Heilende Hände
Mein Herz schlägt immer schneller als ich langsam realisiere, was die Heilerin namens Tjarda gerade gesagt hat. Der schwarze Anhauch ist mehr oder weniger das Todesurteil jedes Betroffenen. Athelas ist das einzige, das eventuell gegen den Fluch der Nazgûl helfen könnte. Ich stehe stocksteif da, während Aragorn auch Merry untersucht.
» Er auch «, brummt der ehemalige Waldläufer alarmiert,
» Wir müssen schnell handeln! «. Mit großen Augen sehe ich unsere beiden Freunde an. Pippin und Éomer scheinen vor Verwirrung nicht zu wissen, was sie sagen sollen. Nun hebt Aragorn den Kopf und fängt meinen Blick auf.
» Ich brauche deine Hilfe, Lucea «, sagt er sanft und legt den Kopf leicht schief. Ich knie mich neben die Schildmaid Rohans, fühle mich irgendwie hilflos. Meine Gedanken wirbeln hinter meiner Stirn umher und jeder Versuch, sie zu ordnen, macht es nur noch schlimmer. Bisher hatte ich noch nicht viel mit Flüchen zu tun, vor allem nicht mit diesem einen. Da plötzlich erinnere ich mich an jenes Buch über Heilkunde und Kräuter, das ich vor unserem Aufbruch gelesen habe. Was stand bloß unter jener Zeichnung der Athelasblätter dort?
» Hier, mein Herr. Das ist alles, was ich gefunden habe «, verkündet Loreth schwer atmend und hält Aragorn ein Bündel mit Königskraut entgegen. Die ältere Frau muss weit gerannt sein. Ihre Haare sind verstrubbelt, ihr Kleid zerknittert. Aragorn zögert nicht lange, nimmt die Blätter und zerreibt einen Teil davon in einer Schale. Mit geschickten Fingern bereitet er eine Paste zu und reicht sie mir.
» Trag das auf ihre Wunden auf «, sagt er und taucht den Rest der Blätter in eine Schüssel mit heißem Wasser. Der aufsteigende Dampf vermischt sich sogleich mit dem Geruch der Kräuter und breitet sich aus. Ich tue, wie mir geheißen und tupfe die Salbe vorsichtig auf Éowyns gebrochenen Arm. Dann kommt Merry an die Reihe. Er hat eine Schnittwunde an der Stirn und mehrere Kratzer an Hals und Armen. Die beiden Patienten bewegen sich noch immer nicht, scheinen fast wie erstarrt. Sie atmen kaum noch und ihr Puls wird schwächer. Aragorn taucht seine Hände in den Kräutersud und legt sie der Schildmaid und dem Hobbit auf Stirn, Hals und Schultern. Er wiederholt diese Geste immer wieder, während ich weiterhin die Salbe auftrage. Mit der verstreichenden Zeit nehme ich mein Umfeld kaum noch war, nur noch meine Aufgabe. Jegliches Geräusch geht an mir vorüber, Stimmen verebben, Ruhe kehrt ein. Die dunklen Stunden der Nacht ziehen sich wie klebrige Spinnenfäden in die Länge und der Tag rückt nur langsam näher. Aragorn und ich fahren mit unserer Arbeit fort bis sich schließlich doch einige Sonnenstrahlen durch das dichte Wolkendach wagen und an die Fenster klopfen. Der Morgen bricht an und bringt Licht, das das volle Ausmaß der Schlacht erst richtig sichtbar macht. Aragorn und ich knien noch immer auf dem Boden. Pippin schläft, Éomer kauert auf einem Hocker neben seiner Schwester. Die anderen Heilerinnen und Heiler gehen ihrer Arbeit nach. Sie kommen zwischendurch zu uns herüber und werfen einige neugierige Blicke auf die Patienten. Noch immer zeigen sie keinerlei Reaktion. Meine Verzweiflung wächst und ich kann kaum noch still sitzen. Schuldgefühle nagen an mir und der Gedanken, versagt zu haben, nicht alles gegeben zu haben. Jede weitere Minute, in der nichts geschieht, wird immer unerträglicher. Éomers Blick geht ins Leere. Vermutlich erträgt auch er es nicht mehr, seine Schwester so zu sehen. Als wäre sie tot.
Plötzlich dringen mehrere Stimmen an mein Ohr. Bekannte Stimmen. Ich drehe mich um und finde mich bereits von ihnen umringt. Gandalf, Legolas, Laladriel und Gimli. Alle vier scheinen wohlauf zu sein.
» Es ist schön, dich wohlauf zu sehen, Lucea «, sagt Gandalf mit gedämpfter Stimme und legt eine Hand auf meine Schulter. Der weiße Zauberer lächelt leicht, doch es erreicht seine Augen nicht. Er sieht unsagbar müde aus. Die Schlacht hat ihn deutlich gezeichnet, selbst den beiden Elben kann man die Erschöpfung ansehen.
» Ich bin froh, euch gesund und nicht auf einer der vielen Baren hier zu sehen «, erwidere ich und mustere meine Freunde genau. Laladriel neigt den Kopf und lehnt sich etwas an ihren Bruder, der einen Arm um seine Schwester legt. Die beiden sind wirklich ein Herz und eine Seele. Ihre Verbindung zueinander ist etwas ganz Besonders. Es ist wie mit den Gefährten. Unser Verhältnis geht weit über Freundschaft hinaus. Es ist eine Art Verbundenheit, die sich kaum anders beschreiben lässt. Trotz der vielen Erlebnisse habe ich noch keinen Moment bereut, mich ihnen angeschlossen zu haben. Legolas beobachtet aufmerksam das Geschehen um uns herum.
» Sag mir, was ist mit unseren beiden Freunden? Sie sind weder tot, noch lebendig «, fragt er und richtet seine eisblauen Augen auf mich.
» Das ist wieder typisch Elb «, brummt Gimli,
» Fragen, obwohl sie es doch sowieso schon wissen «. Seine sonst stets schelmisch funkelnden Augen haben nun jeden Glanz verloren. Stattdessen spiegeln sich darin Sorge und Mitleid. Eine Hand legt sich um meinen Rücken und ich zucke unmerklich zusammen.
» Ea-ha i morn dae «, beantwortet Aragorns raue Stimme die Frage des Düsterwaldprinzen. Schweigen legt sich über uns wie ein Tuch aus schwerem Stoff. Ich löse mich von Isildurs Erben und knie mich wieder neben Éowyn. Ich greife nach einer Schale mit frischem Wasser und einem Tuch und tauche es in das kühle Nass. Vorsichtig tupfe ich die Stirn der Blonden ab. Gerade tauche ich den Stoff wieder ins Wasser, da hebt sich ihr Brustkorb ruckartig und sie schnappt nach Luft. Kurz darauf öffnen sich ihre blauen Augen und huschen im Raum umher. Auch Merry beginnt sich zu bewegen. Er zappelt herum wie ein kleines Kind, dem nicht erlaubt wird, etwas zu tun, was es gerne tun würde. Als ich die erste Überraschung abgeschüttelt habe, fällt mir ein Stein vom Herzen und enorme Erleichterung verdrängt jegliche Verzweiflung.
» Es ist also wahr «, haucht Loreth hinter mir und schlägt die Hände vors Gesicht. Ich habe gar nicht bemerkt, dass sie nähergekommen ist.
» Was ist wahr? «, fragt Simuel und tritt neben die ältere Frau. Der Heiler mustert die Umstehenden kurz, dann fällt seine Aufmerksamkeit zurück auf die Schildmaid Rohans.
» Die Hände des Königs sind Hände eines Heilers «, flüstert die Angesprochene und wieder kehrt Stille ein. Alle Blicke richten sich nun auf Aragorn. Er steht aufrecht und gerade da. Seine Erscheinung hat nun nichts mehr von dem einstigen Waldläufer. Jetzt sieht er wahrlich aus wie ein König, stattlich und edel. Er neigt den Kopf und eine Welle der Lobesbekundungen und der Zurufe bricht über ihn hinweg. In diesem Moment kommen mir jene Worte wieder in den Sinn:
Wenn der schwarze Atem weht,
Todesschatten dräuend steht,
löschen alle Lichter aus,
Athelas, komm du ins Haus.
Durch Königshand zu geben,
Sterbenden das Leben!
(aus Herr der Ringe - Die Rückkehr des Königs, Kapitel Die Häuser der Heilung)
Dieser Vers hat Recht. Der Todeschatten ist der Fluch, dem nur Athelas und der rechtmäßige König etwas entgegensetzen können. Schwarzer Anhauch, schwarzer Atem oder wie man ihn sonst nennen mag, unseren beiden Freunden wird er nichts mehr anhaben.
Ea-ha i morn dae – Es ist der schwarze Schatten
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