12 - Forgive Or Forget
"Ich kann es nicht verzeihen,
dass ich dich unter meine Haut gelassen habe"
(Ina Wroldsen - Forgive or Forget)
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Nachdem uns die kleinen Busse wieder am Ausgangspunkt abgesetzt hatten, beschlossen wir zu dem kleinen Stadtkern des Dörfchens zu gehen und uns dort umzuschauen. Entlang des Ufers des Fjords waren mehrere kleine Läden, die selbstgemachte Kleinigkeiten verkauften, und einen größeren Souvenirladen. Ich holte mir wieder ein Andenken, einen Aufnäher der den Schriftzug des Dorfes enthielt und einen Troll zeigte. Trolle hatten wir bisher in jedem Souvenirladen in Norwegen gefunden und es schien mir so, als würden es immer mehr werden, desto nördlicher wir kamen. Nach unserem Einkaufsrausch setzten wir uns in ein kleines Café und genossen den Ausblick auf den Fjord bei einem Stück Kuchen. Es war schon recht voll in der kleinen Stadt. Im Fjord stand neben unserem Schiff ein weiteres Kreuzfahrtschiff. Ich fragte mich, wie ruhig es hier wohl wäre, wenn keine riesigen Schiffe halten und hunderte Touristen mitbringen würden.
Als wir uns nach der Kuchenpause weiter im Dorf umschauten, fanden wir etwas abseits einen Spaziergang, der entlang eines Flusses führte. Über viele Stufen konnten wir hier dem Fluss folgen, der immer wieder Wasserfälle mit sich brachte. Tatsächlich waren hier weniger Menschen unterwegs und wir waren umgeben von grünen Bäumen und moosbewachsenen Felsen. Am höchsten Punkt fanden wir ein Schild auf dem „Fossewandering" stand, was so viel bedeutete wie Wasserfallwanderung. Wir beschlossen den gleichen Weg wieder hinab zu nehmen und hielten einige Male um ein paar Fotos zu machen.
Wieder unten im Dorf angekommen hätten wir theoretisch noch zwei Stunden Zeit gehabt, bis das Schiff wieder losfahren würde, aber da wir die letzten acht Stunden fast ununterbrochen unterwegs waren, beschlossen wir schon etwas früher zurück auf das Boot zu gehen. Wir nahmen uns eine Viertelstunde Zeit um auf unsere Kabinen zu gehen, danach waren wir auf dem Deck wieder miteinander verabredet, denn wir wollten die Aussicht und die strahlende Abendsonne noch ein wenig genießen. Wir trafen uns wieder am Heck des Schiffes an der Bar, an der wir auch die letzten Tage unsere freie Zeit verbracht hatten. Jedoch setzten wir uns nicht an die Bar, sondern beschlossen auf dem freien Sportplatz eine Runde Basketball zu spielen. Aus dieser einen Runde wurden einige Runden mehr, bevor wir auf Volleyball wechselten, was mir deutlich mehr lag. Pünktlich um halb neun legte das Schiff wieder ab und verabschiedete sich mit einem lauten Hupen aus dem Hafen Geirangers.
Während das Schiff wieder durch den eindrucksvollen Fjord fuhr, spielten wir unsere Runde weiter und auch nachdem wir den Fjord wieder verlassen hatten spielten wir immer noch weiter. Die Zeit verflog und mir war gar nicht aufgefallen, wie lange wir eigentlich schon gespielt hatten „Wer will eintauschen?" Ich streckte meinen Arm hoch als Finja an der Seite aufstand. Finja nickte und lief aufs Feld, während ich an die Seite ging um mich neben Ennie auf den Boden setzte. Ich nahm einen großen Schluck meiner Wasserflasche, die am Spielrand stand. Wir spielten drei-gegen-drei, damit immer einer Pause machen und sich erholen konnte. Langsam merkte ich, dass mir meine Füße anfingen weh zu tun. So aktiv wie heute, war ich schon lange nicht mehr gewesen. Während der Vorbereitungsphase auf die Abiturklausuren, hatte ich einige Zeit drinnen vor meinen Büchern und meinem Computer verbracht.
„Hast du jetzt eigentlich schon mit Robin gesprochen?" Ennie lenkte mich von meinen Gedanken an meine schmerzenden Füße zu dem Thema, was ich heute Nachmittag wieder ausgeblendet hatte. Ich schüttelte stumm den Kopf. Ennie schaute mich schief an. „Wird das noch was?" Ich nickte. „Ja, wenn ich mal einen passenden Zeitpunkt finde." Ennie verdrehte die Augen. „Dann nutze den Moment jetzt und rede jetzt mit ihm." Ich schaute auf das Spielfeld, auf dem Robin gerade einen Aufschlag machte. „Er ist mitten im Spiel." Dann stand Ennie auf „Gleich nicht mehr." Sie lächelte mir zu.
„Wer möchte auswechseln?" Ennie schaute dabei Robin an und als Robin ihren Blick bemerkte nickte er. Es war immer wieder verblüffend, wie Ennie genau wusste was sie tun musste, um andere Leute dazu zu bekommen etwas zu tun. Während Ennie zu Robins Stelle lief kam er unsicher lächelnd auf mich zu und wollte einen Schluck trinken. Er griff jedoch zur falschen Flasche und nahm meine. Ehe er daraus trank, unterbrach ich ihn. „Das ist meine Flasche, deine steht rechts daneben." Er schaute zuerst zu mir und dann zu der Flasche. Er nickte und nahm dann seine in die Hand. „Sorry." Ich winkte ab und hoffte, dass es nicht gemein klang, denn das war nicht meine Absicht. „Kein Problem." Ich lächelte ihn an. Er nahm einen Schluck und setzte sich dann mit der Flasche in der Hand neben mich.
Es herrschte Stille zwischen uns. Ich beobachtete den Spielverlauf und beobachtete wie das Team von Robin und Ennie einen Punkt nach dem anderen machte. Als Ennie auffiel, dass ich das Spiel beobachtete nickte sie mir lächelnd zu und deutete mit einer kleinen Kopfbewegung nach links. Robin saß links von mir und ich wusste, was sie damit sagen wollte. Ich schaute zu ihm hinüber und ihm schien aufzufallen, dass ich ihn anschaute. Er drehte seinen Kopf nach rechts und unsere Blicke trafen sich für einen kleinen Moment, ehe ich kurz wegschaute. „Ich denke, wir sollten miteinander reden. Nüchtern."
Robin nickte leicht. „Ja, du hast Recht." Seine Stimme klang unsicher, aber ich war froh, dass er mir zustimmte. „Nach dem Spiel?" Ich nickte ihm zu. „Ja, klingt gut." Und wie es der Zufall wollte, kamen gerade in dem Moment unsere beiden Teams auf uns zu. „Wir denken, das reicht für heute, oder wollt ihr beiden noch weiterspielen?" Ich schüttelte den Kopf. „Ne, passt, ich denke wir wurden heute oft genug geschlagen." Ein leichtes Lachen ging durch die Runde und Finja nickte mir zustimmend zu. „Wollen wir uns an die Bar setzen und den Abend da noch ein wenig ausklingen lassen? Morgen liegt ja nichts an." Jonas bekam Zuspruch für seinen Vorschlag.
Ich sah zu Robin und schaute ihn fragend an. Er schien meine Blicke zwar zu bemerken, regte sich aber nicht. Er schien auch nicht zu wissen, ob wir nun reden sollten oder uns zur Gruppe setzen sollten. Wir wollten gerade zur Bar losgehen als Ennie auf mich und Robin zukam. „Ihr beiden nutzt jetzt eure Zeit, ich sag dem Rest Bescheid." Ich nickte und bevor ich etwas antworten konnte hatte Ennie schon wieder der Gruppe angeschlossen. Robin und ich standen beide noch an der gleichen Stelle vor dem Volleyballnetz. „Wollen wir uns vielleicht einen ruhigen Ort suchen? Ich kann mir vorstellen, dass hier gleich andere noch spielen wollen." Ich nickte ihm zu.
Wir gingen von dem kleinen Sportplatz aus Richtung Bug des Schiffes, bis wir eine kleine Bank an einer ruhigen Stelle fanden. „Wollen wir uns hierhersetzen oder möchtest du nach drinnen?" Ich schüttelte den Kopf. „Wir können gerne hier draußen bleiben." Robin nickte und setzte sich. Ich nahm neben ihm Platz. Ich wusste nicht genau wie viel Uhr es war, aber es war sicherlich schon nach halb zehn. Die Sonne schien noch ungestört, aber langsam näherte sie sich dem Horizont und spiegelte sich leicht orange im Wasser. Es war nahezu windstill und noch warm genug um im Shirt draußen sitzen zu können, ohne zu frieren.
Die ersten Minuten verliefen wieder schweigend, bis Robin das Gespräch begann. „Sorry." Bevor ich antwortete, sprach er schon weiter. „Ich hoffe ich habe dich am Mittwoch nicht bedrängt. Ich hätte dich nicht versuchen sollen zu küssen." „Nein, alles gut. Ich wusste nur nicht, wie ich dir gegenübertreten soll danach. Das hat mich alles irgendwie verwirrt." Er nickte verständnisvoll. „Verstehe ich, darum habe ich dich die letzten beiden Tage auch in Ruhe gelassen. Ich weiß nicht, was da in mir vorgegangen ist." Er brachte mich zum Überlegen. War das alles doch nur wegen dem Alkohol passiert? Empfand er doch nichts?
Wir redeten ein wenig weiter über das was an dem Abend passiert war und in mir stiegen immer mehr Fragen auf, ob er noch was für mich empfand. Auch wenn der Abend zwischen uns geklärt war, so blieben doch noch einige Fragen offen und ich fragte mich ob es einen besseren Zeitpunkt gäbe das anzusprechen, als jetzt. Schließlich überwand ich mich und versuchte das Gespräch ein wenig in die Richtung zu lenken. „Warum hast du mich eigentlich gefragt, ob ich vergeben bin?" Ich sah, wie er anfing zu lächeln. Aber es war kein Lächeln der Glücklichkeit, sondern eins mit der er versuchte seine Unsicherheit zu überspielen. „Ich weiß nicht. Tut mir leid, wenn dir das zu persönlich war aber..." Er pausierte und ich schaute ihn fragend an. „Nachdem du den Kontakt abgebrochen hast, dachte ich vielleicht du hast jemanden neues, jemanden besseren gefunden." Seine Stimme war so unsicher, wie ich sie nie zu vor wahrgenommen hatte. Und als er mir davon erzählte, tat er mir fast ein wenig leid, denn das wäre wohl das Schlimmste Szenario gewesen.
Ich schüttelte den Kopf. „Ich hatte in der Zwischenzeit niemanden anderes." Er schaute mich an und unsere Blicke trafen sich. „Darf ich dich fragen, warum du damals den Kontakt abgebrochen hast? Das war nämlich nicht meine Intention gewesen, als wir unsere Beziehung pausiert haben." Seine Stimme brach, als er die Beziehungspause erwähnte. Auch wenn es mir nicht leicht fiel darüber zu reden, war es nur fair ihm davon zu erzählen. „Ich, ich kam mit der Pause nicht klar. Als unser Kontakt immer weniger wurde. Es ging mir so schlecht. Und ich dachte, vielleicht würde es mir besser gehen, wenn ich den Kontakt komplett beende."
„Ging es dir nach dem Kontaktabbruch besser?" Ich schüttelte den Kopf. „Anfangs war es das Gleiche. Nach und nach hatte ich mich irgendwann daran gewöhnt, aber..." Ich wusste nicht was ich noch sagen sollte, daher ließ ich den Satz offen enden. Robin starrte auf das Wasser vor uns, das durch das Schiff ein wenig verwirbelt wurde. Die Sonne war in der Zwischenzeit am Horizont angelangt und es begann langsam sich zu verdunkeln. Ein paar Momente vergingen, bis Robin mich wieder anschaute. Seine Augen waren etwas glasig, als würde er versuchen Tränen zurück zu halten. „Es tut mir leid. Ich wollte nicht, dass es dir schlecht geht."
Ich blieb ruhig, da ich nicht recht wusste, wie ich reagieren sollte. „Ich hatte wirklich gehofft, dass wir nach der Pause noch eine Chance haben. Ich habe gemerkt, wie der Kontakt zwischen uns verloren gegangen ist, aber der Abbruch deinerseits, kam für mich doch unerwartet." Er schaute mich an. „Das tat weh." Ich nickte und mir viel auf, wie rücksichtslos die Entscheidung damals von mir war. Ich hatte gehofft, es würde mir besser gehen, aber ich hatte nie darüber nachgedacht, was er denken würde und wirklich geholfen hatte es mir auch nicht. „Tut mir leid." Er winkte ab. „Du brauchst dich nicht entschuldigen." Dann lächelte er mir unsicher zu.
„Ich möchte ehrlich mit dir sein." Ich nickte ihm zu und wartete ab, was er mir sagen wollte. „Als die Jungs vorgeschlagen haben, dass wir euch fragen, ob ihr mitkommen wollte, war ich der Einzige der der Idee skeptisch gegenüberstand. Ich wusste nicht wie es mir gehen würde, wenn ich dich jeden Tag sehen müsste." Ich erkannte mich selber wieder. Bei der Entscheidung hatte ich mich genauso gefühlt, weil ich irgendwie doch noch etwas für ihn empfand. Aber ich war mir nicht sicher, weshalb er skeptisch war. War er sauer auf mich, nach meinem Kontaktabbruch? „Warum?" Er schaute mich an und atmete durch. „Ich weiß nicht, was du von mir hältst, wenn ich dir das jetzt erzähle und was es für unsere Zukunft bedeutet, aber wie gesagt, ich möchte ehrlich sein." Ich nickte und hatte fast ein wenig Angst, vor dem was er mir nun offenbaren würde.
„Ich wusste nicht, was passieren würde, wenn ich dich jeden Tag sehen würde Svenja, weil ich nie aufgehört habe dich zu mögen, dich zu..." Seine Stimme versagte. „Vielleicht wusste ich, dass so etwas passieren würde, wie es am Mittwoch passiert ist. Ich hatte Angst die Kontrolle über meine Gefühle zu verlieren." Ich wendete meinen Blick in keinem Moment von ihm ab. Mein Herzschlag hatte sich beschleunigt und ich musste mich kontrollieren, nicht anzufangen zu lächeln. Er empfand doch noch etwas für mich. „Es tut mir leid, wenn ich dich damit jetzt ein wenig überrollt habe und ich kann verstehen, wenn du jetzt final den Kontakt mit mir abbrechen willst, aber ich musste dir das sagen."
Ich schaute ihn an und überlegte, was ich ihm sagen könnte. Unsere Blicke trafen sich und für einige Momente verharrten unsere Blicke aufeinander. Ich schaute in seine ozeanblauen Augen, die im farbenfrohen Sonnenuntergang glänzten. Ich atmete durch und setzte dann an ihm zu antworten. „Mir ging es genauso. Ich wusste anfangs auch nicht ob ich mitwollte, wegen dir. Ich habe es immer versucht mir auszureden, dass ich die Entscheidung bereue und nichts mehr für dich empfinde, aber ich konnte das nie vollständig unterdrücken." Ich erwähnte den Kuss mit dem Fremden bewusst nicht. Ich erinnerte mich nur ungerne daran zurück und ich empfand es nicht als wichtig. „Und spätestens als ich dich hier wieder gesehen habe, waren alle Gefühle wieder da. Ich wollte dich am Barabend küssen, aber ich denke, dass es einfach der falsche Moment gewesen wäre. Wahrscheinlich war es gut, dass Jonas und Finja reingekommen sind."
Er nickte zustimmend und ich sah, wie er leicht lächeln musste, als ich von meinen Gefühlen erzählte, aber er versuchte es zu unterdrücken. Dann schwiegen wir wieder für einige Momente. Mein Blick schweifte wieder zum Himmel ab, an dem die Sonne mittlerweile fast komplett am Horizont abgetaucht war und die Umgebung rot-orange einfärbte. Auf der anderen Seite des Himmels wurde es schon dunkel und die ersten Sterne begannen am Himmel zu funkeln. „Und jetzt?" Robin schaute wieder zu mir rüber und auch ich schwenkte meinen Blick vom Sonnenuntergang zu ihm. Ich wusste zwar was er meinte, aber ich zuckte unsicher mit den Schultern und dabei fiel mir eine Haarsträhne in mein Gesicht. Robin lächelte und strich mir die Haarsträhne wieder hinter mein Ohr.
Ich überlegte und sprach dann das aus, worüber ich gerade nachdachte, auch wenn es schmerzte, es wirklich auszusprechen. „Ich weiß es nicht, aber es ist so viel zwischen uns passiert und ich glaube es war zu viel um das einfach zu vergessen." Ich sehnte mich noch immer nach seiner Nähe und ich wünschte wir hätten einfach dort weiter machen können, wo wir damals aufgehört hatten, aber das hätte sich für mich nicht richtig angefühlt. Wir würden von einem Extrem ins andere stürzen und ich fürchtete, dass das weder einer Beziehung, noch einer neu aufkommenden Freundschaft guttun würde. Auch wenn ich mir innerlich nichts sehnlichster wünschte, als meinen Kopf gerade auszuschalten und einfach auf mein Herz zu hören.
Robin nickte bestätigend, er wirkte verständnisvoll aber auch ein wenig enttäuscht. „Ja, ich denke, du hast Recht." Er lächelte mir zu und pausierte für einen Moment bis er fortfuhr. „Also Freunde?" Ich senkte meinen Kopf kurz, um ihn dann wieder anzuschauen. „Ja, Freunde." Wir hatten beide Fehler gemacht und uns vergeben, vergessen ließ sich das alles jedoch nicht. Vielleicht würde dieses Gespräch einen Neustart markieren, einen Neustart in etwas Ungewisses, bei dem das Ende noch offen war. Aber es war gut, dass wir endlich miteinander geredet hatten und alles klären konnten. Es fühlte sich gut an, auch wenn ich mich innerlich nach etwas anderem als Freundschaft sehnte.
„Kann ich dich mal in den Arm nehmen?" Robin schaute mich an und ich nickte unmittelbar nachdem er ausgesprochen hatte. „Natürlich." Er lächelte und schloss mich dann in eine enge Umarmung. Ich hörte sein Herz schlagen und genoss die Momente, in denen ich ihm endlich wieder näher sein konnte. Wieder wurde ich mir klar darüber, wie sehr ich seine Nähe vermisst hatte.
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