Kapitel 6 Emily
Ich lasse die zwei ohne ein weiteres Wort stehen und gehe zu dem Weg hinterm Haus, um zu meiner Mutter zu kommen. Nach dem Streit mit Collin gestern Abend dachte ich eigentlich, es geht nicht noch schlimmer. Aber dann hat mir meine Mutter geschrieben, dass meine Schwester auch da sein wird. Und das heißt, es wird nervenzerreißend für mich werden. Nervenzerreißend und anstrengend. Das hätte sie mir wirklich ersparen können, aber das konnte ich ihr natürlich nicht sagen.
Ich hoffe nur, dass Finn mir nicht böse ist wegen meinem Abgang. Er war wieder mal richtig nett und hilfsbereit und ich bin einfach weg. Hoffentlich kann ich das später wieder gut machen. Aber wenigstens hat Collin mich in Ruhe gelassen. Das hätte mir gerade noch gefehlt. Obwohl er mich genauso angegrinst hat wie Aaron, als ich das mit der Hochzeit erfahren habe, und diese Ähnlichkeit verursacht mir Gänsehaut.
Nach 10 Minuten stehe ich vor ihrer Haustür und bete, dass dieser Tag schnell vorüber geht. Ich atme nochmal tief ein und aus, bereite mich seelisch auf meine Schwester vor und drücke auf die Klingel. Im Vergleich zu Sophie ist meine Mutter ein Engel. Ich höre sofort laute Schritte auf mich zukommen und ich unterdrücke den Drang, mich hinter der nächsten Mauer zu verstecken, um dieses Treffen zu vermeiden. Sofort reißt meine Schwester mit vollem Schwung die Tür auf, sodass ich fast schon Angst habe, sie hätte sie aus den Angeln gerissen.
Sie hat ihre langen blonden Haare zu einem Dutt hochgebunden und trägt einen dünnen weißen Pulli und eine schwarze, lange Hose. Ganz schön warm angezogen für so einen warmen Tag, denke ich mir. Aber ich habe die Vermutung, dass sie sich darin einfach wohler fühlt. Meine Schwester ist noch kurviger als ich und trägt immer lange Sachen, egal wie heiß es ist. Ich finde das ziemlich schade, weil sie anziehen sollte, was sie will, ohne sich Sorgen machen zu müssen, was andere sagen. Vor allem wenn es so heiß ist wie heute. Aber da es ihr anscheinend so passt, habe ich dazu noch nie was gesagt. Auch nicht, weil es mich nichts angeht und weil ich damit ihren Zorn für immer auf mich ziehen würde. Obwohl ich den heute sowieso abbekommen werde, so wie sie mich ansieht.
"Na endlich. Kannst du einmal pünktlich sein? Aber du hattest sicherlich besseres zu tun. Du hältst dich ja sowieso für was besseres", begrüßt sie mich, schaut mich finster an und lässt mich vorbei. Ich habe nicht mal ein Wort gesagt und schon geht sie auf mich los. Das kann ja heiter werden.
"Ich wurde aufgehalten. Aber danke fürs Warten", entgegne ich ihr ganz ruhig und hoffe, dass sie das beruhigt, bezweifle es aber. Wenn Sophie erstmal so drauf ist, dann bleibt sie es für den restlichen Tag auch. Ich will gerade ins Esszimmer gehen, als sie mich an der Hand zurückhält.
"Ja, na klar. Du wurdest aufgehalten...kannst du auch ehrlich sein? Du wirst dich heute zurückhalten, klar?! Es muss nicht immer um dich gehen!", meint sie mit drohender Stimme zu mir und lässt mich im Flur stehen. Anscheinend liegt es in der Familie, jemanden einfach stehen zu lassen. Ihre Worte verletzen mich zum Glück nicht mehr, allerdings frage ich mich, wieso sie jetzt schon so wütend auf mich ist. Wohl kaum, weil ich ein paar Minuten zu spät gekommen bin. Sophie braucht aber nicht wirklich einen sinnvollen Grund, um so drauf zu sein. Jede Kleinigkeit, die ihr nicht passt, bringt sie zum Ausrasten.
Allein wegen dieser Tatsache frage ich mich immer wieder, wie ihr Freund Cody das aushält. Vor allem seit sie zusammen wohnen. Soweit ich das mitbekommen habe, ist sie zu ihm genauso wie zu mir, wenn sie schlechte Laune hat. Aber auch das geht mich nichts an, auch wenn er mir wirklich leid tut.
Ich habe ebenso die Vermutung, dass sie einfach aus Gewohnheit zusammen bleiben, weil sie schon seit 7 Jahren zusammen sind und er am Anfang wohl auf ihre Fassade reingefallen ist. Mittlerweile hat er sich an ihre wahre Persönlichkeit gewöhnt und wehrt sich nicht mehr, wenn sie schwierig oder gemein wird. Aber irgendwie kann ich ihn verstehen. Ich wehre mich ja auch nicht wirklich gegen sie und lasse es einfach über mich ergehen, weil es leichter ist. Und weil ich genau weiß, dass es sowieso zu nichts führen würde.
Ich atme nochmal tief ein und nehme mir vor, einfach durchzuhalten. Es ist nur ein Mittagessen und mir wird schon niemand den Kopf abreißen. Also das hoffe ich zumindest.
Als ich ins Esszimmer komme, sitzen schon alle am Tisch. Meine Mutter sitzt neben Aaron und gegenüber Sophie neben Cody. Ich begrüße die anderen kurz und setze mich ans Kopfende. Da sie gerade ins Thema Hochzeit vertieft sind, will ich sowieso nicht wirklich mitreden und nehme mir etwas zu essen. Während ich anfange zu essen, versuche ich wenigstens so zu tun, als würde ich einigermaßen zuhören, damit Sophie nicht auf mich losgeht. Cody und ich wechseln kurz einen Blick und ich muss leicht lächeln. Anscheinend kann er mit dem Thema genauso wenig anfangen wie ich, da er kaum ein Wort sagt. Er sieht auch eher unglücklich aus deswegen. Ich tippe mal, dass meine Schwester ihm auch Druck macht, was eine Heirat betrifft, vor allem weil unsere Mutter jetzt vor ihr an der Reihe ist.
"Was hältst du davon, Emily?", fragt mich gerade meine Mutter, genau in dem Moment, indem ich mit meinen Gedanken abgeschweift bin. Aber vielleicht kann ich so tun, als wüsste ich, wovon sie redet.
"Ja, das klingt doch gut", versuche ich einigermaßen überzeugend zu wirken, allerdings kann ich sehen, wie Sophie mich mit ihrem Blick umbringen will.
"Du hast doch keine Ahnung, worüber wir reden. Es interessiert sie ja nicht mal wirklich. Sie hat bis jetzt kein Wort gesagt", sagt sie und will meine Mutter damit wohl gegen mich aufbringen. Ich verstehe es echt nicht. Vorhin wollte sie, dass ich still bin und jetzt verwendet sie das gegen mich. Zum Glück ist meiner Mutter das heute egal, vielleicht weil sie sich so auf ihre Hochzeit freut. Obwohl ihr Bräutigam kein Traumtyp ist.
"Es ging darum, ob wir Tauben oder Schmetterlinge nach der Trauung fliegen lassen wollen", erklärt sie mir lächelnd und wirkt absolut nicht böse. Wow, vielleicht sollte sie öfter heiraten, denn diese gute Laune könnte mir gefallen.
"Schmetterlinge wären wohl besser. Sonst hast du überall Vogelkacke. Das willst du sicher nicht, oder?", antworte ich, in dem Versuch, mich sinnvoll einzubringen. Es scheint gut zu funktionieren, denn meine Mutter, Aaron und Cody fangen an zu lachen. Nur meine Schwester verdreht die Augen. Anscheinend gefällt es ihr nicht, dass ich mitrede.
"Oh Gott, du hast recht. Daran hatte ich gar nicht gedacht. Also dann Schmetterlinge", meint meine Mutter dankbar zu mir und lächelt mich wieder an. Zweimal in nicht mal 2 Minuten. Ich weiß wirklich nicht, ob ich mich freuen oder mir Sorgen machen sollte. Aber sie scheint glücklich zu sein und das ist doch was Gutes.
"Ja. Gut, dass du hier bist", stimmt Sophie ihr mit zickigem Unterton zu. Mein Gott, was habe ich ihr nur getan? Sie verwickelt meine Mutter in ein weiteres Gespräch über Blumen und Deko und ich esse einfach weiter mein Essen auf. Ebenso wie Cody und Aaron. Ich bin froh, dass Aaron mich heute in Ruhe lässt. Dass Sophie mir an die Gurgel gehen will, reicht mir vollkommen.
Nach dem Essen räumen Cody und ich alles in der Küche auf, während die anderen drei weiter über die Hochzeit reden. Wir haben uns quasi freiwillig gemeldet, weil uns das Gesprächsthema schon zu den Ohren raushängt.
"Ob wir uns das jetzt jedes Mal stundenlang anhören müssen?", frage ich ihn und er sieht mich verzweifelt an.
"Ich muss mir das sowieso anhören. Sophie redet von nichts anderem mehr. Ich weiß wirklich nicht, wie ich das die nächsten paar Monate überstehen soll", antwortet er und trocknet den Teller ab, den ich ihm gebe.
"Ohhh...eine Runde Mitleid", ziehe ich ihn auf und er grinst mich nur an. Ich mag Cody sehr gerne. Er war immer nett zu mir und wir verstehen uns gut. Das liegt wahrscheinlich daran, dass er nicht blutsverwandt ist. Obwohl ich am Anfang wirklich Angst hatte, dass sich das unter Sophies längerem Einfluss auf ihn ändert, aber das ist zum Glück nicht passiert. Stattdessen ist er eher sowas wie ein großer Bruder geworden und das finde ich super. Er wollte mir am Anfang sogar gegen Sophies Sticheleien mir gegenüber helfen, aber als ich ihm erklärt habe, dass es das nur schlimmer macht, hat auch er aufgegeben. Wir stehen das wenigstens zusammen durch. Das macht es etwas leichter.
"Wie läuft es denn so in der Arbeit?", fragt er mich, während wir weiter zusammen abspülen. Er weiß, wie schwer mir meine Arbeit zu schaffen macht, deshalb finde ich es lieb, dass er nachfragt.
"Ach, das Übliche. Mein Boss hält mich für unfähig, weil Mrs. Meisner ihm weismacht, dass ich es bin." Mrs. Meisner ist eine Kollegin, die es seit meinem ersten Tag auf mich abgesehen hat. Sie hält mich klein, obwohl ich echt mein Bestes gebe und weiß, dass ich eigentlich mehr kann. Doch sie traut mir das irgendwie nicht zu beziehungsweise will sie alles selber machen, weil ihrer Meinung nach niemand so gut ist wie sie selbst.
"Du darfst dich nicht immer so unterkriegen lassen, Em", meint er und ist damit gleicher Meinung wie Avery. Und die zwei haben ja auch Recht. Aber sich gegen eine ältere und erfahrenere Kollegin vor dem Chef zu behaupten, ist halt nicht so einfach.
"Du hast leicht reden. Du bist dein eigener Chef. Dir schreibt niemand vor, was du zu tun hast", erwidere ich und beneide ihn dafür wirklich. Allerdings arbeitet er dafür auch härter und länger, was man ihm auch ansieht. Er hat tiefe, dunkle Ringe unter den Augen und ich habe ihn schon dreimal beim Gähnen erwischt.
"Ja, das stimmt schon. Aber das hat alles auch seine Nachteile. Vergiss das nicht, Em."
"Allerdings. Das sieht man dir an", ärgere ich ihn wieder und er schmeißt das nasse Tuch auf mich, das eigentlich zum Abtrocknen gedacht war.
"Du Frechdachs. Aber du hast recht. Ich bin todmüde. Obwohl das nicht an der Arbeit liegt, eher an Sophie. Sie redet Tag und Nacht auf mich ein. Von wegen nächster Schritt und so. Entweder Hochzeit oder Baby. Sie raubt mir den Schlaf, ganz ehrlich. Ich habe ihr sogar gesagt, dass ich länger arbeiten muss und habe ein paar Stunden im Büro geschlafen."
Jetzt habe ich wirklich Mitleid mit ihm. Ich weiß, wie schwierig meine Schwester sein kann. Und wenn sie etwas will, dann nervt sie einen so lange damit, bis sie es bekommt.
"Tut mir leid, Cody. Ich würde ja vorschlagen, einfach mit ihr zu reden, aber das wird nichts bringen. Das wissen wir beide. Aber meine Couch steht dir immer zur Verfügung, falls du mal wieder durchschlafen willst", biete ich ihm an und er schaut mich dankbar an.
"Ja, durchschlafen wäre wirklich mal wieder gut. Aber ich bin ein erwachsener Mann. Ich werde ja wohl selbst entscheiden dürfen, wann ich heiraten oder Kinder will. Und wenn Sophie denkt, sie kann mir da Druck machen, dann kann sie das vergessen. Ich denke, das wird eine große Diskussion werden", sagt er und da hat er absolut recht.
"Wow, so langsam steigt mein Respekt für dich wieder. Aber das Angebot mit meiner Couch steht. Du wirst sowieso eine Bleibe nach dieser Diskussion brauchen, so wie ich Sophie kenne", erwidere ich und wir fangen beide leise an zu lachen. Nach all den Dingen, die wir mit Sophie schon durchgemacht haben, können wir nur noch lachen. Sich darüber aufzuregen, bringt einem nichts und ruiniert einem nur den Tag mit schlechter Laune. Deshalb haben Cody und ich uns was anderes ausgedacht, damit wir nicht immer nur wütend oder deprimiert sind. Das funktioniert sogar ziemlich gut, seit wir es eingeführt haben.
Nachdem wir mit dem Geschirr fertig sind, setzen wir uns wieder an den Esstisch. Mittlerweile ist es später Nachmittag und nachdem Sophie noch klargestellt hat, dass sie auf jeden Fall Trauzeugin sein wird, egal ob meine Mutter das möchte oder nicht, brechen wir drei auf und gehen zusammen vor die Haustür.
"Sollen wir dich vielleicht heim fahren, Em?", fragt Cody mich wie immer, aber bevor ich antworten kann, übernimmt das meine Schwester für mich.
"Hör auf, sie zu nerven, Schatz. Geh doch schon mal vor. Ich muss noch kurz was mit Emily besprechen und dann komm ich gleich nach", erwidert sie zuckersüß und gibt ihm einen kurzen Kuss. Ich glaub, ich muss gleich kotzen. Cody geht es wohl ähnlich und zögert kurz, uns alleine zu lassen. Anscheinend wissen wir beide, dass mich nichts Gutes erwartet.
"Cody! Gehst du endlich oder bist du taub?!", schreit sie ihn jetzt laut an und ich bekomme gleich ein schlechtes Gewissen, weil er nur wegen mir geblieben ist.
"Schon gut, Cody. Geh ruhig", versuche ich, ihn zu beruhigen und er verabschiedet sich unsicher von mir. Sophie schaut ihm kurz nach und dreht sich zu mir um, als er hinter der nächsten Ecke verschwunden ist.
"Er ist mein Freund, falls du das vergessen hast", weist sie mich darauf hin, als würde ich das nicht wissen. Wenn sie so mit ihren Freunden umgeht, will ich nicht wissen, was sie mit ihren Feinden macht.
"Keine Sorge, habe ich nicht vergessen", erwidere ich mit ruhiger Stimme, weil ich weiß, dass sie mich nur zum Streiten provozieren will.
"Dann hör doch auf, dich an ihn ranzuschmeißen. Ich hab euch in der Küche gesehen. Er will nur mich. Was hätte ein Mann wie Cody schon von einer wie dir?"
Eine Seele, denke ich mir, spreche es aber nicht laut aus. So lebensmüde bin ich nicht. Ich könnte ihr erklären, dass wir nur ein normales Gespräch geführt haben, aber das würde ihr nicht reichen, um mich in Ruhe zu lassen. Also beschließe ich, ihr etwas Honig ums Maul zu schmieren, damit ich gehen kann.
"Du hast recht. Wird nicht nochmal vorkommen. Ich hätte sowieso keine Chance gegen dich."
"Genau. Gut, dass dir das klar ist. Ist aber sowieso ziemlich armselig von dir, den Freund deiner Schwester anzumachen. Du kennst wohl keinen Anstand, was?", versucht sie mich weiter zu provozieren, aber auch darauf gehe ich nicht wirklich ein.
"Ich habe meine Lektion gelernt, Sophie. Außerdem würde Cody dich nie betrügen. So ist er nicht. Jetzt muss ich aber wirklich los. Entschuldige mich", verabschiede ich mich schnell von ihr und gehe nach Hause.
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