Fünfundreißigstes Kapitel
Trotz der ganzen Schwierigkeiten hatte Nick Fire zu einem Rennen genannt. Zuerst hatte ich ihn davon abbringen wollen, aber ich gab es bald auf.
Heute war also der Tag des Rennens. Als ich die schweren Stoffvorhänge vor dem Fenster zurückzog und nach draußen sah, bedauerte ich es. Dieser Tag hätte so schön werden können... Ich hätte mit Nordseeinsel und One's mind to win trainieren können und den Jährlingen beim Toben zuschauen können, aber ich musste nun mit Fire auf die Bahn. Ich erschrak vor mir selber. Nie im Leben hätte ich gedacht, dass ich so etwas einmal sagen würde. Ich bereute es, Fire reiten zu dürfen.
Roberto hatte ihn schon verladen, bevor ich herunter kam. Deshalb blieb mir noch genug Zeit für ein Frühstück. Es war, wie immer, sehr spärlich, aber es war ein Frühstück. Gut gelaunt stieg ich neben Roberto in den Pick-Up. Nick hatte es sich nicht nehmen lassen mitzufahren und sein bestes Pferd anzufeuern, doch ich machte mir da keine großen Hoffnungen. "Ich Fire nicht würde laufen lassen", sagte Roberto zu mir. "Ja, es ist schon merkwürdig, dass Nick dieses Risiko eingeht..."
"Er sich nicht verladen lassen wollte. Aber ich ihn überredet." Ich sah, dass es dem Pferdepfleger peinlich war, über das Problem mit Firezu sprechen. "Ja, mir geht es auch so. Ständig weigert er sich und hat vor allem Angst, vor allen Dingen vor..." Ich führte meinen Satz nicht mehr zu Ende, denn Nick stieg gerade ein und er musste dieses Gespräch nicht mitbekommen.
Die Fahrt verlief schweigend. Keiner hatte das Bedürfnis zu reden, nur Nick schwärmte manchmal davon, wie toll Fire war und malte sich die schönsten Siege aus. Wenn er so sprach wechselten Roberto und ich bedeutende Blicke. Keiner, der Fire in den letzten Wochen gesehen hatte, glaubte daran, dass er heute gewann, keiner außer Nick.
Die Bahn war verwunderlich leer. Nur ein paar Zuschauer tummelten sich um den Führring. Sie blickten in ihre Rennpogramme und tauschten sich aus. Der Sprecher fand genau die Richtigen Worte für Fire: "...und natürlich der Hengst, den sie alle kennen, Fire Devil. Nach seinem Sieg beim Arc bekam man zu hören das er sich verändert haben solle. Er sei nervös und bösartig konnte man in so mancher Zeitung lesen. Keiner weiß mit Sicherheit, wie viel Wahres dahinter steckt, aber ein Favorit wird er wohl trotzdem bleiben."
Ich hatte viel mit ihm zu tun. Der Schönheit der Allee, durch die wir zur Bahn ritten, konnte ich keine Beachtung schenken. Ständig brach Fire zur Seite aus oder versuchte loszustürmen. Ein braunrotes Blatt viel vor seine Hufe und sofort stieg er. Ob es das raschelnde Geräusch des Blattes war oder die Bewegung an sich konnte ich nicht sagen. Ich hatte alle Hände voll zu tun den jetzt schon nassen Fuchs im Zaum zu halten. Ich versuchte mit ihm Kontakt aufzunehmen, aber nichts passierte. Ich schlug gegen dieselbe Wand wie bei jeglichen anderen Pferden auch.
Roberto musste uns bis zur Startmaschine führen. Ich hätte ihn nicht alleine unter Kontrolle halten können. Zu zweit war es schon eine Plage. Vor der Startmaschine, die für Fire ein rennpferdefressendes Ungeheuer war, versuchten alle Starthelfer, die da waren, den widerspenstigen Gaul, wie er genannt wurde, in die Box zu bringen. Erst beim dritten Anlauf gelang es ihnen.
Sobald sich die Türen öffneten raste Fire los, erschreckte sich vor einem rascheln im Busch neben der Umzäunung und sprang zur Seite, direkt gegen einen großen, dunkelbraunen Wallach. Der giftete ihn entsetzt an. Sofort raste Fire wieder los, zog soweit nach außen, dass mein Bein am weißen Zaun entlang schabte. Er lief sogar den Bogen ganz außen entlang und befand sich sofort an letzter Stelle. Ich zog und zerrte am Zügel um ihn nach innen zu dirigieren, aber er wollte nicht folgen. Mitte der Gegenseite gab ich auf und ließ ihn laufen. Er raste los, übernahm die Spitze und ging sogar wieder an den Innenzaun. Dort reduzierte er das Tempo aber so krass, dass wir nicht lange vorne bleiben würden. Also feuerte ich ihn an und wider erwarten beschleunigte er.
Das Gefühl eins mit ihm zu sein, fehlte uns beiden. Als Fire langsamer wurde, blickte ich auf die Peitsche in meine Hand. Noch nie hatte ich sie benutzen müssen und ich wollte nicht wissen, wie Fire darauf reagieren würde. Seine Galoppsprünge wurden kürzer, die Konkurrenten kamen näher. Irgendwie schaffte wir es mit einem kurzen Kopf den Sieg zu retten.
"Du hättest ihn mehr antreiben müssen!", rief Nick aufgebracht. "Wozu? Er wollte nicht mehr laufen. Würde er nicht mehr können, hätte es vielleicht etwas gebracht, aber er wollte einfach nicht. Da helfen auch aber Millionen Gertenhiebe nicht." Der Trainer sah mich entgeistert an, ja, auch ein bisschen abschätzend. Ich wollte und konnte mir das Genörgel nicht mehr anhören. Was war daran so schlimm wenn Fire einmal nicht überlegen gewann? Er war keine Maschine, sondern ein Lebewesen. Auch er, vor allem er, hatte das Recht, fair behandelt zu werden!
Die ganze Bahn war in Aufruhr. War ihr Wunderpferd gar keins?
Roberto spritze Fire ab, was ihm gar nicht gefiel. Er versuchte dem Strahl auszuweichen und trat Roberto dabei fast auf den Fuß.
Ich war alles schuld. Fire hätte nie 'verloren', wenn ich ihn nicht davon abgehalten hätte. Der untypische Rennverlauf war auch meine Schuld. Ich bekam keine Ritte mehr und wurde von jedem verachtend angestarrt.
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