79. Ganz weit oben
»Oh, Gott, das Teil ist ja riesig!«
Staunend lege ich den Kopf in den Nacken und betrachte die Unterseite des Eiffelturms. Bisher kenne ich das Wahrzeichen von Paris nur aus den Medien, aber dass es in echt so dermaßen gigantisch wirken würde, habe ich im Traum nicht gedacht.
Tristan grinst mich bloß breit an.
Die nächste gefühlte Ewigkeit verbringen wir damit, erstmal ewig in der Schlange für den Eintritt zu warten.
Während der Fahrt sind wir und noch einige andere Fahrgäste in einer recht geräumigen Kabine eingezwängt, die von einer Frau auf einem Hocker vor einer Art Schaltpult gesteuert wird.
»Irgendwie habe ich nie gecheckt, dass man durch diese Beine vom Turm hochkommt«, murmle ich nachdenklich. Tristan runzelt die Stirn. »Ach, ja? Du meinst die Stützpfeiler? Dabei ist das doch eigentlich logisch.«
»Ach, komm, kann halt nicht jeder so schlau sein, wie du«, scherze ich, doch er lächelt bloß schwach. »Ich mein ja bloß, dass du eine sehr intelligente Frau bist und manchmal...« Er verstummt.
Ich schiebe die Brauen zusammen. »Manchmal was?«, hake ich nach. Er zuckt unbehaglich die Schultern. »Du kommst hohler rüber, als du bist.«
Sofort beißt er sich auf die Lippen. Zuerst klappt mir die Kinnlade runter, doch ich fange mich relativ schnell wieder und schnauze: »Ach, ich benehme mich also wie eine dumme Gans? Ist es das, was du sagen willst?«
Peinlich berührt schaut er sich um. »Nicht so laut...« Die altbekannte Wut, die ich schon lange nicht mehr so gespürt habe, rauscht wie Feuer durch meine Adern. »Ich rede so laut ich will, Mister!«
Unruhiges Getuschel ertönt vereinzelt unter den Fahrgästen. Meine Wangen brennen vor Empörung, aber auch ein kleines bisschen vor Verlegenheit wegen der plötzlichen Aufmerksamkeit. Aber das hält mich gewiss nicht davon ab, weiterhin gerade zu stehen wie eine Eins.
»Finja, was ist denn bloß in dich gefahren?«, wispert Tristan schockiert. Ich erstarre.
Ja, gute Frage. Was ist bloß los mit mir?
Bisher habe ich nie so mit ihm geredet. Solche Bemerkungen wie die von ihm gerade eben haben mich in den letzten Jahren nie so die Wand hochgefahren, wie sie es früher zu meinen wesentlich hitzköpfigeren Zeiten noch konnten.
Einige Sekunden lang starre ich ihn noch an, dann stoße ich die angehaltene Luft aus meinen Lungen und schüttle schwach den Kopf. »Sorry, bin noch müde vom Flug«, murmle ich, was ihn zu einem erleichterten Lächeln verleitet.
Anscheinend hat er gedacht, dass ich ihm jetzt eine Szene machen werde. Die alte Finja hätte das vielleicht sogar noch gebracht. Aber das bin ich nicht länger, er braucht also keine Angst zu haben.
🔥
»Wow, das ist... hoch.«
»Und so eine tolle Aussicht über die Stadt! Schau mal, da ist das Louvre!«
Meine aufsteigende Übelkeit unterdrückend halte ich Ausschau nach der berühmten Glaspyramide.
Als ich sie schließlich entdecke, nicke ich flüchtig, stoße mich von der Balustrade ab und kehre der Stadtansicht den Rücken zu.
Wir sind von Plattform zu Plattform gefahren und bei jeder einzelnen stehengeblieben.Tristan hat uns nämlich die Tickets mit dem ganzen Packet besorgt, was bedeutet, dass wir bis ganz hoch an die Spitze können. Dumm nur, dass mir mit steigender Höhe immer schlechter wurde.
Gerade befinden wir uns auf der Spitze und auch das Level meiner Übelkeit hat seinen Zenit erreicht. Am liebsten würde ich einfach nur da runter kotzen. Tristan bemerkt nichts von meinem Unwohlsein, was gut ist, da es bedeutet, dass ich es erfolgreich verstecke. Er scheint so viel Spaß zu haben, den will ich ihm einfach nicht nehmen.
»Finja, was machst du denn da? Komm doch her! So eine Gelegenheit ergibt sich nicht nochmal!«
›Ich geb dir gleich Gelegenheit!‹, hätte ich am liebsten geschnauzt, aber das wäre fies, deshalb tue ich es nicht. Er meint es ja nur gut. Warum bin ich in letzter Zeit bloß so leicht reizbar?
Widerwillig machte ich mich also auf den Weg zurück zu Tristan ans Geländer. Eigentlich kann rein gar nichts passieren, weil da ein riesiges Gitter angebracht ist – trotzdem ist der Ausblick für mich gleichermaßen schön und schrecklich.
Tristan legt gönnerhaft den Arm um mich und gibt mir einen Kuss auf die Schläfe. »Na, siehst du? Ist doch gar nicht so schlimm.« So würde ich das nicht gerade sagen...
Viel schlimmer als das hier, war dieser durchsichtige Boden, auf dem man quasi durch seine Füße auf die Stadt unter sich gucken konnte. Als Tristan meinen erschrockenen Gesichtsausdruck gesehen hatte, ist er erstmal grinsend auf und ab gehüpft und ich wäre fast ohnmächtig geworden. Glücklicherweise hat er dann aber gemerkt, dass es mir ernst ist und wir sind direkt weitergegangen.
Etwa eine Stunde später haben wir endlich wieder festen Boden unter den Füßen und ich schüttle mir die Beine aus, die sich ganz wackelig anfühlen.
»Finja?« Verwundert drehe ich mich zu ihm. »Ja?« Er grinst von einem Ohr bis zum anderen. »Ich habe eine Überraschung für dich!« Meine Augenbrauen schießen in die Höhe. »Was, noch eine?«, rufe ich nervös lachend. Hoffentlich ist es nicht nochmal irgendwas, das Höhe beinhaltet...
»Lass uns zum Hotel fahren. Zieh dir was Schickes an, dann kann's losgehen.«
»Wohin geht es denn?«, frage ich neugierig, doch er schüttelt nur lächelnd den Kopf. »Wenn ich es dir sagen würde, wäre es ja keine Überraschung mehr.«
Grinsend verdrehe ich die Augen. »Na, fein, wie du meinst.« Meine Laune ist deutlich gestiegen, seit wir uns wieder auf solidem Grund befinden. Bis zum heutigen Tage wusste ich gar nicht, dass meine Abneigung gegen Höhen so ausgeprägt ist. Wenigstens das hat mir dieser Trip nach da oben gebracht: Die weise Erkenntnis, dass ich mich in Zukunft von derartigen Dingen wie dem Eiffelturm besser fernhalte.
🔥
»Können wir los, Honigmäulchen?«
Entsetzt starrt mir mein perfekt geschminktes und gestyltes Spiegelbild entgegen.
»Was zur Hölle –?!«, murmle ich vor mich hin und sammele kopfschüttelnd meine Schminkutensilien zusammen. Tristan wird ja immer kreativer was die Kosenamen für mich betrifft. Das muss wirklich aufhören. Ich nehme mir ganz fest vor, noch heute diesbezüglich ein ernstes Wörtchen mit ihm zu reden.
Ein letztes Mal werfe ich einen prüfenden Blick in den Spiegel: Die weiße Bluse mit dem steifen Kragen, der mir über die Schultern geht, setzt meine Schlüsselbeine und Schultern elegant in Szene. Dazu habe ich eine schwarze Marlene-Hose und spitze Lack-High-Heels in einem rötlichen Braun kombiniert.
Das in einem dunklen Kirschrot gefärbte Haar habe ich in Wellen gelegt, die mir wie bei einer Meerjungfrau über den Rücken fließen. Dunkelroter Lippenstift, ein dramatisches Cat-Eye, Contouring und Highlighter komplettieren den Look. Ja, ich bin definitiv in die Vollen gegangen.
Mit beschwichtigend erhobenen Händen trete ich aus dem Bad. »Bin ja schon da! Sorry, dass es so lang gedauert hat.« Ohne mich anzusehen, murmelt er: »Kein Problem, noch liegen wir ja in der Zeit.« Dann fällt sein Blick doch auf mich und er stockt. Grinsend werfe ich mich vor ihm in Pose.
»Na? Wie gefällt's dir?«, frage ich grinsend. Tristan runzelt die Stirn. »Ähm... gut. Du siehst... gut aus.« Er tritt an mich heran und beäugt mich irgendwie... kritisch?
»Also, du bist schon ziemlich groß. In diesen Schuhen«, murmelt er. Ich hebe die Brauen. »Ja, und?«
Er räuspert sich und zuckt die Schultern. »Naja, also... Du bist so größer als ich.«
Ich bin einen Meter dreiundsiebzig groß und liebe meine Körpergröße. Ich finde es toll, groß zu sein! Ich trage auch sehr gern hohe Schuhe. Mit diesen Zehn-Zentimeter Teilen hier bin ich also eins dreiundachtzig groß – drei Zentimeter größer als Tristan. Stören tut es mich allerdings nicht im geringsten.
»Und?«, wiederhole ich. Er scheint sich zu winden, dann platzt er heraus: »Es kommt einfach echt komisch rüber, wenn eine Frau größer ist, als der Mann.«
Dann spüre ich, wie sich wieder diese brennende Wut-Ball in mir entzündet. Ich wusste nicht, dass er solch ein großes Problem damit hat. Das ist einfach nur lächerlich. »Tja, du wirst wohl damit leben müssen! Ich habe jedenfalls kein Problem damit, größer zu sein als du!«
Mit heruntergeklappter Kinnlade sieht er mich an. Ja, es ist schon eine Weile her, dass ich die alte Finja von der Leine gelassen habe. In diesem Moment muss ich mir eingestehen, dass das wohl daran liegen muss, dass ich immer Angst hatte, Tristan damit zu vergraulen.
›Aber liebt er mich denn eigentlich wirklich, wenn er nicht auch diese Seite von mir akzeptiert?‹, flüstert ein kritisches Stimmchen in mir. Ich sage der Stimme, sie soll die Fresse halten.
Immerhin ist es Tristan, von dem wir hier reden! Der Tristan, der mir noch vor ein paar Tagen die Füße massiert hat. Der Tristan, der mich mit einer fucking Paris-Reise überrascht hat! Der Tristan, der auch noch für heute irgendeine Überraschung für mich hat! Natürlich liebt er mich, um Gottes Willen! Was ist bloß in mich gefahren?!
»Sorry«, murmle ich und streiche ihm über die Wange. Er lächelt mich schmallippig an. Na toll, jetzt ist er wegen mir beleidigt. Unwillkürlich kommt schlechtes Gewissen in mir auf.
»Schon in Ordnung, war wahrscheinlich ein langer Tag heute. Und du hast wohl recht, du solltest die Schuhe tragen, die du magst.« So richtig hinter dieser Aussage scheint er allerdings nicht zu stehen.
Nachdem wir ins Taxi gestiegen sind, frage ich ihn neugierig grinsend: »Verrätst du mir jetzt, wohin es geht?« Er gibt mir einen Kuss auf die Wange und murmelt: »Nein, du musst dich überraschen lassen.« Erleichtert lehne ich mich in den Sitz mit Lederbezug. Scheint so, als wäre wieder alles okay zwischen uns.
Mit jedem Meter, der unser Taxi zurücklegt, stellt sich auch wieder das Gefühl der Vorfreude auf den Abend ein. Mit einem zufriedenen Lächeln betrachte ich die warmen Lichter der nächtlichen Stadt. Wo wir wohl hinfahren?
So, ich bin's mal wieder! 👋🤓
Wo die beiden wohl hinfahren? Und was da alles... passieren könnte? 🌝
So viele Möglichkeiten, eieiei...
By the way: FsF hat grad die 6k geknackt omg 💀
DANKEDANKEDANKE
Also! Wir sehen uns in Kapitel 80, ihr Sonnenstrahlen! ✨
Grüße,
Cadence
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