||45 Pain||
Yoongi
Den Rest des Tages schrieb ich weiter an dem Lied für Jimin. Ich besserte jeden Takt mindestens fünf mal aus. Ich spielte jede mir erdenkliche Melodie, die eventuell besser passen könnte. Klingt vielleicht anstrengend, aber wie gesagt, ich musste mich beschäftigt halten. Keine Beschäftigung und schon waren die scheiß Gedanken wieder zurück. Entschuldigt mich für diesen Ausdruck, aber es war nun einmal so!
Während ich eine Note zum zehnten mal schon ausradierte, zwängte sich plötzlich doch ein Gedanke in meinen Kopf. Aber es war ein Schöner. Ich dachte, dass ich unglaubliches Glück hatte, wieder mit Jimin vereint zu sein. Wir hatten uns wortwörtlich Jahre lang nicht gesehen und dann stürmte er einfach bei meiner Tür herein, weil er mich Klavier spielen gehört hatte. Was für ein Zufall. Ein glücklicher Zufall.
Ich schrieb weiter, aber irgendwann war sogar meine Geduld am Ende. Mein Rücken tat schon weh von der gekrümmten Haltung und in meinem Kopf kreiste sich alles um B-Dur und A-Moll. Ich brauchte eine Pause. Ich schmiss mich auf mein ungemachtes Bett und schloss die Augen. Na toll, schon wieder schwebten Notenköpfe vor meinen Augen. An Schlaf war gar nicht zu denken. Ich könnte duschen gehen. Meinen Haaren würde ein bisschen Shampoo auf jeden Fall nicht schaden. Also zog ich mich aus und stellte mich unter den brausenden Wasserstrahl. Den Blick hatte ich starr nach oben gerichtet, da mir allein der Gedanke, meinen Körper zu sehen, Angst einjagte. Wie konnte Jimin das nur ertragen...?
Leider war ich beim Haare waschen zu unvorsichtig und etwas Shampoo tropfte auf meine relativ frischen Wunden. Ich zischte auf. Oh shit, tat das weh. Doch ich konnte nicht leugnen, dass mir dieser Schmerz irgendwie gefehlt hatte. Ich weiß, ich sollte sowas nicht denken, aber es war so schwer. Deswegen konnte ich nicht anders, als das Ziehen meiner Schnitte zu genießen.
Wie schön wäre jetzt die Kälte eines Messers auf meiner Haut.
Nein, nein, nein! Was war das denn für ein Gedanke eben? Auf gar keinen Fall. Nein, ich würde mich jetzt sicherlich nicht schneiden. Ich wusste doch, ich musste mich beschäftigt halten. Schnell stieg ich aus der Dusche, trocknete mich, ohne in den Spiegel zu sehen, ab und schlüpfte wieder in meine Klamotten. Ich raste ans Klavier, fast als würde ich vor meinen Gedanken wegrennen. Ich setzte mich auf den Klavierhocker und wartete, dass die Melodien wieder meinen Kopf erfüllten.
Doch es blieb still in mir. Bis auf die Sehnsucht nach einer Klinge. Aber ich durfte nicht nachgeben. Jimin wäre so traurig und enttäuscht. Aber würde er einen weiteren Schnitt überhaupt bemerken? Die letzten Wunden waren sowieso noch nicht zugeheilt. Er würde sie nicht unterscheiden können. Und ein Schnitt mehr oder weniger würde niemals auffallen. Ach scheiß drauf!
Ich schubste den Hocker beiseite und stürmte in die Küche. Mit einem verzweifelten Lächeln öffnete ich die Schublade mit dem Besteck. Doch ich erstarrte. Sie war leer. Alle meine schönen Messer, Gabeln und Löffel waren verschwunden. Dafür lag ein gelber Post-It Zettel einsam darin.
Ruf einfach an, Yoongi
<3
Meine Knie verloren an Stabilität und gaben nach wie Gummi. Ich stürzte auf den Fliesenboden und fing an, bitterlich zu weinen. Wieso kannte er mich so gut? Wieso war er so fürsorglich? Das war zu viel. Und ich wollte mich einfach nur ritzen, weil ich diese verdammte Klinge vermisste. Weil ich den Schmerz vermisste. Das war doch nicht einmal ein wirklicher Grund. Oh fuck, sollte ich ihn jetzt einfach anrufen? Das war doch immerhin, was er wollte, also sollte ich einmal das tun, was er erwartete...
"Jimin?", fragte ich mit zittriger Stimmer.
"Yoongi, ist etwas los?", erkundigte er sich sogleich besorgt.
"Ehm, die Nachricht und so...da stand, ich sollte dich einfach anrufen"
"Was ist los, Yoongi?"
"Ich...ich...Messer...ach du weißt schon"
"Yoongi..."
"Ich weiß, ich hab dich enttäuscht. Sorry"
"Du enttäuscht mich doch nicht. Ich hab ehrlich gesagt sogar damit gerechnet. Deshalb auch die Vorsichtsmaßnahmen. Und du hast es doch nicht getan, oder?"
"Nein, wie denn"
"Na schau, dann hast du doch keinen Grund zur Sorge!"
"Wie kannst du nur immer alles so positiv sehen?"
"Keine Ahnung, passiert einfach"
"Geht mir genauso, nur umgekehrt"
"Man kann sich positives Denken anlernen, wusstest du?"
"Wirklich? Wo lernt man das?", schöpfte ich erneut Hoffnung.
"Therapeut, Psychiater. Aber auch durch die richtigen Bücher"
"Woher weißt du eigentlich so viel über mentale Krankheiten?"
"Naja, ich verbringe seit Neuestem jede freie Sekunde, in der ich nicht bei dir oder meinem Tanzlehrer bin, damit, mich darüber schlau zu machen. Meistens lese ich Bücher"
"Und warum? Früher hast du dich doch nie für dieses Gebiet interessiert"
"Das stimmt, aber kenne deine Freunde gut, nur deine Feinde besser"
Diese Aussage trieb mir wieder die Tränen in die Augen. Das Gespräch war so extrem erleichternd für mich und jetzt erfuhr ich auch noch sowas. Er war wirklich der liebenswerteste Mensch, dem ich je begegnet war. Ich sollte dankbarer für ihn sein.
"Wie geht es dir in Amerika, Jimin?", wechselte ich das Thema.
"Es ist wunderschön hier. Die Stadt strahlt eine so lebendige Aura aus und hat einen ganz eigenen Lifestyle. Die Leute sind entweder offen und gechillt oder genau das Gegenteil. Unser Tanzlehrer ist unglaublich streng, aber wir lernen so viel und es macht mir so viel Spaß"
"Dann war es ja doch gut, dass du gefahren bist!"
"Ja, auch wenn ich dich wirklich vermisse"
"Ich dich auch, wie du sehen kannst"
"Stell dir nur mal vor, wir würden wieder in deinem Bett liegen. Du in meinen Armen. Ich würde dich auf die Wange küssen..."
"Bitte kein Telefonsex, Jimin!", unterbrach ich ihn nervös.
"Haha, keine Sorge, unser erstes Mal wird nicht übers Handy ablaufen"
Ich schluckte. In was für eine Richtung hatte sich dieses Gespräch denn nun bitte entwickelt? Ich wusste nicht wirklich, was ich sagen sollte. Ich hatte nie wirklich über Sex mit Jimin nachgedacht, und ich hatte auch ,ehrlich gesagt, ziemlich Angst davor. Schnell verscheuchte ich die aufkommenden Gedanken und Kopfkinos. Halleluja. Plötzlich klingelte es an meiner Tür.
"Jimin, da hat jemand bei mir angeläutet"
"Perfekt, dann ist er wohl schon da! Gut, keine Angst, mach ihm einfach auf"
"Ehm, okay? Dann bis bald, Jimin"
"Tschau, Yoongi"
Ich steckte mein Handy wieder in meine Hosentasche und ging dann skeptisch zur Tür. Vielleicht hatte Jimin mir ja gleich einen Therapeuten nachhause bestellt. Oh Gott, bitte nicht! Ich legte die Hand auf die Türklinke, während ich mir mal wieder wünschte, einen Türspion zu haben. Ich öffnete zaghaft die Tür und konnte meinen Augen nicht glauben.
Von allen Leuten, die hätten kommen können, warum er?
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