09 - Complicated
"Kopf in den Wolken, beide schauen nach unten,
bedeutet nicht, dass wir fallen."
(DV & LM - Complicated)
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Der Wecker klingelte zum vierten Mal und Finja riss bereits die Vorhänge auf, so dass die Sonne durch die Balkontür in die Kabine schien. Ich zog die Decke schützend vor mein Gesicht, damit das helle Licht nicht direkt in mein Gesicht strahlen würde. „Svenja, du solltest langsam aufstehen." Ich zog die Decke wieder runter und blinzelte zu Finja herüber, die bereits angezogen vor unserem Bett stand und mich anlächelte. „Hmm, gleich."
Nachdem ich mich noch einmal ausgiebig gestreckt hatte, stand ich auf und schlenderte in unser Badezimmer. Ich wagte einen Blick in den Spiegel, den ich dann ganz schnell wieder bereute. Ich sah verschlafen aus und ich konnte mir ansehen, dass ich gestern Abend doch etwas zu viel getrunken hatte. Außerdem hatte ich mich scheinbar vergessen abzuschminken und durch die Mascara sah ich aus wie ein Panda, ein Panda auf Schlafentzug. Eigentlich hatte ich nicht genug Zeit, aber ich sprang für ein paar Minuten unter die Dusche und weckte mich mit dem kühlen Wasser, dass dafür sorgte, dass ich mich etwas besser fühlte.
Anschließend machte ich mich fertig und ein abschließender Blick in den Spiegel bestätigte mir, dass ich mich so der Außenwelt zeigen könnte, auch wenn ich definitiv schon mal besser ausgesehen hatte. Ich entschied mich für eine schwarze Leggings und zog die Kapuze meines beigen Kapuzenpullovers über. „Kater?" Ich schüttelte den Kopf. „Ne, zum Glück nicht, aber ich merke trotzdem, dass es gestern ein wenig viel war." Finja lächelte mitfühlend. „Darum war für mich nach dem ersten Cocktail der Alkohol gestrichen. Aber wir sind ja draußen unterwegs, das wird bestimmt bald besser." Ich nickte knapp. „Hoffentlich."
Ich ging an ihr vorbei und packte kurz meine Sachen in den Rucksack, den ich auf dem Ausflug mitnehmen würde. „Was ist eigentlich jetzt mit dir und Robin?" Ich drehte mich zu Finja um und schaute sie schweigend an. Eine kompliziertere Frage hätte sie sich nicht ausdenken können „Keine Ahnung. Ich weiß es nicht." Finja legte den Kopf ein wenig schief und schaute mich fragend an. „Du weißt es nicht?" Ich schüttelte mit dem Kopf. „Um ehrlich zu sein, ist es vielleicht gut, dass ihr beiden genau in dem Moment reingekommen seid. Ich weiß nicht ob es gut gewesen wäre, wenn wir uns geküsst hätten."
„Aber du wolltest ihn doch küssen, oder?" Ein paar Sekunden überlegte ich ihre Frage und antwortete ihr dann prompt, mit dem einzigen Wort, was richtig war. „Natürlich. Ich denke, ich würde ihn auch jetzt noch küssen wollen, aber ich weiß nicht ob es gut gewesen wäre. Die Situation ist jetzt schon verwirrend genug und ein Kuss hätte das alles noch komplizierter gemacht. Ich weiß nicht mal wie ich ihm heute gegenübertreten soll." Finja nickte verständnisvoll. „Aber zumindest wisst ihr beide jetzt jeweils, dass der andere noch etwas für euch empfindet." Ich zuckte mit den Schultern, innerlich war ich mir unsicher, ob das was gestern passiert war, alles auf Grundlage von echten Gefühlen passiert war. „Oder er hat das gestern nur durch den Alkohol gemacht."
Finja lächelte und schüttelte dann den Kopf. „Das glaube ich nicht. Nicht nach seinem Verhalten die letzten Tage." Ich ließ ihren Satz so offenstehen und nahm meinen Rucksack, um ihn mir über die Schulter zu schmeißen. „Ich denke wir sollten gehen. Der Rest wartet bestimmt schon." Finja nickte und öffnete mir die Tür. Der Rest stand, wie erwartet, schon im Flur und wartete auf uns.
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Vom Flur aus gingen wir los zum Hafen von Bergen, wo bereits ein Shuttlebus stand, der uns innerhalb einer halben Stunde zur Talstation der Gondel brachte. Die Busfahrt verlief recht ruhig und es war nicht zu übersehen, dass der Abend für einige doch etwas zu lang und alkoholreich war. An der Gondelstation wartete ein Mann mittleren Alters, der uns freundlich in Empfang nahm und begrüßte. Zuerst auf Norwegisch und dann auf Deutsch. Er erklärte uns, dass er heute mit uns die Bergwanderung machen würde. Er erzählte dann auch, dass er ein wenig Deutsch kann und er versuchen würde die Führung komplett auf Deutsch zu machen.
Neben uns war nur ein weiteres Pärchen für die Wanderung zu dieser Uhrzeit angemeldet und wir waren eine gemütliche, kleine Runde. Die nächsten zweieinhalb Stunden verbrachten wir damit in einem angenehmen Tempo den Berg hinaufzuwandern, zwischendurch hielten wir immer wieder und hatten die Möglichkeit Fotos von der wunderschönen Natur und Aussicht zu machen zu machen. Die Stimmung war ausgelassen und locker. Der Bergführer brachte uns die eine oder andere norwegische Redewendung bei und er kannte sogar zwei norwegische Wanderlieder, die er uns dann vorsang. Nach und nach versuchten wir mitzusingen und ich hoffte, dass wir mit unseren vermutlich nicht richtigen norwegischen Wörtern gerade keine Dämonen beschwörten.
Umso länger wir unterwegs waren, desto besser ging es mir. Die frische Luft und die Bewegung taten mir gut und es dauerte nicht lange bis mein Körper, wie von Finja versprochen, den Barabend wieder verarbeitet hatte. Die Sonne schien, aber ein erfrischender Wind und ein paar vereinzelte Wolken sorgten dafür, dass die Temperaturen sehr angenehm blieben. Eigentlich war es perfektes Wanderwetter und auch wenn ich sonst kein großer Fan von Wanderungen war, so gefiel mir dieser Ausflug doch wirklich gut und der immer besser werdende Ausblick auf Bergen unter uns war eindrucksvoll.
Der Gruppe schien es ähnlich zu gehen, denn alle waren gut gelaunt und jedes Mal erneut erstaunt, wenn sich wieder ein Blick auf die Stadt unter uns ergab. Wir redeten viel, das Pärchen erzählte was sie bisher so getan hatten und worauf sie sich noch besonders freuten. Nach und nach kamen wir in ein angeregtes Gespräch.
Mit einer Ausnahme, denn mit Robin hatte ich heute noch kein Wort gewechselt. Er war nicht auf mich zugekommen und ich nicht auf ihn. Ein paar Mal hatte ich versucht Blickkontakt aufzubauen, aber entweder er hatte nicht ein einziges Mal zu mir geschaut, oder ich hatte genau diese Momente verpasst. Es war komisch und ich fand keine passende Wörter für mich, um diese Situation zu beschreiben. Ich hatte mir heute Morgen jedes Szenario ausgedacht, das ich heute für möglich gehalten hatte. Von es geht genauso weiter wie gestern Abend, über wir entschuldigen uns oder wir lachen darüber, bis zu, dass wir das Thema einfach gar nicht ansprechen und es einfach vergessen. Aber ich hatte nicht damit gerechnet, dass wir kein Wort miteinander Wechseln würden, nicht mal einen Blickkontakt. Es war komplizierter, als ich es mir vorgestellt hatte. Deutlich komplizierter.
Auch oben am Gipfel des Berges, war die Aussicht auf die Stadt einmalig und wir machten einige Fotos von und mit uns, bevor wir uns eine Stelle suchten, an der wir uns hinsetzen könnten um etwas essen zu können. Die kleine angedachte Kaffeepause verwandelte sich in ein ausgedehntes Picknick, bei dem wir wieder mit unserem Leiter der Wanderung in ein Gespräch kamen. „Was habt ihr heute denn noch vor?" Er stellte seine Frage in die Runde und lächelte dabei freundlich.
Das Pärchen erklärte, dass es heute noch eine kleine Hafenrundfahrt in einem Boot gebucht hatte, wo sie nach dem Ausflug direkt hinfahren würden. Als die beiden von ihren Plänen erzählt hatten, begann Ennie von unseren Plänen zu erzählen. „Wir haben noch nichts Festes geplant, aber wir wollten einfach so ein wenig in der Stadt rumlaufen und schauen was wir dann finden. Vielleicht können Sie uns ja noch paar Orte vorschlagen, die wir uns anschauen sollten." Ennie grinste und der Mann nickte. „Natürlich. Der Fischmarkt ist sehr berühmt. Auf der einen Seite des Fischmarktes stehen viele bunte Häuser, in denen viele kleine, verschiedene Läden sind. Für diese Ansicht ist Bergen sehr bekannt und außerdem stehen dort oft schöne Schiffe, die ihr euch anschauen könntet."
Ennie nickte und bedankte sich für die Informationen, aber er schien noch nicht fertig zu sein und fuhr fort. „Auf der anderen Seite des Fischmarktes, ist wie so ein kleiner Park mit mehreren Stellen, wo ihr direkt am Wasser seid. Wenn ihr dem Rundweg dort folgt, kommt ihr auch direkt an einer alten Festung und einem Teil der wunderschönen Altstadt vorbei. Außerdem ist dort meistens nicht so viel los und ihr könnt Bergen ein bisschen in Ruhe genießen." Er zwinkerte. „Dankeschön, das klingt super!" Ennie bedankte sich erneut und auch die restliche Gruppe stimmte nickend zu.
Wir hielten uns noch etwas am Gipfel des Berges auf und genossen die Sonne, die zwischen den kleinen Wolken auf uns herabschien, ehe wir unser Picknick wieder zusammenräumten und uns dann langsam auf den Weg zur Gondelstation machten. Runter fuhren wir nämlich mit der Gondel und auf dem Weg bergab bekamen wir nochmal eine ganz andere, aber ebenfalls wunderschöne Aussicht auf die Umgebung um uns herum. An der Talstation verabschiedeten wir uns von dem Leiter unserer Führung und stiegen dann wieder in den gleichen Shuttlebus, der uns vorhin hierhergebracht hatte. Dieses Mal fuhr er uns auf dem gleichen Weg wieder zurück zum Schiff.
Am Schiff angekommen, beschlossen wir direkt weiter in die Stadt zu laufen und dem Rat des Mannes zu Folgen. Über die Navigation von unserem Handy, fanden wir schnell heraus, dass wir dafür ein paar Stationen mit der Straßenbahn fahren musste. Also machten wir uns auf dem Weg zur Straßenbahnstation. An der Station mussten wir ein paar Minuten warten, bis unsere Bahn kam, sodass sich ein paar von uns auf die Bänke setzten. Ich blieb jedoch stehen und stellte mich neben Ennie im Halbkreis um die Bänke drumherum.
Zuerst dachte ich, ich würde es mir einbilden, aber als ich meinen Kopf nach rechts drehte, merkte ich wie Robin mich anschaute. Es war das erste Mal am heutigen Tag, dass ich seine Blicke bemerkte. Jedoch schien ihm aufzufallen, dass ich ihn bemerkt hatte und noch ehe ich Blickkontakt zu ihm aufbauen konnte blickte er schnell weg. Nicht für einen kleinen Moment hatten sich unsere Blicke gekreuzt und wir hatten heute noch kein einziges Wort getauscht. Meine Blicke verharrten für weitere Momente auf ihm. Was war zwischen uns passiert und was würde noch aus uns werden? Nach dem, was gestern geschehen war, war der Gesprächsbedarf zwischen uns nur noch größer geworden als er es vorher schon war. Aber trotzdem schienen wir es nicht geklärt zu bekommen. Ich hatte nicht erwartet, dass es nur noch komplizierter werden würde.
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