29. Kapitel
Ehrfürchtig blieb Lizzy vor dem mächtigen Gebäude stehen. Mit großen Augen wanderte ihr Blick über die helle Fassade, die Türme, dem riesigen Balkon und hinauf zu dem hohen Dach mit den vergoldeten Schornsteinen drauf.
"Wow, das ist das Schloss?", fragte sie beeindruckt, ohne ihren Blick von dem Gebäude zu lösen. Deswegen sah sie mein Nicken nicht und schaute mich kurz darauf fragend an. "Ja das ist das Schloss", beantwortete ich ihr die Frage schließlich laut.
"Wow", wiederholte sie nochmal und ich grinste leicht. Ja, das Schloss sah wirklich wunderschön aus.
Während ich meinen Blick ebenfalls darüber streifen ließ wurde mir bewusst, wie lange ich nicht hier gewesen war. Früher bin ich hier jeden Tag ein- und ausgegangen. Aber diese Zeiten waren wirklich vorbei.
Ich fragte mich, ob es innen drinnen noch genauso aussah wie damals. Ob es immer noch so pompös eingerichtet war, mit den Kronleuchtern an den hohen Decken und den schweren Vorhängen an den Fenstern. Diese Frage würde ich mir jetzt allerdings nicht beantworten können, da ich nicht in das Schloss gehen wollte. Mein Ziel war es vielmehr, in das Gefängnis zu gehen, welches sich auf dem gleichen Gelände wie das Schloss befand. Schließlich wollte ich meine Theorie bestätigen und mit Kaitlyn reden. Nur brauchte ich dafür die Hilfe von meinem Chef.
Es war mittlerweile drei Tage her, dass mich die Rebellen gefoltert hatten. In der Zwischenzeit hatte ich Chefchen Bescheid gegeben, dass sie sich nach Liberandum auf den Weg gemacht hatten, damit die Soldaten vor Ort ihr bestmöglichstes tun konnten, um den König und seine Familie zu schützen. Bis jetzt gelang es ihnen anscheinend oder die Rebellen waren einfach noch nicht dort eingetroffen. Ich hoffte, dass die zweite Möglichkeit stimmte. Dann hätten wir alle noch eine Chance, diesen Angriff zu verhindern und sie aufzuhalten.
"Und du willst jetzt was machen?", riss mich die Stimme von Chefchen aus den Gedanken und ich starrte ihn aus dem Konzept gebracht an. Von einer Begrüßung hatte er noch nie viel gehalten. Nur Beverly und Lizzy wurden höflich begrüßt, bei mir fiel er direkt mit der Tür ins Haus.
"Mit Kaitlyn reden", sagte ich sachlich und seine Augenbrauen schossen in die Höhe. So sehr ich diesen Kerl auch hasste, er war ein super Kollege. Immer hilfsbereit und auch ein guter Soldat. In einem Einsatz hatte er mir sogar das Leben gerettet. Aber ich wollte jetzt nicht theatralisch werden. Das passte weder zu ihm noch zu mir.
Während der Fahrt durch das halbe Land zum Schloss hatte ich ihm am Handy von meiner Theorie berichtet. Er war nicht so ganz davon überzeugt, versprach mir aber, mir die Möglichkeit zu verschaffen, mit Kaitlyn zu reden. Das war der Grund, weswegen wir nun vor dem Schloss in der Nähe des Gefängnisses standen.
"Bist du dir sicher? Du weißt noch, was sie getan hatte oder?", hakte Chefchen skeptisch nach und musterte mich, als ob ich den Verstand verloren hätte. Mit dieser Vermutung lag er gar nicht mal so falsch, wenn ich ehrlich zu mir selbst war. Aber das musste ich ja nicht unbedingt laut sagen.
"Ja ich weiß noch, was sie getan hat", seufzte ich und sah ihn abwartend an. "Also? Reden wir mit ihr oder bleiben wir weiter hier draußen stehen? Wir haben nicht mehr viel Zeit, wenn wir die Antwort haben wollen, bevor der König getötet wird", brummte ich und fing mir dafür einen vernichtenden Blick von Chefchen ein. Eigentlich hieß er ja Alex, aber in Gedanken hatte ich ihn irgendwann umgetauft und konnte jetzt nicht mehr anders über ihn denken. Wie schon erwähnt, wahrscheinlich hatte ich wirklich meinen Verstand verloren.
Langsam nickte Chefchen schließlich. "Okay dann komm mit", entschied er und lief in Richtung Gefängnis los. Dieses Gebäude sah nicht so protzig wie das Schloss an sich aus, mit seinen braunen Backsteinen als Fassade und die vergitterten Fenster trugen auch nicht wirklich dazu bei, dass es einen guten Eindruck machte. Es war eben ein Gefängnis. Umgeben von einem hohen Zaun, direkt hinter den Grünanlagen des Schlosses. Ich fragte mich, welcher Idiot das früher geplant hatte. Die größten Verbrecher des Landes direkt neben dem Schloss unterzubringen, in welchem die wichtigsten Personen des Landes wohnten. Entweder war er absolut dämlich gewesen oder genial.
"Wir sind gleich wieder da", sagte ich zu Beverly, welche damit beschäftigt war, Lizzy davon abzuhalten, aus lauter Neugierde direkt ins Schloss zu rennen. Deswegen nickte sie mir kurz zu und wendete sich wieder an Lizzy.
Chefchen hatte schon immer große Schritte gemacht und war dementsprechend schnell. Aber da ich weiterhin bei jedem Schritt, den ich mit meinem verletzten Bein tat, die Zähne zusammenbeißen musste und humpelte, kam ich mir neben ihm vor wie eine Schnecke. Er verlangsamte schließlich geduldig seine Schritte und betrat mit mir zusammen das Gefängnis. Dort wurden wir von Soldaten begrüßt, die ich noch nie gesehen hatte und welche hier als Wärter arbeiteten. Sie führten uns durch einen langen Gang und schließlich eine Treppe herunter. Hier drinnen war das Mauerwerk dunkel, nur vereinzelt erhellte eine Lampe den Flur. Es war kalt und roch muffig. Hier könnte ich wirklich nicht arbeiten. Mir taten die Gefangenen schon fast leid, die hier Jahre ihres Lebens verbringen mussten. Aber andererseits hatten sie auch genug Mist in ihrem Leben gemacht und saßen nicht unschuldig hier herum.
Wir wurden in einen kleinen Raum geführt, in welchem ein Tisch stand. Zwei Stühle standen dahinter, einer mittig davor. Mit einer Handbewegung zeigte uns der Soldat, dass wir auf den beiden Stühlen Platz nehmen sollten. Das taten wir dann auch. Chefchen einiges eleganter als ich, aber das kommentierte niemand. Nachdem die Soldaten verkündeten, nun Kaitlyn zu holen, verschwanden sie.
In mir machte sich eine unangenehme Anspannung breit. In meinem Kopf hatte sich der Plan wirklich toll angehört. Aber die Praxis sah dann doch noch ganz anders aus. In meinem Kopf blitzen Erinnerungen auf, die ich an Kaitlyn hatte. Wie sie mich auspeitschen ließ. Wie sie uns Soldaten bei sich gefangen hielt, um zu erfahren, wo Lysander war. Nein, harmlos war sie wirklich nicht. Aber vernünftiger als die anderen Rebellen. Traurig aber war.
Verkrampft spielte ich mit meinen Fingern. Mit meinem Blick hatte ich die Tür fixiert, die sich jeden Moment öffnen könnte. Dann würde ich ihr gegenüber stehen. Das erste Mal seit bestimmt schon einem Jahr. Aber die schlechten Erinnerungen an sie fühlten sich noch sehr frisch an. Als ob es erst gestern geschehen wäre.
Unbewusst hielt ich den Atem an, als sich die Tür dann tatsächlich öffnete. Einer der Soldaten führte Kaitlyn hinein. Sie sah auf den ersten Blick noch genauso aus wie vor einem Jahr. Aber auf den zweiten Blick bemerkte ich, dass sie sich verändert hatte.
Ihre damals langen, kraftvollen braunen Haare hingen verknotet und wirr um ihr Gesicht herum. Ihre Augen wirkten stumpf, sie presste ihre Lippen zusammen, während sie sich auf den einzigen freien Stuhl setzte, der uns gegenüber stand. Uns trennte nur der Tisch.
Zwar waren ihre Hände auf dem Rücken gefesselt, sodass sie uns nichts antun konnte, aber ich fühlte mich trotzdem unwohl. Meine Nerven waren bis zum Zerreißen gespannt, mein Blut pulsierte in meinen Adern und eigentlich wollte ich nur ganz schnell wieder aus diesem Raum heraus. Aber das ging nicht. Ich brauchte erst meine Antwort.
Langsam hob Kaitlyn ihren Blick und sah mir direkt in die Augen. "Jamie", stellte sie fest. Ihre Stimme klang jedoch noch genauso wie damals. Ihre Augen musterten mich interessiert, fast schon neugierig. "Was verschafft mir die Ehre? Hattest du Sehnsucht nach mir?", fragte sie leicht belustigt und ihre Lippen verzogen sich zu einem schiefen Grinsen. Nein, sie war eindeutig noch die Alte.
"Ich hab eine Frage an dich", erwiderte ich mit gefasster Stimme und war deswegen wirklich stolz auf mich. Innerlich zerriss es mich. Am liebsten würde ich ihr nochmal eine rein hauen, für das, was sie mir angetan hatte. Dafür, dass sie meinen Rücken so entstellt hatte. Dafür, dass sie mich gefangen gehalten hatte. Und dafür, dass sie so viele meiner Kollegen umgebracht hatte. Nein, sie war wirklich nicht harmlos gewesen. Warum setzte ich also ausgerechnet auf sie? Auf diese Person, der man wirklich nicht vertrauen konnte?
"Das habe ich mir schon fast gedacht", sagte sie trocken und sah mir herausfordernd ins Gesicht. "Wobei kann ich dir helfen?", hakte sie dann interessiert nach und wackelte mit dem Kopf, damit eine verirrte Haarsträhne wieder aus ihren Augen verschwand. Als ihr dieses Unterfangen gelungen war, sah sie mich weiter an. Oder nein, ihr Blick durchbohrte mich viel mehr. Aber auf einmal machte es mir keine Angst. Es bestätigte vielmehr meine Vermutung. Diese Frau hatte die Ausstrahlung und die Macht, die anderen, bösen, kaltblütigen Rebellen unter Kontrolle zu halten. Weil sie selbst grausam war, weil sie deswegen Respekt vor ihr hatten.
"Ich will dir ein Angebot machen", hörte ich mich sagen und Chefchen sah mich entgeistert von der Seite aus an. Ich ignorierte ihn jedoch und sah nur Kaitlyn an, welche überrascht ihre Augenbrauen nach oben zog, aber nichts dazu sagte.
"Stimmt es, dass es zwei Gruppen gibt, die den König stürzen wollen? Die eine Gruppe möchte selbst die Macht und einen von ihren Mitgliedern auf dem Thron sehen. Und dann gibt es noch die zweite Gruppe. Deine Gruppe. Ihr wollt nicht selbst die Macht, weil ihr wisst, dass euch die Erfahrung fehlt und ihr kein Land regieren könntet. Aber ihr wisst, dass der König einen Sohn hat. Lysander. Deswegen habt ihr ihn immer gesucht. Weil ihr sehen wolltet, ob er in der Lage ist, über dieses Land zu herrschen. Es besser zu machen als sein Vater. Ihr wolltet ihm an die Macht verhelfen", sprach ich meine Vermutung laut aus. Sie hörte sich schlüssig an. Aber es war komisch, sie Kaitlyn persönlich zu sagen. Denn sie spielte darin die Hauprolle.
An Kaitlyns Miene konnte ich nicht erkennen, ob ich Recht hatte. Sie versteifte sich und kniff ihre Augen zusammen. Dabei musterte sie mich skeptisch, aber auch überrascht. War das ein gutes oder schlechtes Zeichen?
Ich konnte sehen, wie es in ihrem Kopf arbeitete. Sie war schlau, schien ihre Möglichkeiten abzuwägen. Dann endlich, nach einer gefühlten Ewigkeit für mich, schien sie einen Entschluss gefasst zu haben.
Ihre Lippen öffneten sich und sie setzte zu der alles entscheidenden Antwort an. Mit dieser stand oder fiel mein Plan. Und die Zukunft des Landes.
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