Elrond
~Lucea~
Ich schrecke aus dem Schlaf hoch, weil ich meine, etwas gehört zu haben. Ich setze mich auf, reibe mir über die Augen und blicke mich um. Éowyn liegt in ihrem Bett und schläft, doch Laladriel ist nirgends zu sehen. Ich trage kein Nachtgewand, sondern meine normalen Kleider. Nachdem die anderen beiden das Zelt verlassen haben, muss ich eingeschlafen sein. Wie spät mag es wohl sein? In dem Wissen, dass ich jetzt wohl sowieso nicht wieder einschlafen kann, stehe ich auf. Das Lager liegt still da. Die Feuer glimmen vor sich hin und einige Wachen sitzen zusammen und unterhalten sich leise. Aus manchen Zelten scheint noch schwaches Kerzenlicht. Der Mond am dunkelblauen Nachthimmel schickt seine silbernen Strahlen zu uns herunter. Um die Sichel herum glitzern die Sterne. Unendlich viele. Ich erinnere mich gut an die Zeit als kleines Mädchen. Wenn ich keinen Schlaf finden konnte, begann ich, die kleinen Himmelskörper zu zählen. Die Elben lieben vor allem Earendils Licht. In einer Nacht im Jahr scheint es besonders hell. Lady Galadriel schenkte Frodo eine Phiole mit ebendiesem Licht. Wer weiß, wozu das noch einmal gut sein wird. Leise schlendere ich über das großteils zertrampelte Gras und atme die frische Luft, die mir der kühle Wind um die Nase weht. Plötzlich höre ich gedämpfte Stimmen, die mir ungemein bekannt vorkommen. Instinktiv drücke ich mich in den Schatten.
» Diesen Weg musst du nicht allein bestreiten, Aragorn «, sagt Legolas. Ich schleiche mich etwas weiter vor, um die Besitzer der Stimmen zu sehen. Dort zwischen den Zelten steht Aragorn und sattelt seinen schwarzen Hengst. Bei ihm sind Legolas und Gimli mit einem weißen Pferd.
» Also, wenn ich du wäre, hätte ich wirklich ein schlechtes Gewissen, meine Schwester einfach zurückzulassen «, meint Gimli provokant.
» Du hast vielleicht Recht, aber denke daran, dass wir auch Lucea und Merry zurücklassen «, erwidert Legolas und seufzt.
» Nun gut «, gibt sich Aragorn geschlagen,
» Lasst uns aufbrechen «. Wieder einmal zieht sich mein Herz schmerzhaft zusammen. Seit wir die Leuchtfeuer entdeckt haben, ist noch kein einziges Wort zwischen uns gewechselt worden. Aragorn hatte natürlich auch keine Zeit, aber dennoch ist dieses seltsame Gefühl geblieben. Es ist, als fehle ein Stück meiner Seele. Wieso geht Aragorn einfach? Die Reiter Rohans vertrauen ihm als Heerführer. Und wohin führt ihn sein Weg?
» So etwas sieht euch eigentlich gar nicht ähnlich «, sagt plötzlich jemand und lässt die drei herumfahren. Eine Gestalt löst sich aus den Schatten und tritt zwischen die Pferde. Köcher und Bogen geschultert und den Dolch an der Seite.
» Laladriel, was machst du hier? «, fragt Legolas sichtlich ertappt.
» Fragen, wohin ihr so plötzlich verschwinden wollt «, lautet die prompte Antwort. Die Elbin hat die Arme vor der Brust verschränkt und wartet auf eine Erklärung. Eigentlich will ich das gar nicht wissen. Dennoch lehne ich mich etwas vor. Doch da höre ich das Rascheln von Gewändern und rasche Schritte. Ich fahre herum und husche in die Richtung, aus der ich gekommen bin. Dabei stoße ich beinahe mit einer verhüllten Gestalt zusammen. Beinahe hätte ich aufgeschrien vor Schreck. Einen Moment stehen wir uns so gegenüber, dann schlägt die Gestalt ihre Kapuze zurück und zum Vorschein kommt...
» Elrond? «, frage ich ungläubig. Mein "Großvater" lächelt und legt die Hände auf meine Schultern.
» Ich hatte gehofft, auch dich hier anzutreffen «, sagt er,
» Arwen lässt dich grüßen und möchte wissen, ob du wohlauf bist «.
» Geht es ihr gut? Und Haldir? Ich hörte, er wurde in der Schlacht um Helms Klamm verletzt «, erwidere ich schnell.
» Es geht allen gut «, beruhigt mich Elrond,
» Aber nun muss ich mich verabschieden. Zu lange verweile ich schon hier «. Er haucht mir einen Kuss auf den Scheitel und geht. Bevor ihn die Nacht jedoch verschluckt, dreht er sich noch einmal um.
» Eines noch, mein Kind. Folge deinem Herzen und zögere nicht damit «, sagt er geheimnisvoll und verschwindet endgültig in den Schatten.
Einen Moment verharre ich sprachlos und sehe meinem "Großvater" hinterher. Ich soll meinem Herzen folgen? Was meint er nur damit? Es dauert nicht lange, da verstehe ich. So schnell ich kann laufe ich zu der Stelle, an der vorhin vier meiner Gefährten standen. Nun sind sie nicht mehr da. Mein Herz beginnt zu rasen. In welche Richtung sind sie nur gegangen? Wie von selbst tragen mich meine Füße zwischen den Zelten hindurch, immer weiter hinauf. Da höre ich es. Leises Hufgetrappel. Ich beschleunige meine Schritte und schon sehe ich den weißen Schimmel, den Legolas am Halfter führt. Neben dem Elb marschiert Gimli, die Axt auf den Rücken geschnallt. Laladriel weilt an der Seite ihres Bruders und spricht leise mit ihm. Aragorn und Brego führen die kleine Gruppe an. Je näher ich ihnen komme, desto unruhiger werde ich. Soll ich nach ihnen rufen und riskieren, dass das gesamte Lager aufwacht? Schließlich bin ich keine zehn Fuß mehr hinter ihnen. Etwas weiter vorne erhebt sich die steile Felswand.
» Aragorn, warte! «, rufe ich nun, ohne meine Schritte zu verlangsamen. Der Erbe Isildurs fährt herum und bleibt augenblicklich stehen. Auch die anderen drei halten an und sehen sich an. Ich fliege dem ehemaligen Waldläufer förmlich in die Arme. Er muss meinen Lauf abfangen und legt dazu seine Hände an meine Taille. Fragend sehen mich seine grauen Augen an und mit einem Mal verlässt mich der Mut.
» Ich...kann...dich...nicht... «, stottere ich etwas außer Atem,
» Ich kann dich nicht gehen lassen, ohne dir etwas zu sagen «, widerhole ich. Aragorn sieht mir in die Augen und er lächelt ganz leicht. Ich hole tief Luft und sammle meinen letzten verbleibenden Mut zusammen.
» Ich... «, setze ich an, werde jedoch unterbrochen, denn Aragorn verschließt meine Lippen mit den seinen. Es fühlt sich an, als würde ich von einem Blitz getroffen. Meine Haut kribbelt überall und mir wird abwechselnd heiß und kalt. Ohne auf die anderen zu achten, schlinge ich die Arme um seinen Hals und erwidere den Kuss. Ich habe die Augen geschlossen und spüre, wie mich seine Hände fest an sich ziehen. Diesmal entfernt er sich nicht plötzlich von mir, sondern lehnt seine Stirn vorsichtig an meine.
» Amin mela lle, Lucea «, flüstert er und fängt meinen Blick auf.
» Ich liebe dich auch, Aragorn «, hauche ich so leise, dass wirklich nur er es hören kann. Ein Lächeln umspielt seine Lippen und er streicht sanft einige meiner Haarsträhnen zurück. Ich fühle mich so leicht, als würde ich schweben und zusammen mit den Wolken über den Himmel ziehen. Diesen Moment kann ich nur genießen.
Doch Momente dauern meist nur wenige Wimpernschläge an. So auch dieser.
» Ich muss gehen. Gondor braucht alle Hilfe, die es kriegen kann «, erklärt Aragorn leise,
» Versprich mir, dass du hier im Lager bleiben wirst «. Ich nicke und schlucke den Kloß in meinem Hals hinunter. Jetzt ist nicht die Zeit, um zu weinen. Mir ist bewusst, dass er in den Krieg ziehen muss. Nichts und niemand könnte ihn davon abhalten.
» Dann versprich mir, dass du heil zurückkommst «, erwidere ich. Er legt seine Hände an meine Wangen und seine Lippen auf meine. Dann tritt er einen Schritt zurück, schwingt sich auf Bregos Rücken und dreht sich zu Laladriel um.
» Pass gut auf sie auf «, bittet er. Legolas und Gimli nehmen ihren Platz an der Seite des ehemaligen Waldläufers ein und setzen sich in Bewegung. Ich hebe die Hand zum Abschied, während Laladriel die uralte elbische Geste vollführt. Dann sind sie in der Dunkelheit der Nacht verschwunden. Zurück bleibt das warme Gefühl um mein Herz und das bange um die drei Krieger.
Amin mela lle – Ich liebe dich
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