Am Ziel
Baron war klitschnass und weißlicher Schaum bildete sich vor seinem Maul. Noch einmal musste ich meinem Pferd alles abverlangen. „Halte durch mein Junge!" flehte ich ihn an. Ein lautes Schnauben hätte ich als Zustimmung deuten können.
Doch auch meine Kräfte waren gänzlich aufgebraucht. Ich war nicht mehr in der Lage vernünftig zu reiten. In den Steigbügeln stehend, verhinderte ich, Barons Bewegungen unnötig zu behindern. Die Zügel hingen durch, er lenkte sich selbst, da er einfach dem Pferd vor ihm folgte. Meine Hände krallten sich in seiner Mähne fest, ohne diesen Halt wäre ich von seinem Rücken gefallen. In Folge der ganzen Anstrengung erbrach ich auf dem Pferd. Bemüht Baron nicht zu treffen, beugte ich mich zur Seite – keine gute Idee, ich verlor beinahe den Halt und geriet ins wanken, womit ich mein Tier aus dem Takt brachte. Zum Glück fing sich Baron wieder und schaffte die letzten Galoppsprünge zu den Toren des Waldlandreiches. Die Tore vernahm ich nur verschwommen in der Ferne, doch bei deren Anblick kam ein wenig das Gefühl der Erleichterung. Früher wirkten sie bedrohlich auf mich und ich verband sie mit Angst aufgrund diverser Ereignisse. Schon komisch wie sich innerhalb kürzester Zeit alles änderte. Wobei 19 Jahre für einen Menschen nicht gerade ein Wimpernschlag war, wie für uns Elben.
Ich hatte es tatsächlich geschafft! Nach so vielen Wochen .... nach dieser langen Reise ... der Weg war geschafft, er lag hinter mir. Es gab jetzt nichts mehr, was mich aufhalten könnte, doch noch gab es auch keine Gewissheit.
Die großen Tore öffneten sich geräuschvoll und dutzende Elben eilten heraus. Die ersten liefen geschwind auf den König und den verwundeten Orophin zu. Der Krieger wurden umgehend in die Hallen getragen. Ich konnte kein Wort an ihn richten – mich nicht verabschieden. Protestierend wollte ich etwas rufen, doch zwei Elben halfen mir von Baron und führten auch ihn direkt weg. Thranduil selbst trat mir gegenüber. „Ich bin dir entgegengekommen. Mehr kannst du im Moment nicht erwarten, Lenya! Bring mir meinen Sohn zurück!!"
Sein Befehl – denn nichts anderes war es, war unmissverständlich. Vor Schmerzen gekrümmt wollte ich meinen Weg einschlagen.
„So viel Zeit haben wir wahrlich nicht." sprach der König ungeduldig und hob mich ohne meine Erlaubnis auf seinen Armen. „Bringt mir die Zofen!" schrie er bestimmt durch die Hallen, als sich die Tore hinter uns schlossen. Sofort wurde es dunkler und auch kälter, wie die allgemeine Stimmung – eisig und angespannt.
Wie immer, wenn Thranduil etwas harsch befahl, wurde alles schnellstmöglich für seine Zufriedenheit umgesetzt.
„Mein König?!" meldete sich eine mir unbekannte, brünette Elbin.
„Das ist Lenya ..." Bei der Erwähnung meines Namens riss die Zofe ihre Augen auf. Sie verstand anscheinend sofort, welche Rolle ich hier spielen sollte.
„Seht zu, dass sie schleunigst gereinigt und neu gekleidet wird, bevor ich sie zu Legolas bringe!" forderte er scharf.
Mein Zustand erlaubte es mir nicht, alles um mich herum genau wahrzunehmen. Doch dass ich abgesetzt wurde und sofort viele Hände an mir nestelten bemerkte ich sehr wohl.
„Ich komme gleich dich abholen! Halte durch Lenya – du bist so weit gekommen ...von wo auch immer ..." Die sanfte Stimme des Königs entfernte sich.
„Lenya, ich warte auf dich!" Legolas Stimme geisterte in meinem Kopf.
„Herrin! Ihr müsst wach bleiben! Esst und trinkt eine Kleinigkeit." forderte mich eindringlich eine Zofe auf. Gierig trank ich das Wasser, welches man mir unter die Nase hielt, während schmerzhaft an meinen Haaren gezupft wurde. Die arme Frau kämpfte mit einem Kamm gegen Knoten und Naturreste in meinem Wirrwarr. Immer wieder entschuldigte sie sich für die Schmerzen, die sie mir dabei zufügte.
Nachdem mein Haar gekämmt, mein Körper gereinigt und ich etwas gestärkt wurde, kam der König , um mich abzuholen.
Thranduil streckte mir seine Hand entgegen und forderte mich auf, ihm zu folgen. Ich legte meine in seine und er zog mich kraftvoll auf die Beine. „Kannst du laufen?" jegliche Stränge oder Schärfe waren aus seinem Tonfall gewichen. Nickend und mit gesenktem Blick bestätigte ich. „Ja, meine Beine können mich tragen."
Sanft lächelnd bot er mir seinen Arm an, unter dem ich mich einhackte. Gesittet schritten wir die Flure entlang zu Legolas Gemach.
„Deinem Freund geht es den Umständen entsprechend gut. Er wird für seine Mühen reichlich entlohnt. Orophin hat dich hierher gebracht und sein eigenes Leben dafür riskiert, ich bin ihm einen großen Gefallen schuldig."
Ich sah auf und unsere Blicke trafen sich. „Danke!" konnte ich nur schlicht erwidern.
„Unsere Zeit wird kommen, da wirst du mir alles berichten. Ich verstehe nicht, was geschah und es drängt mich, endlich alles zu erfahren, doch die Zeit dafür ist nicht jetzt!"
Erleichtert atmete ich aus. Es nahm mir ein wenig Last von den Schultern.
„Du siehst wunderschön aus Lenya... verändert aber schön wie eh und jeh." Vor der Tür, hinter der mich Legolas erwarten wird, verabschiedete sich der König mit diesen Worten und einem gehauchten Kuss auf mein Haupt.
Ließ er mich hier allein zurück? Kein Rat? Keine Anleitung, wie ich es schaffen sollte, Legolas aus dem tiefen Schlaf zu erwecken? Endete alles, wie die Reise begann – auf mich alleine gestellt?
Mein Kopf lehnte an der dicken, reich verzierten Eichentür. 'Beruhige dich', zwang ich mich selber. Was tat ich hier eigentlich? Schüchtern und scheu wie ein Reh vor der Tür stehen, die es einzig zu überwinden galt, um zu dem Mann, den ich über alles liebte, zu gelangen??
Mit der restlichen Kraft, die mir blieb, stieß ich die Tür auf.
Als erstes fiel mir der blumige Duft auf. Überall standen Blumen aus dem königlichen Garten im Raum verteilt. Abgesehen davon, sah sein Gemach ganz normal aus. Aus Menschenzeiten erinnerte ich mich daran, dass in Filmen oder Romanen überromantisierte Szenen dargestellt wurden. Jedes Mal, wenn zwei geliebte Menschen, egal in was für einer Situation, aufeinander trafen – wurde helles gleißendes Licht verwendet, um die Loveszene hervorzuheben. Vielleicht hatte ich auch so etwas erwartet ... wehende Stoffbahnen, grelles Licht, was mich blendete ... eine sanfte Melodie in der Luft. Nein.
Alles war still – kein Vogelgezwitscher, keine sanfte Briese ... lediglich die vielen Blumen.
Ich schloss die Tür hinter mir, bevor ich zielstrebig auf das große Bett am Ende des Zimmers zuging. Vom Weiten sah ich eine schlafende Person, bedeckt mit blauem Lein, welcher sich mit dem langsamen Atem hob und sank. Wie würde er aussehen? Wie konnte ein Elb im Koma nach so langer Zeit aussehen? In der Welt der Menschen hingen Patienten im Koma an vielen Schläuchen, die sie beatmeten, ernährten und Ausscheidungen regelten .... doch hier in Mittelerde war alles anders. Es machte keinen Sinn mehr, mein Leben auf der Erde mit diesem zu vergleichen ...
In Mittelerde war ich unsterblich ... hier gab es Magie, die die Erdbewohner nicht ansatzweise verstanden ... hier war mein zu Hause, mein Platz an seiner Seite!
„Legolas"
„Legolas" „Legolas" „Legolas" .... erhalte immer wieder meine Stimme durch den Raum. Sie war leise und ruhig, doch schien sie nicht abzuklingen. Alles um mich herum begann sich zu drehen, meine Augen flimmerten. Die Ohnmacht stand kurz bevor. Panik stieg in mir auf. 'Nicht jetzt!'
Ich war so kurz vor dem Ziel, ich durfte jetzt nicht versagen. Eine weitere Chance würde ich nicht bekommen.
Nahezu blind und im Dunkeln tappend ging ich auf das Bett zu. Ich fühlte den Stoff unter meinen Händen. Nicht mehr Herr meiner Sinne fiel mein erschlaffter Körper in das Bett.
„Legolas!" hauchte ich zum letzten Mal.
Vollkommene Finsternis umfing mich. Alles verschwand. Wieder Stille – absolute Stille. Kein Geruch, keine Empfindung - ob es warm oder kalt war, konnte ich nicht sagen. Atmete ich überhaupt? Lebe ich noch?
Die Schwärze wurde heller und immer heller, bis es das weiße, gleißende Licht war, wie bei dem Beginn meines Leben als Mensch auf der Erde. Was geschieht hier mit mir?
Ganz langsam offenbarte sich mir ein Gesicht. Es war erst verschwommen wie durch dichten Nebel, doch es wurde klarer. Ich kannte das Gesicht, das freundliche, liebevolle, schmunzelnde, wunderschöne Gesicht.
„Lenya" sprach das freundliche Gesicht zu mir. Ich wollte etwas erwidern, doch keine Worte verließen meine Lippen. Erneut stieg Angst in mir auf. Angst mich aufzulösen.
Meine Hand wurde gedrückt, das gab mir Zuversicht, dass ich nicht einfach verschwinde.
„Liebste ... es ist Zeit! Bitte – komm zu mir zurück! Ich kann nicht mehr warten. Wir waren zu lange voneinander getrennt .... öffne deine Augen. Lass mich deine strahlend blauen Augen erblicken ... Bitte ...
Das liebliche Gesicht von Legolas wurde trauriger und der Druck an meiner Hand wurde schwächer bis hin zu nicht mehr spürbar. Die Dunkelheit umfing mich wieder.
Etwas nasses lief mein Gesicht hinunter. Dankbar, dass ich etwas spüren konnte und für den Beweis meiner Existenz, kämpfte ich mit aller Macht darum, die Augen aufzubekommen.
Luft strömte in meine Lungen, das war für einen Augenblick schmerzhaft. Endlich schaffte ich es, die Augen zu öffnen. Ich blickte zur Decke von Legolas Gemach. Ich war also noch hier?
Ich hörte leises Atmen, was mich dazu brachte, meinen Kopf umzudrehen.
Ein spitzer Schrei entfuhr mir. Legolas wachen Augen blickten mich an.
„Hallo meine Schöne!" Seine Stimme war brüchig, sie hörte sich an, wie bei einem Schwerkranken.
Ich war einfach geschockt. „Ist das Wirklichkeit?" während ich fragte, streckte ich meine Finger nach ihm aus. Tatsächlich spürte ich die Wärme seiner Haut. Lächelnd nahm er meine Hand in seine und küsste sie. „Ja! Du hast es geschafft. Wir sind beide hier und nichts kann uns nun mehr trennen!"
So viele Fragen kreisten in meinem Kopf. Doch größer als mein Wissensdurst war das Verlangen ihn endlich zu küssen. Mühevoll robbte ich zu ihm, ließ mich neben ihm fallen und setzte zum Kuss an. „Ich liebe dich." hauchte er mir zu, bevor er mir entgegenkam und den Kuss ausführte.
Ich konnte nicht anders als den Moment mit ihm auszukosten. Wie frisch Verliebte küssten wir uns wieder und immer wieder.
„Legolas?" fragte eine weinerliche, männliche Stimme in den Raum hinein und unterbrach uns abrupt.
„Ada?!" die Stimme des Prinzen war nach wie vor angekratzt und befremdlich. So schnell konnten meine Augen die Bewegungen Thranduils gar nicht folgen, da war er an Legolas Seite. Überglücklich nahm der Vater seinen auferstandenen Sohn in eine feste Umarmung. Legolas Gesicht war ebenso verdutzt wie meines. Sein Vater tat sich schwer im Umgang mit Gefühlen, das war im Allgemeinen bekannt.
„Wie lange wandelte ich in der Zwischenwelt?" war die schlüssige Frage, die der Wiederauferstandene stellen konnte.
Thranduil sah mich an. „19 Jahre." übernahm ich die Antworten. Entgeistert blickte Legolas von mir zu seinem Vater. Er brauchte einen Moment, um diese Neuigkeit zu verdauen – verständlich.
„Es geschahen Dinge, die auch die Weisesten nicht erklären konnten! Ihr seht verwirrt aber glücklich aus. Sucht jetzt nicht nach Antworten ... seit einfach am Leben und nehmt wieder daran teil. Sobald ihr vollständig genesen seit, werdet ihr genug Zeit für Antworten haben." Mit diesen Worten verließ der König freudestrahlend das Zimmer. Legolas und ich waren wieder alleine. Wir folgten dem Rat und verschwendeten keinen Moment mit Grübeleien. Stattdessen hielten wir uns fest in den Armen, küssten und tauschten verliebte Blicke. Meine Lider waren schwer, nach der Anspannung, die von mir abfiel und es war unter der warmen Decke, in Legolas Armen nur allzu verführerisch den Schlaf gewinnen zu lassen.
„Ruh dich aus! Du hast viel durchgemacht, dass weiß ich ohne das du es mir sagst!"
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