10. Kapitel
Mit festen Schritten näherte ich mich der kleinen Gruppe von Rebellen. Die Pistole in meiner Hand gab mir Sicherheit, ich fühlte mich ihnen ein bisschen überlegen. Jetzt konnten sie mich nicht mehr demütigen. Jetzt konnten sie mich nicht mehr foltern und sich über mich lustig machen, wenn ich die Schmerzen nicht mehr ertrug. Auch hörte ich jetzt nicht mehr die Schreie der anderen Soldaten, wenn diese ausgefragt, gefoltert oder sogar getötet wurden. Das war jetzt endlich vorbei.
Jetzt war ich kein Gefangener mehr, sondern wieder ein Soldat. Ein Mensch, der über den Rebellen stand. Ein Mensch, der wieder Ehre hatte und auf den gehört wurde, wenn er etwas sagte. Ein Mensch, der ein bisschen Mitspracherecht hatte. Und auch ein Mensch, der Befehle ausführen sollte. Eigentlich.
"Jamie, vergiss es!", nahm ich die drohende Stimme meines Chefchens hinter mir wahr, als ich bei den Rebellen angekommen war. Der Rebell, der mich ausgepeitscht hatte, sah mich abschätzend an. Er wusste nicht so recht, was er machen sollte. Weglaufen schied aus, weil auf dem Feld immer noch vereinzelt gekämpft wurde. Aber hier am Rand war Ruhe, hier kämpfte niemand mehr, hier hatten sich die verletzten Rebellen anscheinend versammelt.
"Wir haben sie extra hier in diese Ecke gebracht, damit wir sie später mit zum nächsten Stützpunkt nehmen können. Wir brauchen sie dort lebend Jamie. Wenn du also so freundlich wärst, und sie nicht alle umbringen könntest?" Chefchen schien den Hass in meinen Augen gesehen zu haben, als er sich neben mich stellte und mich aus diesen dunklen, unergründlichen Augen musterte. Ich öffnete den Mund, aber klappte ihn dann wieder zu. Er hatte recht. Lebend brachten sie uns eindeutig mehr als tot. Aber dieses Kribbeln in meinen Armen und das Bedürfnis, ihnen meine Faust ins Gesicht zu schlagen, hörte nicht auf und machte mich langsam wahnsinnig.
"Wehe." Chefchen hob drohend seinen Zeigefinger und ich steckte seufzend meine Waffe weg. Ein zufriedener Ausdruck machte sich auf seinem Gesicht breit und ich grinste ihn leicht an. Ich musste ja auf ihn hören. Er war schließlich mein Chef. Allerdings war er viel zu spät gekommen. Wenn er sich besser angestrengt hätte, wären nicht so viele Soldaten gestorben. Meine Hand ballte sich zur Faust. Ich war nicht wirklich wütend auf ihn selbst, sondern auf die Rebellen. Chefchen wird seine Gründe gehabt haben, warum er so lange gebraucht hatte. Aber diese Zeit hatten die Rebellen gnadenlos genutzt, um uns das Leben schwer zu machen.
Einer der Rebellen gab ein ersticktes Lachen von sich und ich fuhr mit dem Kopf herum. Es war der Kerl, der mich ausgepeitscht hatte. Ohne drüber nachzudenken, machte ich einen Satz noch vorne. Meine Faust landete in seinem Gesicht, sein Kopf flog zur Seite und Blut spritze aus seinem Mund.
"Du wagst es zu lachen?", knurrte ich und schlug noch einmal zu. Den Schmerz in meiner Hand nahm ich nicht wahr. Die anderen Rebellen rückten vorsichtshalber ein bisschen zur Seite, als ich den Idioten am Kragen packte und gegen die Hauswand drückte. Aus seiner Nase lief ein dünner Rinnsal Blut, sowie auch aus seinem Mund. Ich hoffte wirklich, dass ich es geschafft hatte, ihm ein paar Zähne auszuschlagen. Mittlerweile war ihm das Lachen definitiv vergangen, er sah mich aus ängstlich aufgerissenen Augen an. Ich genoss das Gefühl, ihn in der Hand zu haben. Wortwörtlich.
Mit dem Unterarm drückte ich auf seinen Hals und sah zufrieden, wie er anfing nach Luft zu schnappen.
"Na, wie fühlt sich das an? Nicht schön, oder?", säuselte ich zwischen den Zähnen hindurch, während er an meinem Arm zerrte, um wieder Luft zu bekommen. In meiner blinden Wut war ich aber stärker als er und mein Arm ließ sich keinen Millimeter bewegen. Ich grinste kalt, als er rot anlief und seine Augen leicht hervorquollen.
"Ich sagte, nicht umbringen", erinnerte mich Chefchen und ich warf ihm einen genervten Blick zu, nahm meinen Arm aber von seinem Hals und der Rebell schnappte würgend und keuchend nach Luft. Meine Faust traf erneut sein Gesicht, bevor er wieder richtig zu Atem gekommen war und Chefchen stöhnte auf. Natürlich hätte er mich schon lange von dem Rebell wegziehen können. Aber er tat es nicht. Er hatte es noch nie gemacht, er hatte mich immer gedeckt. Es war nicht das erste Mal, dass ich es bis auf die Spitze trieb. Er vertraute meistens darauf, dass ich selber merkte, wann ich dabei war, die Grenze zu überschreiten. Und das war in diesem Fall noch nicht so weit. Chefchen konnte wahrscheinlich verstehen, wie viel angestaute Wut und Hass in meinem Körper tobte wie ein Sturm.
Der Rebell verlor durch den Schlag sein Gleichgewicht und landete auf dem Boden. Ich kniete mich neben ihn und hob meine Faust. Er spuckte Blut auf den Boden und ich freute mich, als ich ein Stück von seinem Zahn darin ausmachen konnte. Als er damit halbwegs fertig war, sah er erst panisch meine erhobene Faust und dann mich an.
"Bitte, töte mich doch einfach", jammerte er und ich lachte kalt und falsch auf. Dann beugte ich mich zu ihm herunter und seine Augen wurden noch größer.
"Nein, das wäre zu langweilig. Dann würden die ganzen blutigen Sachen die ich mit dir machen will, ja keinen Spaß mehr machen", drohte ich ihm mit leiser Stimme, stand dann abrupt auf und ließ ihn hustend auf dem Boden zurück.
Ich drehte ihm den Rücken zu und stellte mich neben Chefchen, der dabei war, die Soldaten um sich zu scharen. Einige führten gefesselte Rebellen bei sich, andere hielten die Gruppe von Rebellen hinter uns mit ihren Waffen in Schach, damit sie nicht auf dumme Gedanken kamen.
Ich knetete meine Hand ein bisschen durch und ignorierte das Brennen an den Stellen, an denen die Haut aufgeplatzt war. Schließlich hatte ich schon schlimmere Verletzungen gehabt.
Ich sah mich um, die Rebellen waren eindeutig geschlagen, selbst aus den Gebäuden wurden sie gefesselt abgeführt. Ein paar Autos von uns fuhren vor und die Rebellen wurden darin verfrachtet. Eigentlich waren alle Rebellen und auch die meisten Soldaten innerhalb der nächsten paar Minuten in den Autos und fuhren davon. Nur unsere Gruppe stand immer noch auf dem Feld. Der aufgewirbelte Sand hatte sich mittlerweile gelegt und ich sah ein paar Leichen auf dem Boden liegen. Chefchen wies ein paar Soldaten an, sich darum zu kümmern und wandte sich dann uns zu.
"Wir haben leider nicht genug Autos unbemerkt hierhin schaffen können in den letzten Tagen, ohne von den Rebellen entdeckt zu werden. Deswegen werden wir und die restlichen Rebellen als unsere Gefangenen anders zu unserem Stützpunkt kommen." Ich sah ihn abwartend an, aber es schien wohl ein Geheimnis zu sein, wie wir stattdessen zu dem Stützpunkt gelangen würden.
"Wenn ich richtig gerechnet habe, kann sich jeder von uns einen der Rebellen schnappen und dann machen wir uns auf den Weg. Vorerst zu Fuß." Ein unzufriedenes Grummeln ging durch unsere Reihen und ich drehte mich wieder zu den Rebellen um. Langsam ließ ich meinen Blick über die Gesichter wandern, bis ich an einem Gesicht hängen blieb. Sie erwiderte meinen Blick und schluckte merklich.
Auf einmal war es mir egal, wie wir zu dem Stützpunkt gelangen würden. Ob zu Fuß, mit dem Auto, einem Flieger oder auf Pferden. Ich wusste nur, dass ich diesen Weg mit dieser einen Person gehen würde. Dieser Person mit den braunen, mittlerweile völlig verwuschelten Haaren, dem kantigen Gesicht und dem verletzten Arm. Zielstrebig lief ich auf sie zu und sie drückte sich noch fester mit dem Rücken an die Wand.
Kaitlyn faszinierte mich auf eine ganz besondere Art. Sie war störrisch und stand definitiv auf der falschen Seite, aber sie hatte ein paar vernünftige Gedanken und war nicht ganz blind. In manchen Dingen hatten wir sogar die gleiche Meinung. Das bedeutete nicht, dass ich sie mochte oder dass sie mir leid tat. Schließlich hatte sie versucht mich zu brechen und zu erpressen. Aber trotzdem regte sich ein ungutes Gefühl in meiner Magengegend, wenn ich daran dachte, dass sie irgendeiner meiner Kollegen als Gefangene mitnehmen würde.
Nein.
Kaitlyn würde meine Gefangene werden.
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