26. Wenn der Weg sich gabelt
In grimmigem Einverständnis steuern wir die gläsernen Flügeltüren zur riesigen Gartenanlage an.
Eros packt die geschwungenen Griffe und reißt beide Türen mit einem so kräftigen Ruck auf, dass ich glatt befürchte, er könnte sie aus den Angeln gerissen haben. »Yo, langsam, Cowboy!«, rufe ich. Er wirft mir lediglich einen finsteren Seitenblick zu.
Je weiter wir uns vom Haus entfernen, desto mehr lässt der Lärm nach.
Mit einer ausladenden Geste überfliege ich die vielen Rasenstücke vor uns, die jeweils durch niedrige Hecken und teilweise ziemlich dicht stehende Bäume abgegrenzt sind.
»Hast du eine Idee, wo man hier anfangen soll?«, frage ich mutlos. Eros vergräbt die Hände in den Hosentaschen und wippt auf den Fußballen vor und zurück, den Blick in grimmiger Konzentration in die Ferne gerichtet.
»Direkt beim Heckenlabyrinth, wenn du mich fragst«, antwortet er schließlich. Total entgeistert fahre ich zu ihm herum.
»Was?! Hier gibt es ein verdammtes Heckenlabyrinth?!«
»Ja«, antwortet er ruhig.
»Bitte sag mir, dass das ein verfluchter Scherz ist!«
»Nein, es ist kein verfluchter Scherz.« Ich knurre frustriert auf.
»Mann, dieser Abend versinkt einfach immer tiefer und tiefer in der Scheiße! Wie sollen wir sie denn in einem verfluchten HECKENLABYRINTH finden, hallo?! Was kommt als Nächstes, eine Alien-Invasion und sprechende Einhörner?!«
Er schnaubt. »Du bist sehr dramatisch.«
Eine unbändige Wut auf Mona und die nagende Sorge um sie liefern sich einen erbitterten Kampf in mir.
Eros scheint das nicht zu entgehen, denn er murmelt: »Hey, beruhige dich. Du bist nicht allein.«
Ich betrachte ihn. Eros steht einfach da und sieht mich gelassen an, die Ruhe in Person.
Und eigenartigerweise überträgt sich diese Ruhe jetzt auch Stück für Stück auf mich.
Mein Herzschlag verlangsamt sich auf ein normales Tempo und ich nicke, tief durchatmend. »Also, los: Auf zum Labyrinth.«
🔥
Etwa fünf Minuten später erreichen wir das berüchtigte Heckenlabyrinth. Es ist erschreckend hoch.
»Warum muss Anselm, dieses Arschloch, unbedingt ein beklopptes Labyrinth auf seinem Anwesen stehen haben?!«
»Ich habe keine Ahnung.«
Im Normalfall hätte ich ja meine rege Freude daran, durch die Gänge zu jagen und Verstecken zu spielen. Aber eine verschollene, aller Wahrscheinlichkeit nach stockbesoffene Freundin in sowas zu suchen, gehört ganz sicher nicht zu meiner Vorstellung eines gelungenen Abends.
Bevor wir reingehen, sage ich, ohne Eros anzusehen: »Glückwunsch, übrigens.«
»Wofür?«, fragt er irritiert. Ich grinse.
»Dafür, dass du Anselms Ego zerstört hast. Wenn's nach mir gegangen wäre, hättest du ihm noch ein oder zwei verpassen können. Aber dabei zuzusehen, wie er fast erstickt, hat mir auch schon ziemlich was gegeben.«
»Du bist ziemlich blutrünstig, das ist keine Tugend.«
»Das ist keine Tugend«, äffe ich ihn nach. Er schüttelt missbilligend den Kopf, doch das kleine Lächeln, das um seine Mundwinkel zuckt, kann er nicht verbergen. Wie geht dieses Sprichwort gleich? ›Der Feind meines Feindes ist mein Freund.‹ Sieht so aus, als würde sich das gerade wunderbar auf uns übertragen.
Mit einem Nicken fordert er mich schließlich auf, mit ihm zu kommen. Wir gehen nebeneinander auf den schmalen Eingang zu, er aufrecht und vor Vertrauen geradezu strotzend, ich... nun ja. Auch aufrecht und vor Vertrauen strotzend, allerdings ist das bei mir bloß gespielt.
Wir laufen rein, das dunkle Grün der Hecken umschließt uns von beiden Seiten und augenblicklich wird alles dunkler und leiser. Verdammt unheimlich.
Wenn ich allein hier drinnen wäre, hätte ich mich schon längst vor Angst eingeschissen.
Aber Eros' Gegenwart beruhigt mich, er kann immerhin Karate.
»Hey, Arsenale.«
»Ja, Sørenson?«, kommt es trocken von ihm.
»Hier gefällt's mir nicht.«
»Sì, dann sind wir gleich zwei«, grummelt er finster. Das Knirschen unserer Schritte auf dem Kiesweg ist fast das einzige Geräusch um uns rum. Es ist zwar immer noch viel zu heiß hier (obwohl die Sonne längst unten ist), aber die Temperatur ist ein gutes Stückchen gesunken. Fehlt nur noch, dass irgendwelche mysteriösen, schleierartigen Nebelschwaden aufsteigen, dann ist die Horrorfilm-Kulisse komplett.
Wir gelangen an eine Weggabelung. Von hier geht es entweder nach links oder rechts.
»Sollen wir uns aufteilen?«, frage ich, wenig begeistert von der Idee. Zu meiner großen Erleichterung schüttelt Eros den Kopf.
»Auf gar keinen Fall! Meine mamma hat mich nicht dazu erzogen, Frauen allein im Dunkeln herumrennen zu lassen! Außerdem würde es doch sowieso nichts bringen.« Meine Brauen wandern in die Höhe.
»Wo hast du dein feuriges Temperament eigentlich her? Auch von deiner mamma?«, frage ich sarkastisch. Eros sieht mich von der Seite an und verzieht den Mund. Ich habe fast das Gefühl, etwas Falsches gesagt zu haben. Und damit meine ich, etwas wirklich Falsches. So einen Schatten, welcher jetzt über seine Miene huscht, habe ich noch nie an ihm gesehen. Nicht mal dann, als ich ihm echt üble Beleidigungen an den Kopf geworfen habe.
»Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen, sputafuoco«, murmelt er schließlich nur schwach, doch er scheint nicht mehr richtig bei der Sache zu sein.
Ich presse grimmig die Lippen aufeinander und verschränke die Arme. Ich weiß zwar immer noch nicht, was dieses Wort nun bedeutet, und es gefällt mir nicht – aber für den Moment möchte ich nicht weiter darauf herumreiten.
»Links oder rechts?«, frage ich ihn schließlich, da wir uns entscheiden müssen, in welche Richtung wir weiter gehen wollen. Er kneift die Augen zusammen, stützt das Kinn auf die Faust und sieht zwischen den beiden Abzweigungen hin und her. Als ich schon kurz davor bin ›Also, was jetzt?!‹ zu schnauzen, schüttelt er den Kopf und kramt einen verbeulten, abgewetzten Ledergeldbeutel in einem rötlichen Braun aus der hinteren Hosentasche. Er klappt ihn auf und kramt darin herum.
»Was zur Hölle hast du vor?«, frage ich.
Eros blickt auf, erstarrt, und dreht sich dann zu mir, die Bernsteinaugen im Mondlicht funkelnd. »Du solltest wirklich nicht so viel fluchen.« Dann widmet er sich wieder seinem Geldbeutel.
Ich verdrehe die Augen, entschuldige mich aber in Gedanken beim lieben Gott, nur sicherheitshalber. Ich zeige nach links. »Hey, was ist da?«
Eros dreht sich um und als er abgelenkt genug ist, schlage ich blitzschnell ein Kreuz. Irritiert dreht er sich zurück zu mir. »Was hast du denn gesehen?« Ich zucke arglos die Schultern. »War wohl nur ein Hase.« Er runzelt die Stirn, lässt es aber dabei bewenden und wühlt weiter im Münzfach seines Beutels herum.
Schließlich fördert er einen Einkaufschip zutage und legt ihn auf seinen in der Faust verborgenen Daumen. Ich pruste los.
»Alter, das ist jetzt nicht dein Ernst!« Er runzelt wieder die Stirn.
»Der hier ist schwerer als eine Münze, er ist nicht aus Plastik, sondern Metall. Funktioniert besser.«
»Na, wenn du's sagst.«
»Also, Kopf ist links, Zahl ist rechts.«
»Eros, ich will dir ja nicht die Illusion rauben, aber das Ding hat sowas wie Kopf und Zahl doch gar nicht.«
Er wirft genervt einen Arm in die Luft. »Dio santo, dann eben...«, er inspiziert den Chip, »... die zerkratzte Seite, oder die sehr zerkratzte Seite!«
Ich schüttle resolut den Kopf. »Quatsch, das ist doch Mist! Gib mal her...«
Ich reiße ihm die stahlgraue Münze aus der Hand, hole meinen Schlüssel raus und ritze in mühseliger Arbeit ›Eros‹ auf die eine Seite in das erstaunlich weiche Metall.
Als ich fertig bin und ihm mit einem selbstironischen ›Tadaaa‹ mein Werk präsentiere, schnaubt er unwillig.
»Pah, was soll das sein?! Das kann man ja gar nicht lesen, du hast meinen Namen komplett verschandelt!«
»Klar kann man das lesen! Und jetzt lass mich die andere Seite machen...«
Jetzt reißt er sich die Münze aus meiner Hand. »Das kannst du vergessen, ICH werde deinen Namen auf die andere Seite ritzen, dann sind wir quitt!«
Ich rolle die Augen zum pechschwarzen Nachthimmel und brumme »Was sind wir aber kindisch!«, doch er hört mich gar nicht. Er ist nämlich viel zu sehr damit beschäftigt, meinen Namen so unleserlich wie möglich in das Metall zu verewigen.
Ich lege den Kopf in den Nacken und massiere mir die Nasenwurzel. Womit habe ich das gleich nochmal verdient?
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