Kapitel 17
Kapitel 17
Julian
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Der nächste Morgen und ich hab nach langer Zeit mal gut geschlafen. Ein bisschen merkwürdig, komme ich mir schon vor, weil ich mir gestern nicht nur unter der Dusche einen runtergeholt habe und dabei nur an Iva denken konnte.
Und jetzt sitzt diese neben mir in meinem Auto, nippt an ihrem Coffee-to-Go-Becher und lässt sich von mir zur Arbeit fahren. Ich hab darauf bestanden, weil sie so nicht im überfüllten Bus und Bahn zur Arbeit fahren muss. Außerdem hab ich eh nichts zu tun und freue mich über ihre Gesellschaft.
Die Röte in meinem Gesicht, kann ich mir kein bisschen verbergen. Ich komme mir komisch vor. Weiß der Geier warum. Wenn Iva nur wüsste, wie ich sie mir gestern vorgestellt habe.
An einer roten Ampel, mustere ihr ansehnliches Seitenprofil. Bei jeder kleinsten Bewegung von ihr, setzt sich ihr Gut duftendes Parfüm ab und kitzelt mir wohlig in der Nase. Zu wohlig, dass mir bei dem Süß-blumigen Duft fast schwarz vor den Augen wird. Wieder legen sich ihre leicht rot geschminkten Lippen auf dem bereits rötlichen Plastikdeckel ihres Kaffees. Entweder trägt sie nur ganz leicht Lippenstift auf, oder benutzt einen Labello mit Farbpigmenten. Wie diese sich wohl anfühlen?
Nein, halt dich bloß zurück. Gut, ich sitze, trage ein weites Shirt. Iva wird die verräterischere Beule in meiner Hose nicht auffallen. In der anderen Hand hält sie ihr Handy und schreibt ihrer Mutter zurück. Iva hat mir verraten, dass ihre Mutter ihr wieder eine zehn minutenlange Sprachnachricht geschickt hat, in der sie sie anschrie. Warum? Iva hat den Unfall gegenüber ihrer Mutter mit keinem Mucks erwähnt. Ihre Mutter hat's nur mitbekommen, weil die Autoversicherung über Iva's Mutter läuft. Auf die Nachricht Komm runter, hat Ivas Mutter eine weitere Sprachnachricht geschickt. Wild fluchend, auf Spanisch, fünfzehn Minuten lang.
Mir klingeln noch immer die Ohren. Ihre Mom hat wirklich Ausdauer und eine Stimme mit der man erfolgreich streunende Katzen verscheuchen könnte.
»Wieso antwortest du nicht ebenfalls mit einer Sprachnachricht?«, frage ich Iva und blicke gleichzeitig zur Ampel. Grün. Dazu versuche ich mich zu konzentrieren sie erstmal nicht anzuschauen, weil sonst meine Gedanken wieder verrückt spielen.
»Ich hasse Sprachnachrichten«, gesteht Iva. »Nur, will das meine Mutter nicht verstehen. Schriftlich kann sie sich tatsächlich viel kürzer fassen.«
Ich lache leise. »Ich mag nicht immer telefonieren. Wenn ich keine Lust habe, aber trotzdem an meinem Handy bin, starre ich den eingehenden Anruf solange an, bis er weg ist.«
»Selbst, wenn deine Eltern dich anrufen?«, will Iva wissen und wirft mir einen skeptischen Blick zu. Bloß weiter auf die Straße konzentrieren.
»Die sind eine Ausnahme. Aber nicht, wenn ich mit dem Handy aufm Pott sitze.«
»Warum sitzt du aufm Pott?«
»Ist die Verbesserung genehmigt?«
»Fragst du mich das jetzt jedes Mal?«
»Ist das eine Fangfrage?«
»Vermutlich«, bemerkt Iva leise lachend. »Also, die Verbesserung deinerseits ist genehmigt.«
»Aufm Pott sitzen, ist so eine Umschreibung, für auf die Toilette gehen.«
»Ah!«, macht Iva. »Also, wenn du Obama das Weiße Haus zeigst, ist ein Anruf nicht gern gesehen. Verständlich. Man lernt nie aus. Die alten Zeiten, wo man noch die Rückseiten von Shampooflaschen liest, sind schon lange vorbei.«
Wir beide müssen lachen.
Dann wendet sie sich wieder ihrem Handy zu und schreibt weiter. Ich halte währenddessen schon wieder an einer roten Ampel und greife nach meinem Kaffeebecher, aus der Mittelkonsole. Im Gegensatz zu Iva trinke ich meinen Kaffee schwarz, ohne irgendwelche Kinkerlitzchen. Sie hat da irgendwas mit Caramel-Gedöns, mit Milch und extra Milchschaum.
Irgendwann hat Iva die Nachricht abgeschickt und lässt ihr Handy zurück in ihre Handtasche, die im Fußraum liegt, fallen. »Wie sind deine Eltern so? Deine Mom habe ich ja gerade erlebt. Scheint temperamentvoll und laut zu sein.«
»Hm, dass ist sie. Sie mag zwar ab und an mal anstrengend sein, aber ansonsten ist sie wie jede Mama. Streng und liebevoll. Mein Papa ist da eher ruhiger, gelassener. Die beiden gleichen sich ganz gut aus.« Sie nimmt wieder einen kleinen Schluck von ihrem Kaffee. »Und deine Eltern, wie sind die so?«
»Ähnlich wie deine. Meine Mama hat eher die Hosen an, als mein Vater. Wenn du Modern Family schauen würdest...«
»Schau ich ja nicht.«
»Eben, dann würdest du schnell merken, dass meine Eltern wie Phil und Claire sind.«
»Und wie sind Phil und Claire?«
»Phil ist eher die lockere Vaterfigur, ruhig, chillig, so wie mein alter Herr. Claire hat die Hosen an, ist streng, wie meine Mama. Ohne Heike würde es bei uns drunter und drüber gehen.«
»Hm, ist ja wie bei mir. Und wie heißt Heikes chaotisches Gegenstück?«
»Jürgen. Und deine Eltern?«
»Meine Eltern heißen Xiomara und Alexander. Das Gelaber mit Geschwistern haben wir ja schon gehabt, oder?«
Ich brauch nicht lange nachdenken. Wir haben tatsächlich erst vor zwei Tagen, die Fragen nach Geschwistern gestellt. Im Gegensatz zu mir ist Ivana Einzelkind, wobei sie schulterzuckend hinzugefügt hat, dass sie nicht weiß, ob ihr biologischer Erzeuger noch mehr Kinder auf die Welt gesetzt hat.
Dieser sei wohl ein dauergeiler Gigolo, laut ihrer Mutter. Sie kennt diesen ja nicht, noch will sie Kontakt zu dem Kerl haben, der ihre schwangere Mutter hat sitzen lassen. Ihr Stiefvater, Alexander, den sie als Vater betitelt, sei ihr richtiger Papa, auch, wenn er sie nie adoptiert hat, trotzt Hochzeit zwischen ihren Eltern. Iva hat dann auch noch gestanden, dass sie das gar nicht wollte, weil sie ziemlich sauer auf Alex und ihre Mutter gewesen ist, was den plötzlichen Umzug von Mexiko nach Deutschland anging. Verständlich, wer wäre das nicht? Vor allen Dingen mitten in der Pubertät. Freunde. Die erste Liebe. Safespace.
Ich wäre da auch komplett auf die Barrikaden gegangen. »Glaubst du, dass deine Eltern noch auf den Trichter kommen werden, was ein weiteres Kind angeht?«
Iva verneint kopfschüttelnd. »Ich weiß, dass das nie passieren wird. Dafür gibt es genügend Gründe.« Abwesend blickt sie aus dem Fenster und wirkt plötzlich traurig. Und ich komme mir beschissen vor, überhaupt so viele Fragen gestellt zu haben. Auch wenn ich innerlich wissen will, über was für Gründe wir hier sprechen, halte ich mich zurück und wechsle das Thema. »Ich hab mir ein paar Bücher bestellt. Michael Tsokos sagt dir was?«
Iva kommt wieder zurück ins Hier-und-Jetzt und dreht ihren Kopf zu mir. »Welche Bücher von ihm?« Ich erwidere den Blick, kann mich tatsächlich zusammenreißen. Schwer, aber machbar.
»Nicht seine Krimis, sondern die Bücher in dem er über richtige Fälle redet und mit den Irrtümern aus der Gerichtsmedizin aufklärt.«
»Ich hätte dir diese auch Leihen können«, lacht sie leise.
»Jetzt ist's zu spät.«
»Ich bin überrascht, dass du überhaupt weißt, was Bücher sind.«
Beleidigt stoße ich irgendwelche Laute raus. »Doch, dass weiß ich. Ich kann lesen. Hab sogar ein Buch bei mir zu Hause, mit ganz vielen Buchstaben, und wenigen Bildern.«
»Redest du jetzt von einem Kinder-Bilder-Buch, oder einen Ratgeber, wie man richtig Fußball spielt? Wenn ja, solltest du den noch mal richtig lesen, die Seiten kopieren und deinen Mitspielern geben.«
Ich blinzle verwirrt und schnaube gespielt schockiert auf. Innerlich muss ich wegen dem Seitenhieb lachen. »Autsch. Der tat weh. Und nein, dass ist weder ein Bilderbuch für Zweijährige, noch ein Ratgeber über das richtige Spielen von Fußball«, werfe ich ein. »Ist ein Psychothriller. Fitzek sagt dir was?«
»Ich lebe nicht hinterm Mond, Julian. Ich hab bisher alle Fitzek's in meinem Bücherregal, mit Signatur, stehen. Welches hast du zu Hause?«
»Der Insasse, ebenfalls mit persönlicher Signatur, weil ich den Fitzek mal in Berlin über den Weg gelaufen bin. Das ist auch das einzige Buch, mit ganz vielen Buchstaben. Kennst du Mangas?«
»Mierda, ich wiederhole mich nicht gerne. Aber ich lebe nicht hinterm Mond, Julian!« Sie dreht sich im Ledersitz zu mir. »Und lass mich raten. Du redest von One Piece, Sanji?«
»Und wie ich von One Piece rede, Nami«, entgegne ich im selben neckenden Tonfall wie Iva. Schon wieder eine rote Ampel, an der ich halten muss. Ich drehe mich zu ihr und blicke ihr in die Augen. So wie sie das bei mir macht.
Scheiße. Scheiße. Scheiße.
Die Ampelphasen in Dortmund sind wirklich zum kotzen.
»Ich habe mir erst letztens Ausgabe 84 gekauft«, unterbricht Iva das gegenseitige Anglotzen.
»Es gibt aber schon viel mehr, dass weißt du?«
Ivas grün-braune Augen beißen sich wieder an meinen Augen fest. Sie hebt ihren Zeigefinger. »Zum dritten und zum allerletzten Mal: ich lebe nicht hinterm Mond, Julian.«
»Das kannst du mir heute noch tausend mal sagen«, lache ich leise und drücke ihre Hand runter.
»Ich bevorzuge Detektiv Conan vor One Piece. Nicht das ich One Piece nicht leiden kann, ganz im Gegenteil. Die Serie direkt nach der Schule auf dem heutigen Bildungskanal von RTL2...« Das Bildungskanal setzt Iva mit ihren Fingern in Häkchen. »...das ist Kindheit, ja, aber Detektiv Conan ist aber nur ein minimal bisschen besser. Aber auch nur minimal bisschen.«
»Mit minimal bisschen kann ich tatsächlich leben.« Kurzer Blick zur Ampelanlage. Grün. Ich fahre, wie die anderen Autos an. »Sonst hätte ich dich aus dem fahrenden Auto getreten.«
»Das traust du dich nicht«, mahnt Iva mich mit dunkler Stimme. Kurz darauf, sagt sie irgendwas auf Spanisch, was ich eh nicht verstehen kann. Ich muss mir wirklich diese komische Sprach-App runterladen und mein Spanisch aufbessern.
Den Rest des Fahrtweges zum Institut, diskutieren Iva und ich darüber, wer von den One Piece-Charakteren das schlimmste Schicksal in der Kindheit ereilt hat. Ich gehe mit Nico Robin, während Iva darauf beharrt, dass ihr Sanjis Geschichte näher geht. »Wie Chefkoch Jeff ihm das Leben gerettet hat. Das ist schon tragisch genug.« Dann hält sie plötzlich inne, holt aus und schlägt mir gegen die Brust, als hätte sie die Erleuchtung des Tages durchflutet. »Obwohl. Nein.« Was, nein? So schnell sie ihren Arm rausgeschleudert hat, zieht sie diesen wieder zurück. »Law. Trafalgar Law. Diese Background-Story ist die Schlimmste in One Piece.«
Verdammt. Sie hat recht. Law's Vergangenheit ist wirklich die tragischste. Wie konnte ich den Kerl nur vergessen? »Du hast Recht. Law's Vergangenheit ist wirklich am Bescheuersten verlaufen.«
Iva hält mir nur nickend und anerkennend ihren ausgestreckten Daumen hin. Dann schweigen wir wieder für eine kleine Weile, bis ich auf dem Parkplatz zwischen Krankenhaus und Institut halte.
»Halb vier, wieder hier?«
Iva die bereits aus dem Auto gestiegen ist und neben ihrer Handtasche nach den beiden leeren Kaffeebechern griff, blickt mich irritiert an. »Spielst du jetzt wirklich meinen persönlichen, ziemlich unterbezahlten Chauffeur?«, fragt sie belustigt.
»Ich werde bezahlt?«, stelle ich verwirrt die Gegenfrage.
»Der Kaffee. Meine äußerst ansehnliche Anwesenheit. Ist das nicht Bezahlung genug?«
»Ich setze hier die Rechnung auf. Spritkosten, Verschleiß und so weiter. Lass ich dir am Ende des Monats zukommen. Kaffee als Währung und auch deine echt ansehnliche Anwesenheit zählen bei mir nicht.«
»Ohje, da spricht der Deutsche. Ihr wollt auch wirklich immer alles auf dem Cent genau zurückhaben«, gluckst sie. »Du trägst doch bestimmt einen Rechnungsblock bei dir, was?«
Ich lache leise. »Traurig aber wahr, dass die meisten so ticken. Hab den Block tatsächlich zu Hause liegen. Aber bei mir war das ein Scherz. Ich schwöre. Ich mach das tatsächlich gerne. Also. Halb vier, wieder hier?«
Iva seufzt. »Na gut, halb vier, wieder hier«, nickt sie. »Bis später und danke.«
Ich lächle. »Bis später.« Auch Iva lächelt kurz und knallt dann wieder die Beifahrertür zu, als würde die nicht beim normalen zudrücken zugehen. Ich atme tief durch. »Das ist kein Panzer«, bemerke ich leise und fahre los.
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