Zwei
I could be cold, I could be ruthless
You know I could be just like you
~ "Just like you" by Three Days Grace ~
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Als Ginny am nächsten Tag das Ministerium betrat, merkte sie sofort, dass die Leute sie ansahen. Und zwar mehr als gestern. An sich wäre das nicht so ungewöhnlich gewesen, aber die Art, auf die sie das taten, machte sie nervös.
Schon wieder ging ein Reporter an ihr vorbei, schoss ein Foto und verschwand dann nach einem letzten missbilligenden Blick.
Allgemein wurde sie gemieden als hätte sie eine hochansteckende Krankheit. Jemand, der ihr eben noch entgegengekommen war, drehte sich bei ihrem Anblick einfach um und ging zurück in die Richtung, aus der er gekommen war.
Ihr Gesicht brannte und sie begann zu schwitzen. Verunsichert sah sie an sich herunter. Hatte Albus etwa schon wieder auf ihre Schulter gespuckt und sie hatte es nicht bemerkt? Aber nein, heute war ihre Kleidung tadellos. Sie hatte sich dieses Mal für einen dunkelblauen schlichten Blazer mit einem rosafarbenen Hemd darunter entschieden und auch die schmucklose Hose mit Bügelfalte würde sie nicht unbedingt als Fehlgriff bezeichnen. Eigentlich passte sie vom Kleidungsstil her sehr gut ins Gesamtbild.
Der Weg in die Aurorenzentrale kam ihr mindestens doppelt so lang vor wie gestern. Das letzte Stück legte sie in einem atemberaubenden Tempo zurück, als wäre der Teufel hinter ihr her.
Als sie mit einem unguten Gefühl in der Magengegend die Tür öffnete, stand plötzlich William Twist vor ihr und sah sie mit riesigen Augen an.
„Was?", fauchte sie gereizt und wollte sich einen Weg an ihm vorbei bahnen, doch er antwortete ihr wider Erwarten:
„Ist es wahr, dass Sie Harry Potter betrogen und ins Koma geschickt haben, als er es rausgefunden hat?"
„Wie bitte?", entfuhr es ihr. Fassungslos starrte sie den jungen Auror an, der mit jeder Sekunde mehr einem verschreckten Reh glich. „Nein, nein!" Sie schüttelte heftig den Kopf. „Habe ich nicht! Wer erzählt sowas?"
Sie linste an Twist vorbei und erhaschte gerade noch einen Blick auf Astoria, die sich gerade gehässig lächelnd zu Pansy vorbeugte, um ihr etwas ins Ohr zu flüstern.
Binnen einer Sekunde war Ginny vor Wut am Kochen. „Aus. Dem. Weg."
William ergriff die Flucht.
Derweil stapfte sie vor Zorn bebend zu Astorias Schreibtisch und stützte sich mit beiden Händen darauf ab, um ihrer Kollegin nicht an Ort und Stelle eine zu scheuern. „Mrs Malfoy. Auf ein Wort."
Betont unschuldig mit den Wimpern klimpernd, folgte ihr die brünette Hexe aus dem Raum. „Was ist denn? Stimmt etwas nicht?"
Ginny knallte die Tür zu, um neugierige Augen und Ohren davon abzuhalten, allzu viel mitzubekommen. Sie funkelte die andere an. „Gehe ich richtig in der Annahme, dass das neueste Gerücht von Ihnen stammt?"
„Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen", behauptete Astoria und lehnte sich entspannt an die Wand. „Was soll ich mit Ihrer Affäre zu tun haben?"
Man konnte ihr nichts nachweisen und das wussten sie beide. Ginny hätte schreien können.
Und so kehrten sie, ohne zu einem echten Ergebnis gekommen zu sein, in die Zentrale zurück. Astoria trug ein genervtes Lächeln zur Schau und verdrehte die Augen, als die fragenden und teils sogar besorgten Blicke ihrer Kollegen sie trafen.
Ginny war zu warm, am liebsten wäre sie an die frische Luft gegangen. Stattdessen blieb ihr als einzige Option, das Fenster am anderen Ende des Raumes zu öffnen. Susan hatte sie ignoriert, als Ginny sie darum gebeten hatte. Langsam war sie wirklich kurz davor, vor allen Auroren Londons in Tränen auszubrechen. Doch sie wusste, dadurch würde sie nur an Autorität verlieren, und daher riss sie sich zusammen und verteilte die Aufträge. Die Auroren, die sie ansprach, behandelten sie seltsam und dieses Mal wusste sie auch, warum. Nicht, dass es die ganze Sache erträglicher machen würde.
Sie konnte nicht fassen, dass Astoria das wirklich getan hatte. Wie konnte man nur so gemein sein? Hatte Astoria denn kein Gewissen? Und was bei Merlin hatte Ginny ihr getan, dass sie sie so hasste? Diese Gedanken drehten sich in ihrem Kopf, während sie mal wieder nichts anderes tat, als Protokolle entgegenzunehmen und Emelys Arbeit zu machen.
Die Zeit bis zur einsamen Mittagspause überstand Ginny knapp, ohne einen Nervenzusammenbruch zu erleiden. Doch dann saß sie alleine an ihrem Pult und fühlte sich einfach nur noch mies. Weil sie es nicht mehr aushielt, ging sie schließlich raus und kaufte sich in einem überteuerten Kiosk eine Packung Zigaretten inklusive Feuerzeug.
Sie war genau genommen keine richtige Raucherin, aber in ihrer Zeit bei den Holyhead Harpies hatte sie sich auf Partys und nach Spielen manchmal eine Zigarette geschnorrt. Als ihr erstes Kind auf dem Weg war, war damit natürlich Schluss. Eigentlich wollte sie auch nicht wieder anfangen, aber gerade war ihr danach.
Sie kehrte wieder zurück ins Gebäude zurück und nahm den Fahrstuhl, um auf die Dachterrasse zu gelangen. Dort war niemand. Sie lehnte sich ans metallene Geländer und sah auf London hinab, während sie eine Zigarette aus der mit einem verstörenden Bildchen bedruckten Schachtel nahm und anzündete. In ihrer Kehle saß ein dicker Kloß und der beißende Rauch machte es nicht besser, weshalb sie die Zigarette bereits nach einer Minute auf dem Aschenbecher neben der Tür ausdrückte.
Und dann stand sie nur noch da und weinte. Sie überzog die Pause. Als sie schon eine Viertelstunde darüber war, musste sie einen Glamour-Zauber auf ihr Gesicht legen, weil ihre Augen verquollen und rot aussahen und ihr Gesicht fleckig. Vom komplett verwischten Makeup ganz zu schweigen.
Kaum in der Aurorenzentrale zurück, nahm sie eine Memo entgegen, die einen Anschlag in Südlondon meldete. Sie wusste, es war falsch, aber dennoch rief sie Astoria zu sich. „Für Sie." Sie hielt ihr die Memo unter die Nase.
Astoria zog eine Augenbraue hoch. „Welches Team haben Sie mir zusammengestellt?"
Ginny lächelte süßlich. „Gar keins. Sie müssten dieser Aufgabe doch auch allein gewachsen sein."
Die andere Hexe starrte sie entsetzt an. „Aber..."
Sie klopfte ihrer ehemaligen Mitschülerin gespielt freundlich auf die Schulter. „Ich habe Vertrauen in Ihre Fähigkeiten."
Mit einem letzten fassungslosen Blick eilte Astoria davon.
Die restlichen Missionen verteilte Ginny wie gewohnt. Zum Glück schien zur Abwechslung mal niemand etwas vom kleinen Eklat mitbekommen zu haben.
Zwar redete sie sich ein, dass es egal war, dennoch zitterte sie innerlich. Sie hatte tatsächlich soeben jemanden alleine in eine lebensgefährliche Situation geschickt. Natürlich war das Astorias Job, aber ohne Rückendeckung... Wenn ihr etwas passierte, war das Ginnys Schuld. Und, sosehr sie die jüngere der Greengrass-Schwestern auch hasste, das wollte sie nicht. Bleich und ein wenig zittrig sah Ginny im Abstand einer halben Minute immer wieder zur Tür, doch Astoria ließ sich nicht blicken. Ihre Nervosität stieg. Sollte sie ihr nicht noch ein Team hinterherschicken? Aber dann würde sie ihr Gesicht, ihre Autorität verlieren. Andererseits konnte Astoria einen Strick daraus drehen, wenn sie es nicht tat... Sie vergrub das Gesicht in den Händen. Niemand fragte, ob alles in Ordnung sei.
Eine Stunde später war Astoria wieder da. Unversehrt, aber unglaublich wütend, stampfte sie an Ginny vorbei, ignorierte deren erleichtertes Aufseufzen und ließ sich wenig graziös neben ihre Schwester Daphne auf einen Stuhl fallen, nur um sich mit ihr in eine geflüsterte Hasstirade hineinzusteigern.
Von da an fiel es Ginny wieder leichter, die Aufträge zu verteilen. Astoria war wie eine Kakerlake – sie war nicht leicht umzubringen. Und leider ebenso hartnäckig, wenn es um Rache ging. Ginny kam sich vor wie im Kalten Krieg, als sie merkte, was die andere schon wieder gegen sie angezettelt hatte.
Sie merkte erst, dass etwas nicht stimmte, als ihr drei Mal hintereinander gemeldet wurde, dass ein Auftrag nicht erfüllt werden konnte.
Was tat man in so einer Situation? Harry war so etwas garantiert noch nie passiert. Sollte sie es ansprechen?
Als Susan Bones mit ihrem Team, bestehend aus Twist, Padma Patil und einer blonden Frau in mittleren Jahren, deren Name Ginny partout nicht einfallen mochte, ihr mit einem entschlossenen Ausdruck im Gesicht mitteilte, dass auch ihre Mission nicht geglückt war, atmete Ginny tief durch. Einen Nervenzusammenbruch konnte sie jetzt nicht gebrauchen. Sie musste etwas sagen. Die Truppe wollte sich schon abwenden und ihre Protokolle ausfüllen, da hielt Ginny sie auf.
„Stopp", sagte sie und packte Padma am Arm. Dass ihr Griff zu fest war fiel ihr erst auf, als sie in Padmas schreckgeweitete Augen sah. „Entschuldige."
Sie ließ sie los.
Die Inderin machte einen Schritt von ihr weg.
„Sind alle da?", wollte Ginny möglichst unberührt wissen und ließ ihren Blick durch die Zentrale schweifen, ohne wirklich etwas zu sehen.
„Ja, Ma'am", antwortete die blonde Frau, in einem Ton, der es ihr unmöglich machte, sich nicht wie ein Kriegsoffizier zu fühlen.
„Gut." Ginny überlegte, ob sie sich setzen sollte, um nicht so bedrohlich zu wirken, wie sie es offensichtlich tat, seit alle dachten, sie hätte ihren allseits geliebten Ehemann betrogen und anschließend in ein immer noch währendes Koma versetzt. „Was ist hier los? Warum musste ich wiederholt hören, dass Aufträge misslungen sind?"
Susan war es diesmal, die sich zu Wort meldete: „Wir streiken."
Ginny hatte es sich schon gedacht, dennoch war es wie ein Schlag in die Magengrube. „Ist es meine Schuld? Ich weiß nicht, was ihr alles sonst noch über mich gehört habt, aber nichts davon ist wahr."
„Schön wär's", sagte Daphne verächtlich. „Aber dass Sie Astoria alleine zu einem Anschlag geschickt haben war unverantwortlich. Und lässt Sie in keinem besonders guten Licht dastehen."
„Es tut mir leid." Hitze war in Ginnys Wangen gestiegen und sie war sich sicher, dass sie mittlerweile große Ähnlichkeit mit einer Tomate aufwies.
„Das macht jetzt auch nichts mehr aus", meinte Emely Fraser. „Wir verweigern Ihnen den Gehorsam, Mrs. Potter. Die Londoner Aurorenzentrale bleibt untätig, bis die Ministerin das einsieht. Das können Sie ihr gerne persönlich mitteilen, denn wir gehen jetzt."
Knappe zwei Minuten später war außer Ginny niemand mehr da. Das musste ein Albtraum sein. Denn wenn das hier real war, würde Hermine sie bald ersetzen lassen müssen und dann wäre Harry seinen Job los. Ein Schluchzer entrang sich ihrer Kehle. Sie war sich sicher, noch nie so viel geweint zu haben wie in den letzten Tagen.
Als die nächste Memo eintraf, überlegte sie, sich selbst darum zu kümmern. Doch sie war geistig und zu ihrem Leidwesen auch körperlich in einer zu schlechten Verfassung, als dass sie gegen Verbrecher hätte kämpfen können. Wann war ihr letztes Duell gewesen? In ihrem letzten Hogwartsjahr? Sie war komplett außer Form. Sie war das, wovon sie damals noch optimistisch gedacht hatte, dass Astoria es werden würde: eine Hausfrau. Nicht mehr und nicht weniger. Beruflich hatte sie nur als Sportlerin wirklich etwas erreicht, aber das war nun auch schon Jahre her.
Sie fühlte sich wie ein Mann in der Midlifecrisis.
Ginny lauschte dem Ticken der Wanduhr. Es hatte sie nie gestört, aber gerade fand sie es einfach nur frustrierend, dass so oft dieses Geräusch kam und der Zeiger sich trotzdem nur um einen winzigen Grad weiterbewegte.
Um sich zu beschäftigen, überlegte sie schon mal, was sie Hermine sagen würde. Die nackte Wahrheit wohl kaum. Da würde ihre beste Freundin vermutlich wieder in alte Schülerinnenmuster verfallen und ihr eine Standpauke halten, die sich gewaschen hatte.
Doch als sie mit Knien aus Wackelpudding und dem verdächtig flachen Stapel Protokolle schließlich vorm Ministerbüro stand und anklopfte, antwortete niemand. Kurzentschlossen öffnete sie die Tür.
Tatsächlich war Hermine nicht da.
Ginny legte die Protokolle auf den Schreibtisch. Sie nahm sich ein Post-It und schrieb mit einem aus Hermines Stifteköcher stibitzten Kugelschreiber eine kurze Notiz darauf.
Tag ist nicht so gut gelaufen, die Auroren streiken. Ich sollte wohl besser nicht wiederkommen. Sorry, das wollte ich nicht.
Sie klebte das Post-It auf den Protokollstapel und ließ diesen auf der Arbeitsfläche, damit Hermine nicht lange suchen musste.
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