Kapitel 6
Mit einem Ruck öffnete Primula ihre blauen Augen, schloss sie jedoch darauf hin wieder. Das grelle Sonnenlicht blendete ihre Augen, welche an die Dunkelheit gewöhnt waren. Die Erinnerungen von gestern Abend durchwühlten ihr müdes Gedächtnis, und sie musste kurz aufschluchzen. Bilbo ist gestorben. Sie musste seinen Platz einnehmen. Ihre gesamte Zukunft war kaputt. Sie durfte nun alles neu aufbauen. Vorsichtig setzte sie sich auf. Der Kampf mit dem Wolf gestern hatte ihr mehr zugesetzt als sie am Anfang gedacht hatte. Die Klamotten von gestern klebten an ihrem Körper und ihre Haare hingen ihr wirr ins Gesicht. Laut seufzte sie auf. Was brachte es denn, jetzt aufzustehn und ihr Leben zu leben. Es war doch sowieso alles pfutsch. In diesem Moment öffnete ein gewisser Zwerg die Schlafzimmertür, Fili stürmte in das Zimmer. "Hey Primula bist du- uh oh, du siehst aber schlimm aus." Er krazte sich etwas unsicher am Kopf. "Äh, mach dich bitte fertig. In 30 Minuten gehn wir los. Pack nur das ein was du brauchst." Schnell verließ er den Raum, nachdem er Primulas saueren Blick bemerkte. Ja sie war sauer. Stinkwütend sogar. Wie konnten die Zwerge es wagen, was erlaubten die sich eigentlich! Erst ihr Leben zu zerstören und dann von ihr verlangen, mit auf eine Reise zu gehen, auf die sie sowieso nicht wollte. Nicht nur das, sie hezten sie und gaben ihr keine Zeit zu Trauern. Wütend und enttäuscht knirschte die Hobbitin mit den Zähnen.
30 Minuten später stand sie frisch geduscht mit gekämmten Haar und ihrem Hab und Gut in Taschen gestopft (sowohl auch Essen) und wohlgenährt vor dem Eingang. Wie erwartet waren die Zwerge selbst nicht fertig gewesen und mussten noch Frühstück essen.
Laut gähnte die junge Frau und dehnte ihre Arme, in dem sie sie in Richtung des orangeroten Himmels streckte. Die kalte Luft hinterließ kleine Atemwölkchen während sie atmete, doch die Morgenkälte sowie die feuchte Morgenluft störte sie nicht. Sie brauchte einfach diesen kurzen Moment von Stille und Frieden, denn in den nächsten Wochen würde es sicher nicht leicht werden, etwas Zeit und Ruhe für sich zu finden. Wie auf ein Stichwort polterten die Zwerge durch die Tür und hievten ihre Rucksäcke durch die Tür. Kopfschüttelnd stellte sich Primula an das Ende des kurzen Weges von Eingangstür zu Gartentor.
Wenig später hatte jede Person ein Pony bzw. Ein Pferd für die Reise. Primula verstand sich schon immer Recht gut mit Pferden, und hatte sich unglaublich gefreut, dass ihr diese dunkelbraune Stute mit schwarzer Mähne zugeteilt wurde. Sie hieß Rätsel. Und die Frau konnte dies nur bestätigen. Mit ihrem klugen Blick und ihrer Anpassungsfähigkeit wirkte das Pferd schon zu schlau für ein Tier.
Plötzlich musste die Reiterin laut niesen, etwas hatte sie an der Nase gekitzelt. Trotzdem spürte sie einen weitern Nieser, der sich langsam aber sicher aufbaute. "Stopp!", rief sie einmal kurz auf. "Ich brauche ein Taschentuch! Hat jemand ein Taschentuch für mich?" Wieder musste sie niesen. Wenn das so weiterging, würde sie sich sicher erkälten. Das würde wiederrum schlimme Folgen haben. Kili und Fili kicherten kurz hinter vorgehaltener Hand, während sich die anderen zu bemühen schienen, sich das Lachen zu verkneifen. Was bitte war an einer Erkältung so witzig? Schließlich riss sich Kili einen Fetzten Stoff von seinem Ärmel. Mit einem breiten Grinsen reichte er ihr den schmutzigen Lappen. "Hier, die feine Dame. Hier ist das Taschentuch für Ihre feine Dame!", erwähnte er unnötigerweise in einem übertrieben höfflichen Ton. Da erinnerte sich Primula an das Taschentuch, welches sie aus Gewohnheit immer in ihrem BH aufbewahrte. Ohne zu Zögern griff sie in ihren Ausschnitt und zog ihr Taschentuch hervor. Kili und Fili verging das Lachen, sie machten ihre Augen und ihren Mund weit auf. Ohne auf sie zu achten putzte sich die Hobbitin geräuschvoll die Nase, während die beiden Zwerge sie weiterhin baff anstarrten. Zum zweiten Mal mussten die restlichen Zwerge ihr Lachen mühsam unterdrücken. "Vielen Dank für das Angebot, doch ich verzichte leider auf das Taschentuch mit solcher Qualität. Ich werde wohl einfach mein Eigenes benutzen müssen, aber danke für Ihre Hilfsbereitschaft", gab sie den beiden im selben, bissigen Ton zurück. Und wie auf Komando verschnellerte Rätsel ihr Tempo, sodass sie nicht länger neben Kili und Fili ritt, sondern in der Lücke zwischen Thorin und den restlichen Zwergen. In Ruhe führte sie die Stute um die Hindernisse des Weges und überlegte derweil. Kili war doch letzten Abend so nett gewesen, wieso war er plötzlich so... gemein? Ein plötzliches Brüllen durchschnitt den gewohnten Klang der Pferdehufe auf dem moosigen Waldboden. Erschrocken blickte sich die Frau um. "Was war das?", fragte sie mit einer Spur von Angst. "Orks", antwortete Kili auf ihre Frage, als wäre es das normalste der Welt. "Orks?" Sie hatte von ihnen gehört, wenig, aber sie hatte auch nie erwartet, auf welche zu stoßen. "Halsschlitzer. Dutzende sind da draußen, in den leeren Landen wimmelt es von ihnen", fügte Fili als Erklärung hinzu. Primulas Herzschlag verschnellerte sich. Sie waren in Gefahr. Trotzdem wollte sie mehr erfahren. "Sie schlagen kurz vor Morgengrauen zu, wenn alles schläft. Schnell und Leise. Niemand schreit und es gibt sehr viel Blut", ergänzte Kili im Versuch, hilfreich zu sein. Ängstlich betrachtete Primula die dunklen Windungen des Waldes, bereit, ein Orkgesicht darin zu erkennen. Sie hatte gerade erzählt bekommen, dass Orks eher nachtaktiv waren, doch trotzdem wurde sie das Gefühl nicht los, beobachtet zu werden. Ruckartig drehte sie ihr Gesicht wieder zu Kili und Fili. Beide beobachteten sie genau und fingen schließlich an zu lachen. Primula verstand nicht, was war den so lustig daran, in der Nacht von blutrünstigen Monstern getötet zu werden, ohne es zu wissen? Thorin parierte sein Pferd auf die Höhe der Gebrüder und erblickte ärgerlich ihre fröhlichen Mienen. "Findet ihr das lustig? Haltet ihr einen Orkangriff bei Nacht für einen Scherz?", sprach er das aus, was alle dachten. Verlegen antworteten sie ihm, doch Primula konnte ihre gemurmelte Entshuldigung kaum verstehen. Nur Thorins genervtes "Nein habt ihr nicht, ihr wisst nichts von der Welt!" drang zu ihr hinüber. Inzwischen hatte sie sich wieder etwas von den beiden Witzbolden entfernt und gesellte sich zu Balin, einer der älteren Zwerge wie es ihr schien. "Nehmt es ihm nicht übel, Thorin hat mehr als genug Grund als die Meisten, die Orks zu hassen." Sie nickte verständnisvoll, im Gegenteil, sie nahm es Thorin nicht übel, die jüngeren zurechtgewiesen zu haben. Ohne auf eine Antwort von ihr zu warten erzählte er ihr von der Schlacht um Moria. Tatsächlich hatte die junge Frau von der Schlacht gehört, doch das meiste waren nur Gerüchte gewesen und nicht sehr nahe am eigentlichen Inhalt. Die Geschichte riss sie mit, während sie Balins sanfter Stimme beim erzählen zuhörte. Ja, sie spürte den seelischen Schmerz beim Verlust eines Volkes, sie erkannte die Wahrheit hinter den Worten Balins und trauerte kurz um die verstorbenen Soldaten. Nachdem Balin seine Geschichte beendet hatte, mit der Schlussfolgerung, dass er daraufhin nur noch Thorin folgen wollte, kam ihr wieder die Frage in den Sinn, welche ihr die gesamte Reise über shon durch den Kopf schwirrte. "Uhm, Balin, was habt ihr eigentlich mit Bilbo gemacht?" Balin lächelte sie kurz bemitleidend an, doch sie ignorierte es und hielt ihr Gesicht gerade, ohne Anzeichen von Emotionen. "Wir haben ihn zum Nachbarhaus getragen und Thorin hat kurz mit euren Nachbarn geredet. Daraufhin haben sie eingewilligt, auf seine Leiche achtzugeben und aufzupassen, dass er eine anständige Beerdigung bekommt." Er zuckte leicht mit den Schultern. "Ansonsten wussten wir auch nicht, was zu tun wäre." Inzwischen hatten wir schon einen Rastplatz mit einem kleinen Feuer, an dem mir Balin die Geschichte erläutert hat. Ich beobachtete, wie Thorin auf uns zu kam mit Kälte in seinen Augen. An Balin gerichtet stellte ich noch eine Frage, welche mich plagte. "Was genau ist dann mit dem weißen Ork geschehen?" An seiner Stelle antwortete Thorin: " Er kroch in das Loch zurück, aus dem er gekommen ist... Dieser Abschaum ist vor langem an seinen Wunden verreckt!" Erschrocken musterte ich sein Gesicht. Narben zeichneten dieses, nicht nur äußere. Sie konnte erkennen, dass der Verlust seines Volkes ihm noch schwer zu schaffen machte. Dabei ging es ihr schon vergleichsmäßig gut, auf Bezug zu Bilbo. Irgendwie hatte sich etwas in ihr verändert, was ihre unglaubliche Trauer und Verzweiflung um Bilbo fast schon in... in Gleichgültigkeit verwandelt hatte. Zögerlich stand sie auf und setzte sich zu Kili und Fili ans Feuer, da sie auch an sie noch Fragen hatte. "Kili, ich wollte dich fragen, ob-" Kili ließ sie nicht ausreden, indem er ihr die Hand an den Mund hielt. "Sag nichts, ich fühle das gleiche. Aber es tut mir leid sagen zu müssen, dass ich schon glücklich verheiratet bin, mit Balin", setzte er mit einer theatralischen Stimme hinzu. Er formte mit seinen Händen ein Herz und zeigte es auf Balin, welcher nur vergnügt kicherte. Rot vor Scham senkte Primula ihr Gesicht, er hatte sie vor der gesamten Truppe bloßgestellt. Die Zwerge lachten belustigt, jeder hatte es genau mit angehört und so etwas sah man nicht alle Tage. "Ich wollte fragen, ob du noch den Zettel hast, welchen Bilbo dir beim Sterben gereicht hat, als ich gestern um die Hausecke bog." Augenblickliche Stille breitete sich um das Lagerfeuer aus, das Lachen verstummte. Nur das einsame Zirpen einer Grille war zu vernehmen. Zögerlich nickte Kili und holte ein zerknittertes Blatt Papier aus seiner Hosentasche. Seine Wangen färbten sich rot, während er es ihr etwas verlegen reichte. Primula schnappte sich das Blatt, setzte sich etwas abseits der Gruppe und fing an im Dimlicht des Feuers, Bilbos letzten Brief zu lesen.
Mit gemischten Gefühlen starrte Kili in die Flamen, während sich Fili mit einem der Zwerge unterhielt. Was war nur heute los mit ihm? Er war dauerhaft unhöflich, beleidigend und teils gemein zu Primula gewesen, dabei wollte er das gar nicht. Aber ob es die Ereignisse von letzter Nacht waren, oder die gierigen Blicke der anderen, es versetzte ihn in eine rasende Wut. Primula, diese unschuldige, wunderschöne Hobbitin war viel mehr wert, als einer der Zwerge um das Feuer. Er konnte nicht zulassen, dass sie einem von ihnen in die Hände fiel. Besonders nicht Thorin. Thorin war gut mit Frauen, er konnte sie leicht um seinen Finger wickeln, doch er brach ihnen allen nur das Herz. Und ja, Kili hatte seine neugierigen Blicke bemerkt.
Besonders als sie das Taschentuch aus ihrem Busen gezogen hatte, waren alle Blicke auf sie gerichtet. Es hatte Kili unglaublich nervös gemacht, zu wissen, dass sie ihn nicht als einen möglichen Liebhaber ansah und durch Bilbos Tod nun ziemlich frei war. Frustriert schlug er sich gegen den Kopf. Als Fili ihn fragend ansah antwortete er mit einem knappen "Kopfweh" und beließ es dabei. Aber so war es nicht. Er hatte tiefe, unerklärliche Sorgen um Primula. Nun gut, nicht ganz unerklärlich. Sie war eine junge, unerfahrene Frau in einer Gruppe von nur Männern mit einer Aufgabe, die selbst geübte Meisterdiebe nicht überwältigen konnten. Es war ziemlich garantiert, dass etwas schlimmes passieren würde, doch Kili schwor sich, dass nichts und niemand Primula ein Haar krümmen würde, solange er lebte. Es war ihre Aura, die ihn faszinierte, anzog. Doch nun, Schluss für heute, sagte er sich selbst. Er legte sich auf seinen Rücken und zog sich eine improvisierte Decke über. Er würde den Schlaf brauchen, die Reise würde sicher anstrengend werden.
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