Die Häuser der Heilung
Der lange Ritt ist anstrengend und ermüdend, was sich die 700 Reiter hinter Fürst Imrahil von Dol Amroth keines Weges anmerken lassen. Es sind stattliche Krieger, die ihrem Herrn überallhin folgen würden. Das erinnert mich an die Gemeinschaft des Ringes. Wir folgten dem Ringträger, Gandalf und schließlich Aragorn. Manche sogar bis in den Tod. Mein Herz zieht sich bei dem Gedanken an jenen Tag bei den Raurossfällen schmerzlich zusammen. Ich weiß nicht, wie es geschehen ist und möchte es auch nicht wissen. Boromir war ein Sohn Gondors durch und durch. Er hätte noch ein glorreiches Leben führen können, stattdessen beschützte er Merry und Pippin. Mehr kann man für seine Freunde nicht tun, kein größeres Geschenk kann man jemandem machen. Ich hoffe so sehr, dass Éowyn und Merry wohlauf sind, dass es Gandalf, Pippin und auch den drei Kriegern gut geht. Wo auch immer sie in diesem Moment sein mögen.
» Es ist eine gewaltige Schlacht, Milord «, die Stimme eines zurückkehrenden Kundschafters reißt mich aus meinen Überlegungen,
» Mordors Armee ist größer als wir glaubten. Unter den dunklen Kreaturen sind auch Trolle und Haradrim auf Olifanten «.
» Außerdem kreisen Flugechsen mit ihren scheußlichen Reitern über ihnen «, berichtet der zweite Kundschafter. Die Angst steht ihm ins Gesicht geschrieben.
» Nazgûl! «, knurrt der Fürst und ballt die Hände um die Zügel zu Fäusten. Einige Wimpernschläge scheint er abwesend und starrt ins Leere.
» Wie steht es um die Streitmächte Rohans und Gondors? «, fragt er dann und hebt ruckartig den Kopf, was die Federn auf seinem Helm durcheinanderwirbeln lässt.
» Gondors Heer verteidigt die Stadt von Minas Tirith aus, Sire. Auf dem Pelennor schlägt Rohan eine Bresche durch die Orkmassen und hält das Tor frei «, erklärt der eine.
» Dann verlieren wir keine Zeit «, bestimmt Fürst Imrahil und fügt mit einem Seitenblick auf mich hinzu,
» Ihr müsst irgendwie zum Tor gelangen. Das dunkle Gezücht darf nicht in den ersten Ring der Stadt eindringen, wenn es sich irgendwie verhindern lässt. Fällt der erste Ring, werden auch die anderen bald fallen. Ich hoffe nur, die Bewohner bringen sich in Sicherheit «. Ich nicke schweigend. Mir ist voll und ganz bewusst, dass viele ihr Leben dafür riskieren werden, damit ich durch das Tor komme. Beinahe will ich schon einen Rückzieher machen, zurückreiten und mein Wort gegenüber Aragorn halten, doch bei dem Gedanken an all die Menschen, denen ich vielleicht helfen kann, rühre ich mich nicht vom Fleck. Jetzt ist Zeit zu handeln, ohne die möglichen Konsequenzen zu beachten. Jetzt oder nie. Ich dürfte mich keine 'Heilerin' mehr nennen, wenn ich jetzt umkehren würde. Eine Heilerin hat keine Angst vor dem Tod, sie steht ihm stets gegenüber und manchmal versperrt sie seinen Weg. In diesem Krieg wird er genügend Seelen fortbringen können, doch ich will mein Möglichstes tun, den Verletzten zu helfen. Vielleicht hat Lady Galadriel das gemeint. Mein Ziel ist noch ungewiss. War ungewiss. Es gibt kein Zurück mehr, nur ein Geradeaus.
Die Sonne neigt sich dem Horizont zu als wir die Felder des Pelennor erreichen. Es scheint beinahe, als schicke der warme Himmelskörper seine letzten Strahlen als stille Helfer, um uns den Rücken zu stärken. Die Rüstungen der Krieger von Dol Amroth glänzen und das Licht bricht sich in den blanken Schilden und gezogenen Klingen. Der Fürst formiert sein Heer auf einer Hügelkuppe nahe den Mauern der Stadt neu.
» Sobald wir vor uns vor dem Tor befinden, werdet Ihr dorthin reiten. Nehmt keine Rücksicht auf die Krieger, blickt nicht zurück, haltet Euch nicht zu lange in den unteren Ringen auf «, erklärt Fürst Imrahil mit eindringlicher Stimme.
» Ich danke Euch «, sage ich und neige gehorsam den Kopf, dann überqueren wir den letzten Hügel, der uns vom Schlachtfeld trennt. Die Reiter senken ihre Lanzen und halten ihre Schilde schützend vor sich. Zunächst bewegen sich die Pferde noch zaghaft vorwärts, dann immer schneller. Als ich einen Blick über die Helme hinweg auf das Getümmel erhaschen kann, stockt mir der Atem und mein Blut scheint mir in den Adern zu gefrieren. Ich habe noch nie so viel Leid, Schmerz und Tod an einem Ort gesehen. Überall sehe ich Männer um ihr Leben kämpfen. Die meisten von ihnen tragen das Wappen Rohans, doch auch Soldaten Gondors sind unter ihnen. Gruppen von Orks werden von den Pferden der Mark niedergeritten und diese wiederum von riesigen Kreaturen mit dicker, grauer Haut, großen Ohren und einem langen Rüssel. Olifanten! Auf ihren Rücken sitzen Haradrim und lassen ihre Pfeile auf die Kämpfenden regnen. Die Gesichter der Südmenschen sind beinahe ganz verhüllt. Nur die Augen blitzen unter den Tüchern hervor. Eine Welle der Angst schwappt über mich hinweg und meine Hände klammern sich krampfhaft an die Zügel meines Pferdes. Die Orks bemerken uns nicht so schnell, da der Fürst kein Horn hat blasen lassen. Deshalb hat der Fein keine Zeit, sich zu formieren und geschlossen anzugreifen. Von meinem Platz aus habe ich kaum Sicht auf die Geschehnisse um mich herum. Um ehrlich zu sein, bin ich froh darum. Die Reiter von Dol Amroth umgeben mich wie ein lebender Schild. Die Pferde galoppieren eng beieinander, etwa eine Handbreit bleibt zwischen den einzelnen Tieren frei. Der Fürst führt seine Mannen quer über das Feld des Pelennor, direkt auf das Tor und die Linie von Rohirim zu, die den hohen Bogen vor den dunklen Kreaturen schützen. Doch sein Manöver wird vereitelt, denn ein Olifant wendet sich von seiner Gruppe ab und trampelt direkt auf uns zu.
» Teilt euch! «, ruft Fürst Imrahil und deutet auf das riesenhafte Tier. Der Reiter auf dem überdimensionalen Kopf wirkt vergleichsweise winzig. Die Soldaten leisten dem Befehl ihres Anführers sofort Folge. Fünf von ihnen nehmen mich in ihre Mitte und halten weiterhin auf das Tor zu. Ich starre einfach nur dieses Ungetüm an und denke, dass sie niemals eine Chance dagegen haben werden. Es ist seit jeher bekannt, dass Haradrim grausame und gefürchtete Gegner sind. Zusammen mit Orks und Uruk-hai ergibt das eine schreckliche Mischung.
Nun ist das Tor nicht mehr weit entfernt. Uns trennt nur noch der tote Körper einer dieser großen, schwarzen Flugechsen. Bisher habe ich es weitestgehend vermieden, auf den Boden zu sehen. Ich fürchte den Anblick der vielen Gefallenen, deren Glieder meist seltsam verdreht und mit Blut bespritzt sind. Neben ihnen liegen ihre Pferde. Das Fell zerzaust und klebrig von Blut und Schweiß. Die tapferen Tiere begleiten ihre Herren bis zum Ende. Dazwischen liegen die Körper von Orks. Ihre Gesichter sind zu grässlichen Fratzen verzogen und das dickflüssige, dunkelrote, fast schwarze Blut sickert langsam in die Erde. Die Flugechse hat die Flügel ausgebreitet und ihre Beine sind zur Seite weggeknickt. Der lange Hals endet in einem Stumpf, der Kopf fehlt. Ein einst schneeweißes Pferd hat einen Reiter unter sich begraben. Als wir daran vorbeireiten, erkenne ich das Gesicht des Toten. König Théodens Augen sind geschlossen und aus seinem Mundwinkel läuft Blut. Das Wappen Rohans auf seiner Rüstung leuchtet jedoch noch immer. Er war ein guter König. Gütig und von seinem Volk geliebt. Ich habe ihn nicht gut gekannt, aber gut genug, um das zu wissen. Mein Blick fällt auf die Gestalt neben ihm und mein Herz setzt einen Schlag aus. Lange, strohblonde Haare verdecken das Gesicht, doch ich weiß auch so, wer da liegt. Ich zügle mein Pferd, doch meine Begleiter drängen mich weiter.
» Wartet, das ist die Schildmaid Rohans! Wir müssen ihr helfen! «, meine Stimme klingt verzweifelt. Einer von ihnen sieht mich einen Moment an, dann nickt er zweien seiner Leute zu und die beiden ziehen Éowyn auf ein Pferd. Sie bewegt sich nicht. Wenn sie tot ist, bin ich schuld! Ich hätte sie nicht gehen lassen dürfen! Ich hätte nicht zulassen dürfen, dass sie mit ihrem Onkel und ihrem Bruder mitreitet! Ich hätte wissen müssen, dass...ja, was? Éowyn kann mit dem Schwert umgehen, sie ist mutig und bereit, für ihr Volk alles zu geben. Der nächste Gedanke trifft mich wie ein Schlag. Wo ist Merry? Er saß mit der Blonden auf dem Pferd. Wo ist der Hobbit? Suchend lasse ich meine Augen über das Schlachtfeld wandern. In der Hoffnung, den Halbling irgendwo zu entdecken. Doch was erwarte ich? Ihn irgendwo liegen zu sehen? Oder in einen Kampf verwickelt?
» Milady, schnell! «, sagt einer der Männer und deutet auf das Tor. Wir treiben die Pferde an und reiten geradewegs nach Minas Tirith hinein. Nur der Mann, der Éowyn bei sich hat, kommt mit mir. Die anderen sorgen dafür, dass kein Ork durch den Spalt in die Stadt eindringen kann. Wie mir Fürst Imrahil geraten hat, lasse ich die ersten Ringe schnell hinter mir. Die Häuser der Heilung befinden sich im sechsten Ring, nahe der Zitadelle und dem Schloss.
Schon von weitem erkenne ich die Hektik der Leute, die ein und aus eilen. Wachen tragen ihre verletzten Kameraden hinein, andere heraus. Etliche Tote werden mit weißen Tüchern zugedeckt und fortgeschafft. Beim Näherkommen entdecke ich einige Heilerinnen und Heiler mit blutbespritzen Gewändern, die mit Armen voller Fläschchen und Kräuterbündeln herumlaufen. Ich rutsche vom Rücken meines Pferdes, streiche ihm kurz über den Hals und helfe dem Krieger, Éowyn zu tragen.
» Was ist mit ihr geschehen? «, fragt eine kleine Frau. Um ihren Kopf ist ein Tuch geschlungen, um ihr die grauen Haare aus dem Gesicht zu halten. Sie leitet uns durch den weitläufigen Raum voller Lagerstätten weiter nach hinten, wo nur noch wenige Plätze frei sind.
» Ist dies jenes Mädchen, von dem es heißt, es habe den Hexenkönig und seine Flugechse getötet? «, fragt die Heilerin weiter. Sie scheint ja bestens informiert zu sein. Mich hingegen verwirren ihre Worte. Éowyn soll den Hexenkönig von Angmar getötet haben? Den obersten der neun Nazgûl?
» Hier spricht sich alles rasch herum. Die Bewohner der unteren Ränge fliehen in die höheren und jeder weiß, was draußen vor sich geht «, erklärt die Frau und wirft mir einen flüchtigen Blick zu. Der Soldat legt die Schildmaid auf einem Lager ab, neigt den Kopf und entfernt sich mit raschen Schritten. Ich beobachte die Heilerin, die flink ihre Arbeit tut. Die Geräusche um mich herum scheinen meinen Verstand zu benebeln. Schreie der Verwundeten, gerufene Anweisungen, eilige Schritte, das Rascheln von Tüchern. Dazu mischt sich der dampfartige Geruch, der das ganze Haus zu füllen scheint. Es riecht nach Kräutern, was alles andere überlagert.
» Wollt Ihr wirklich hierbleiben, Kind? «, fragt die Frau ohne aufzusehen.
» Ich...ja, vielleicht kann ich helfen. Ich bin selbst Heilerin «, erwidere ich.
» Oh, gut, wir können hier jede Hilfe gebrauchen. Ich bin übrigens Loreth. Das dort in dem langen weißen Gewand ist der Vorsteher dieser Häuser, Simuel, und neben ihm unser Kräutermeister, Finian «, erklärt sie,
» Sie geben hier meist Anweisungen. Also meldet Euch am besten bei ihnen. Ich kümmere mich schon um Eure Freundin «. Ich nicke nur und sehe noch einen Moment zu wie sie Éowyn die Rüstung abnimmt und eingehend untersucht. Dann wende ich mich ab und steuere auf die beiden Männer zu. Beide scheinen bereits viele Winter zu zählen. Doch Während Simuel recht groß gewachsen ist, ist Finian von eher kleinerer Statur. Beide tragen lange Bärte, haben aber nur wenige Haare. Um die langen Gewänder schlingen sich Gürtel, an denen ganze Kräuterbündel hängen. Finian entdeckt mich zuerst und lächelt müde.
» Was kann ich für Euch tun, junge Frau? «, fragt er und zerdrückt ein Salbeiblatt zwischen den Fingern.
» Ich soll mich bei Euch melden «, sage ich,
» Ich bin eine Heilerin von Bruchtal «.
» Hervorragend, wir haben jede geübte Hand dringend nötig «, meint Simuel und blickt zu seinem Kollegen,
» Ich denke, Ihr bedürft keiner weiteren Anweisungen. Solltet Ihr Kräuter benötigen, schickt eine der anderen Frauen. Sie wissen genau, wo was gelagert wird «. Damit wendet er sich auch schon dem nächsten Patienten zu, während sich Finian in das Mischen einer Salbe vertieft. Etwas unsicher bewege ich mich auf ein Lager zu und beginne mit meiner Arbeit.
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