Vierzehntes Kapitel
Die Zweijährigen wurden immer mal wieder von Jockeys in Trainingsrennen geritten. So bekam auch ich die ein oder andere Stute oder ein paar spritzige Hengste unter den Sattel. Mystery White, eine schöne Graue, gefiel mir sehr gut. Sie war ein wenig nervös aber sonst eine schnelle Schönheit. Das war auch die Einzige, der ich dauerhaft mehr zutraute. Es sei denn Fastfoot würde lernen seine Kräfte zu sparen und sie bewusst einzusetzen.
Heute war Renntag und ich hatte drei Pferde in zehn Rennen unter dem Sattel. Zum einen Mystery White, zum anderen Love Angel und dann noch Gray Grace.
Ich stieg zu Lukas, meinem heutigen Begleiter, in den Wagen und wir fuhren los. Drei Stunden fuhren wir durch Städte und über Niemandsland, bevor wir die Bahn erreichten.
Noch war nicht viel los. Lediglich ein paar Pfleger liefen über den Vorplatz. Der Kies unter den Reifen des Autos knirschte als wir auf den Parkplatz bogen. Ich stieß die Tür mit einem Ruck auf und half Lukas Mystery auszuladen. Die metallenen Schnallen des Lederhalfters klirrten, als die zierliche Stute nervös den Kopf aufwarf und um Lukas herumtänzelte. Dieser bat mich, sie ein wenig zu bewegen.
Ich erkundigte mich bei ein paar wissend aussehenden Leuten nach einem Weg, bekam aber keine Antwort, da sie wohl mit wichtigeren Sachen beschäftigt waren. Deshalb führte ich die Stute kurzer Hand ein Stück in den angrenzenden Wald. Langsam wurde sie ruhiger, die Muskeln lockerten sich und sie begann sich umzusehen. Ich klopfte ihr beruhigend den Hals, worauf sie mich mit ihren wachen Augen frech ansah. Ich begann zu laufen, Mystery im Schlepptau. Es war mühsam, den großen, raumgreifenden Schritten der Stute standzuhalten. Ich blieb keuchend stehen und stützte die Hände auf die Knie.
Ich machte viel Sport, um mein Gewicht zu halten, aber neben einem Rennpferd herzulaufen war doch zu viel.
Ich atmete immer noch schnell, als ich Mystery wieder zu Lukas brachte. Dann begab ich mich in die Stallungen. Ich sah mir Gray Grace an, eine schöne Stute. Sie stieß mich mit ihrer Nase sanft an und bettelte nach Futter. Ich strich ihr lachend über den Kopf und suchte Love Angel. Doch egal wo ich mich umhörte, niemand hatte sie gesehen oder wusste, was los war.
Die Rennbahn füllte sich langsam mit Besuchern. Lange Schlangen vor den Eingängen, hier und da bellte ein Hund oder schrie ein Kind. Das erste Rennen stand bevor, aber da ich nicht ritt, machte ich es mir gemütlich und verfolgte das Geschehen vor dem Waagegebäude auf dem Bildschirm. Alles lief geregelt ab und heimlich notierte ich mir meine Favoriten.
Sogar vor den Startboxen gab es keinen Ärger und schnell waren die Pferde im Rennen. Es dauerte nicht lange bis die Pferde in die Zielgerade kamen. Ich fieberte mit meinen Favoriten und lächelte, als einer sich mit einem anderen Pferd ein Kopf-an-Kopf-Rennen lieferte, sich aber auf den letzten Metern geschlagen gab. Die anderen beiden endeten irgendwo im Mittelfeld.
Dann zog ich meinen Jockeydress aus dem Schrank und zog es schnell über. Mit dem Helm in der Hand schlenderte ich zum Führring.
Nick war heute nicht dabei, er war auf einer parallel stattfindenden Veranstaltung, also unterhielt ich mich mit den Besitzern. Schließlich tauchte auch der Trainer von Love Angel, die ich in diesem Rennen reiten würde, auf. „Angel ist in ihrem letzten Training sehr ruhig, fast zu ruhig gewesen. Wichtig ist, dass du sie auch mal kräftig bittest, wenn sie nicht mehr will. Sie zieht nicht gerne durch und lässt am Ende oft nach, also lass dich nicht veräppeln. Zuerst würde ich sie im vorderen Mitteltreffen halten. Du darfst mit ihr gerne auch von vorne gehen. Sie kennt es, die Pace zu machen. Je nachdem wie sie drauf ist, ist das besser oder schlechter, musst du mal gucken."
Damit konnte ich unglaublich viel anfangen... Trotzdem tat ich zufrieden: „Ich schaue während des Rennens wie sie läuft, aber die Beste scheint sie ja nicht zu sein, oder?" Ich lächelte vorsichtig.
„Nein, ich habe schon oft gesagt, dass sie aus dem Sport muss. Früher war sie lebhafter und hat auch mal das ein oder andere Rennen gewonnen, aber jetzt ist sie mit 8 Jahren ja ein Oldie. Sie ist dafür aber ganz ordentlich zu reiten."
„Ja, so Pferde kenne ich auch. Aber vielleicht bekommt sie ja nochmal Spaß am Laufen." Ich dachte an das ein oder andere Pferd aus Nicks Stall. „Ist ähnlich wie dieser Fire Devil, den Nick hat, oder? Soviel gelaufen und das Beste war ein dritter Platz. Wieso hat Nick ihn aufgenommen? So ein Pferd gehört in die Reitschule." Ein herausfordernder Blick lag in den hellbraunen Augen. Für einen Moment wusste ich nicht was ich sagen sollte. Sollte ich diesem Mann Fires Schnelligkeit unter die Nase reiben oder sein Argument bestätigen?
Ich entschied mich, nichts Aussagekräftiges zu antworten. „Ich glaube in seinem alten Trainingsquartiert war er nicht zufrieden und der dritte Platz bei uns war doch schon mal ein Ansatz."
Der Trainer wollte noch mehr hören, hielt sich aber zurück und warf mich dann auf den Rücken der Stute. Ich klopfte deren Hals und prüfte den Halt des Sattels und der Steigbügel. Als ich zufrieden mit dem Ergebnis war, waren wir schon fast auf der Bahn. Die Ohren von Love Angel hingen lustlos zur Seite und noch nicht einmal als wir den Rasen betraten, tat sich etwas in der Stute.
Ich fragte mich, ob sie den Trubel um sich herum überhaupt wahrnahm. Ich trieb sie an und sie viel in einen abgehackten, lustlosen Galopp. Vergeblich versuchte ich, Glanz in die schönen, dunkelbraunen Augen zu bekommen. Selbst durch Zurufe ließ sie sich nicht anstacheln.
Sie behandelte alle, als wären sie nicht da, beachtete weder den Hengst, der einen Tanz vollführte, noch den schreienden Starter und die hin und her eilenden Starthelfer. Desinteressiert betrat sie die Box und schien froh zu sein, endlich stehen zu können.
Der Knall, mit dem die Türen aufschwangen, erschreckte sie. Sie machte einen Satz, aber ein paar Meter weiter verfiel sie wieder in ihre sture Ignoranz. Die ganze Gerade über ließ sie sich kräftig bitten und in der Gegenseite hatte ich keine Lust mehr. Mir kam das "Gespräch" zwischen Fire und mir in den Sinn. Ein Versuch war es wert, also richtete ich all meine Aufmerksamkeit auf die Stute und dachte:
‚Kannst du nicht mal so tun als würdest du laufen wollen? Das ist ja kaum auszuhalten! Schrecklich, dieses Gefühl auf einem abgebrühten Pony zu sitzen, das nicht mal eine platzende Bombe wahrnimmt. Hast du keine Ehre? Hast du überhaupt eine Persönlichkeit?'
Ich wusste nicht, ob sie mich hören konnte, aber sie legte verärgert die Ohren an und wurde auf meine Forderung schneller. In zweiter Spur übernahm ich die Spitze und ließ die Stute laufen. Ich musste ihre Euphorie schnell nutzen, denn ich wusste nicht, wie lange sie hielt.
Der Jubel der Zuschauer wehte mit dem lauen Wind schwach zu uns hinüber, als wir in die Gerade einbogen. Endlich spürte ich wie Love Angel begann, die Geschwindigkeit zu genießen. Die Gegner kamen und liefen an uns vorbei. Ich ließ es so geschehen. Die Stute hatte gerade wieder Spaß am Laufen, da musste ich sie nicht auch noch mit unnötigen Peitschenhieben ärgern. Zweimal forderte ich sie auf und sie erkämpfte sich einen guten dritten Platz. Einigermaßen zufrieden ließ ich sie von der Bahn treten.
Der Führer war verwundert, wie lebhaft Angel nun war und benahm sich, als wäre er etwas überfordert mit der Situation. Ich sagte nichts, sondern lobte die Stute nur, stieg ab und verschwand im Jockeyraum.
Wieder stand ich im Führring. Zum dritten und letzten Mal an diesem Tag. Gray Grace hatte mir eine ordentliche Blamage geliefert, indem sie in der Geraden ausgebrochen und mich mit einem Buckler in den Sand gesetzt hatte. Pech gehabt.
Nun sprach ich mit Mysterys Besitzern. „Was denken Sie hat Mystery für Chancen?"
„Außerordentlich Gute, wenn Sie mich fragen. Ihr größtes Problem sind ihre schwachen Nerven. Wir müssen sehen, ob sie den ganzen Trubel gut wegsteckt." Herr Schiebertal blickte zu der Stute, die entsetzt halbhoch stieg, als der Sattelgurt festgezogen wurde. „Ja, das muss man ihr abgewöhnen. Haben Sie eine Idee, wie das gehen könnte?" Ich brauchte nicht zu überlegen. „Übung, Übung, Übung. Die Angst kann man nur auf zwei Wegen bekämpfen. Entweder man therapiert sie, oder man setzt sich ihr aus. Bei Mystery ist es am einfachsten ihr zu zeigen, dass niemand ihr etwas tun wird." Er runzelte die Stirn. „Ja, da könnten Sie Recht haben. Aber nun sollten Sie aufsteigen, die Glocke hat schon zum zweiten Mal geklingelt." Ich nickte knapp und ließ mich von Lukas, der Mystery führte, auf ihren Rücken werfen.
Ich hatte das Gefühl, auf einem Pulverfass zu sitzen. Immer wieder sprang Mystery zur Seite. Sie war gespannt wie eine Sprungfeder. Als Lukas die Führkette aushakte, raste sie wie vom Teufel besessen los. Sofort nahm ich die Zügel kürzer und zwang sie so, das Tempo zu drosseln. An der Startstelle ließ sie sich etwas beruhigen. Hier waren zum Glück keine Zuschauer. Ich wunderte mich ein wenig, dass sie einfach so in ihre Startbox ging und lobte sie dafür überschwänglich. Dann griff ich in die weiße Mähne und wartete, dass die Boxen aufgingen.
Lange brauchte ich nicht zu warten. Der Schub nach vorne traf mich unerwartet, da ich nicht ahnte, was für eine Kraft in der Stute steckte. Wir befanden uns sofort im vorderen Mittelfeld. Vor uns lief Black Crow, ein riesiger schwarzer Hengst, neben dem Mystery mickrig wirkte. Neben uns schob sich die Stute Aquila Stück für Stück nach vorne. Die Braune war sogar noch kleiner als Mystery, was fast ein Kunststück war.
Nun waren wir zwischen den beiden eingekesselt und warteten geduldig, ohne das Tempo zu verringern. Aquila hielt besser durch, als ich dachte und schenkte uns keine einzige Chance aus dieser Tasche herauszukommen. Erst im Schlussbogen, als Black Crow anzog und Aquila nicht schnell genug beschleunigte, schaffte ich es, neben den großen Hengst zu kommen. Im Einlauf nahm ich Mystery weit nach außen, sodass wir fast am Zaun entlang galoppierten.
Ich horchte der Stimme des Kommentators: „Black Crow mit Mercedes. Mercedes oder Black Crow? Black Crow oder Mercedes, an der Außenseite weiterhin Mystery White..." Ich konzentrierte mich wieder auf Mystery. Einmal ließ ich die Peitsche knallen und schon machte sie einen Satz. Sie schien über den Boden zu fliegen, all ihre Muskeln arbeiteten fließend, fast automatisch.
Verschwommene Gestalten standen am Zaun, mit und ohne Fotoapparat, groß und klein, dick und dünn, aber eins hatten sie alle gemeinsam: Sie sahen bewundernd auf die Bahn, wo die kleine Stute gerade ihr Debüt lieferte und sich locker gegen viel stärker wirkende Gegner durchsetzte. Noch im Galopp nahm ich die Zügel in eine Hand und strich ihr dankbar über den Hals.
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