||5 Melodic||
Yoongi
Mit einer kleinen Flamme der Hoffnung in mir verließ ich das Wohnzimmer und ging in mein Zimmer. Hier stand mein wertvollstes Möbelstück. Doch es war für mich viel mehr als nur ein Möbelstück. Es hatte mir immer Rückhalt gegeben. Es hatte mich für kurze Zeit von all meinen seelischen Lasten befreit. Es war immer für mich da gewesen.
Mein Klavier.
Sachte strich ich ihm mit den Fingerkuppen über das reflektierende schwarze Holz. Ich ließ mich bedacht auf die Klavierbank nieder und legte meine Hände auf die Tasten.
Und ich begann zu spielen.
Meine Finger streichelten es gefühlvoll und entlockten ihm die schönsten Töne. Ich legte meinen Kopf in den Nacken und genoss den Klang. Die Melodie begann traurig. Traurig und leise. Als hätten die Töne Angst davor, sich zu offenbaren, weil sie zu oft Leid erfahren haben. Sie waren unsicher, ob sie überhaupt jemanden gefallen könnten. Doch sie erklangen trotzdem und schufen eine herzzerreißende Melodie. Ich war ihr vollkommen verfallen und sie füllte meine Gedanken komplett aus.
Je länger ich aber spielte, desto mehr veränderte sich der Klang. Die Änderung war nicht gravierend und die meisten Zuhörer, wenn es welche gäbe, hätten es wahrscheinlich auch nicht bemerkt, aber ich tat es. Die von Trauer durchzogene Melodie wurde immer wieder von einer zaghaften heiteren Passage abgelöst. Als würden die Töne sich doch aus ihrem Versteck trauen und sich an der Welt erfreuen. Als würden sie gern andere glücklich machen wollen und zeigten sich ihrem Publikum. Es zauberte mir ein Lächeln auf die Lippen. Ich lächelte seit Langem nur mehr beim Klavier spielen.
Und so spielte ich bis spät in die Nacht hinein und ließ meinen Fingern freien Lauf. Beim Klavier spielen konnte ich meine Gefühle perfekt ausdrücken, wie ich es in echten Konversationen sonst fast nie konnte. Es war, als würde mein Klavier mich bis ins letzte Detail kennen und verstehen wie ein bester Freund. Es wusste, wie ich fühlte und wandelte diese Gedanken in Töne um. In den Klang meiner Seele.
Erschrocken bemerkte ich, dass die Sonne draußen schon aufging. Hatte ich wirklich so lange gespielt? Entschuldigend entfernte ich mich von meinem Klavier und legte mich in mein kleines Bett. Auf Umziehen und Zähne putzen verzichtete ich heute mal wieder und deckte mich lieber gleich gut zu. Mir war etwas kalt, was an dem Blutverlust liegen könnte, oder einfach an meinem komischen Körper.
Ich ließ noch einmal den heutigen Tag an meinen geschlossenen Augen vorbeiziehen. Jimin. Park Jimin hatte mich nach Jahren wieder besucht. Er wollte unbedingt wieder Kontakt zu mir aufbauen, wie es schien. Und er wusste von meinem blutigen Geheimnis. Er hatte versprochen, nichts zu erzählen. Aber konnte ich ihm vertrauen? Dem Jungen, der mich schon einmal enttäuscht, ersetzt und fallen gelassen hatte. Sollte ich mich auf ihn einlassen? Ihm noch eine Chance geben?
Ach, wie dachte ich nur schon wieder? Wieso sollte er wieder etwas von mir wollen? Wieso sollte er in meiner Nähe sein wollen? In der Nähe eines mitleiderregenden Menschen mit null Selbstvertrauen und einem schwachen Willen. Nein, unvorstellbar. Ich sollte mich nicht noch einmal mein Vertrauen schenken. Diesmal würde ich vorsichtiger sein...
Zu Mittag wurde ich langsam wach, weil die Sonne meine Wohnung unerträglich heiß aufgeheizt hatte. Ich strich mir den Schweiß von der Stirn und beschloss, erst mal duschen zu gehen. Ehrlich, was war mit meinem Körper los? Gestern fror ich und heute dachte ich, ich würde schmelzen. Ich ging kopfschüttelnd ins Bad, wo mein Blick sofort auf die gestrigen Blutspuren fiel. Mein Atem beschleunigte sich augenblicklich und meine Hände verkrampften sich.
Wisch es weg, Yoongi, wisch es einfach weg.
Nein, Yoongi, willst du nicht noch mehr Blutspuren im Bad hinterlassen? Sieht doch schön aus dieses tiefe Rot.
Yoongi, du weißt, dass es nichts auf Dauer bringt. Hol den Lappen und beginn zu putzen.
Aber du bist nichts wert, Yoongi, also greif endlich zur Klinge und lass ein paar neue Wunden deine schöne verunstaltete Haut zieren.
Aber Yoongi, Jimin wäre sicher enttäuscht von dir.
Das letzte Kommentar saß. Sonst gewann immer die andere Seite meines Kopfes, aber heute sah es wohl anders aus. Stets wurde ich von meinem inneren Teufel tyrannisiert und meine leise sich wehrende Seite hatte immer nachgegeben. Aber heute nicht. Und das nur wegen Jimin. Gab er meinem Leben im Endeffekt doch einen Hauch von Besserung? Doch war es nicht auch er, der mir erst diesen inneren Dämonen eingepflanzt hatte?
Gedankenverloren holte ich einen Lappen und wischte geduldig das getrocknete Blut weg. Danach versetzte ich der Tapete im Wohnzimmer noch einen weiteren Kratzer mit dem Messer und duschte schließlich.
Ich hasste es, zu duschen. Dabei musste ich immer meine ganzen Narben sehen. Auf den Ober- und Unterarmen, auf den Schenkeln und ein paar sogar auf meinem Oberkörper. Bis jetzt hatte ich mich nur vor mir selbst für diese Wunden geschämt, aber nun auf vor Jimin. Ich weiß nicht wieso, aber ich musste dauernd an sein mitleidiges Gesicht denken, als er es erfahren hatte. Als würde er sich selbst die Schuld geben. Dabei war ich doch selbst verantwortlich.
Das kalte Wasser perlte über meine Haut und jagte mir anfangs einen elektrisierenden Schmerz von meinen noch offenen Wunden aus. Das alte Blut wurde allmählich abgewaschen und bald würden stattdessen Narben auf meinen Unterarmen sein. Immer mehr Narben. Wie viele würden wohl noch dazu kommen? Es lag in der Zukunft.
Die Zukunft. Meine Meinung spaltete sich zu ihr wie so oft auch. Einerseits freute ich mich auf kommende gute Zeiten. Dass alles wieder besser wird, ich meine mentalen Krankheiten besiege und einfach nur glücklich sein kann. Aber was, wenn das nicht passiert? Was, wenn sich alles nur verschlechtert, ich wieder verlassen werde und immer tiefer in den schwarzen Strudel hineinsinke? Was wenn ich weiter falle?
Langsam drehte ich den Wasserhahn wieder zu. Mit gesenktem Kopf stieg ich aus der Dusche und mittlerweile fühlte ich mich, was die Temperatur betraf, wieder halbwegs normal. Ich trocknete mich flüchtig mit dem Handtuch ab, welches auch ein paar Blutspritzer abbekommen hatte und erledigte meine Morgentoilette. Anschließend ging ich zurück in mein Zimmer, um mich anzuziehen. Wow, mein Kleiderschrank bot mir wirklich viel Auswahl.
Nicht.
Außer schwarzen Pullovern und Jogginghosen war nicht viel vorzufinden, aber mehr benötigte ich auch nicht. Ich entnahm dem Schrank zwei Kleidungsstücke und machte mich fertig fürs Losgehen.
Ich freute mich auf dieses Treffen. Ich besuchte ihn sonst jeden Tag, aber jetzt war mir ja Jimin dazwischen gekommen. Bei ihm konnte ich ich selbst sein und mit ihm teilte ich jedes noch so kleine Geheimnis. Er hatte mich immer verstanden und unterstützt. Er war meine letzte Bezugsperson.
Mein Opa.
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Hey und danke fürs Lesen :3 Dieses Kapitel geht mir echt ans Herz, vor allem der Klavierteil. Ich spiele selbst und mir geht es da so wie Yoongi. Auch wenn ich nicht freestyle, weil das sonst schrecklich klingen würde :'D Bis demnächst c:
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