verblasste Worte.
Seufzend verließ ich das kleine, schwarz-weiße Fachwerkhaus, in dem ich zur Schule ging und sah mich ein wenig um. Stalljunge war er, hatte er gesagt, es gab nur einen Stall in unserer kleinen Stadt. Ein bisschen Zeit hatte ich noch, also machte ich mich auf den Weg dorthin.
Ich sah mich um, ging auf den Stall zu, bedacht, dass niemand, der meine Mutter zu gut kannte, mich dabei sah und drückte gegen die kleine Holztür. Sie öffnete sich und leicht zögernd betrat ich den Stall. Ich ging durch die Gänge, dort waren Pferde und Schweine und Kühe und Hühner und mit leiser Stimme rief ich den Namen des Jungen, den ich seit gestern kannte. "Julian..?" Ich ging weiter, es war dunkel hier drin. Der Boden war voller Dreck, Erde und voll mit Stroh und Futter, nicht mal gekachelt war er, nur ein kleiner Trampelpfad. Ich sah mich um, hoffend, Julian hier irgendwie zu finden, warum, wusste ich selber nicht.
Als ich am Ende des Ganges angekommen war, seufzte ich leise, als mein Blick auf einen kleinen, süßen Esel viel. Ich fing an zu lächeln. "Du musst Pip sein..", hauchte ich leise, streckte meine Hand zu ihm aus, streichelte über sein borstiges Fell. Konzentriert auf ihn griff ich in meine Tasche, suchte nach einem Stück Brot oder Apfel, was ich vielleicht von meinem Frühstück übergelassen hatte und fand zum Glück ein Stück Möhre, was ich ihm vorsichtig hin hielt, damit er mir meinen Finger nicht abbiss. Zufrieden nahm er die Möhre und zerkaute sie, ich musste lächeln.
"Er ist süß, hm?" Ich zuckte zusammen, als seine Stimme hinter mir ertönte, sofort drehte ich mich zu ihm um. Ich atmete erschrocken aus. "Erschrick mich doch nicht so.." Julian lachte leise. "Tut mir Leid, was machst du hier?" Ich zuckte leicht mit den Schultern. "Weiß nicht genau, hab nach dir gesucht.. Wo warst du?" "Bibliothek." Ich nickte. "Liest du eigentlich gerne?", fragte er mich und ich zuckte mit den Schultern. "Komme nicht dazu, sonst eigentlich schon.", murmelte ich schließlich und sah, wie er in seiner kleinen, überpackten Tasche voller Bücher kramte und mir schließlich ein sehr kleines, zerflettertes Notizbuch in die Hand drückte. "Hab ich geschrieben. Wenn du willst, ließ darin, sind eigentlich nur Gedanken und Skizzen von mir. Ich hätte es dir heute Nacht mitgebracht, aber wo wir jetzt sowieso hier sind." Er lächelte mich leicht an. Verwirrt und etwas perplex starrte ich auf das kleine Notizbuch. Es war etwas kaputt, das Papier war leicht verblasst, die Schrift ebenfalls. Auf dem Cover war ein kleiner Junge zu sehen, handgezeichnet, er trug einen Hut, dreckige Kleidung und hielt eine Sense in der Hand. Er sah traurig aus, er war noch jung. "Danke..", murmelte ich leise, immernoch verwirrt über seine Geste steckte ich es ein, lächelte leicht. "Ich muss jetzt nach Hause.. Sehen wir uns später..?" Er nickte sofort und zufrieden drehte ich mich um und verließ den Stall, rannte zu mir nach Hause, es durfte nicht auffallen, ich musste pünktlich kommen.
"Mutter, darf ich rausgehen..?"
"Wo willst du hin?"
"Einfach nach draussen, spazierengehen, frische Luft. Ich habe Wäsche gemacht und meine Hausarbeiten sind fertig."
"Meinetwegen, aber du bist zum Abendessen wieder hier!"
"Ja, Mutter."
Ich machte mich auf den Weg in den Wald, setzte mich an einen der dicken Bäume, schlug das kleine Notizbuch von Julian auf.
Julian Bauer, 15 Jahre
Eine Art Tagebuch
Die Leute sind dumm, sie fragen nicht.
Warum fragen sie nicht? Sie wollen nicht fragen. Warum versteht mich keiner.
18. März 1786
"Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werden." - Immanuel Kant
Ist das so schwer, ist das so schwer, ist das so schwer. Ist es nicht menschlich, normal, sollte es nicht normal sein. Warum versteht das niemand.
26. April 1786
Liebe sollte kein Verbot sein. Liebe ist Liebe und wird Liebe bleiben, warum darf ich nicht ich selbst sein.
Es gibt mehrere Arten von Menschen, von Tieren, von Pflanzen, von allem, von allem, warum kann die Liebe nicht in jeder Form, Art akzeptiert werden.
4. August 1786
"Ich bin nicht einverstanden mit dem, was sie sagen, aber ich würde bis zum Äußersten dafür kämpfen, dass sie es sagen dürfen." - Voltaire
Freiheit bezeichnet die Fähigkeit des Menschen, aus eigenem Willen Entscheidungen zu treffen und dabei weder politisch, noch kirchlich oder gesellschaftlich eingeschränkt zu sein.
Freiheit in der Meinungsäußerung, Freiheit in dem, was ich tragen will, was ich machen will, dass ich zur Schule gehen darf, wenn ich will und wenn ich nicht will, dann nicht. Freiheit in allem. Warum kämpft niemand dafür. Wissen die Menschen nicht, was das bedeutet? Stört es die Menschen nicht, dass sie systematisch in ein Schema gedrängt werden? Wissen sie, was Freiheit ist?
3. Oktober 1786
Ich wollte immer wissen, wie es in der Schule ist, aber was, wenn sie der Ursprung aller Lügen ist.
11. November 1786
Ich hab darüber gelesen. Es gibt kein Fach in der Schule, wo über wichtige Dinge geredet wird. Keine Aufklärung in der Schule, keine Aufklärung von zuhause. Natürlich bleiben sie alle dumm. Warum wird in der Schule nicht über Freiheit geredet. Warum bringt man den Kindern keim eigenständiges, kritisches Hinterfragen bei.
Damit sie in das Schema passen, du Depp, damit sie Steuern zahlen, damit sie nicht aufmukken und gegen das System vorgehen. Damit diese hässliche Welt nicht auseinander bricht. Damit die Leute dumm bleiben und nichts hinterfragen, was die Mächtigen stürzen könnte.
13. November 1786
"Bedenke stets, dass alles vergänglich ist; dann wirst du im Glück nicht zu fröhlich und im Leid nicht zu traurig sein." - Sokrates
15. Dezember 1786
Weihnachten ist eine Illusion.
Gott ist eine Einbildung.
Und die Leute verstehen es nicht.
Trotzdem mag ich die Lichter in der Stadt und die Tannenbäume.
24. Dezember 1786
Das Jahr ist vorbei, die Leute bleiben dumm und ich sitze im Stall und verzweifle an meinen Gedanken, verzweifle an der Dummheit des Volkes, aber kann nichts dagegen tun. Das neue Jahr beginnt, bitte, lass es ein besseres werden.
2. Januar 1787
Warum gehen die Leute in die Kirche und beten jemanden an, den es zu einer an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit nicht gibt.
Ketzer!
Nein, logisches Denken, ihr Vollpfosten. Lasst mich doch denken, lasst mich denken, lasst es mich, lasst mich meine Meinung sagen, warum darf ich nicht einfach meiner Meinung sein und andere daran teilhaben lassen.
14. Februar 1787
Schluckend klappte ich das kleine Notizbuch zu, fuhr mit meinen rauen Fingerkuppen über das Cover.
Dieser Junge war so verdammt schlau.
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