Später an jenem Tag ruft Gandalf die verbliebenen Gefährten zusammen. Aragorn, Gimli, Legolas und ich begeben uns also zu dem Zauberer. Bei ihm sind auch König Théoden, Éomer und einige Rohirrim. Gemeinsam reiten wir nach Isengard, wo uns eine Überraschung erwartet. Der Orthanc steht allein inmitten eines kargen Zirkels, der von Wasser überflutet ist. Wo man nur hinblickt, tummeln sich große Gestalten. Ents, Baumhirten und Hüter der Wälder! Auf einer Mauer vor dem Spektakel sitzen tatsächlich zwei mir nur allzu bekannte Hobbits.

» Willkommen in Isengard «, meint Merry, während Pippin grinsend an seiner Pfeife herumkaut,

» Baumbart erwartet euch bereits «. Die beiden Auenländer platschen durch das Wasser auf uns zu. König Théoden nimmt Merry zu sich, während ich Pippin auf Arods Rücken ziehe.

» Wo habt ihr nur gesteckt? «, frage ich den Hobbit. Er lacht ausgelassen und ich verstehe nur einzelne Wortfetzen seiner Antwort. Irgendetwas mit "Wald", "Gandalf", "Bäume" und "Entthing". Baumbart empfängt uns vor den Toren des Orthanc, dem Turm, in dem Saruman lebt. Das aus schwarzem Stein errichtete Gebäude scheint perfekt zu den dunklen Machenschaften seines Bewohners zu passen.

» Der weiße Zauberer ist in seinen Turm eingesperrt. Bei ihm ist ein Mensch oder zwei, so genau haben wir nicht nachgesehen «, meint der Ent.

» Das ist sicher nur Gríma Schlangenzunge! «, raunt Éomer neben mir. Mein Blick wandert zu Aragorn, in dessen Augen ein Hoffnungsschimmer aufzuflammen scheint. Er denkt wohl, Saruman weiß, was wirklich mit Lucea geschehen ist.

» Ich grüße Euch, König der Mark «, schallt plötzlich eine Stimme zu uns herunter. Ganz oben auf dem Turm entdecke ich Saruman, der in seinen weißen Mantel gehüllt ist und sich auf seinen Stab stützt.

» Was verschafft mir die Ehre Eures Besuches? «, fragt der Zauberer. König Théoden blickt mit zusammengekniffenen Augen hinauf.

» Ich habe Euch stets geschätzt, Saruman, und Euren Rat gerne angenommen «, sagt er,

» Jedoch rechnete ich nicht mit einem solch hinterhältigen Verrat an mir und ganz Rohan. So viele Männer mussten ihr Leben lassen, um ihr Land zu verteidigen. Gegen Eure Armee von blutrünstigen und unbarmherzigen Uruk-hai! Niemand wünscht sich Euren Tod sehnlicher als ich! «. Gegen Ende seiner kleinen Rede hin wird er immer lauter. Ich kann ihn gut verstehen, denn ich habe gesehen, was die Uruk-hai angerichtet haben. Mit wie viel Blut sie den Boden in Helms Klamm tränkten, wie viel Leid sie damit über das Volk Rohans brachten!

» Meinen Tod wünscht Ihr Euch? «, fragt Saruman säuselnd,

» Ich werde Euch zeigen... «, Gandalf unterbricht den anderen Zauberer,

» Saruman, wir werden dich nicht töten. Du weißt, dass die Menschen in höchster Gefahr schweben. Unsere Aufgabe ist es, allen Bewohnern Mittelerdes als Ratgeber zur Seite zu stehen. Du hast den Eid mutwillig gebrochen, doch du sollst noch eine Chance erhalten «. Einen Moment hält er Inne und fixiert den ehemaligen Vorsitzenden des Weißen Rates.

» Sage uns, was Sauron vorhat und du wirst frei sein! «, ruft er dann. Saruman lehnt sich etwas vor, mustert uns nacheinander und fängt an, zu lachen.

» Ihr stellt also Forderungen an mich, ja? «, fragt er und breitet die Arme aus,

» Ich denke, ihr seid nicht in der Position, mir Forderungen zu stellen. Was habt ihr schon, was ihr mir geben könnt? Ich jedoch, habe etwas... «. Seine Stimme wird immer leise und bedrohlicher. Ich wechsle einen besorgten Blick mit meinem Bruder. Auch er scheint bemerkt zu haben, dass hier etwas ganz und gar nicht stimmt. Pippins Arme klammern sich fester um meine Taille, als wolle sich der Halbling hinter mir verstecken.

» Was solltet Ihr haben, was uns am Herzen liegt? «, ruft Aragorn aus. Alle haben sich deutlich angespannt. Das scheint auch Saruman aufzufallen, denn er lacht erneut. Seine Stimme ist allbekannt. Sie verzaubert und betört jene, die sie zu lange hören. Sie beeinflusst die Wahrnehmung, die Sinne ihrer Zuhörer und kann Dinge ganz anders erscheinen lassen, als sie eigentlich sind.

» Es ist nicht etwas, sondern vielmehr jemand, Waldläufer! «, erklärt Saruman gelassen,

» Jemand, dessen Leben verwirkt ist, wenn ihr mir nicht gebt, was ich wünsche! «. Erschrocken huscht mein Blick zu den Gefährten. Sie sind alle da. Abgesehen von Frodo und Sam, die sich vermutlich gerade irgendwo an den Grenzen Mordors aufhalten. Wer also sollte noch fehlen? Boromir fiel bei den Raurossfällen, ebenso wie Lucea. Ich stutze, oder etwa nicht?

» Hört nicht auf ihn! «, murmelt Gimli sauer,

» Seine Stimme verwirrt uns nur! Töten wir ihn, dann ist es endlich vorbei! «. Gandalf hebt die Hand, um den Zwerg zum Schweigen zu bringen.

» Wer ist bei dir? Zeig uns sein Gesicht und wir können verhandeln! «, ruft er. Sarumans Gesicht verzieht sich zu einem spöttischen Lächeln und winkt einer Person, die wir von hier aus nicht sehen können. Gríma Schlangenzunge taucht auf und schleift jemanden hinter sich her. Saruman schubst seinen Diener achtlos zur Seite und zerrt eine junge Frau auf die Füße. Sie ist mager und wirkt ausgehungert. Sie ist so schwach, dass sie sich beinahe nicht auf den Beinen halten kann. Ihr Gesicht ist eingefallen und schmutzig, ihre Haare hängen in Strähnen herab. Als ich sie einen weiteren Augenblick betrachte, realisiere ich erst, wen ich da vor mir habe. Erschrocken schlage ich mir die Hand vor den Mund.

» Lucea! «, höre ich Aragorn flüstern. Keiner sagt ein Wort, niemand vermag seinem Gefühlszustand Ausdruck zu verleihen.

» Wie ich sehe, habt ihr damit nicht gerechnet «, meint der Zauberer boshaft lächelnd und schiebt Lucea ein Stück näher an den Abgrund,

» Wenn ihr sie nicht fallen sehen wollt... «, er bricht ab und seine Worte gehen in einem Gurgeln unter. Er hat Lucea losgelassen und sie schlägt auf den Boden. Hinter Saruman erscheint Gríma und sticht auf seinen Herren ein. Als er erneut ausholt, blitzt ein langes Messer in seiner Hand. Saruman keucht noch einmal auf und fällt rücklinks auf den Stein. Schlangenzunge steht über ihm und lässt das Messer so abrupt los, als könnte er nicht begreifen, was er eben getan an. Die Klinge landet klirrend neben dem toten Zauberer. Doch bereits einen Wimpernschlag später hat sich der ehemalige Ratgeber Théodens wieder gefangen und umgewandt. Lucea liegt nach wie vor auf dem Boden und bewegt sich nicht. Gríma geht langsam auf unsere Gefährtin zu. Mit einer schnellen Bewegung hat er sie am Hals gepackt und gegen die Wand gepresst. Er scheint irgendetwas zu sagen, aber er spricht zu leise, als dass ich ihn verstehen könnte. Lucea schüttelt den Kopf und schnappt nach Luft, denn die Hand Schlangenzunges ruht noch immer an ihrem Hals.

» Tötet ihn! «, brüllt Aragorn. Wie auf Kommando reiße ich meinen Bogen von der Schulter und einen Pfeil aus meinem Köcher. Die Sehne wird gespannt und schon fliegt der Pfeil auf Gríma zu. Dieser starrt nun zu uns herunter und auf die beiden Pfeile, die auf ihn zu sirren. Legolas' Pfeil bohrt sich ins Herz des Mannes, mein eigener trifft nicht einmal einen Fingerbreit daneben sein Ziel. Der Getroffene sinkt in sich zusammen, Lucea rutscht kraftlos wie eine Stoffpuppe an der Wand hinunter.

» Lucea! «, ruft Aragorn, springt von Bregos Rücken und hastet die Treppen zum Tor des Turms hinauf. Merry und Pippin setzen dem Waldläufer nach.