
56. Raus aus den Federn!
»Finja.« Sie soll weggehen.
»Finja!« Ich wälze mich auf die andere Seite meines Bettes.
»Finja, du liegst hier schon seit vierundzwanzig Stunden!«
›Aber ich bin doch zwischendurch aufs Klo gegangen, zählt das nicht?‹, will ich schon anmerken, doch irgendwie fehlt mir der Antrieb dazu. Ein Seufzen ertönt gedämpft durch meine verschlossene Zimmertür.
»Willst du mir nicht wenigstens sagen, was passiert ist?« Nein, will ich nicht.
Meine Schwester soll einfach die Biege machen und mich in Ruhe in meinem versifften Elend baden lassen.
»Finja, ich schwör, wenn du nicht jetzt gleich aufmachst, trete ich diese bekackte Tür ein!«
Ich verdrehe die Augen. Als ob – höchstens würde sie sich bei der Aktion ihren großen Zeh brechen. Also ziehe ich mir nur missmutig die Decke über den Kopf und warte darauf, dass sie endlich abzischt.
Doch Fehlanzeige. Stattdessen ertönt plötzlich ein so lauter, dumpfer Knall, dass die Wände erbeben und ich vor Schreck fast vom Bett rolle. »Manja, was zur Hölle –?!«
»Okay, Schwesterchen, ich zähle bis Drei, danach werde ich diese Tür aus den Angeln treten, so wahr ich hier stehe! Eins...«
Oh, heilige Maria, das darf doch nicht wahr sein. »...Zwei...«
Getrappel erklingt, als würde sie sich in Position schmeißen. »... und Drei!«
»Okay, STOPP! Ich komm ja schon, meine Güte...«
Ächzend stemme ich mich von der Matratze hoch und reiße genervt die Tür auf.
Als Manja mein Gesicht sieht, weicht das kampflustige Glitzern aus ihren Augen und macht Schock Platz. Ihr klappt die Kinnlade runter. Ich winke träge ab.
»Ich weiß, dass ich scheiße aussehe.«
Sie runzelt die Stirn. »Bro, du siehst nicht nur scheiße aus, du siehst absolut furchtbar aus!« Kurz bin ich versucht, ihr einfach die Tür vor der Nase zuzuknallen. Doch ich lasse es, da sie dann wahrscheinlich nur weiterhin wie eine Irre dagegen treten würde.
Ihr Blick wandert an meinem Körper auf und ab und ihre Augen werden groß wie Untertassen. »Sind das... Knutschflecken?! Und was hast du da für ein komisches Shirt an?« Ich zucke zusammen. »Geht dich nichts an.«
Plötzlich schnellt ihr Arm hervor und umklammert meinen Ellenbogen, sie sieht mich eindringlich an. »Hat dir einer was getan?«
Dieser Satz reißt mich endgültig aus meiner Apathie und ich schüttle heftig den Kopf. »Oh, Gott, nein!« Augenblicklich entspannt sie sich und atmet kurz auf.
»Okay, dann gebe ich dir jetzt eine halbe Stunde um dich frisch zu machen und wir treffen uns danach in der Küche. Du musst was essen!« Damit dreht sie sich um und rauscht von dannen.
Seufzend und mit hängenden Schultern sehe ich ihr hinterher. Ich hab keine Lust, schon jetzt aus meinem Sumpf aus Selbstmitleid aufzutauchen. Ich will einfach weiter in meinem Zimmer versauern und vergessen, dass mein (Ex-)Freund mich mit meiner (Ex-)besten Freundin betrogen hat... und dass ich im Anschluss ganz viel Sex mit meinem (Leider-Immer-Noch-)Nachbarn hatte.
Letzteres ist allerdings nicht besonders leicht zu vergessen, da ich nach wie vor sein weiches, schwarzes T-Shirt mit nichts drunter trage und mir permanent sein herber Geruch in die Nase steigt. Wahrscheinlich riechen meine Laken mittlerweile auch schon danach... nach ihm. Trotzdem will ich dieses Shirt irgendwie nicht ausziehen. Vielleicht habe ich auch einfach eine masochistische Ader, von der ich bisher nichts wusste.
Ich reibe mir resigniert über das Gesicht und drücke die Tür zum Bad auf. Sobald ich mich selbst im Spiegel sehe, zucke ich heftig zusammen und schnappe erschrocken nach Luft. »Scheiße!«, entfährt es mir. Mit weit aufgerissenen Augen trete ich näher an mein Spiegelbild heran.
Mein Gesicht sieht noch am wenigsten schlimm aus. Meine dunklen Augen liegen tief in den Höhlen, violette Schatten geben meinem Blick noch einen schönen Gruselfaktor und meine Haut ist blass mit fleckigen Rötungen an den Wangen. Très chic, würde ich sagen.
Doch das ist wirklich gar nichts gegen den Rest von meinem Körper...
Plötzlich kann ich verstehen, warum Manja fast die Augen aus dem Kopf gefallen sind.
Ich sage nur: Knutschflecken. Bunt und schillernd, überall. Hilfe.
Ich schaue aus wie eine Mischung aus Luder und Wrestlerin. Wobei, als Wrestlerin würde ich nicht mehr durchgehen, dafür sind die Flecken nicht groß genug und sie sehen ein bisschen anders aus...
Gut, dann bleibt es wohl beim zügellosen Luder.
Meine Augen gleiten von Fleck zu Fleck, bei jedem einzelnen zuckt mir die dazu passende Sequenz der letzten Nacht durch den Kopf. Der große an meinem Hals zum Beispiel, entstand in der Küche, als er mich gegen den Kühlschrank gedrückt hat und...
Ich schüttle resolut den Kopf. Schluss damit! Er hat mir ja klar genug gemacht, dass er keinerlei Interesse daran hat, mich wiederzusehen.
Ich spüre es in mir brodeln, die Trauer, die Wut... aber mir ist gerade nicht im mindesten danach, mich mit diesen Gefühlen auseinanderzusetzen, die werde ich gleich mit Manja früh genug durchkauen müssen.
Also widme ich mich lieber meiner Körperpflege.
Ich schnuppere zaghaft an meinen Achseln, was sich als ganz großer Fehler herausstellen soll. Zum einen haut mich der Schweißgestank fast um und zum anderen habe ich Eros' Geruch in der Nase. Hastig ziehe ich mir das Shirt über den Kopf und vergrabe es ganz, ganz tief im Wäschekorb.
Nachdem ich geduscht und mich angezogen habe, trotte ich die Treppen runter in die Küche. Auch wenn ich es nur ungern zugebe: Manja hat recht, ich muss langsam mal was essen.
Als ich schließlich die Küche erreiche, staune ich nicht schlecht: Eine riesige Schüssel Obstsalat steht auf dem Tisch, daneben ein Brotkorb mit ein paar Scheiben Mischbrot, eine Schüssel griechischer Joghurt, sowie Butter, Marmelade, Milch und Müsli.
»Wow, hast du das alles gemacht?« Manja verdreht schnaubend die Augen.
»Nee, das war der Osterhase. Schau, er hat dir sogar 'ne Grußkarte dagelassen.«
Als ich aus Reflex tatsächlich den Blick suchend über den Tisch wandern lasse, quittiert sie das lediglich mit einem Heben der Augenbraue. Ich könnte mich selbst ohrfeigen.
Ich setze mich an den Tisch, nehme mir eine Scheibe Brot und bestreiche sie ganz dick mit Orangenmarmelade. Die Butter drunter lasse ich weg, ich konnte noch nie verstehen, wie man Butter und Marmelade zusammen essen kann. Eklig.
»Finja, ich würde wirklich gern wissen, was vorgestern passiert ist.«
Ich halte im Kauen inne und werfe ihr einen Blick über den Tisch zu. Und schon geht das Verhör los. »Ach, komm schon, willst du mich nicht wenigstens zuerst essen lassen?« Sie schüttelt resolut den Kopf.
»Nein, weil du danach einfach wieder abhauen wirst, ich kenne dich doch. Solange Essen im Spiel ist, rennst du nirgends hin.« Tja, erwischt, würde ich sagen.
»Okay... ich weiß nur nicht so recht, wo ich anfangen soll. Ist alles etwas kompliziert«, murmle ich schließlich ergeben.
»Das ist es doch immer irgendwie...« Manja seufzt. »Am besten erzählst du mir erst mal, warum du so überstürzt aus dem Haus gerannt bist, mit nichts als deinen Schlafklamotten an.« Ja, das ist vielleicht gar keine so schlechte Idee.
Also beginne ich: »Ich wollte zu Thor, weil... Oje, da muss ich schon wieder kilometerweit ausholen.«
»Na, dann, hol mal aus«, fordert Manja.
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