α
Der sanfte Regen schmeckte wie Sommer auf meinen rauen Lippen, ein fremd gewordener Geschmack von Wiedergeburt und Frische, der meinem ausdörrten Körper einen Tropfen neuen Lebens einhauchte. Es musste der erste Regen seit vielen Jahren sein, der nicht von schwerem, schwarzem Öl verseucht war, das erste klare Wasser, die ersten reinen Tropfen auf staubiger Haut und strähnigem Haar. Begierig zwang ich meine aufgeplatzten, rissigen Lippen einen Spalt breit auseinander, legte den Kopf zurück, gierte nach mehr, hungerte nach der Freiheit, die die winzigen, perlenden Tropfen mit sich trugen.
Regen und Sommer hatten für mich nie in wirklicher Relation gestanden, nie zueinander gehört. Und doch, dieser Vorbote neuen Lebens, er schmeckte wie der Sommer, ohne dass ich tatsächlich sagen konnte, weshalb dem so war.
Wie eine Jahreszeit einen Geschmack haben konnte – auch das blieb mir unerklärlich. Es war eine schlichte, bittersüße Erkenntnis, die so plötzlich auf meiner Zunge gelegen hatte wie der sanfte Regen, den ich von meinen spröden Lippen leckte.
Mit jedem Tropfen, der auf meiner nackten Haut aufkam, spürte ich das Leben Stückchen für Stückchen zurück in meinen Körper sickern, als die Gewissheit, dass meine Glieder sich langsam regten, sei es auch nur ein winziges Zucken, die Taubheit aus meinen Nerven trieb. Erst war es ein Muskel an meinem Hals, der sich anspannen ließ, dann ließ der Geschmack des Sommers mich vorsichtig schlucken. Es schmerzte, zu lang hatte ich es nicht getan, doch das himmlische Gefühl des kühlen Regens, der meine Speiseröhre hinab rann, wog den Schmerz tausendfach auf.
Langsam, ganz langsam, ließen sich auch meine Fingerspitzen aus der Starre wecken, zuckten, als wöllten sie nach etwas greifen, was nicht hier war, doch ich wusste nicht, was ich hätte erreichen können.
Ich spürte das Wasser an mir hinab fließen, ein stetig anwachsendes Rinnsal, das Schmutz und Staub mit sich führte, meine Haut benetzte und die längst verloren geglaubten Geister von Glückseligkeit und Genussfähigkeit in mir wieder lebendig werden ließ, als es die Versiegelung fortspülte, die sie so lang daran gehindert hatte, an die Oberfläche zu treten.
Ein aufkommendes Gefühl von Glück wuchs brodelnd in mir an, stieg blasenbildend empor, schäumend und sprudelnd, bis es überschwappte und mein Inneres überflutete.
Das raue Lachen, das sich meiner trockenen Kehle entrang, schmerzte ungewohnt – Lachen war ungewohnt –, und doch war es auf eine seltsame, herrliche Art und Weise befreiend. Rasend schnell wuchs es an, kehrte zu ursprünglicheren Formen zurück, wurde heller, leichter, und trunken von dem Glück, das der Sommerregen mit sich führte.
Der Staub zu meinen Füßen, dessen Härte meine bloßen Fußsohlen vor so vielen, vielen Jahren zuallererst taub und müde hatte werden lassen, verschluckte den Regen erst noch, doch langsam bildete sich eine Schicht mit Wasser gebundener Erde über ihm, nur allmählich und in winzigen Schritten...
Der Regen wusch auch den Staub fort, der seinen Platz über meinen Augenlidern und zwischen meinen Wimpern gesucht hatte, öffnete meine Augen und ließ mich sehen, welche Wunder er vollbrachte. Eine nasse Haarsträhne in meinem Blickfeld, meine Haut rosig statt staubfarben.
In alle Himmelsrichtungen hatte das Staubfeld sich erstreckt, damals, als ich hier erwacht war, und so war es heute, doch gleichermaßen war die Decke des Gewölbes so weit meine Augen reichten von grauen Wolken bedeckt und es regnete, regnete reines Wasser.
Ein Freudenjauchzen entrang sich meiner Kehle.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro