41. Herzen brechen
Eine endlose Sekunde lang hängen wir beide in der Schwebe. Ein bittersüßes Gefühl des Verbotenen und doch gleichzeitig Verführerischen schwirrt in mir. Keiner von uns beiden bewegt sich...
Alles was ich weiß ist, dass im nächsten Moment mein Bein um seines geschlungen ist, seine Arme um meine Taille, meine Hände um seinen Nacken... und unsere Lippen sich einander öffnen wie Rosen dem Sonnenlicht. Das hier ist... so anders als mit...
Thor.
Ich erstarre. Mein Gott, was tue ich hier?! Ich bin mit Thor zusammen! Ich bin eine elende Betrügerin!
Hastig mache ich mich von ihm los und bringe Abstand zwischen uns.
Ich habe erwartet, dass Eros ebenso atemlos und verwirrt aussieht, wie ich mich
fühle. Stattdessen wischt er sich nur grimmig mit dem Handrücken über den Mund und sieht mich mit einem undefinierbaren Blick an. Er scheint mir all meine Gedanken vom Gesicht ablesen zu können, denn seine Miene verdüstert sich.
»Ich... das hätte ich nicht tun dürfen«, stammele ich.
Er will einen Schritt auf mich zu machen, doch als er sieht, wie ich zusammenzucke, bleibt er stehen. Er verschränkt die Arme und sieht in die Ferne.
Kurz bin ich aus einem trotzigen Gefühl heraus fast schon in der Versuchung, ihm mit der Hand vor der Nase rumzuwedeln und zu maulen ›Hallo?! Ich bin hier, nicht am Scheiß-Horizont!‹, allerdings habe ich keinerlei recht dazu. Schließlich bin ich gerade dabei, ihn abzuservieren.
»Es tut mir leid. Ich bin grad... wütend, verwirrt, traurig. Ach, keine Ahnung, es war ein Fehler, eine Laune. Ich hätte das nicht tun dürfen. Das war nicht fair von mir.«
»Tu nicht so, als wäre das hier nur deine Idee gewesen«, murrt er.
»Ich habe angefangen.«
»Und ich habe weitergemacht«, sagt er, ohne mich anzusehen. Frustriert fahre ich mir übers Gesicht.
»Spielt keine Rolle, es hätte nicht passieren dürfen!« Eros lacht humorlos auf. »Gott, ich hätte es wissen müssen.«
»Was?«, frage ich irritiert.
»Gegen diesen Vollidioten, der dir die ganze Zeit in den Arsch kriecht, habe ich keine Chance.« Empört richte ich mich auf.
»Rede gefälligst nicht so von Thor! Er ist gut zu mir!«
Endlich sieht er mich an. Doch fast würde ich mir wünschen, er starrt weiter in die Ferne.
Seine hellen Augen sprühen vor Wut. »Und ich war es nicht?!«, zischt er verbittert.
Fassungslos reiße ich die Augen auf. Ich verstehe das nicht. Eros mag mich doch eigentlich nicht mal. Was ist jetzt also sein Problem?
»Du hast dich nie so verhalten, als würdest du mich überhaupt mögen, von gut zu mir sein ist gar nicht erst die Rede!«, rufe ich also.
Er tritt einen großen, energischen Schritt auf mich zu, sodass uns nur noch ein paar Zentimeter trennen und ich den Kopf in den Nacken legen muss, um ihn ansehen zu können. Er wirkt wirklich sauer.
»Wir sind uns vielleicht gegenseitig auf die Nerven gegangen und ja, zugegeben, ich habe es nicht besonders gut zeigen können, dass mir etwas an dir liegt. Aber ich habe dir zu mehr Gelegenheiten aus der Patsche geholfen, als ich es je für irgendeinen getan habe –
das war nicht nur für Federica, okay?!«
Meine Augen weiten sich ungläubig.
»Warte mal... Das heißt, du magst mich wirklich?!« Er verdreht die Augen und wirf die Arme in die Luft, als wollte er den lieben Gott um himmlischen Beistand bitten. »Ja, ich mag dich. Allerdings treibst du mich die ganze Zeit in den Wahnsinn, deshalb weiß ich gar nicht, warum eigentlich! Es ist mir ein Rätsel.«
Oh, mein Gott. Eros mag mich! Er... mag mich wirklich! Scheiße. Was habe ich bloß getan?!
Ich habe nicht nur Thor betrogen, sondern auch noch Eros verletzt, weil dieser Kuss für ihn aus einem ganz anderen Grund passiert ist, als für mich. Ich habe mich bloß von meinen verrückt gewordenen, überkochenden Emotionen überwältigen lassen, dem Eifer des Gefechts, wie man so schön sagt... Aber er hat mich geküsst, weil er mich verdammt noch mal MAG! Wie hätte ich das kommen sehen sollen?!
Eros scheint mir wieder meine Gedanken von der Stirn abgelesen zu haben, denn er sieht irgendwie... verletzt aus. Wie ein riesiger Panther, dem man in die Pranke geschossen hat. Seine sonst so hell funkelnden Bernsteinaugen sind plötzlich ganz dunkel, der Kiefer angespannt.
Er sieht nicht nur verletzt aus, sondern auch frustriert.
Durch einen energischen Schritt schließt er das allerletzte Bisschen Abstand zwischen uns, sodass ich den Kopf noch mehr in den Nacken legen muss.
Er senkt seinen Kopf zu mir herab, sodass unsere Gesichter auch nicht mehr allzu viel trennt. Mir stockt der Atem und ich spüre, wie mein Herz anfängt zu rasen.
»Bleib doch meinetwegen bei dem Weichei, wenn es das ist, was dich glücklich macht! Er ist entweder ein hinterhältiger Volltrottel oder nur ein Volltrottel, das wird sich noch herausstellen, aber ich soll verdammt sein, wenn er dich je so küssen wird, wie ich es tue.«
Damit schließt er die letzte Distanz zwischen uns, nimmt mein Gesicht in seine Hände und küsst mich so stürmisch, dass es schon fast schmerzt... im doppelten Sinne, körperlich wie seelisch.
Es war kurz und heftig, keine zwei Sekunden später hat er schon wieder einen Meter zwischen uns gebracht, sieht mich mit loderndem, entschlossenem Blick an uns sagt: »Du wirst mich nicht mehr zu Gesicht bekommen, keine Sorge. Wir werden uns aus dem Weg zu gehen wissen, da bin ich ganz zuversichtlich.« Er fährt sich, auf einmal müde wirkend, übers Gesicht.
»In dir brennt ein starkes Feuer, das seinen Ursprung im Guten hat und sich langsam, aber sicher in etwas Schlechtes verwandelt. Pass auf, dass du dich am Ende nicht an dir selbst verbrennst. Ich... es war dumm von mir, zu glauben, dass... ach, egal. Leb wohl.« Er dreht sich um und geht.
Während ich ihm so hinterher blicke und seine letzte kryptische Äußerung in mir nachhallt, fühle ich... gar nichts. Es ist, als hätte mein Körper beschlossen, diesen inneren Gefühls-Tornado auf stumm zu schalten.
Wie betäubt starre ich auf Eros riesige Gestalt, die sich immer weiter von mir entfernt, bis er schließlich in sein Haus geht. Da blinzele ich und reiße mich von diesem Anblick los. Ich sehe mich um.
Ich bin doch ein kleines Stückchen gegangen. Eros' und mein Haus sind klein in der Ferne erkennbar, während hinter mir der Weg zu den Maisfeldern beginnt. Ich drehe mich um und laufe los.
Ich beschließe, die Gedanken an Eros (und auch die an Thor) erstmal zur Seite zu schieben und mich mit dem Streit mit meiner Schwester zu beschäftigen.
Die Dinge, die Manja mir an den Kopf geworfen hat, kamen völlig aus dem nichts! Ich habe nicht eine Sekunde lang geglaubt, dass so ein Frust in ihr brodeln könnte. Wir waren nie die besten Freundinnen, aber trotzdem habe ich gemeint, dass wir eine Art stiller schwesterlicher Verbundenheit teilen. Das war anscheinend ein Irrtum.
Ich lache humorlos auf. Und ich habe mich immer als gute Menschenkennerin gesehen. Wenn ich nicht mal gecheckt habe, was bei meiner eigenen Schwester abgeht, was ist mir dann noch alles entgangen?!
Ich schüttle den Kopf. Jetzt gilt es erstmal herauszufinden, was mit ihr los ist, das hat Priorität. Über den Rest kann ich mir auch noch später Gedanken machen.
Die üppigen Maisfelder wiegen sich still in einer lauen Brise vor dem mit Sternen übersäten Nachthimmel. Grimmig lasse ich mich auf einem Flecken Wiese davor nieder und krame mein Handy heraus.
Es gibt nur eine Frau, die vielleicht etwas wissen könnte. Und so zuwider es mir auch sein mag, es ist meine Mutter.
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