13. Mein Nachbar, der Heilige
Ich beschließe, in die Offensive zu gehen, reiße ihm die Flasche aus der Hand und schnauze: »Schön, ich habe das Ding in deinen Garten geworfen! Und jetzt? Willst du mich verklagen?«
Er reckt das Kinn, die Bernsteinaugen funkeln angriffslustig. »Ich spiele mit dem Gedanken, wenn du mir weiter auf die Nerven gehst, sputafuoco!«
Okay, ich weiß zwar nicht, was das bedeuten soll, aber es klang nicht sonderlich nett. »Wie hast du mich gerade genannt?«, keife ich.
»Schlag's nach«, kommt es mit einem süffisanten Grinsen von ihm. Dann macht er auf dem Absatz kehrt und geht nach nebenan in sein Haus. Mit einem Schnauben drehe ich mich um und knalle die Tür so laut hinter mir zu, dass es wohl das ganze beschissene Dorf gehört haben dürfte.
Doch gerade als ich mich schon frustriert vor den Fernseher werfen will, klingelt mein Handy. Als ich sehe wer es ist, bessert sich meine miese Laune schlagartig. Grinsend gehe ich ran: »Guten Morgen.«
»Von ›gut‹ kann hier nicht die Rede sein. Wie kannst du jetzt nur so gut drauf sein?!«
Thor klingt wirklich wie ausgekotzt. Ich lache müde. »Alles nur Show, mir geht's auch scheiße«, brumme ich. Und ich muss heute sogar noch arbeiten, wie mir gerade einfällt. Bei dem Gedanken sinkt mir mein Magen in die Kniekehlen.
Tatsächlich ist mein Schädel jetzt von ›unangenehm Pochen‹ zu ›penetrant Hämmern‹ übergegangen, was sicher Eros' Schuld ist. Hätte er mich nicht so aufgeregt, wäre alles in Butter gewesen, oder zumindest nicht so schlimm.
»Dann hast du also auch einen mordsmäßigen Kater? Damit geht's mir viel besser.«
»Du bist fies.«
»Verklag mich doch.«
Unwillkürlich zucke ich zusammen und denke an die Szene mit Eros vor der Tür, als ich ihm etwas ganz ähnliches entgegengeworfen habe.
»Hey, bist du noch da?«
»Hm?«, murmle ich entrückt.
»Ob du noch da bist?«, lacht er, ich stimme ein.
»War nur mit den Gedanken woanders.«
»Wo denn?«, will Thor wissen.
»Ach, nicht so wichtig«, wiegele ich ab. »Wie hat es dir eigentlich gestern gefallen? Außer dem Kater natürlich.«
»Gut! Das mit den Gartenzwergen war echt...« Er lacht los. »... krass.« Mir ist diese Sache ehrlich gesagt immer noch peinlich. Gott sei Dank scheint uns außer Eros niemand gesehen zu haben, was in dieser Klatschtüte von einem Dorf ein wahres Wunder ist.
»Das war es«, murmle ich, aber er scheint es nicht zu hören.
»Weißt du, wer dieser Typ war?«
»Welcher Typ?«, frage ich, Böses ahnend. »Dieser Riese, der uns weggeschickt hat. Du bist mit ihm gegangen.«
»Ach, der. Das ist mein neuer Nachbar«, gebe ich betont ungerührt zurück.
»Voll der Idiot! Der soll sich um seinen eigenen Scheiß kümmern, oder?«
Ich murmle etwas Zustimmendes, habe aber trotzdem ein merkwürdiges Gefühl dabei.
Nicht, weil ich Eros in Schutz nehmen möchte! Sondern, weil ich finde, dass diese Art über jemanden zu reden, mir Thor in diesem Moment unsympathisch macht. Er hat ja eigentlich recht in dem, was er da gesagt hat.
Es ist nur so, dass ich sowieso schon glaube, dass mehr in ihm steckt, als der trottelige Nerd (von dem ich immer weniger sehe, je besser ich ihn kennenlerne), und mit ›mehr‹ meine ich eigentlich ›schlechtes‹.
Allerdings kann ich mich auch täuschen und ich sollte wirklich nicht so hart zu ihm
sein – gerade ich, da ich nun wirklich nicht für meine freundliche Art bekannt bin.
Der Punkt ist, dass er recht hat: Diese spießige Aktion von Eros war nunmal super nervig und er hat sich in Angelegenheiten eingemischt, die nicht seine waren. Mir geht dieses heilige Nachbarschaftsgetue von ihm sowieso gewaltig auf den Zeiger. Dass er uns gestern dann auch noch in die Parade fahren musste, war total uncool. Warum rege ich mich dann also überhaupt auf, wenn Thor über ihn herzieht? Ich weiß es nicht.
Ich werde wütend bei dem Gedanken an dieses Wort, das Eros mir vorhin an den Kopf geworfen hat. Was sollte das bitte bedeuten? Das war definitiv eine Beleidigung! Dafür muss ich die Übersetzung gar nicht erst nachschlagen, wie er es mir so freundlich geraten hat. Was ich ohnehin nicht tun könnte, da ich mich nicht an den genauen Wortlaut erinnern kann.
»Und, wie fandest du Mona?«, frage ich. Daraufhin schweigt Thor kurz... fast so, als hätte er Angst, die falsche Antwort zu geben. Das ist zumindest meine Wahrnehmung.
Dann sagt er schließlich: »Ganz nett. Sie ist echt cool.«
»Freut mich! Siehst du, ich habe dir doch gleich gesagt, dass du ihr eine Chance geben sollst!«
»Aber dich mag ich trotzdem mehr.«
Unwillkürlich schießt mir das Blut ins Gesicht und ein idiotisches Grinsen macht sich auf meinem Gesicht breit. Gut, dass Thor mich nicht sehen kann.
»Lieb von dir«, sage ich kokett und zu meiner Schande leicht atemlos.
Er räuspert sich. »Also, ähm... Ich weiß, wir haben uns erst gestern – oder heute, wie man's
nimmt – gesehen, aber hättest du Lust, was zu unternehmen?« Ich verziehe bedauernd das Gesicht.
»Sehr gern eigentlich, leider muss ich heute arbeiten.«
»Oh. Schade.«
»Ja, wirklich... aber wie sieht es denn mit morgen aus?«
»Mist, da kann ich nicht. Ich habe meiner Mutter versprochen, mit ihr Sofa-Shoppen zu gehen.« Ich lache auf.
»Sofa-Shoppen?«
»Ja, das von ihr ist relativ derangiert und da ich jetzt wieder im Dorf bin, will sie soviel Zeit wie möglich mit mir verbringen.«
Thor studiert in der Schweiz Physik und ist nur für die Semesterferien hier, wie er mir gestern erzählt hat. Ich versuche, so wenig wie möglich daran zu denken.
»Das ist doch toll!« Er schnaubt.
»Ja, nur langsam nervt sie gewaltig. Die Semesterferien gehen noch um die eineinhalb Monate und sie tut so, als könnte ich mich jeden Moment in Luft auflösen!«
»Sei froh, dass es deine Mutter interessiert, wie's dir geht«, murmle ich bitter. Wieder breitet sich ein ätzendes Gefühl in meiner Magengrube bei seinen abfälligen Worten aus. Ich stelle fest, dass es mir nicht gefällt, wenn Thor über andere Menschen herzieht – egal, um wen es sich dabei handelt. Bei Eros konnte ich es sogar noch nachvollziehen, aber bei seiner Mutter? Eher nicht.
Ich könnte mir nie vorstellen, wie meine Mutter mich zum Möbel Shoppen mitschleppt, nur um Zeit mit mir zu verbringen. Deshalb schmerzt es umso mehr, dass er es scheinbar so wenig zu schätzen weiß, einen guten Draht zu seiner Mutter zu haben.
»Oh Mist, ich habe ganz vergessen, dass... ich habe nicht nachgedacht. Tut mir leid«, lenkt er jetzt nach meinem ausgedehnten Schweigen ein. Scheinbar hat er selber gemerkt, wie seine Worte rüberkommen. Ich beschließe, ihm das durchgehen zu lassen. Schließlich reden wir alle mal Unsinn – ich bin in der Angelegenheit sogar Expertin, würde ich behaupten.
»Schon in Ordnung. Es ist einfach keine Selbstverständlichkeit, dass einen die Eltern so behandeln, wie deine Mutter dich behandelt, das solltest du zu schätzen wissen.«
»Du hast wohl recht«, gibt er leise zu.
»Ich habe immer recht«, entgegne ich keck, er lacht.
Dann wird es kurz still und dieser ganz bestimmte Moment, in dem man sich bei einem Telefonat verabschiedet, tritt ein. Doch bevor es soweit kommen kann...
»Weißt du was? Komm doch mit! Meine Mutter würde sich bestimmt freuen, sie mag dich.«
»Ich will doch euren gemeinsamen Tag nicht crashen...«
»Keine Sorge, sie und ich werden noch genug gemeinsame Tage haben. Komm mit, das wird sicher lustig!«
Ich wiegele den Kopf hin und her, dann willige ich schließlich ein: »Okay, gut. Aber nur, wenn es auch wirklich in Ordnung für sie ist!«
»Bestimmt. Ich werde sie fragen, dann schreibe ich dir, okay?«
»Okay.« Wir verabschieden uns und ich lege auf.
Lächelnd schaue ich aus dem Fenster. Es freut mich sehr, dass Thor mich eingeladen hat, ihn und seine Mutter zu begleiten. Doch leider verfliegt meine gute Laune schnell als mir einfällt, dass ich später noch, verkatert wie ich bin, arbeiten muss.
Und das Schlimmste? Ich werde Eros sehen. Ich schnaube. Alles entwickelt sich so schön für mich. Wieso kann dieser Typ sich nicht ein anderes Dorf suchen, in dem er Nachbarschaftsheiliger und Gartenzwergpoliziei spielt?!
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