*34 Allein
Inzwischen war es tiefe Nacht und Will, Kyle und ich saßen im Zug. Es herrschte eine unbedeutsame Stille, weil Will und ich über den Link redeten. Dabei strich er mir sanft über meinen Handrücken.
Weißt du, wo ich jetzt gerne wäre?
, fragte mein Freund mit verliebter Stimme.
Nein, wo?
In unserem gemütlichen Bett...
Ja, es war ein anstrengender Tag gewesen.
Und weißt du, was ich da machen würde?
Ich sah ihn unsicher an.
Bitte, sag kuscheln...
,antwortete ich mit kindlicher Naivität. Will grinste.
Nein.
Und dann begann er, mir mit anzüglicher Stimme genau zu beschreiben, was er machen würde. Ich versteifte mich und starrte stur geradeaus, denn- fuck, das war heiß. Ich musste nicht mal an mir heruntersehen um zu bemerken, wie eng meine Hose wurde. Als Will mit seinen Beschreibungen bei unserem Höhepunkt ankam, stoppte er sich selbst und sagte dann mit hörbarem Grinsen:
Aber Kuscheln klingt auch gut...
Ich kniff die Augen zusammen.
Warum bist du nur so?
, fragte ich dann und drehte mich zu ihm, um in sein amüsiertes Gesicht zu sehen. Ich hatte eine Augenbraue gehoben, meinen Mund zierte ein gequältes Lächeln.
Wie bin ich denn?
Ich ließ mein Lächeln zu einer ernsten Miene verblassen, nur, weil ich sehen wollte, wie unsicher er plötzlich wurde. Tatsächlich blitzte die Unsicherheit in seinen Augen auf, woraufhin ich wieder schmunzelte. Ich drehte mich zurück zum Fenster und sah in die Nacht.
Du bist besonders. Aber nur auf positive Art und Weise.
, antwortete ich dann und schlug die Beine übereinander, damit die Beule nicht so sehr zu sehen war. Will war in letzter Zeit sehr oft anzüglich, was mich aber nicht weiter störte, solange wir alleine waren.
Die vielen kleinen Lichter von Straßenlaternen oder Autos rasten an uns vorbei. Nein, wir rasten an ihnen vorbei. Als ließen wir sie alle hinter uns. Manchmal überlegte ich mir, wie es wohl wäre, einer dieser Menschen zu sein. Oder wie es wäre, von jedem, dem ich auf der Straße begegnete, die Vorgeschichte zu kennen. Warum ist er hier? Was hat er vor? Wäre es nicht interessant zu wissen, was für Geschichten die Menschen mit sich rum tragen? Manche Geschichten waren sicherlich leichter, andere schwer zu tragen. Aber alles in einem sorgen sie ja doch dafür, dass wir zu einem bestimmten Zeitpunkt irgendwo ankommen. Gerne stellte ich mir vor, wie jeder mit einem einzigartigen Rucksack voller persönlicher Geschichten herum lief, die einen, je nach Gewicht schnell oder langsam, zu einem bestimmten Ort brachten. Manche der schweren Geschichten fielen, wenn sie alt wurden, einfach heraus. Dann wurde der Weg wieder leichter. Die Zeit heilt alle Wunden, in anderen Worten: Die Zeit verliert einige Geschichten.
Ich dachte über meinen Rucksack nach: Was für Geschichten machten mich langsam? Meine Verluste, wahrscheinlich. Aber hatte ich mit manchen nicht schon abgeschlossen? Trauerte ich meinem alten Rudel noch nach? Es war ein angsteinflößender Gedanke, dass mir der Tod meiner Ersatzfamilie nichts mehr ausmachen könnte. Aber ich musste mir trotzdem eingestehen, dass es mich nicht mehr so hart traf wie früher. Den Schmerz, den ich bei diesen Gedanken früher verspürt hatte, war kaum noch vorhanden. Ich erschauderte. Ich war tatsächlich dabei, mich an den Tod zu gewöhnen.
Als Kyle sich räusperte, wurde ich aus meinen Gedanken gerissen. Ich wandte mich ihm zu, stützte mein Kinn aber immernoch auf meine Hand. "Ähm... Ich wollte mich noch entschuldigen. Ich... ich war ziemlich dicht, als ich beschlossen habe, euch nachzufahren. Es tut mir ehrlich leid, Five." Ich sah ihn nur kurz an. Trotzdem fielen mir die Tränen auf, die in seinen Augen schimmerten. "Mhm.", sagte ich dann. Mir war klar, wie kalt ich rüber kam. Aber es ging nicht anders. Kyle hatte Noah also Gefährtin gehabt, er litt noch mehr unter ihrem Tod als ich. Jedes Mal, wenn ich in seine Augen sah, wurde ich mir wieder bewusst, was ich verloren hatte.
Alles klar, Babe?
Ja, ich denke schon. Ich bin nur müde.
Das war keine Lüge, ich war mir sicher, dass ich Zuhause einfach wie ein Stein ins Bett fallen und schlafen würde. Also, wenn Will nicht was anderes vor hatte... Und ich ging davon aus, dass er genau darauf seit Tagen aus war. Kyle senkte seinen Blick reuevoll auf seine Hände und schwieg dann. Irgendwie tat es mir ja leid, dass ich so abweisend reagiert hatte. Aber ich konnte mir im Moment keine andere Reaktion leisten, ohne in Tränen auszubrechen. Seit ich wusste, was gerade bei uns passierte, und dass ich bald sterben würde, war alles ein wenig anders geworden. Schlagartig hatte sich meine Sicht ein wenig geändert. Ich will nicht sterben! , schrie eine verzweifelte Stimme in mir, aber wenn ich auf sie hören würde, würde ich in Frustration und Depression versinken. Will hatte recht, wir sollten uns nicht großartig anders verhalten. Aber es war schwerer als gedacht. Wie auf Kommando griff ich nach der Hand meines Gefährten. Er wurde aufmerksam und auch Kyle sah mich an. Nun rann doch eine Träne aus meinem Auge. So ein Mist. Ich kniff die Augen zusammen, woraufhin auch die restlichen Tränen zu laufen begannen. Will sah mich wissend an und zog mich sanft zu sich, um mich zu umarmen. Ich sollte mich davon nicht beeinflussen lassen! Wir finden schließlich einen Weg! , mahnte ich mich. Aber es half nichts. "Five...", wisperte Will mit bedrückter Stimme. "Dir wird nichts passieren, wir finden etwas, das euch rettet!" Ich würde ihm so gern glauben. Aber ich konnte es nicht. Wieso mich die Angst erst jetzt ergriff wusste ich nicht.
Beruhige dich...
Ich hatte nicht bemerkt, wie ich zu schluchzen angefangen hatte. Schnell biss ich mir auf die Lippe, um damit aufzuhören. Wächter weinen nicht. "Ich sag nichts. Wenn wir wieder Zuhause sind.", versprach Kyle mit leichtem Lächeln und ich sah auf. Erst verstand ich nicht, was er meinte, dann wurde mir aber klar, dass er von der Sache erfahren hatte. Ich zwang mich zu einem sanften Lächeln. "Danke, Kyle.", sagte Will und nickte seinem Beta vertrauensvoll zu. Ich zog Will zu einem Kuss zu mir.
Lass mich nicht allein!
, bat ich verzweifelt. Gerade als 5. Wächter sollte ich keine solche Angst vor dem Tod haben. Aber das war auch nicht das Problem. Das Problem war, alles und jeden, das und den ich liebte zu verlieren. In der Sekunde meines Todes würde mein Herz brechen, weil ich Will nie mehr wiedersehen würde. Und Amelia, und das restliche Rudel. Die Wächter. Denn ohne einen 5. Wächter würde es keiner nach mir ins Jenseits schaffen. Ich würde sie für immer verlieren.
Ich lasse dich nicht allein. Solange du dich nicht allein lässt.
Will platzierte einen kurzen Kuss auf meinem Scheitel und wollte mich loslassen, doch ich drückte mich näher zu ihm. Wie widersprüchlich meine Gedanken doch waren... Ich war dabei, mich an den Tod zu gewöhnen und fürchtete mich doch mehr als vor allem anderen davor.
Aber Will ließ mich nicht allein. Wir würden einen Weg finden. Wir würden uns finden.
~~
Bin ein bisschen krank.
Unkontrolliert.
Traurig, oder nicht?
Danke für die erneute Platzierung #1 in Fantasy ^^
AOF <3
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