27. Kapitel
,,Lea" weckte mich eine viel zu bekannte Stimme aus meinem wunderbaren Tiefschlaf ,,Leeea. Lea!" Ich kniff die Augen zusammen und drehte mich stöhnend von der Person weg ,,Las mich", murmelte ich nur. ,,Lea, heute ist der Tag" ignorierte Laila mich ,,der Tag!". ,,Was soll heute schon für ein Tag sein?" knurrte ich und gab die wunderbare Wärme meines Decke auf, bevor ich mich auf setzte ,,Heute ist Sonntag, oder nicht?" Ich rieb mir die Augen. ,,Montag, Lea" Laila hatte sich an mein Fußende gesetzt und sah mich mit tellergroßen Augen an, als wartete sie darauf, dass ich etwas realisieren würde ,,Der erste Tag der Woche" Ich knurrte nur etwas unverständliches und rieb mir noch einmal durchs Gesicht, als ich begriff. Meine Hände froren in ihrer Bewegung ein. ,,Faen i helvete" murmelte ich. ,,Wir schreiben diese Woche Abitur" flüsterte Laila. ,,Hahaha" stieß ich tonlos und vollkommen überfordert aus.
Ich hatte mich für die Leistungskurse Englisch, Politik und Geschichte entschieden, deshalb würde ich Mathe ebenfalls schriftlich schreiben müssen. Da Federstein ein Sportinternat war, bot es als praktische Prüfung eine Reitprüfung an, welches auch die meisten Schüler als ihre mündliche Prüfung gewählt hatten. So auch ich. Damals hatte ich meine Wahlen als sinnvoll und machbar angesehen, doch während ich nun in der lärmenden Mensa saß und stumm mein Brötchen schmierte, verfluchte ich mich für diese Entscheidung. Was hatte ich mir nur gedacht? So gut war ich nun auch nicht in keinem dieser Fächer! Mein Kopf spielte mir schon dauerhaft jegliche Fehler, die ich in jedem Fach schon einmal gemacht hatte, vor und mit jeder Minute die verging wurde ich nervöser. Lailas nervösen Fingertrommeln auf dem Tisch machten es da nicht leichter.
,,Guten Morgen" begrüßte uns plötzlich ein schieflächelnder Schwede mit waldgrünen Augen. ,,Morgen" murmelte ich, als er mir einen flüchtigen Kuss auf die Wange hauchte. ,,Was ist denn mit dir los?" grinste er nachdem er sich mir gegen übergesetzt hatte. Ich erwiderte nichts und zuckte mit den Schultern. ,,Wir schreiben heute Abitur!" erinnerte Julia ihn an meiner Stelle. Kjell blickte mich überrascht an ,,Deswegen bist du so weiß?". Ich biss mir auf die Lippe, sagte jedoch wieder nichts.
Der Blick des Schweden wurde weich ,,Du schaffst das" meinte er ernst auf Norwegisch und rutschte neben mich. Ich blickte auf meinen Schoß und zuckte mit den Schultern ,,Und was wenn nicht?" flüsterte ich. ,,Genau, was dann? Was ist, wenn du vollkommen verkackst? Stirbst du dann? Geht die Welt unter? Sterben Menschen?" er drehte meinen Kopf vorsichtig so, dass ich ihm in die Augen schaute ,,Nein. Nichts passiert, außer dass du vielleicht das erste Mal in deinem Leben keinen 1ser Schnitt hast. Du wirst genauso gut weiter leben können und du wirst wahrscheinlich besser verdienen als wir alle" ,,Darum geht es doch gar nicht!" wiedersprach ich ärgerlich ,,Außerdem will ich nicht das dumme Prinzesschen sein, dass nur durch die Krone ihren Lebensstandard finanzieren kann!" Kjell lächelte schief ,,Und deswegen hast du die ganzen Jahre ja auch so hart gearbeitet. Deswegen bist du ja auch so verdammt schlau!" entgegnete er auf Norwegisch ,,Lea hör zu: du bist die Beste. Die Allerbeste. Egal was passiert, wir alle wissen, dass du das Abi mit Bravour durchlaufen wirst. Und dass solltest du auch glauben" Ich schloss die Augen und lehnte mich gegen seine Schulter. Tief sog ich seinen Duft ein und spürte seine Wärme auf meiner Wange. Vielleicht war es das, oder auch der Klang der norwegischen Worte, doch ich spürte wie mein Herzschlag sich verlangsamte und ich ruhiger wurde. ,,Takk" murmelte ich leise. Ich hörte Kjell schmunzeln ,,Immer wieder, du elende Zweiflerin"
Kjells Worte gaben mir die benötigte Sicherheit und obwohl ich immer noch nervös war, hatte ich nicht mehr das Gefühl gleich einen Nervenzusammenbruch erleiden zu müssen. Auch die Nachrichten meiner Eltern, die mir viel Glück für heute und die kommende Woche wünschten, beruhigten mich ein wenig. Heute Morgen würde erst einmal das Leistungskurs Deutsch Abitur stattfinden, heute Nachmittag dann Grundkurs Mathe, welches Laila und ich schreiben würden. Wir hatten also noch ein wenig Zeit. Ich zwang mich diese nicht zum Mathe lernen zu nutzen und wollte stattdessen lieber raus zu den Pferden um etwas Ruhe zu tanken. Ich fragte Laila ob sie mitkommen wollte, doch sie meinte, ich solle schon einmal vorgehen.
Beinahe sofort, als ich die Pferde auf der Weide sah, fiel auch die letzte Anspannung von mir ab und ich musste automatisch lächeln. Schnell stieg ich über den Holzzaun und macht mich auf in Richtung Herde. Der Wind trug meine Witterung schon einmal zu ihnen und schon war ein schwarzer Kopf erhoben. Mein Lächeln wurde breiter. Es genügte nur ein leises Pfeifen und schon setzte sich Narvik in Bewegung. Mit raumgreifenden Schritten trabte er auf mich zu und blähte erfreut die Nüstern um mich zu begrüßen. ,,Guten Morgen Sonnenschein!" schnaubte er und rieb seinen Kopf vorsichtig an meine Schulter. ,,Morgen" lächelte ich und kraulte ihn zwischen den Ganaschen. Genießerisch schloss Narvik die Augen. Er ähnelte dabei so einem Hund, dass ich beinahe erwartete, dass er sich auf den Rücken warf und Bauchkrauler verlangte. Der Wallach, der sich anscheinend mit mir verbunden hatte, öffnete erbost die Augen ,,Überhaupt nicht!" protestierte er laut und ich musste lachen. ,,Nein, auf gar keinen Fall" beteuerte ich.
,,Talea. Schön dich zu sehen" begrüßte mich nun auch Al Capone. Der nachtschwarze Araber mit den zwei weißen Fesseln hatte die schlanken Ohren freundlich gespitzt und brummelte leise zur Begrüßung ,,Weißt du wann Soul wieder kommt?" Ein trauriges Lächeln schlich sich auf mein Gesicht. Bei all den Verabschiedungen, die Soul letzte Woche hatten tun müssen, war ihr das zurücklassen von Al Capone wohl am schwierigsten gefallen. Sie und der Wallach hatten in der kurzen Zeit, die sie miteinander verbracht hatten, eine tiefe Beziehung aufgebaut. Obwohl es Soul nicht zugegeben hatte und sich allein von dem Rappen verabschiedet hatte, hatten ihre glänzenden Augen sie verraten. Auch Al Capone schien unter der Trennung zu leiden, denn er hatte sich in den letzten Tagen zurückgezogen, war antriebslos gewesen und fragte mich immer sobald er mich sah, ob ich wusste, wann die Ägypterin wieder kommen würde.
,,Tut mir leid, ich glaube du wirst noch ein wenig warten müssen" entschuldigte ich mich und kraulte den Wallach kurz hinter den Ohren ,,Aber sie vermisst dich auch sehr. Ich glaube nicht, dass sie es lange ohne dich aushalten wird." Wäre Al Capone ein Mensch gewesen, hätte er wohl mit den Schultern gezuckt. Stattdessen brummelte er nur irgendetwas und wandte sich wieder dem Grasen zu.
,,Und was machst du hier?" ergriff nun Narvik wieder das Wort ,,Ist nicht heute der große Tag?". Ich seufzte ,,Erinnere mich nicht" murmelte ich und fuhr mir mit den Händen durchs Gesicht ,,Deswegen bin ich hier. Wenn ich nur noch einmal das Wort Abitur höre, bekomm ich einen Nervenzusammenbruch!" Belustigt schnaubte Narvik ,,Na dann. Ich kann die erzählen was ich heute Morgen so gemacht habe" schlug er vor ,,Also, ich wurde von dem wunderbaren Geruch von Heu aufgeweckt, als Smilla mich vorhin gefüttert hat. Das habe ich dann ausgiebig gefrühstückt, das Heu war übrigens für die Jahreszeit exzellent- perfekter Geschmack mit einer kleinen Note Klee- bevor mich dann Smilla auf die Koppel geführt hat. Dort habe ich mich dann erst einmal gestreckt und ein paar aktive Dehnübungen gemacht. Dann habe ich mir mit Capone und Lion ein Wettrennen geliefert. Capone hat gewonnen, aber nur ganz knapp und ich glaube auch, dass er geschummelt hat" Ich musste lachen ,,Na ja. Danach hab ich mich ein paar Mal gewälzt und das wars eigentlich auch schon" Narvik schnaubte ,,Ein super entspannter und perfekter Morgen also"
Ich schloss die Augen und lehnte mich gegen seinen Hals ,,Ich wünschte mein Leben wäre so schön und einfach" murmelte ich in sein weiches, schwarzes Fell. ,,Nein, ich glaube das wünschtest du nicht" erwiderte Narvik, ich hörte ihn lächeln ,,Du würdest spätestens nach einer Woche verrückt werden, weil du zu wenig zu tun hast und das was du tun hast für dich keinen Sinn ergeben" würde Ich grummelte leise in sein Fell ,,Wahrscheinlich" gab ich zu. ,,Und das ist ja auch gut und richtig so. Die Menschen brauchen dich. Du veränderst etwas" fuhr Narvik fort. ,,Wann bist du so weise geworden? fragte ich ihn grinsend". Ich hörte Narvik in meinem Kopf lachen "Außerdem könntest du mir keine Bananen mehr stibitzen, wenn du auch ein Pferd wärst" meinte er ernsthaft. Ich musste Lachen ,,Das stimmt wohl." ,,Und das wäre eine Katastrophe! Stell dir mal vor, keine Bananen mehr!" Narvik klang wirklich bestürzt, doch seine Augen funkelten verdächtig. ,,Ein wirkliches Desaster wäre das" stimmte ich ihm, ernst nickend, zu. ,,Na also! Deswegen musst du unbedingt ein Menschen bleiben!" fasste Narvik zusammen und versuchte mein ernstes Nicken zu kopieren. Leider sah es viel zu komisch aus, als dass ich hätte ernst bleiben können. Ich brach in Lachen aus und Narvik fiel stumm mit ein.
,,Na gut" seufzte ich schließlich und vergrub meine Nase in Narviks Fell, welches vom Winter immer noch ganz flauschig war ,,Wahrscheinlich sollte ich mich langsam auf den Weg zurück machen" ,,Du bist immer viel zu vernünftig" Narvik prustete mir seinen warmen Atem in den Nacken, ich zog die Schultern hoch ,,Lass das" kicherte ich ,,Das kitzelt! Und außerdem hast du nicht gerade gesagt, es wäre gut, das ich so bin, wie ich bin?" ,,Hab ja gerade auch nichts dagegen gesagt, es war eine reine Feststellung" erwiderte der Wallach ,,Aber bevor du gehst, was hältst du von einem klitzekleinen Galopp?" ,,Erschlage mich, wenn ich dazu jemals nein sage" Schon war ich auf seinem Rücken ,,Auf geht's!"
Beschwingt joggte ich eine viertel Stunde später wieder zurück zu unserem Zimmer. Narvik hatte meine ganze restliche Nervosität weggeblasen und sie durch pure Ruhe und Entschlossenheit ersetzt. Man, ich hatte mein ganzes Schulleben auf diese Woche hingearbeitet. Ich wusste was dran kommen würde, ich hatte mich vorbereitet, ich hatte alles getan was ich tun konnte. Ich konnte gar nicht anders als bereit zu sein!
Dummerweise hatte der kurze Ritt auf Narvik aus meiner sauberen Jeans, eine Jeans mit Pferdehaaren gemacht. Damit, dass ich mich nach meinem Besuch bei Narvik umziehen musste, hatte ich jedoch schon fast gerechnet, deswegen hatte ich mir schon eine neue Hose und einen neuen Pulli rausgelegt. Beide waren meine Lern- und Glücksklamotten und als ich sie mir übergestreift hatte, musste ich kurz lächeln und atmete tief durch. Lets do this!
Die einzige die noch fehlte war Laila. Sie war schon im Bad gewesen als ich zurückgekommen war und schien auch jetzt noch nicht fertig zu sein. Vorsichtig klopfte ich an der hölzernen Tür ,,Laila, kommst du?" ,,Einen Moment" kam es zurück, ich zog die Augenbrauen zusammen. Lailas Stimme klang komisch, zittrig als hätte sie geweint. Kurz darauf öffnete Laila die Tür, sie blickte auf den Boden und versuchte Augenkontakt zu vermeiden, doch ich sah die roten Augen trotzdem. ,,Hey, alles okay?" fragte ich besorgt. Laila blieb langsam stehen und schüttelte nach kurzem Zögern den Kopf, ohne darüber nachzudenken, zog ich sie in eine Umarmung ,,Komm her." Für einen Moment verkrampfte meine beste Freundin, doch dann fiel sie in sich zusammen und begann zu schluchzten. ,,Ich kann das alles nicht, ich weiß überhaupt nicht was ich tue! Ich, ich" sie brach ab, wandte sich aus der Umarmung und wischte sich verzweifelt mit der Handrückseite über das Gesicht. ,,Hier" sie lief zu ihrem Bett und zeigte mir eine Aufgabe im Buch ,,Wir haben die Aufgabe im Unterricht besprochen und auch zusammen gerechnet. Ich habe es versucht noch mal alleine zu rechnen. Aber, aber. Seit einer halben Stunde versuche ich diese Aufgabe zu lösen, aber ich schaff es einfach nicht!" Sie wies auf die unzähligen zusammengeknitterten Blätter, die überall verteilt lagen ,,Egal was ich mache, ich bekomm immer das gleiche Ergebnis raus! Das gleiche falsche Ergebnis!" Sie hielt mir das Buch unter die Nase, doch ich ignorierte es. ,,Laila, es ist nur eine Aufgabe. Du kannst den Stoff. Du hast stundenlang mit mir, Julia, Soul und quasi jedem aus dem Mathe LK gelernt. Du hast alles getan, was du konntest!"
,,Aber die Aufgabe ist grundlegend!" verzweifelt überflog Laila ihre Rechnungen noch Mal ,,Wenn ich sie nicht schaffe, wie soll ich dann den Rest schaffen?" Wieder hielt sie mir das Blatt vor die Nase, ich nahm es ihr ab. ,,Du schaffst den Rest! Du" ich bemerkte die Lösung. Tatsächlich erinnerte ich mich, aus welchem Grund auch immer an die Aufgabe ,,Die Lösung ist doch richtig?" fragte ich. ,,Was? Nein!" Laila kramte ihr Heft heraus und zeigte mir die Seite, auf der wir unsere Rechnung auf dem Unterricht aufgeschrieben hatten. ,,Was hast du denn da aufgeschrieben? Wir haben nach x aufgelöst, genau. Und dann hättest du einfach nur noch 5 geteilt durch 1,25 machen müssen. Warum hast du da als Ergebnis 40 raus?" ,,Oh" machte Laila leise und überflog die Seite ,,Hast du wirklich eine halbe Stunde daran rumgerechnet, ohne vielleicht die Lösung mal zu überprüfen?" ich musste ein Grinsen unterdrücken. ,,Ich war in Panik, okay" verteidigte sich Laila ein bisschen verlegen, aber ich sah wie ihr ein Stein vom Herzen fiel und sie beinahe wieder lachen konnte.
Ich hob abwehrend die Hände und lächelte nur ,,Siehst du, du kannst alles!" Laila stöhnte nur und fuhr sich mit den Händen durchs Gesicht ,,Eigentlich habe ich dir das doch immer gesagt! Und jetzt bin ich diejenige die Panik schiebt!" Mein Lächeln wurde breiter ,,Bist wohl doch nicht immer so cool wie du vorgibst" Ich hatte es als Scherz gemeint, doch Lailas Gesicht wurde sehr ernst als sie antwortete ,,Nein, das bin ich wohl nicht" Sie legte das Buch zurück auf ihr Bett und setzte sich daneben, während sie auf die Seiten starrte ,,Eigentlich hab ich im Thema Schule immer mega Panik bei allem was Noten abgeht" gab sie zu ,,Also zumindest, seit ich hier bin. Früher wars mir egal, aber sowas von! Hauptsache ich konnte reiten. Aber mittlerweile. Ich habs dir schon mal erzählt, aber meine Eltern stecken echt enorm viel Arbeit in meinen Aufenthalt hier rein. Sie tuen alles damit ich glücklich bin und die besten Chancen habe. Und obwohl sie immer wieder sagen, dass ich ihnen nichts schulde, so will ich ihnen trotzdem was zurück geben oder ihnen zumindest zeigen, dass ihre Arbeit nicht umsonst war! Deswegen bin ich so nervös, wenn ich es heute verkacke, dann" ,,Dann hast du noch die anderen Prüfungen um es auszugleichen!", Beendete ich für sie den Satz, ,,Englisch, Geographie und Kunst zählen alle doppelt so viel wie diese Prüfung. Wenn du dir unbedingt Sorgen machen willst, dann nicht über Mathe!"
,,Wahnsinnig hilfreich" erwiderte Laila ironisch. Ich musste zugeben, dass dies nicht die beste Aufmunterung war, aber ich fuhr trotzdem fort ,,Ich mein ja nur. Natürlich musst du dich über gar nichts wahnsinnig machen. Du kannst das. So vollgepackt wie dein Hirn gerade ist, kannst du wahrscheinlich Soul in einem Mathe Battle besiegen". Laila musste grinsen. ,,Es gibt keinen Grund sich verrückt zu machen" fasste ich zusammen und lächelte ihr beruhigend zu ,,Es sei denn, du schaffst es nicht mal Dinge richtig abzuschreiben, dann solltest du dir Sorgen machen!" ,,Bitch" lachte Laila und schleuderte mir ein Kissen gegen den Kopf. ,,Ist doch so" fiel ich mit ein, während ich weitere Kissen abwehrte. ,,Das war jetzt einmal" schmollte Laila. ,,Einmal zu viel" grinste ich ,,Wollen wir?" Ich nickte in Richtung Tür. ,,In einer halben Stunde gehts los". Laila presste die Lippen aufeinander, doch dann atmete sie tief durch und nickte ,,Wird schon schief gehen!"
Die nächsten Tage war anstrengend. Es gab wohl kaum Momente wo mein Herzschlag seinen Ruhepuls erreichte, doch er sank trotzdem von Tag zu Tag ab. Ich merkte, dass ich ruhiger und sicherer mit dem Gedanken wurde, gerade mein Abitur zu schreiben. Und obwohl ich immer noch aufgeregt und nervös war, als ich am Freitag den neunten Mai meine letzte schriftliche Abiturprüfung, es war Politik, schrieb, so ging ich deutlich selbstbewusster in den Saal und hatte sogar beinahe Spaß mit den Fragen mit denen ich mich 270 Minuten rumschlug.
Dann war es geschafft. Ich hatte mein schriftliches Abitur überstanden. Mit einem komischen Gefühl verließ ich den Prüfungssaal. Meine Hand schmerzte vom Schreiben, doch sonst fühlte ich mich seltsam taub. Ich konnte es irgendwie nicht glauben, dass ich es geschafft hatte. Gut, zugenommen hatte ich das nicht. Immerhin stand noch die praktische Prüfung bevor. Aber im Gegensatz zu den schriftlichen Prüfungen sah ich dieser sehr entspannt entgegen. Ich vertraute Narvik zu hundert Prozent und die Parkouranforderungen waren wirklich zu schaffen. In diesem Sinne hatte ich das meiste wirklich geschafft. Ungläubig musste ich lächeln. Schon cool irgendwie.
,,Lasst uns feiern!" rief Aischa ausgelassen und hob ein Glas Limonade, Alkohol war auf dem Schulgelände streng verboten und es trank auch kaum einer, in die Höhe. Sie und ein paar weitere aus ihrer Clique hatten spontan eine kleine Feier auf dem Heuboden organisiert, mit der wir das Ende der schriftlichen Prüfungen zelebrieren wollten. Auch ich hob fröhlich meine Cola Flasche und nahm einen tiefen Schluck. Obwohl wir relativ wenig gemeinsam als Klassengemeinschaft unternahmen, so schweißte uns das enge Zusammenleben auf dem Internat doch zusammen und jeder kam eigentlich mit jedem klar.
So fand ich es auch nicht schlimm, als Laila und Julia sich etwas entfernten und sich Leonie neben mich setzte. ,,Endlich geschafft" lachte die Schwarzhaarige ,,Es ist so verrückt!" ,,Absolut! Ich kann es kaum fassen" stimmte ich ihr zu und schüttelte den Kopf ,,12 Jahre Schule sollen jetzt einfach vorbei sein? Irgendwie erwarte ich immer noch, dass jetzt einfach Sommerferien sind und ich nächstes Jahr wieder komme" ,,Fühl ich" nickte Leonie, bevor sie betont beiläufig fragte ,,Und Sule, kommt sie wieder?" ,,Nein" wieder schüttelte ich den Kopf ,,Sie kommt nicht wieder" ,,Ah okay" sie nickte ,,Ich muss zugeben, so" ,,Hi!" unterbrach uns Kjell in diesem Moment ,,Sorry, dass ich zu spät bin" er küsste mich schnell auf die Wange ,,Ich musste noch das hier mitbringen" Er deutete auf einen Bierkasten. ,,Cool! Danke Alter" rief Tim und nahm Kjell eine Flasche aus der Hand ..Komm ich bring die in die Kühltruhe". Der Schwede lachte und übergab ihm die Flaschen ,,Danke"
,,Hast du ernsthaft Bier mitgebracht?" fragte ich ihn entgeistert ,,Sorry" entschuldigte ich mich bei Leonie, da er sie so unhöflich unterbrochen hatte. ,,Schon gut" lächelte diese und wies auf uns ,,Ich lass euch mal alleine". Kjell ließ sich auf Leonies Platz fallen und öffnete geübt eine Flasche Bier, die er in der Hand behalten hatte. ,,Hast du ernsthaft Bier mitgebracht?" wiederholte ich meine Frage. ,,Klar, warum auch nicht?" Kjell nahm einen tiefen Schluck, bevor er mir in die Augen sah und bemerkte, dass ich wirklich verärgert war ,,Ach komm. Wir sind alle über sechzehn, alles legal!" Ich presste die Lippen auf einander. Das hatte ich in dem Moment vergessen, in Deutschland war das Mindesthalter für Alkoholkonsum unfassbar niedrig.
,,Aber nicht hier! Auf dem Schulgelände ist Alkohol untersagt!" erwiderte ich. Kjell stöhnte ,,Der einzige Grund warum Alkohol hier verboten ist, ist dass wir nicht betrunken werden und Dummheiten mit den Pferde machen. Von einem Bier passtiert da nichts! Außerdem hat mich meine Mutter gesehen wie ich das Bier aus dem Kühlschrank genommen habe und mir sogar geholfen es her zu tragen. Es wird schon okay sein!" Ich grummelte, erwiderte aber nichts. Er hatte ja nicht Unrecht und die Spaßverderberin wollte ich auch nicht sein.
,,Relax Lea. Es wird schon nichts passieren" lachte Kjell und zog mich in seinem Arm ,,Ich liebe dich du kleine Ordnungshüterin" Ich grummelte nur etwas und lehnte mich dann gegen ihn ,,Kaum zu glauben das nur noch Montag Prüfungen sind und wir dann wirklich fertig sind" murmelte ich mit halb geschlossenen Augen. Ich spürte wie der Schwede lachte ,,Schon irgendwie" stimmte er mir zu. ,,Ich finds fast schade. Obwohl Schule manchmal nervt, so schlimm fand ich diesen Teil meines Lebens nicht" Wieder vibrierte Kjells Brust. ,,Ist doch so, oder nicht?" ich setzte mich auf ,,Oder spricht da nur der Streber in mir?"
Schief lächelte er, bevor er die Schultern zuckte ,,Ich mochte diesen Teil meiner Schulkarriere. Hier auf Federstein. Mit dir, Armado und unserer Klasse. Davor, na ja" er hob die Schultern und ließ sie wieder fallen ,,Ich glaube niemand aus meiner alten Klasse vermisst mich, ich sie aber auch nicht" Ich lehnte mich wieder gegen ihn ,,Tut mir leid" Sofort schüttelte Kjell den Kopf ,,Muss es nicht. Es war meine Schuld. Ich war damals ein ziemliches Arschloch und das ist noch nett formuliert" er seufzte ,,Ich war wütend auf die Welt, auf das Schicksaal, auf alles und jeden. Und anstatt das mit mir auszumachen und Dinge zu akzeptieren, habe ich eben meine Wut an anderen ausgelassen und versucht sie durch andere Dinge zu verdrängen. Hat leider nicht funktioniert" er zog eine Grimasse ,,Egal. Ist jetzt der falsche Zeitpunkt um darüber zu reden" er lächelte mir zu, bevor er fragend die Bierflasche hob ,,Sicher, dass du nicht probieren willst?" Meine Gesichtszüge entglitten mir und ich schüttelte sofort den Kopf ,,Nein danke. Ich habe mir geschworen nie auch nur einen Tropfen Alkohol zu mir zu nehmen" ,,Wieso?" Kjell schien von meiner Reaktion überrascht, bevor ihm etwas einzufallen schien und er vorsichtig fragte ,,Ist es wegen deinem Vater? Ich habe einige alte Artikel gesehen" ,,Egal. Falscher Zeitpunkt gerade, okay?" unterbrach ich ihn und blickte ihn dann bittend an. Der Blick des Schweden wurde weich ,,Klar"
,,Wer hat Lust was zu spielen?" rief plötzlich jemand, den ich als Laila erkannte. ,,Ich" erwiderte Leonie, die ich vorhin schon mit einigen Kartenspielen gesehen hatte und auch die anderen schienen die Idee gut zu finden. .,,Wir auch" Kjell stand auf und reichte mir die Hand ,,Es sei denn, du hast Angst das ich dich abzocke" Er grinste schief. ,,In your dreams" lachte ich erleichtert über den Themawechsel und ließ mich hochziehen.
,,Tamara Pike auf Pocahontas", kündigte Frau van Hechter über ein Mikrophon an, ,,Es halten sich bitte bereit: Aischa Gueye auf Calypso." Unruhig spielte ich mit Narviks Mähne, ich war nach Aischa dran und obwohl ich wusste, dass die Prüfung wahrscheinlich kein Problem für mich und Narvik werden würde, so wurde ich doch nun etwas nervös. Narvik schien das kalt zu lassen. Dösend mit halb geschlossenen Augen und zur Seite geklappten Ohren stand der Wallach neben mir. Wenn man ihn so zum ersten Mal sehen würde, so würde man wahrscheinlich nicht glauben, dass dieses Pferd höher als zehn Zentimeter springen konnte. Doch ganz das Gegenteil war der Fall. Ich war ihn gerade schon warm gesprungen und der Wallach strotze nur so von Energie. Es war wie immer eine Freude gewesen mit ihm zu springen und selbst die kleinste Hilfe hatte ausgereicht, damit er mich verstand. Er konnte diesen Parkour. Er würde ihn wahrscheinlich auch noch können, wenn er einen halben Meter höher wäre. Ich war das Problem. Und obwohl ich mich für meine Zweiflerei hasste, so war sie schon wieder bei mir.
,,Das war Tamara Pike auf Pocahontas", ertönte Frau van Hechters Stimme ,,Nun begrüßen wir Aischa Gueye auf Calypso. Es halten sich bitte bereit: Talea von Norwegen auf Narvik au natt" Als ich meinen Namen hörte zuckte ich kurz zusammen, nun ging es los. ,,Beruhig dich Sonnenschein" schnaubte Narvik, der mittlerweile wieder die Ohren gespitzt hatte ,,Wir schaffen das" Bei seiner Stimme musste ich automatisch lächeln. Tief atmete ich durch. ,,Du hast recht. Man was bin ich nur für ein Zweifler" Ich fuhr mir mit einer Hand durchs Gesicht. ,,Die wohl Größte die es gibt" grinste Narvik ,,Aber verschieb das jetzt Mal auf später. Wir müssen jetzt erst Mal diesen Parkour rocken". Ich musste lachen und schwang mich als Antwort nur auf seinen Rücken ,,Du hast recht!"
Im Schritt ritten wir in Richtung Eingang, eigentlich waren keine Zuschauer gestattet, doch trotzdem hatten sich fast alle, die nicht gerade ihr Pferd fertig machen mussten, hinter einigen Hecken versteckt. So auch Laila, die eilig auf mich zugelaufen kam, als sie mich kommen sah. ,,Hi! Viel Erfolg!" wünschte sie mir, ihre Augen funkelten aufgeregt ,,Ich werde dir die Daumen drücken!" Ich musste lächeln ,,Danke dir" ,,Immer" erwiderte Laila ,,Und jetzt beeil dich!". Ich nickte nur, warf ihr ein letztes Lächeln zu und schnalzte dann leise mit der Zunge um Narvik zum Eingang des Springplatzes zu treiben. Dort hielt ich ihn an.
Mein Timing war perfekt, Aischa hatte gerade den Parkour beendet und fiel ihrer Stute gerade glücklich um den Hals, während sie noch eine Runde galoppierte, bevor sie erst in den Trab durchparierte und dann in den Schritt. ,,Das war Aischa Gueye auf Calypso. Nun begrüßen wir Talea von Norwegen auf Narvik au natt" Ein letztes Mal atmete ich tief durch, dann gab ich Narvik die Galopphilfe.
Die Prüfung war ähnlich wie ein Turnier aufgebaut, dass bedeutete, dass ich eine Runde um den Platz galoppieren durfte, bevor ich von den Richtern, Smilla, die Springlehrerin, Andrea, die Dressurlehrerin, Frank, der Vielseitigkeitslehrer und Frau van Hechter, die Direktorin, anhielt und grüßte. Die meisten Gesichter waren ausdruckslos, nur Smilla erwiderte mein Lächeln, als ich ihr vorsichtig eines zuwarf ,,Der Parkour ist frei".
Wieder galoppierte ich Narvik aus dem Stand an. Der Rappe wusste, dass es nun um alles ging und präsentierte sich von seiner besten Seite. In perfekter Anlehnung und mit einem besonders schönen Galopp hielten wir auf den ersten Steilspung zu. Er war wahrscheinlich knapp einen Meter hoch und kein Problem für uns. Ich hatte ihn kaum realisiert, schon waren wir drüber. Ich liebte Narvik dafür, wie sehr er sich Mühe gab, er hatte wirklich Spaß und spätestens nach dem dritten Sprung hatte sich auch auf mein Gesicht ein breites Lächeln geschlichen. Weiter ging es über einen Oxer und dann eine Kombination. Easy. Nun kamen die etwas höheren Sprünge, die jedoch alle auch nicht höher als ein Meter dreißig waren. Die Distanz zum Steilsprung passte perfekt und mit einem riesigen Satz sprang Narvik über ihn hinweg. Nun kam eine etwas schwierigere Wendung, bei der das Pferd wirklich bei seinem Reiter sein musste, um nicht zu viel Schwung für die darauf folgende dreifache Kombination zu verlieren. Doch Narvik war bei mir, geschmeidig ritten wir die Wendung und ritten durch die dreifache Kombination. Nun fehlte nur noch ein blauer Oxer und die Mauer. Drei, zwei, eins, der Oxer lang hinter uns. Damit uns die Distanz für den letzten Sprung passte, mussten wir entweder fünf große oder sechs kleine Galoppsprüngen machen. Ich entschied mich für die großen und trieb Narvik weiter an, behielt ihn aber bei mir. Drei, zwei, Eins, wir hoben ab. Mein Lächeln war mittlerweile ein Grinsen geworden. Ich schloss die Augen und genoss den Augenblick der Schwerelosigkeit, bevor uns die Erdanziehungskraft wieder einholte und wir landeten. Mit einem Grinsen, dass mir wahrscheinlich über beide Ohren ging, klopfte ich Narviks Hals und ließ ihn noch eine Runde ausgaloppieren, bevor ich erst in den Trab und dann in den Schritt durchparierte. Ich hatte es geschafft.
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