Kapitel 18
,,Warum brichst du aus?", fragt mich mein Spiegelbild. Ich schaue mich selber an. Unmerklich ballt sich meine Hand zur Faust und ich ziehe den Pullover um sie herum.
Vorsichtig gucke ich zu den Mädchen, welche auch hier mit mir in einem Zimmer leben.
Ich hebe meine Hand mit der geballten Faust an und blicke sie mit schief gelegtem Kopf an. Ein letztes Mal betrachte ich mich im Spiegel. Schwarze schulterlange Haare, mager. Das Erste was man an mir bemerkt.
Wut ballt sich in mir zusammen und bevor ich mich versehe, ist meine Faust im Spiegel gelandet.
Glas zersplittert, fliegt um mich herum, trifft mich. Wie in Zeitlupe zerspringt der Spiegel in seine Einzelteile. Ich werde von hinten gegriffen, weggezogen. Man hält mich für psychisch gestört. Wahrscheinlich bin ich das auch, nur unterbewusst. Aber ich möchte ihr raus. Ich will hier raus. Ich muss hier raus.
Also nehme ich meinen Ellenbogen und ramme ihm dem Mädchen in den Magen. Daraufhin lässt sie mich los. Die anderen zwei versuchen mich festzuhalten. Es sind Zwillinge - ein oder zwei Jahre jünger als ich. Sie haben schwarze Haare, welche ihnen bis zum Ende ihres Rückens gehen. Ich schaue die beiden wutentbrannt an und schubse eine von ihnen auf den Boden. Der anderen drehe ich den Arm auf den Rücken, so dass sie anfängt zu schreien. Scheiße!
,,Ausbruch im Zimmer 13!", schreit das Mädchen, welches ich auf den Boden geschubst habe.
Ich schaue sie mit weit aufgerissenen Augen an. Dann renne ich los. Bloß weg von hier.
Zwei Arme halte mich fest und hindern mich daran, wegzulaufen. Ich drehe mich um.
Sie nimmt mich einmal fest in den Arm. ,,Bitte. Wenn du Blumen siehst, denk an mich."
Ich nicke. Sie lässt mich los und ich renne den Gang entlang. Der Teppich verschluckt meine Schritte. Vor mir blitzt ein Lichtschein auf. Mit klopfendem Herzen drücke ich mich gegen die Wand. Hoffentlich sieht man mich nicht.
Das Licht wandert den Gang vor mir entlang.
,,Monika! Sie ist in die Richtung fortgelaufen!", schreit meine Freundin und deutet in die Richtung, wo ich herkomme.
Monika nickt und läuft einfach an mir vorbei.
Im Stillen danke ich ihr, dann renne ich weiter. Vor mir tauchen die Holztüren auf. Ich weiß genau, dass es kein zurück mehr für mich gibt, wenn ich einmal draußen bin. Mit einem Schlag öffne ich die Holztüren. Sie quietschen laut und das Geräusch durchschneidet die Stille. Ich weiß genau, dass ich gerade angeguckt werde. Und ich weiß genau, dass ich nicht mehr in Frieden leben kann.
Ich renne barfuß über den nassen Rasen. Eicheln bohren sich in meine Fußsohle, aber ich ignoriere es. Jetzt ist das Einzige was zählt, meine Flucht.
,,Haltet sie!", schreit ein Junge.
Er ist näher, als ich gedacht habe. Panisch drehe ich meinen Kopf. Er ist höchstens drei Meter hinter mir. In dem Moment stolpere ich und falle hin. Ich versuche mich aufzurappeln und schaffe es auch.
Der Junge ist aber bei mir angekommen. Er hält mich am Arm fest. ,,Falls wir uns in unserem Leben noch mal begegnen sollten. Ich habe etwas gut bei dir", flüstert er. Gemeinsam rennen wir zur Mauer. Er hält mir seine Hände hin und ich stelle mich drauf.
,,Danke", flüstere ich. Dann ziehe ich mich hoch und lasse mich auf der anderen Seite fallen.
Endlich bin ich wieder frei.
,,Bist du okay?" Ich öffne meine Augen und sehe Lorcan vor mir knien.
Vorsichtig gucke ich mich um und bemerke dass ich oben an der Treppe liege. Wie bin ich hier hingekommen?
,,Geht es dir gut?", wiederholt Lorcan.
Ich schaue ihn leicht verwundert an, bis mir klar wird, dass ich mein Bewusstsein verloren haben muss. Also nicke ich und will aufstehen.
Lorcan drückt mich aber auf den Boden zurück. ,,Bleib erst einmal noch liegen."
Ich schließe meine Augen, während ich nachdenke. Warum wurde mir ausgerechnet der Ausschnitt aus meinem Leben gezeigt? Und warum habe ich mich daran erinnert? In meinem Kopf gehe ich noch einmal das Wichtigste durch. Drei Mädchen, zwei davon - Zwillinge - mit langen schwarzen Haaren und dann noch meine Freundin. Außerdem dieser mysteriöse Junge, welcher mir bei meiner Flucht geholfen hat. Ich glaube, dass er danach selber geflohen ist, bin mir aber nicht sicher. Die Erkenntnis trifft mich wie ein Blitz. Die zwei Mädchen! Where ist my opponent? und Im here!. Ich war mit ihnen damals in einem Kinderheim! Leise stöhnend fasse ich mit meiner Hand an meinen Kopf. Irgend etwas entscheidendes habe ich übersehen. Nur was?
Ich öffne meine Augen wieder. Vorsichtig stehe ich auf und schleppe mich in mein Zimmer.
Lorcan sagt dazu gar nichts.
In meinem Zimmer lasse ich mich auf mein Bett fallen. Der Blick von mir wandert zu dem Spiegel in meinem Zimmer. Ich stehe auf und stelle mich davor. Tja, schwarze Gestalt, mager. Das trifft diesmal eher zu. Ich hebe meinen Arm und schaue meine Hand vor mir an. Einmal balle ich sie zur Faust, dann wickle ich meinen Pullover um meine Hand. Mit meinem Arm hole ich aus und meine Faust schnellt nach vorne.
Die Splitter fliegen in alle Richtungen fort und ich schaue ihnen fasziniert dabei zu. Das Klirren ist verstummt, hallt aber in meinen Ohren nach. Ich genieße das Geräusch und lasse mich davon ziehen. Langsam nehme ich meine Hand an meinen Körper und schaue mir das Durcheinander um mich herum an. Wie schön es doch ist.
Ich höre wie die Tür aufgeht und schaue zu Lorcan. Er starrt mich und die Splitter entsetzt an. ,,Das ist Sachbeschädigung", ist das Erste was er hervorbringt. Danach schließt er die Tür wieder und lässt mich alleine.
Ich schüttle einmal die Decke von meinem Bett aus und lasse mich dann rückwärts auf es fallen. Wie konnte ich nur vergessen, dass es so viel Spaß macht? Jetzt verstehe ich auch, warum Lorcan die Fernbedienung vorhin weggeschmissen hat.
Ich stehe auf und laufe zum Balkon, wobei ich aufpasse nirgendwo draufzutreten. Draußen ziehe ich mich am Haken hoch und setze mich an die Kante. Meine Beine lasse ich locker runterbaumeln, während ich der Sonne zugucke, wie sie am Himmel steht.
Diese ganzen Spiele werden nicht gut enden. Ich weiß es. Keine Ahnung woher, aber es wird noch etwas Schlimmes passieren, was man nicht rückgängig machen kann.
Die Sonne ist momentan in Bewegung - aber wird sie es noch in tausend Jahren sein?
Ich lebe jetzt - aber werde ich auch noch in fünf Jahren leben?
Ahnt ihr etwas?
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