Kapitel 36
Marina
Dean hetzte mich beinahe richtig aus dem Pub, traurig folgte ich ihm durch die nasse Straße.
Es hatte zwar aufgehört zu regnen, meine Klamotten waren dennoch bis auf die Haut durchnässt.
Ohne Vorwarnung bleib Dean stehen und öffnete die Türe zu einem schwarzen Audi A7.
Beinahe wäre ich gegen ihn gerannt, konnte jedoch gerade noch rechtzeitig reagieren ohne den glänzenden Lack der Karosse zu beschädigen.
„Steig ein."
„Du fährst selbst? Wo ist Hank?"
„Stell nicht so viele Fragen und steig einfach ein."
„Kannst du denn überhaupt fahren?"
„Jetzt diskutier nicht mit mir und Steig in das verdammte Auto ein!"
Seine Worte klangen eher wie ein Befehl als wie eine Aufforderung.
„Dean hör zu, ich hab das nicht so gemeint wie ich es vielleicht vermittelt habe, aber bitte.."
„Spar dir das Marina und Steig in das Auto!"
Seine Kiefermuskulatur arbeitete schwer, kraftlos ließ ich die Schultern Hängen und kroch auf den ledernen Beifahrersitz.
Das Auto roch, als hätte noch nie jemand zuvor darin gesessen, alles glänzte und die vielen Knöpfe auf dem Armaturenbrett leuchteten in einem kalten weiß.
Dean schwang sich auf die Fahrerseite und startete den surrenden 4,0-l-V8-Biturbomotor.
Das konnte jetzt doch nicht einfach so enden.
Nicht so!
Ich versuchte anhand von Dean's Gesicht irgendeine Emotion auszumachen, doch sein Blick verriet nichts.
Wie konnte man sich so nah und doch so fern sein?
Bei dem Versuch mich mit der Stimmung abzufinden, viel mir auf das wir garnicht in die Richtung meiner Wohnung fuhren sondern auf die andere Flussseiten der Themse.
„Wo fahren wir hin?"
„Marina! Kannst du nicht einmal für zwanzig Minuten entspannen und nicht alle fünf Minuten fragen was los ist, oder wo wir hin fahren?"
Der Klang seiner Stimme war sanfter als zu vor, sein Gesicht blieb jedoch ohne jegliche Emotionen.
Beleidigt wie ein kleines Kind lehnte ich mich zurück in den Sitz, es widersprach meiner Natur keine Verteidigung zu äußern, doch ich wusste es war das beste tatsächlich den Mund zu halten.
Wir fuhren in eine aus hauptsächlich gläsernen Häusern erbauten Straße, Dean bog an den Straßenrand wo bereits ein Pförtner stand und so wie es aussah bereits auf uns wartete.
Dean stieg aus, öffnete mir die Türe und warf dem Mann in dunkelgrüner Uniform den Schlüssel zu.
„Mr. Catrall."
Dean nickte und zog mich an der Hand unter das Vordach des riesigen Gebäudes vor dem wir uns nun befanden.
„Dean was zum.."
„Okay jetzt halt für fünf Minuten noch den Mund und dann erklär ich es dir."
Unterbrach er mich mitten im Satz, zog mich am Handgelenk in das gläserne Gebäude und blieb vor einem der vierundvierzig silbernen Aufzüge stehen.
Die Knopfauswahl für die verschiedensten Stockwerke leuchteten blau auf und ich staunte nicht schlecht.
Zweiundsiebzig Etagen?
Wo zur Hölle waren wir?
Dean drückte natürlich auf das Stockwerk 72.
Das klang wirklich hoch, der Aufzug beschleunigte sich in rasanter Geschwindigkeit von sechs Metern pro Sekunde nach oben in den 72. Stock, wo wir von einer lichtdurchflutete Aussichtsgalerie mit einem grandiosen 360-Grad Panoramablick auf die Metropole erwartet wurden.
Ich war sprachlos, und die Welt lag uns im wahrsten Sinne des Wortes vor den Füßen.
Wir befanden uns im höchsten zugängliche Punkt unter freiem Himmel und standen inmitten einer riesigen Glasscherbe, die Spitze des Hochhauses identifizierte ich als den höchsten Punkt des The Shard's.
Londons und sogar Europas höchstem Gebäude.
Uns eröffnete sich nach unten wie nach oben ein unfassbarer Blick, bei dem es einem schwindelig werden konnte.
Ich konnte meine Stimme nicht finden, selbst wenn sie da gewesen wäre, ich hätte keine Worte gefunden um sie zu gebrauchen.
Diesen Moment würde ich für immer in meinem Herzen, meinen Erinnerungen, in meinem Gedächtnis und wo auch immer ich Platz dafür fand aufbewahren.
Sprachlos streckte ich meine Finger nach der dicken Glasscheibe aus.
Wir waren ganz allein auf der Plattform und vor unseren Füßen funkelten die Lichter Londons in voller Kraft.
Meine Gefühle und Emotionen waren komplett mit der Situation überfordert, bis ich Dean spürte, er nahm meine Hand und gemeinsam blickten wir auf die funkelnd, pulsierende Stadt zu unseren Füßen.
„Es ist zwar nicht die Welt, aber auch die würde ich dir, wenn ich könnte, zu Füßen legen."
Seine Stimme zuckte wie ein Blitz durch meinen Körper und Tränen sammelten sich unerwartet in meinen Augen.
Unerwartet?
Was sagte ich da!?
Bei so einer Geste konnte man doch wohl erwarten, von Gefühlen überrannt und mitgerissen zu werden.
Natürlich musste ich wieder einmal weinen.
Diesmal allerdings vor Freude.
Meine Stimme war noch immer verloren.
Klammernd krallte ich mich in Dean's Mantel und küsste ihn.
Ich küsste ihn als gäbe es kein morgen mehr, denn den gab es für uns beide bald tatsächlich nicht mehr.
Zumindest nicht gemeinsam.
Dass Dean mir mit dieser Geste signalisierte er würde mir die Welt zu Füßen legen war mehr als ich je hätte erwarten können.
Ich konnte nicht genug von ihm kriegen, meine gier nach ihm könnte nie gestillt und mein Verlangen verringert werden.
Ich sprang an seinen Hüften hoch und klammere meine Beine um ihn herum fest.
Natürlich hielt er mich an meinem Po und drückte mich nur noch fester.
Wir waren so weit von dem Wirbel der Stadt entfernt, doch der Wirbel welcher in meinem Herzen brauste, würde alles andere vernichten und verwehen, kein Sturm war vergleichbar mit dem in meiner Magengrube.
Im Moment konnte ich sagen, ich war der glücklichste Mensch der Welt.
Und das mit dem Wissen, schon in ein paar Stunden die Person, nach der ich mich am meisten sehnte, verabschieden zu müssen.
„Ich liebe dich!"
Das waren die ersten Worte seit ich meine Stimme wieder gefunden hatte.
Ich konnte kaum glauben es laut ausgesprochen zu haben, denn meine Stimme klang nicht wie zuvor.
Ich war stark, stark genug um zu wissen, Dean und ich würden alle Probleme bewältigen können.
Wir waren füreinander bestimmt.
„Ich liebe dich."
Auch seine Stimme hatte sich verändert.
Die vergangene Stunde, die Zeit, in der ich mir den Kopf zerbrochen hatte was ich falsch getan hatte, all das war Zeitverschwendung.
In Dean's Nähe konnte nichts falsch sein.
Solange er bei mir war, war alles richtig.
Die Welt befand sich im Einklang und mein Leben im Gleichgewicht.
„Und ich dachte ich hab's verkackt."
„Das könntest du nie tun."
Er gab mir einen tröstlichen Kuss auf den Scheitel.
„Du musst mir einfach nur vertrauen, und wirst sehen dass ich dich nie mehr enttäuschen werde."
„Das werde ich! Ich vertraue dir."
„Solange du das tust, wird sich nichts zwischen uns stellen können."
Dean's Blick traf mich bis aufs Knochenmark, wie sollte man einem so hübschen Gesicht Wiedersehen können?
Doch es war mein Gesicht.
Die grau-grünen Augen spiegelten meine wieder, sein Kantiges Gesicht wurde nur von mir berührt und seine Lippen?
Sie wurden nur von mir geküsst.
„Und wenn ich zurück komme, und du mich dann noch immer willst, werde ich dich nie mehr wieder her geben!"
Er streckte mich von sich.
Fragend strahlte ich ihn an.
Egal was er sagte, glücklicher konnte ich nicht werden.
„Wie meinst du das?"
„Wenn das Jahr vorbei ist und du mich noch immer willst, werde ich dich heiraten!"
„Heiraten?!"
Das Wort klang falsch auf meiner Zunge und war nicht mehr als ein flüstern.
„Ich weiß, dass ich mir niemand anderen mehr an meiner Seite vorstellen oder wünschen würde. Und wenn es dir nach dreihundertfünfundsechzig Tagen auch noch so geht, werde ich dich für mich beanspruchen und nie wieder hergeben."
Neckend sah ich ihn an und stürzte die Lippen.
„Hab ich da auch noch ein Wörtchen mit zu reden?"
Er sah im wahrsten Sinne des Wortes in den Himmel, überlegte und schüttelte den Kopf.
„Ääääähm, Ne! Die Sache ist schon entschieden, tut mir leid."
Lachend drückte ich mich an seine Brust wie damals als er mich vor dem Taxi und somit einem Verkehrsunfall rettete.
„Und wenn ich das nicht möchte?"
„Nun dann betrachte dich als entführt."
Dean zitierte die Worte die auch er damals gesagt hatte, als er mich zu dem Date auf die Spendengala zwang.
Ich lächelte und das schönste Geräusch war das Klingen seines eigenen Lachens, welches durch seine Brust hindurch in mein Ohr schall.
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