Angst
~Lucea~
Unsere Fahrt dauert mehrere Tage, denn der Weg bis zu den Raurossfällen ist weit. Unsere Vorräte werden lange reichen. Das Lembas stillt den Hunger hervorragend. Selbst, wenn man nur einen kleinen Bissen davon nimmt. Ich sitze ganz vorne in unserem Boot, Sam hinter mir und Aragorn paddelt. Die anderen drei Kanus treiben neben uns dahin. Der Anduin bewegt sich ruhig, aber zügig. Schwimmend könnte man ihn nicht durchqueren, die Strömung würde dich fortreißen. Die beiden Elben drehen immer wieder die Köpfe, als würden sie etwas hören, das uns anderen verschlossen bleibt. Doch ich frage nicht nach. Alles in allem verhalte ich mich still, helfe, wenn ich kann, und sehe ab und zu nach den Wunden der Gefährten. Als wir die Argonath, die Säulen der Könige am Ufer des Flusses, erreichen, sehe ich ehrfürchtig zu den in Stein gemeißelten Gesichtern der vergangen Könige Gondors auf. Die mächtigen Statuen sind viele Fuß hoch und wurden links und rechts am Rande einer Schlucht errichtet, durch die der Anduin fließt. Hinter den eindrucksvollen Gebilden verbreitert sich der Fluss und stürzt in einem Wasserfall tief hinab. Wir ziehen die Boote am westlichen Ufer an Land. Aragorn möchte den See bei Einbruch der Dunkelheit überqueren, um den Orks zu entgehen. Wir holen nur etwas Proviant aus den Booten und entfachen ein kleines Feuer. Bis zum Abend müssen noch einige Stunden vergehen, in denen wir uns etwas ausruhen können. Frodo und ich machen uns auf den Weg, um etwas Holz zu sammeln. Der Wald lichtet sich nach dem Dickicht am Ufer zusehends und die Baumkronen lassen viel Licht durch. Ich hoffe, ich finde etwas Athelas. Dies ist das einzige Kraut, das die Elben nicht auf Vorrat gelagert haben. Die blauen Blüten der Pflanze blühen im Herbst. Außerdem ist der süßlich-scharfe Duft des Krauts nicht zu verwechseln. Es wächst bevorzugt verborgen unter Sträuchern und zwischen den Wurzeln der Bäume. Bald haben wir eine erkleckliche Menge Holz beisammen.
» Ich mach das schon, dann kannst du noch nach dem Kraut suchen «, bietet Frodo freundlich an und nimmt mir meinen Teil Holz ab. Ich lächle ihm dankbar zu und steige den Hügel weiter hoch. An der Kuppe habe ich dichtes Strauchwerk entdeckt. Tatsächlich finde ich darunter einige Büschel Athelas. Ich zupfe ein paar der langen Blätter aus und verstaue sie sicher in meiner Tasche. Anschließend trete ich aus dem Wald heraus. Vor mir liegt eine weitläufige Wiese, die rundum von Bäumen eingeschlossen wird. Doch das andere Ende liegt etliche Fuß entfernt. Am linken Rand der Wiese erhebt sich eine seltsame Felsformation. Neugierig gehe ich darauf zu. Es scheint eine Art Pavillon zu sein. Zwischen den Säulen führt eine Treppe auf das Dach hinauf.
Plötzlich bleibe ich wie angewurzelt stehen. Ich habe vorher schon einen kurzen Ruf gehört. Jetzt höre ich einen weiteren. Doch da ist noch etwas. Viel näher. Dumpfes Getrampel von plumpen Füßen und heiseres Brüllen. Noch ist es so weit entfernt, dass ich nichts sehen kann, aber die Geräusche kommen näher. Instinktiv gehe ich hinter einem Findling mitten auf der Wiese in Deckung. Neben dem großen Stein ragen einige Tannen hoch, die mir zusätzlichen Schutz bieten. Mein Kopf füllt sich mit Fragen. Wovor werde ich Schutz brauchen? Sind es diese Uruk-hai, die uns verfolgen? Ist es eine Gruppe Orks von Sauron? Wo sind die anderen? Als wäre dies sein Stichwort, höre ich Aragorns Stimme nach Frodo rufen. Ohne lange nachzudenken, stehe ich auf und sehe mich um. Der Hobbit steht zwischen den Säulen des Pavillons, Aragorn neben ihm. Auch sie hören das Geräusch herannahender Gefahr. Schnell laufe ich auf die beiden zu. Aragorn wirbelt zu mir herum. Er hat sich hoch aufgerichtet und scheint angestrengt zu lauschen. Nach einigen Augenblicken wendet er sich mir zu.
» Lucea, nimm Frodo und lauf so schnell du kannst zum Ufer hinunter «, ordnet er an. Als ich nicht sofort reagiere, setzt er nachdrücklich hinzu
» Sie kommen! «. Mit schreckgeweiteten Augen starre ich ihn an. Es sind also wirklich die Uruk-hai!
» Ich kann dich hier doch nicht allein lassen... «, sage ich.
» Lauft! «, ruft Aragorn und diesmal gehorche ich sofort. Mit einem letzten Blick auf ihn und einem höchst unangenehmen Gefühl im Bauch packe ich Frodos Hand und wir rennen los. Sobald wir den Waldrand hinter uns gelassen haben, höre ich Kampfeslärm. Metall, das auf Metall schlägt. In unserer Hektik rutschen wir fast den Hügel hinunter. Die trockenen Blätter unter unseren Füßen scheinen mir unendlich viel Lärm zu machen. Kurz darauf nehme ich Stampfen hinunter uns wahr. Sie verfolgen uns! Schnell verstecken wir uns hinter einem dicken Baum, um einen Moment Atem holen zu können. Meine Seite schmerzt und ich presse meine Hand gegen meine Rippen. Frodo lehnt sich an die Rinde des Baumstamms und atmet rasselnd ein und aus. Das Stampfen kommt näher. Ich beuge mich leicht zur Seite, um besser sehen zu können. An der Hügelkuppe tauchen Orks auf. Es sind keine herkömmlichen Orks. Diese Exemplare sind mannshoch und viel muskulöser. Jeder von ihnen trägt den Abdruck der weißen Hand. Entweder am Kopf, am Hals oder auf der Brust. Blanke Angst durchströmt mich, meine Knie und Hänge beginnen zu zittern. Ich möchte am liebsten einfach loslaufen und mich in den Fluss stürzen. Nur weg von diesen Kreaturen. Jedoch würde uns solch kopfloses Handeln nur noch mehr in Schwierigkeiten bringen. Da fällt mein Blick auf einen hohlen Baumstamm, hinter dem zwei Köpfe hervorragen.
» Merry, Pippin! «, hauche ich. Die beiden winken uns wild, zu ihnen zu kommen. Ich schüttle den Kopf und nicke zu den näherkommenden Uruks. Frodo neben mir scharrt unruhig mit dem Fuß und blickt zu Boden. Ich kann Merry und Pippin nicht einfach dort oben lassen. Die Uruks werden sie finden. Doch Aragorn hat mir ausdrücklich befohlen, Frodo in Sicherheit zu bringen. Zum Ufer des Anduin! Frodo ist als der Ringträger in dieser Gemeinschaft der wichtigste und gleichzeitig schutzbedürftigste. Meine Gedanken drehen sich im Kreis und unentschlossen sehe ich zwischen Frodo und den anderen beiden hin und her. Währenddessen nähern sich diese Ungetüme immer mehr.
In diesem Moment nehmen mir Merry und Pippin die Entscheidung ab. Sie springen aus ihrem Versteck hervor, rufen laut
» Hier sind wir! Hier! Hee, ihr blinden Maulwürfe, fangt uns doch, wenn ihr könnt! «. Merry bedeutet mir mit der Hand hinter dem Rücken, zu rennen. Möglichst im Schutz der Bäume zerre ich Frodo weiter. Das Ufer kommt näher und endlich erreichen wir es. Ich schließe die Augen, um die Schreie auszublenden. Ich muss jetzt an Frodo denken, an die Zukunft Mittelerdes. Das ist einfach gesagt, als getan. Frodo beginnt, ein Boot ins Wasser zu schieben. Ich helfe ihm so gut wie möglich. Die Angst sitzt mir noch immer im Genick und mein Herz bleibt einen Moment stehen, als plötzlich jemand durch das Gebüsch bricht. Meine Hand zuckt zu meinem Dolch. Bereit, jederzeit zuzustechen. Erleichtert erkenne ich Sam vor mir. Ohne etwas zu sagen, helfe ich ihm ins Boot. Frodo ist bereits hinein geklettert. Ich schiebe das Kanu noch weiter hinaus. Die Hobbits starren an mir vorbei.
» Vorsicht! «, ruft Sam noch, da werde ich plötzlich grob zurückgerissen. Ich taumle und platsche ins Wasser. Über mir steht einer der Uruks. Warum habe ich ihn nicht kommen hören? Zunächst hebt die Kreatur das Schwert, hält jedoch Inne und stiert auf das Boot mit den beiden Halblingen. Ich nutze diese Gelegenheit, springe auf und zücke meinen Dolch. Bevor der Ork reagieren kann, habe ich seine Kehle durchtrennt. Gänsehaut breitet sich auf meinem Körper aus. Blut an sich macht mir nichts mehr aus, aber das hier schon. Es ist widerlich! Dickflüssig, klebrig und so dunkelrot, dass es beinahe schwarz wirkt. Damit kann ich mich nicht länger aufhalten. Weitere Uruk-hai stürmen nun aus dem Wald. Eine Flucht ist für mich nicht mehr möglich.
» Schnell! «, rufe ich Frodo und Sam zu,
» Bringt euch in Sicherheit! «. Die Uruks umzingeln mich mit gezückten Waffen. Einer von ihnen schlägt mir den Dolch aus der Hand. Ein anderer versetzt mir einen Tritt, sodass ich in die Knie gehe. Still verharre ich, halb im Wasser, halb an Land. Der Dolch liegt vor mir. Blut tropft von meiner Hand neben die Klinge und versickert in der Erde. Ich fühle den Schmerz kaum. Abwesend hebe ich die Augen und sehe noch wie ein weiterer Uruk seine Axt hebt. Ich will nicht sehen wie er mich tötet. Ich muss es erwarten, aber ich will nicht sehen wie die Waffe auf mich niedersaust. Meine letzten Gedanken gelten Frodo und Sam, die sich nun allein auf die Reise nach Mordor machen müssen. Wie können zwei kleine Hobbits das nur schaffen? Ich frage mich, ob es den anderen gut geht. Haben die Uruks Merry und Pippin erwischt? Was ist mit den beiden Elben, Boromir und Aragorn? Leben sie? Vermutlich werde ich es nie mehr erfahren...
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