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22. Kapitel

Ich wusste nicht wie lange wir durch die dunklen, unebenen Straßen der Slums liefen. Schon bald hatte ich meinen Orientierungssinn und mein Zeitgefühl verloren. Meinen Beinen zu urteilen war es eine ganze Weile, doch die Schmerzen in meinen Knöcheln und Unterschenkeln konnten auch an den häufigen Schlaglöchern und dem generell unebenen und vermüllten Boden liegen, durch den ich häufig mit meinem Gleichgewicht zu kämpfen hatte.

Auch Laila, Julia und Kjell hatten zu kämpfen, vielleicht noch mehr als ich, denn sie sahen in der nicht beleuchteten Straße noch weniger als ich. Die einzige die immer den richtigen Halt fand, war Soul. Die Ägypterin kannte hier wirklich jeden Stein, jede Hauswand und jede Gasse. Flink wie eine Katze jagte sie nimmermüde durch die Straßen, achtete jedoch trotzdem die ganze Zeit darauf, dass keiner verloren ging.

Wir passierten einige Gruppen von Leuten, die meistens betont lässig an eine der Hauswände gelehnt, in der einen Hand eine Dose in der anderen Hand eine Art Zigarette. Manche riefen uns etwas hinterher, an Lailas und Souls verkniffenem Gesicht zu urteilen, schienen es nicht immer nette Worte gewesen zu sein. Doch wir ignorierten sie. Was war schon eine Gruppe halbstarker Kriminelle im Vergleich zu vier, magischen, ausgebildeten Kämpfern, die den Auftrag hatten uns zu entführen?

Irgendwann wurde Soul langsamer. Wo auch immer wir waren, anscheinend hatten wir unser Ziel erreicht. Vor uns waren etwa fünf kleine Hütten, alle selbst aus Wellblech, Betonstücken, Steinen und Planen gebaut. Daneben standen zwei hohe Betonblöcke. Früher hatten diese vielleicht sogar einmal ganz ansehnlich ausgesehen, doch nun waren größtenteils voll gesprüht, Fenster und Türen waren wohl schon lange kaputt gegangen oder verschwunden und die großen Wände hatten teilweise große Risse. Es roch unangenehm nach warmen Plastik und Kot.

Neben mir hörte ich Kjell schnell und ungleichmäßig atmen. Sein sonst so ordentliches Haar fiel ihm verschwitzt ins Gesicht und seine Haut glänzte im sanften Mondlicht. Er sah unfassbar süß aus. "Wo sind wir hier?" fragte der Schwede.

Für einen Moment sagte Soul nichts. Stumm blickte sie auf das mittlere der fünf Hütten, ihr ganzer Körper angespannt, bereit zur Flucht. "Bei mir zuhause" erklärte sie dann jedoch tonlos "Wenn wir Glück haben, lebt mein Bruder hier noch. Bei ihm können wir bestimmt unterkommen"

"Das ist doch gut", fand Laila, "Worauf wartest du? Er wird sich bestimmt freuen dich wieder zu sehen!" Soul senkte den Kopf. Zögerte. Warf einen Blick zurück zu uns. In ihren Augen sah ich einen erbitterten Kampf toben. Wieder senkte sie den Kopf. Tat einen Schritt nach vorne. Zögerte wieder. "Alles okay?" fragte Julia. "Ja, ja alles gut!" erwiderte Soul etwas zu schnell und lachte auf "Warum auch nicht? Warum auch nicht?" wiederholte die Ägypterin noch einmal, dieses Mal jedoch so leise, dass nur ich es mitbekam. Tief atmete Soul ein und aus. Dann straffte sie die Schultern, hob das Kinn und lief die letzten Schritt zu der provisorischen Tür, die den Eingang zu der kleinen Hütte bildete. Wir folgten ihr mit etwas Abstand.

Hastig klopfte Soul an der verdreckten Tür, bevor sie sofort einige Schritte zurück machte, als hätte sie Angst, hinter der Tür würde ein Monster hervor kommen. Nichts passierte. Zögerlich rief Soul etwas auf Arabisch. Wieder passierte nichts. "Vielleicht ist er auch umgezogen. Er hatte gerade Arbeit gefunden als ich..." begann Soul, doch plötzlich rumpelte etwas in der Hütte. Ein unterdrücktes Fluchen war zu hören, oder zumindest nahm ich an, dass es ein Fluchen war.

Soul sprang einige Schritt nach vorne und klopfte wieder gegen die Tür, rief wieder etwas auf Arabisch. Sofort wollte sie wieder zurück weichen, doch dieses Mal war sie nicht schnell genug. Die Tür wurde zur Seite geschoben und im schwachen Mondlicht blickte uns das Gesicht eines jungen, schlanken, vielleicht mitte zwanzig jährigen Mannes an. Man merkte deutlich, dass die beiden Geschwister waren. Souls Bruder hatte den gleichen milchkaffee-farbenden Teint, die gleichen kurzen, gerade ziemlich verstrubbelten, schwarzen Haare und ähnliche rotbraune Augen, wie seine Schwester vor ihrem Ausbruch. Sein Gesicht war jedoch im Gegensatz zu Soul und trotz seines Barts deutlich kantiger, seine Augenbrauen deutlich dominanter und seine Gesichtsform war eher rechteckig, nicht diamantförmig, wie es bei Soul der Fall war.

Für einen Moment blickte er uns nur an. Erst schweifte sein Blick zu Soul, dann zu uns, dann wieder zu Soul. Tonlos fragte er etwas auf Arabisch, was Laila für mich schnell mit "Wer ist das?" übersetzte. Seine Stimme war nicht wütend oder abwertend, eher vollkommen urteilsfrei und ruhig. Er schien distanziert, doch ich sah die Neugier und die Verwirrung in seinen Augen blitzen. Währenddessen biss sich Soul auf die Unterlippe "Freunde" erwiderte sie zögerlich auf Englisch, bevor sie den Kopf senkte "Leute, dass ist Marik, mein Bruder. Marik, das sind Julia, Laila, Lea und Kjell"

Ihre Stimme schien ihren Bruder, Marik, aus seiner Beobachtungsstarre zu reisen. Er ließ für einen Moment seinen Blick über uns streifen und nickte kurz, doch dann trafen seine Augen wieder seine Schwester. Mit zwei Schritte war er bei ihr und zog sie in eine Umarmung. Erst zuckte Soul erschrocken zusammen, doch dann vergrub sie ihr Gesicht im abgewetzten Shirt ihres Bruders und drückte ihn fest. So hielten sich beide für einige Sekunden fest, bevor sich Marik langsam aus der Umarmung löste und uns ein Lächeln zu warf "Kommt rein, ihr seid sicher müde!"

Kurze Zeit später saßen wir alle in einem Kreis um ein Feuer herum und schlürften Tee, welchen Marik für uns schnell gekocht hatte. Obwohl nur wenige rote Blätter, die ich wegen des Geruches und Geschmacks auf Hibiskusblätter schätzte, in dem heißen Wasser schwammen, schmeckte der Tee vorzüglich. Und das, obwohl ich eigentlich nie ein großer Fan von Tee gewesen war.

"Jetzt erzählt mal, wieso kreuzt ihr hier mitten in der Nacht auf?" fragte Marik, in erstaunlich gutem Englisch, als er schließlich auch für sich Tee in einen alten Becher geschüttet hatte. "Na ja" begann ich, nicht so ganz wissen, wie ich ihm die ganze Sache erklären sollte, ohne das Geheimnis der Kinder der Natur zu verraten. Doch Soul übernahm die Erklärung für mich "Wir hatten Ärger. Irgendwelche Vollidioten sind bei uns eingestiegen und wollten uns entführen."

Marik verzog das Gesicht, bevor er seufzte "Das tut mir leid! Ich hätte euch gewünscht, dass so etwas während eurem Aufenthalt hier nicht passiert. Leider kann so etwas in Kairo aber passieren. Die Armut ist hier groß, wisst ihr?" Ich nickte "Soul hat es uns erzählt. Schrecklich!" Marik erwiderte mein Nicken "Da hast du recht. Schrecklich. Dabei gibt es einige gebildete Menschen in den Slums, die auch eine Schulausbildung und sogar teilweise ein Studium haben! Aber es gibt einfach zu viele Menschen!", er seufzte, "Ich weiß nicht, ob Soul es euch auch erzählt hat, aber früher war Kairo nicht so überfüllt.

Ich weiß nicht mehr genau wann, aber irgendwann in den Neunzigern sind zig tausende Menschen nach Kairo gezogen. Das Leben war auf dem Land immer schlechter geworden und die Menschen sehnten sich nach der modernen Stadt, wo es angeblich bessere Jobs für alle und tolle Wohnungen gäbe. Aber es kamen einfach zu viele. Bald fanden selbst gut ausgebildete Menschen keinen Job oder eine Wohnung mehr. Und dann haben diese Menschen angefangen sich selbst Häusern oder zumindest irgendeinen Raum wo sie leben können zu bauen. Der Slum wurde geboren. Und er wächst, sehr schnell. Mittlerweile kommt auch dort der ganze Müll hin, ihr seid bestimmt an Garbage City vorbei gekommen, da seht ihr das Ergebnis. Die Straßen und das Wasser verdrecken, Krankheiten haben ein leichtes Spiel und die Kriminalität wächst. Aber trotzdem kommen immer mehr Menschen, weil die Lage auf dem Land immer noch so schlecht ist und weil man mit dem ganzen Müll vergleichsweise gut Geld verdienen kann. Kairo ist mittlerweile eine riesige Recycling Stadt, circa 80% seines Mülls wird recycelt! Es ist ein Geschäft. Ein riesen Geschäft für die Armen."

"Marik setzt sich seit Jahren dafür ein, dass dieses Geschäft den Menschen auch etwas bringt. Er hat schon einige Reden gehalten und war auf einigen Demonstrationen. Bis jetzt hat es leider nicht sonderlich funktioniert." Warf Soul stolz ein. Marik huschte ein Lächeln über die Lippen, bevor er wieder ernst wurde "Ja, leider gab es bis jetzt nur kleine Erfolge. Das Problem ist nämlich, dass die Menschen mit dem Müll zwar ihre Familien einigermaßen satt kriegen, doch dafür müssen alle mithelfen. Kinder können nicht zur Schule, bekommen keine Bildung. Außerdem hängt alles am seidenen Faden, denn die Abgase die teilweise bei der Verbrennung von Plastik und dem restlichen Müll entstehen sind hoch giftig! Viele Menschen werden irgendwann schwer krank, wenn sie nicht schon von anderen Krankheiten in den Slums dahingerafft oder arbeitsunfähig gemacht werden. Aber der Staat tut nichts dagegen! Denn mit der günstigen Müllentsorgung und Recycling ist ideal für ihn. So verbuchen sie nämlich nicht nur unfassbar hohe Recyclingprozente, sondern halten auch die Stadt, die ohne die Slumbewohner schon lange in ihrem eigenen Müll und Dreck erstickt wäre, schön sauber." Ein Schnauben entwich ihm "Die Menschen, die jedes Jahr zu hunderten, zu tausenden, sterben sind der Stadt egal. Ein Slumbewohner ist nichts wert. Er soll seine Arbeit machen, alles andere ist egal!"

Betroffen blickten meine Freunde und ich ins Feuer. Gleichzeitig war ich von Marik schwer beeindruckt. Er hatte eine unglaubliche Ausstrahlung während er sprach und man merkte wirklich wie sehr ihn das Thema beschäftigte und wie sehr er sich informiert hatte. Außerdem sprach er verdammt gutes Englisch, trotz wahrscheinlich fehlender Schulausbildung.

Kjell schien das gleiche zu denken "Das ist echt krass!", fand er, "Aber woher sprichst du so gutes Englisch?" Dem Ägypter huschte ein Lächeln über die Lippen "Bevor wir nach Kairo gezogen sind, sogar noch bevor Ma mit Sulé schwanger war, lebte in unserem Dorf eine Frau von irgendeiner Hilfsorganisation. Eine Australierin. Grace. Sie hat uns Kindern damals Englisch beigebracht. Außerdem sprachen unsere Eltern auch Englisch und haben immer mit uns geübt, weil es ihnen wichtig war, dass wir nicht nur Arabisch sprechen." Erklärte er beinahe beiläufig "Das hat uns die letzten Jahre mehrmals den Hintern gerettet, weil ich so oft als spontaner Übersetzter für die Touristen arbeiten konnte und so ein paar Pfund nach Hause bringen konnte."

"Das hat mir auch mit der Verständigung mit Tyler geholfen. Er spricht nämlich kein Arabisch." Fügte Soul hinzu. Ihr Bruder nickte leicht zustimmend, bevor er sich aufrappelte "Lasst uns schlafen gehen. Ich muss morgen früh raus und ihr seid bestimmt auch müde!" "Das bedeutet wir können hier schlafen? Vielen Dank Bruderherz, du rettest uns gerade das Leben!" erleichtert stand nun auch Soul auf. "Natürlich! Deine Freunde sind meine Freunde. Und Freunden hilft man. Gerade hier, wo das Leben sowieso schon so schwierig ist!" winkte Marik ab und lächelte "Ich garantiere aber keinen Komfort! Matratzen hab ich leider keine, ihr müsst auf dem Boden schlafen!"

"Kein Problem! Vielen Dank dir!" Wieder winkte Marik ab "Wie gesagt, die Freunde meiner Schwester, sind auch meine Freunde!" lächelte der junge Mann "Ich suche ob ich vielleicht noch einen Teppich finde, dann müsst ihr nicht so im Staub schlafen!" "Ich mach solange das Feuer aus. Es ist heiß genug!" fand Soul und ließ das Feuer, welches gerade noch voller Energie gebrannt hatte, mit einer einzigen Handbewegung erlöschen. Und das, direkt vor den Augen ihres Bruders.

Meine Augen weiteten sich und ich tauschte einige alarmierte Blicke mit Kjell- Das war nicht gut! Doch Marik blieb ganz entspannt. Nickte nur kurz, bevor er in eine Ecke griff und zwei zusammengerollte Teppiche hervor zog. "So, hier drauf könnt ihr schlafen! Sie sind vielleicht etwas dreckig, aber immer noch besser, als auf dem blanken Boden zu schlafen!" sprach er, bevor er die Teppiche auseinander rollte und fein säuberlich neben einander legte. Dann fielen ihm unsere erstaunten, wohl immer noch etwas erschrocken, Blicke auf. Er lachte "Was? Habt ihr geglaubt, ich wüsste nicht, wozu Soul fähig ist? Ich war dabei, als dieser Tyler ihr von ihrer Bestimmung erzählt hat. Ich weiß grob, was bei euch abgeht, auch wenn ich es immer noch nicht glauben kann!"

Erleichtert ließ ich Luft geräuschvoll aus meiner Lunge entweichen. "Ach so!", erwiderte ich und lächelte, "Danke für die Teppiche!"

Der Geruch von Fladenbrot und Bohnen stieg in meine Nase, als ich am nächsten Morgen die Augen aufschlug. Leise stöhnte ich, während ich mich leise aufrappelte. Es schien noch recht früh zu sein, denn die Sonne war gerade erst am Aufgehen, wie mir das rötliche Licht verriet, welches durch die Ritzen des Wellblechs schien. Wieder stöhnte ich leise, während ich mir meine Schulter und meinen Nacken massierte. So an eine Nacht auf dem Boden war weder mein Körper, noch ich richtig gewöhnt. Außerdem neigte ich dazu, auf der Seite zu schlafen und so beschwerte sie gerade meine rechte Schulter über mein Gewicht, welches die ganze Nacht auf ihr gelegen hatte.

Ich schien die einzige sein, die von meinen Freunden schon wach war, deswegen achtete ich darauf möglichst lautlos aufzustehen und mich nach draußen zu schleichen. Dabei kam ich an der Feuerstelle vorbei, in der schon wieder rotgelbe Flammen loderten und das Fladenbrot buken. Marik war anscheinend also auch schon wach.

Warm schlug mir die frische Luft des Slums entgegen, als ich die schiefe Hütte verließ. Kurz verzog ich das Gesicht. Die Sonne brütete schon wieder vom blauen Himmel und hatte die Temperaturen im Slum schon wieder rapide ansteigen lassen, auch wenn es dieses Mal, deutlich kühler war als gestern. Doch es waren nicht die schätzungsweise zwanzig Grad, die mich das Gesicht verziehen ließen. Es war der Geruch. Es roch nach Kot, Plastik und identifizierbarem Vergorenen.

"Lea!" rief plötzlich eine Stimme. Erschrocken zuckte ich zusammen und drehte mich eilig um. "Hier oben!" grinste die Stimme, als ich niemanden entdecken konnte. Ich hob meinen Blick und entdeckte Kjell, der in einem wohl ehemaligen Zimmer etwa im mittleren Bereich der Hochhäuser saß. Früher war dort wohl eine große Glasfront gewesen, doch von dem Glas war nichts mehr übrig geblieben. "Komm hoch! Die Fladenbrote brauchen noch ein Weilchen!" forderte mich der Schwede auf und grinste aufmunternd.

Skeptisch blickte ich die Wand hinauf, mich fragend, wie ich da wohl hoch kommen sollte. Kjell schien meinen Blick richtig zu deuten "Erst auf das Dach der Hütte. Auf einem Vorsprung von diesem Haus hab ich ein paar Kisten gestapelt, da kannst du hoch klettern." Ich zögerte immer noch und blickte abschätzend auf den Weg, den er mir gerade beschrieben hatte. "Jetzt komm schon. Wenn das Dach mich hält, dann hält es auch dich! Die Aussicht lohnt sich!" lockte Kjell.

Ich seufzte, kletterte dann jedoch auf einen Betonklotz neben der Hütte, griff mit beiden Händen an den Rand des Dachs, welches ebenfalls aus Wellblech und Holz bestand und zog mich dann mehr oder weniger elegant hoch. Durch meine Größe war dies sogar gar nicht so schwer und auch das Hochklettern der Holzkisten erwies sich als einfacher als ich gedacht hatte. Kaum fünf Minuten später, hatte ich die ehemalige Fensterfront erreicht, von der aus mich Kjell entdeckt hatte. Der Schwede streckte mir helfen eine Hand aus und half mir dann, mich ganz hoch zu ziehen.

"Elegant wie eine Katze" grinste Kjell, während ich mir den Staub aus der Kleidung klopfte. Es brachte allerdings ziemlich wenig. Meine Klamotten waren sowieso schon von oben bis unten verdreckt und voller Flecken. "Schön wärs!" lachte ich "Wie lange sitzt du schon hier?"

"Vielleicht eine Stunde? Könnte aber auch weniger oder mehr sein. Mein Zeitgefühl hat sich schon lange verabschiedet" Kjell zuckte die Schultern. Langsam nickte ich. Stille breitete sich aus. Jeder von uns hing einfach seinen eigenen Gedanken nach und betrachtete den Slum unter uns. "Wie hast du eigentlich diesen Platz gefunden?" fragte ich schließlich, während ich meinen Kopf gegen seine Schulter lehnte.

"Gar nicht. Marik hat ihn mir gezeigt. Ich bin aufgewacht, als er den Teig für die Fladenbrote gemacht hat. Nachdem die über dem Feuer waren, hat er mich hier mit hoch genommen und wir haben etwas geredet. Der Typ ist echt mega korrekt!" erwiderte Kjell, ohne seinen Blick von der Stadt vor uns abzuwenden. Ich nahm meinen Kopf von seiner Schulter und blickte ihn schräg an "Dir gefällt es hier, oder?"

Nun wandet der Schwede seinen Blick ab und sah mich für einen Moment an, bevor er wieder die Stadt vor sich beobachtete. "Ich weiß nicht. Es ist schrecklich wie die Menschen hier leben. Aberes erinnert mich etwas an meine Zeit auf der schiefen Bahn. Sie war nicht immer schlecht, weißt du? Klar war das Leben hart und unfair. Und natürlich bereue ich die Sachen, die ich gemacht habe. Aber dieses Gefühl völlig frei von jeglichen Gesetzen zu sein. Dieser Adrenalinkick. Keine Ahnung. Es reizt irgendwie." Sprach mein Freund nachdenklich "Außerdem sind die Menschen in solchen Viertel ganz anders. Offener. Hilfsbereiter. Klarer. Man weiß genau, vor wem man sich in Acht geben sollte. Irgendwie ist das sehr entspannend manchmal."

"Entspannend? Was ist, wenn dir jemand in den Rücken fällt, weil er sich selbst retten will?" warf ich ein. "Passiert das nicht auch in reicheren Gegenden? Menschen denen man vertrauen kann sind selten Lea, das weißt du genauso gut wie ich. Vielleicht sogar noch besser..." wissend trafen seine Augen meine. Ich senkte den Kopf, nickte dann jedoch "Vielleicht hast du recht!" Kjell lächelte "Ich weiß trotzdem was du denkst. Und auch du hast Recht. Ich darf Schweden nicht mit Kairo verwechseln. Das sind vollkommen andere Welten. Trotzdem erinnert es mich vieles an früher. Ich habe lange versucht meine Vergangenheit zu ignorieren, sie unter den Tisch zu schieben. Auch deinetwegen, weißt du? Ich meine, was gibt das für ein Bild ab? Die Kronprinzessin von Norwegen mit irgendeinem Dieb und Kriminellen aus Schweden."

"Aber das ist doch völlig egal! Ich weiß doch, dass du eingesehen hast, dass dein Weg damals nicht der Richtige war und dass du deine Fehler bereust. Ich liebe dich, egal mit welcher Vergangenheit!" unterbrach ich ihn. Kjell lächelte "Ich weiß. Und ich wünschte wir könnten mehr Zeit zusammen verbringen um uns noch besser kennen zu lernen. Denn...zwar kenne ich dich, denke ich mal, schon ziemlich gut, aber ich weiß auch, dass ich vieles, wichtiges noch nicht von dir weiß. Und ich denke, dass gleiche gilt für dich. Aber mir geht es nicht um unsere Beziehung. Es geht mir um deine Familie. Und eventuell irgendwann vielleicht die Presse. Du weiß, wieder vielleicht sogar noch besser, genauso gut wie ich, dass von mir alles ausgegraben werden wird, falls unsere Beziehung wirklich irgendwann mal an die Öffentlichkeit kommt. Und darauf wird es wohl hinaus laufen.

Ich trage schon lange diese Frage mit mir rum, was wohl passieren wird, wenn dieser Tag eintritt. Ich weiß wie wichtig dir deine Familie ist und wie gefährlich so jemand wie ich für euch sein kann. Deswegen habe ich versucht, meine Vergangenheit unter den Teppich zu kehren. Sie irgendwie zu verdecken. Aber das ist so gut wie unmöglich, weil mein Name eben bei der Polizei vermerkt ist. Ich habe überlegt, wie ich ihn daraus kriege. Wie meine Taten verwischt kriege. Aber...durch diese Reise ist mir etwas klar geworden. Egal wie sehr ich mir wünsche, dass ich das vor drei Jahren nicht gemacht hätte. Egal wie sehr ich versuche meine Vergangenheit zu vergessen und zu ignorieren. Sie ist trotzdem ein Teil von mir. Sie hat mich geprägt. Mir in gewissermaßen auch die Augen geöffnet. Ich muss sie akzeptieren und das Beste draus machen. Anders geht es nicht."

Für einen Moment schwieg ich. Blickte einfach nur auf die aufgehende Sonne am Himmel. "Das sind starke Worte" murmelte ich irgendwann "Aber mir ist eins wichtig. Ich liebe dich. Egal was du gemacht hast. Egal was du machen wirst. Egal, welche Probleme du oder wir bekommen werden. Ich liebe dich. Und ja, du hast Recht. Wir müssen uns mehr Zeit für uns nehmen. Das wird demnächst zwar ziemlich schwer, weil wir erst mal diesen verdammten Stein finden müssen und dann auch noch das Abitur ansteht. Aber wir schaffen das. Ich glaube an uns."

Auf Kjells Gesicht schlich sich ein Lächeln, als er meine Worte hörte. Für einen Moment versanken seine grünen Augen einfach nur in meinen. Dann beugte er sich vorsichtig vor und hauchte mir einen Kuss auf die Lippen. "Ich weiß, Lea. Ich liebe dich auch! Und ich glaube auch an uns"

Der Rest des Tages verließ schleichend. Nachdem Kjell und ich die Sonne beim Aufgehen beobachtet hatten, frühstückten wir zusammen mir Marik, Soul, Julia und Laila das Fladenbrot, welches zwar einfach, aber trotzdem unfassbar lecker war. Dann verschwand Marik zu unserem Hotel um dort unsere Sachen zu holen. Zuerst wollten es ich und Soul selbst tun, doch Marik hatte uns heftig widersprochen. Nachdem wir ihm beim Frühstück noch einmal den genaueren Grund unserer Flucht erklärt hatten, empfand er es als viel zu gefährlich uns alleine losziehen zu lassen. Schließlich hatten wir nachgegeben.

Nachdem wir unsere Sachen hatten, verschwand Marik zur Arbeit, während wir in der Hütte blieben, diese aufräumten und uns die Zeit damit vertrieben im Internet nach Informationen der Cheops Pyramide zu Suchen und uns von Soul Schach spielen beibringen zu lassen. Die Stimmung war gut, wenn auch angespannt. Die letzte Nacht hatte bei uns allen Spuren hinterlassen.

Als die Sonne schließlich untergegangen war, begannen wir die Hütte ein wenig aufzuräumen und das Abendessen zu kochen. Während Soul und Laila sich um das Feuer und die Fladenbrot kümmerte, kochten Kjell und ich den Hibiskus Tee, der hier anscheinend gerne und oft getrunken wurde. Julia saß in der Ecke und schrieb anscheinend mit Antonia.

Gerade als wir fertig wurden, kehrte Marik heim, der die ganze Zeit gearbeitet hatte. Er sah müde und abgekämpft aus, doch sein Gesicht erhellte sich, als der Geruch von Fladenbrot und Tee ihm in die Nase stieg. Er hatte sogar ein paar Erdbeeren und Datteln auf dem Markt gekauft, die wir zusammen mit dem Fladenbrot aßen.

"Was machst du eigentlich?" fragte ich ihn neugierig, nachdem er durstig ein paar Schlucke getrunken und hungrig über das Fladenbrot hergefallen war. "Mal das, mal das. Gelegentlich arbeite ich auf dem Bau oder trage jemanden irgendwelche Taschen. Manchmal habe ich auch Glück und kann für ein paar Touristen Reiseführer spielen. Aktuell arbeite ich allerdings wieder auf dem Bau, zum Glück nicht als Bauarbeiter sondern als Übersetzer für den Architekten." Erzählte der junge Mann.

"Marik war schon immer, der schlauere von uns beiden! Er hat immer etwas gefunden womit man Geld verdienen konnte" warf Soul ein. Ein Lächeln huschte über das Gesicht des Ägypters "Früher wollte ich immer Architekt werden....oder Politiker. Aber...na ja, dieser Traum hat sich leider ziemlich schnell erledigt. Zumindest hab ich jetzt ein quasi eine Art Dauerpraktikum als Architekt und lerne so etwas mehr über den Beruf"

"Ich wollte früher immer Mechanikerin werden, so wie mein Vater" sagte Laila plötzlich, als Stille versuchte sich zwischen uns zu schleichen. "Ich Pilotin. Bis ich bemerkt habe, dass ich Fliegen hasse" Julia verzog das Gesicht zu einer Grimasse. Ich lachte. Auch Kjell verzog das Gesicht zu einem breiten Grinsen "Seefahrer" sagte er nur "Später wollte ich dann aber ein Cop werden" Mein Lächeln, welches gerade noch auf meinem Gesicht gelegen hatte verrutschte und ich strich unauffällig über seine Hand, die direkt neben mir lag. Ich konnte mir denken, wann er seine Meinung geändert hatte.

Silbern schien der Vollmond zwei Stunden später vom dunkeln Nachthimmel. Es war keine einzige Wolke weit und breit zu sehen und ich sah vermutlich tausende Sterne, als ich meinen Kopf in den Nacken legte. Beinahe automatisch legte sich ein Lächeln auf meine Lippen. Die Temperaturen waren merklich abgekühlt, es hatte vielleicht knapp fünfzehn Grad, doch ein warmer Ostwind machte es angenehm. Der Geruch von Plastik und Abgasen war leider immer noch da, doch er war schwächer geworden, zumindest nahm ich ihn nicht mehr so stark war. Dafür aber den sandigen Geruch, der wohl direkt aus der Wüste kam.

"Bereit?" fragte plötzlich Kjell neben mir, der sich wohl unbemerkt neben mich geschlichen hatte. "Ja...nein." Erwiderte ich "Ich weiß nicht. Vielleicht." Kjells Mundwinkel verzogen sich nach oben und er griff nach meiner Hand "Das wird schon. Du wirst sehen, wir schleichen uns in die Cheops, holen uns diesen Feuerstein und sind Schwups wieder draußen und auf dem Rückflug. Und dann wird alles gut" Ich erwiderte sein Lächeln halbherzig "Ich hoffe du hast recht."

Wir brauchten circa zwanzig Minuten zu dem Plateau der Pyramiden. Vor zwei Tagen hatten wir hier unsere Eintrittskarten besorgt und waren dann durch den Haupteingang in den abgesperrten Bereich gelungen. Doch nun war es circa dreiundzwanzig Uhr Abends, außer uns, war keiner mehr hier. Abschätzend betrachtete Laila die etwa drei Meter hohe, aus Sandstein gebaute Mauer vor uns "Und jetzt?", fragte sie, "Wie kommen wir hier rüber?"

"Vielleicht hat irgendwo jemand vergessen abzuschließen" überlegte ich und sah mich suchend um. "Ernsthaft?", Soul zog die Augenbraue hoch und sah kurz so aus, als müsste sie sich ein Lachen verkneifen, "Seid ihr noch nie irgendwo eingebrochen? Wir machen einfach Räuberleiter. So hoch ist die Mauer ja nicht" Ich verzog das Gesicht. Natürlich hatte ich gewusst, dass das was wir tun werden würden verboten war, doch es nun zu tun, gab mir ein mulmiges Bauchgefühl. Ich hatte noch nie etwas Illegales getan. Und bei dem Gefühl das nun schwer in meinem Magen lag, hoffte ich, dies auch so schnell nicht wieder tun zu müssen. Gleichzeitig betete ich, dass uns hier keiner sah und das hier schon gar nicht an die Öffentlichkeit kam. Ich hatte nicht sonderlich Lust, das ganze hier meinen Eltern erklären zu müssen.

Trotzdem sagte ich nichts, während sich erst Soul, dann Laila und dann Julia mit Kjells Hilfe über die Mauer schwangen. Dumpf hörte ich sie auf der anderen Seite aufkommen. "Kommst du?" fragte Kjell und hielt mir seine ineinander gefalteten Hände entgegen, als ich nur zögernd auf die Mauer blickte. "Las mal, ich helfe dir lieber rüber. Ich komm auch so rüber" erwiderte ich nur. In der Dunkelheit sah ich Kjell erst überrascht die Augenbraue hochziehen, doch dann nickte er nur und kurz darauf hörte ich auch wie er dumpf auf der anderen Seite aufkam.

Jetzt fehlte nur noch ich. Ein letztes Mal blickte ich mich nervös um, bevor ich leicht in die Hocke ging und mit einem gewaltigen Satz erst auf die Mauer sprang und mich dann von dort runterrutschen ließ. Beinahe lautlos kam ich auf meinen Füßen auf.

Ein wenig beeindruckt nickte Soul mir zu, bevor sie aus ihrer Hosentasche eine verknitterte Karte des Geländes zog und sich einige Mal umblickte "Woher hast du die denn?" fragte Julia überrascht, als Soul die Karte hervorzog. Die Ägypterin zuckte nur mit den Schultern "Ich hatte sie noch in meiner Tasche, als wir geflohen sind. Zum Glück!" erwiderte sie, bevor sie noch einmal einen Blick auf die Karte warf und dann auf eine Pyramide deutete "Da ist die Cheops. Da müssen wir hin"

Unbewusst holte ich einmal tief Luft und ließ sie dann wieder hörbar entweichen "Okay, dann auf zu Cheops" "Auf zur Cheops" wiederholten Kjell, Laila und Julia. "Hoffen wir, dass sie die Lösung unserer Probleme ist" fügte Soul leise hinzu.

Erst einmal ein Hallöchen an alle die dies hier lesen. Ich muss mich leider schon wieder dafür entschuldigen, dass dieses Kapitel so lange gebraucht hat. Ich hatte es eigentlich schon vor eine Woche veröffentlichen wollen, aber irgendwie bin ich nicht dazu gekommen es fertig zu schreiben und dann zu überarbeiten. Ich gebe zu, ich bin immer noch nicht ganz hiermit zufrieden. Gerade mit einigen Szenen weiß ich noch nicht, ob es so schlau war, die hier reinzusetzen oder ob eine andere vielleicht besser gewesen wäre...Na ja, ich hoffe trotzdem, dass euch das Kapitel gefällt und dass ich in den nächsten Tagen wieder vermehrt zu schreiben und auch veröffentlichen komme. Falls nicht, tut es mir jetzt schon leid, aber irgendwie ist es gerade bei mir ziemlich voll und da ich so wenig Zeit zum schreiben hab, bin ich auch nicht in so einen Flow wie am Anfang des Buches. Egal, bevor ich hier jetzt nochmal dreihundert Wörter schreibe, wünsche ich euch eine gute Nacht und schon mal ein schönes Wochenende :)

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