er sich wieder seinem Computer zu. „Ach ... das Übliche. Versuchen, irgendwo Parallelen zwischen den Fällen zu erkennen, aus denen man Hinweise auf ihr Hauptquartier oder ihr weiteres Vorgehen erschließen kann. Mich wundert es nämlich ehrlich gesagt, wieso sie Harry und dich am Leben gelassen haben".
„Tragisch tragisch. Jetzt habt ihr uns immer noch am Hals", gab ich belustigt zurück und klopfte ihm beruhigend auf die Schulter, als er aufgebracht an die Decke gehen wollte. „Ich weiß doch, was du meinst".
„Normalerweise hinterlassen die eine Schleise des Massakers, das weißt du ja". Ungläubig schüttelte er den Kopf. „Wie ihr euch das nur getraut habt. Als ob es zwei leichtsinnige Teenagerjungs mit diesen berüchtigten Mördern aufnehmen könnten".
Ich schnitt ihm eine Grimasse. „Wir leben noch, das siehst du ja. Außerdem sind diese Typen nicht viel älter als wir. Wie alt ist Malik nochmal? Einundzwanzig?". Als Greg nickte, fügte ich noch hinzu: „Siehste. Nur drei Jahre älter als ich".
Er verdrehte grinsend die Augen, wurde dann aber wieder ernst. „Aber bitte seid in Zukunft ein wenig vorsichtiger. Ich will meinen kleinen Baby-Bruder noch ein wenig länger um mich herum wissen".
Bevor ich eine geistreiche sarkastische Antwort von mir geben konnte, ertönte ein Geräusch aus dem kleinen Raum, in dem die Schreibtische von uns drei Jüngsten angebracht waren. Stirnrunzelnd wandte sich Greg um. „Liam? Bist du immer noch da?".
Keine Antwort.
Misstrauisch beäugte ich die angelehnte Tür und fuhr zusammen, als nochmals dieses einmalige laute Klopfen zu hören war. Ich wollte darauf zugehen und nach dem rechten sehen, doch Greg hielt mich zurück. „Lass mich das machen. Du hast ja nicht mal deine Waffe dabei".
Wieso zum Henker sollte ich meine Waffe brauchen? Niemand wusste vom Standort unserer Zentrale, geschweige denn vom Eingang; es konnte gar keiner hier sein, mal abgesehen von unseren eigenen Leuten natürlich. Obwohl er gerade noch behauptet hatte, dass man dazu eine Waffe brauchte, ließ er seine eigene im Gürtel stecken und riss die Tür achtlos mit einem Schwung weit auf. Zu meinem Ärger musste ich mich auf die Zehenspitzen stellen, um meinem ein ganzes Stück größeren Bruder über die Schulter spähen zu können, sodass ich neben ihn trat und das im Halbdunklen liegende Zimmer inspizierte.
Nichts. Niemand befand sich im Raum, er war vollkommen leer. „Was zum ...", setzte Greg verwirrt an, wurde jedoch von einem lauten Knall und einem durchs Zimmer fliegenden Gegenstand rüde unterbrochen; mit einem ebenso lauten Klirren wurden Glasscherben und kleinere Splitter durch den ganzen Raum geschleudert. Der Gegenstand krachte gegen die Wand, während Greg und ich uns entsetzt unter dem zu scharfen Messern gewordenem Glas wegzuducken versuchten, doch ganz ausweichen konnten wir dem Regen natürlich nicht, sodass ich ein leichtes Brennen spürte, als eine meinen Unterarm traf, mit dem ich mein Gesicht schützte.
„Heilige Scheiße!", schrie Greg, stieß mich in den Telefonraum zurück und zog schnell die Tür zu – keine Sekunde zu früh, denn kaum hatte sich die Tür geschlossen, ertönte der nächste Knall, als vermutlich das zweite der beiden Fenster das Zeitliche segnen musste. Fassungslos starrte ich auf das dunkle Holz der Tür, dann zu Greg, auf dessen linker Wange ein ein kurzer roter Strich zu sehen war, wo ihn eine Scherbe gestreift hatte.
Zum ersten mal war ich froh, dass unser mickriges Gemeinschaftsbüro nur zwei Fenster besaß. Greg marschierte schnurstracks auf den Ausgang zu. „Diesen Vollidioten schnapp ich mir. Du bleibst hier und überwachst die Lage von oben. Geh aber erst rein, wenn ich unten bin und dir rufe". Ich nickte, und kaum war er außer Sicht-und Hörweite schlüpfte ich durch die Tür, die Muskeln angespannt, falls ich schnell die Flucht ergreifen musste. Vorsichtig tastete ich mich an die Fenster heran, durch die das fahle Licht der Straßenlaternen hereindrang, konnte jedoch keine Menschenseele draußen ausmachen. Als ich mit dem Fuß gegen etwas Hartes stieß und mich danach bückte, stellte ich fest, dass es sich bei den Wurfgeschossen wohl um große Steine handelte. Bei dem zweiten stutzte ich. Um diesen hatte jemand ein Blatt Papier herumgewickelt und es mit einem Gummiband befestigt, als ob es ihm sehr am Herzen lag, dass das Papier seinen Empfänger ja erreichte. Argwöhnisch beäugte ich es eine Weile, bevor ich mir letztendlich Ach, scheiß drauf dachte, es herunterriss und entfaltete. Die Botschaft, die scheinbar eilig draufgekritselt worden war, war zwar kurz, hatte es aber in sich.
Was ich vergessen hatte zu sagen: Wir sehen uns wieder.
----------
Wie im One Shot angekündigt: Das nächste Kapitel! :) Ich freue mich total über jedes Feedback und natürlich auch über jedes kleine Vote :))
Tja, wer das da draußen wohl ist? :D Rätselhaft, rätselhaft ... :D
Bis zum nächsten Kapi!
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro