||30 Fall||
Yoongi
Im Nachhinein würden wahrscheinlich viele sagen, dass es ein Suizidversuch von mir gewesen war. Immerhin war ich depressiv und mein Opa war gerade verstorben. Wer warf sich da nicht vor die Straße? Aber es war kein Suizidversuch. Jedoch konnte ich daran jetzt auch nichts mehr ändern.
Denn ich stand wie angewurzelt vor dem anrasenden Auto.
Wow, das wars dann wohl... Echt jämmerlich dieses Ende. Da widerstehe ich Jahre lang dem Drang, mich von einem Hochhaus runterzuwerfen und dann werde ich, genau wenn es mir besser geht, von einem Auto plattgemacht. Noch dazu so ein hässlicher grauer Volkswagen. Hätte es nicht wenigstens ein Auto mit Klasse sein können? Ein glänzender Lamborghini zum Beispiel?
Wenn ihr dachtet, dass ich jetzt noch kurz vor meinem Tod mein Leben reflektieren würde, dann habt ihr falsch gedacht. Stattdessen schweiften meine Gedanken zu Jimin. Mittlerweile der einzige Mensch in meinem Leben. Er tat mir leid, weil ich weg war, aber andererseits war ich auch erleichtert darüber, dass er mich nicht mehr an der Backe hatte. Mein kleiner Jimin. Ich hoffte, er müsste meine zerquetschte Leiche nicht ansehen. Er würde es nicht ertragen. Vielleicht sollte ich doch lieber am Leben bleiben. Aber das konnte ich sowieso nicht beeinflussen, da ich nicht einen Finger rühren konnte.
Ich stand nun vielleicht eine Sekunde auf der Straße und das Auto war beträchtlich näher gekommen. Ich schloss die Augen. Gleich würde ich das harte Metall in mir spüren. Plötzlich hörte ich das laute Quietschen von Reifen. Ich riss erschrocken wieder die Augen auf und sah das Chaos.
Der Autofahrer hatte anscheinend in letzter Sekunde das Lenkrad noch herumgerissen und war stattdessen in eine Laterne geknallt, die nun schräg gegen ein Haus lehnte. Irgendetwas rauchte aus dem Motor des Autos heraus, das vorne ganz verbeult von der Laterne war. Endlich spürte ich die Kontrolle über meine Gliedmaßen zurückkehren und ich schüttelte verwirrt den Kopf. Was war gerade passiert? Egal, ich musste nach dem Fahrer sehen.
Auf wackeligen Beinen näherte ich mich dem Gefährt und lugte bei einem Fenster hinein. Am Steuer saß ein mittelalter Mann, dessen Kopf im Airbag vergraben war. Die Fensterscheibe war zersprungen genau wie die Vorderscheibe und die Splitter hatten sich in die Haut des Fahrers gebohrt. Ich griff durch das Fenster zu ihm und berührte ihn sacht an der Schulter.
"Hallo, hören Sie mich? Geht es Ihnen gut?"
Auch wenn ich ihn nicht kannte, wollte ich irgendwie nicht, dass er starb. Er war nur wegen mir in die Laterne gefahren und damit sein Leben gefährdet. Dann bewegte er seinen Kopf ein bisschen und stöhnte auf, ehe er sich vollkommen aufsetzte.
"Scheiße, was ist hier passiert?", flüsterte er.
Seine schwarzen Augen waren vor Schmerzen zusammengepresst und er rieb sich den Ellbogen, als täte er ihm weh.
"Ich rufe schnell die Rettung, dann können wir reden"
Ich wählte hastig die Nummer des Krankenhauses, erklärte die Situation und wandte mich dann wieder an den Mann.
"Sie haben mein verdammtes Leben gerettet"
"Und dafür bin ich hier rein gefahren?"
"Ja"
"Wow, jetzt bin ich wohl ein Held", scherzte er, presste dann aber vor Schmerz die Zähne zusammen.
"Ja, sind Sie...Danke. Ich wollte noch nicht sterben"
"Wer will schon sterben?"
"Haha, ja", lachte ich nervös.
Wenn der wüsste, wie oft ich schon sterben wollte...Zum Glück kam in dem Moment der Rettungswagen mit Blaulicht und Sirene. Die Ärzte stürmten aus dem Fahrzeug und kümmerten sich um uns. Ich wurde relativ schnell wieder in Ruhe gelassen und nachdem ich die Situation geklärt hatte, durfte ich wieder gehen. Die Versicherung würde für den Schaden aufkommen und dem Mann ging es dementsprechend gut. Sein Ellbogen war ein bisschen angeknackst und sein Schlüsselbeinknochen war gebrochen, aber sonst hatte er nur oberflächliche Kratzer.
Ich bedankte mich noch tausendmal bei dem Mann und er schien nicht einmal, wütend auf mich zu sein. Vielleicht würde ich ihn ja einmal im Krankenhaus besuchen kommen, denn er würde ungefähr zwei Wochen lang dort sein.
Doch zuerst musste ich meinen Opa sehen. Beziehungsweise meinen toten Opa. Der Vorfall gerade hatte mich zwar gehörig abgelenkt, aber die Wort schmeckten noch immer wie purer Zwiebel auf meiner Zunge. Sie hätten mich zum Weinen bringen können. Diesmal war ich vorsichtiger auf meinem Weg zum Krankenhaus und wartete bei jeder roten Ampel.
Als ich das Spital betrat, begrüßte mich die Empfangsdame mit dem strengen Dutt wie immer fröhlich. Anscheinend wusste sie nichts vom Ableben meines Opas. Nun ja, Ärzte unterlagen ja auch einer Schweigepflicht. Ich stieg die Treppen hinauf und irgendwie schlich sich eiskalte Angst in mich. Ich hatte Angst, ihn zu sehen. Ihn im Bett liegen zu sehen wie immer, nur dass sein Herz ausgeklungen war, seine Lungen sich nicht mehr füllten und sein Blut still stand.
Der Arzt wartete schon vor seinem Zimmer auf mich. Sein Blick wirkte müder als sonst und er ließ schlaff seine Schultern hängen. Als er mich erblickte, richtete sich sein ganzer Körper auf und er gab sich Müh, nicht ganz so kaputt auszusehen.
"Guten Tag, Herr Min. Wie ich sehe, sind Sie doch noch gekommen"
"Ja, tut mir leid, ich hatte ein paar...Schwierigkeiten bei der Anreise"
"Verstehe ich. Wollen Sie eintreten? Min Haekwon liegt noch in seinem Bett"
Ich nickte nur und legte meine Hand auf die Türklinke. So schlimm wird es nicht sein, also mach die Tür auf Yoongi! Mit einem Zug öffnete ich die Tür und betrat das aktbekannte Zimmer.
Und da lag er. Eigentlich wie sonst auch. Nur dass er diesmal nicht seine Augen öffnete und mich herzlich willkommen hieß. Er lag weiterhin kalt und leblos unter seiner Bettdecke. Die Geräte waren alle abgesteckt und eine tote Stille lag in der Luft. So tot wie er. Und in dem Moment begriff ich es. Dass er weg war. Für immer. Dass er mich nie wieder in den Arm nehmen würde. Dass er mir nie wieder Ratschläge geben würde. Dass wir nie wieder reden würden.
Und dann brach ich einfach zusammen. Sein Tod, mein Unfall, alles kam auf einmal in mir hoch. Die Farben um mich herum begannen zu verschwimmen und drehten sich wie ein Kinderkarussell. Schwarze Punkte tanzten vor meinen Augen und meine Knie wackelten wie bei einem Erdbeben. Dann kippte ich einfach nach hinten um.
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