79. Kapitel
P. o. V. Bella
Donnerstag. Ich gähnte und drückte auf die Snooze-Taste meines Weckers. Kurz, bevor ich erneut ganz wegdämmerte, klingelte er erneut und stöhnend setzte ich mich auf, stellte ihn aus und griff nach meinem Smartphone. Meine noch vom Schlaf etwas kleinen Augen weiteten sich sofort, als sie das Signum einer neuen Nachricht erkannten- eine Nachricht von David. Ich öffnete den Chat und tippte nach kurzem Überlegen meine Antwort ein.
Zum Frühstück gönnte ich mir an diesem Morgen die restlichen Pfannkuchen, die gestern als Abendessen herhalten mussten. Ich wärmte sie kurz in der Mikrowelle auf, damit meine Nussnougatcreme auch schön auf ihnen verlaufen konnte. Vor Vorfreude leckte ich mir die Lippen; bei selbiger Geste schweiften meine Gedanken sofort zu dem Menschen, der immer etwas Anzügliches tat, wenn er sich die Lippen leckte.
Allein bei der Vorstellung von dem Blonden, wie er das tat, bekam ich zittrige Knie und blieb wie vom Blitz getroffen einige Sekunden starrend stehen, bis ich mich wieder fing und meine fertig gewärmten Pfannkuchen aus der Mikrowelle holen konnte.
Vor einer Woche nach dem kleinen 'Zwischenfall' am Morgen war er sehr auf Abstand gewesen. Ich hatte kein einziges liebevolles Wort zu hören bekommen sondern nur knappe Anweisungen und am Ende des Tages noch zwei, drei strenge Sätze über mein Zuspätkommen. "Eigentlich müsste ich nicht erwähnen, dass sich soetwas nicht wiederholen sollte, oder? Ja? Prima."
Ich hatte seitdem nichts von ihm gehört, er hatte nicht geschrieben, nicht angerufen oder sonst auf irgendeine Weise mit mir kommuniziert, außer 'Guten Morgen' und 'Wiedersehen' auf der Arbeit. Kurz schwebte mein Daumen während des Essens über seinem Chat, doch ich ließ es bleiben. Ich sah ihn in knapp einer Stunde sowieso.
Mein Aussehen würde ihn hoffentlich ebensowenig zu einem Aubruch bringen wie mein Verhalten oder eine Verspätung, die ich dann doch haben KÖNNTE. Ich hatte wieder ein ähnliches Outfit an wie an dem Tag des Meetings, Bluse und enger Rock. So viel blieb in meinem Kleiderschrank dann doch nicht über und ich verschwendete kurz einen Gedanken daran, mir mal neue Kleider zuzulegen. Doch gute Kleider waren immer eine große Investition und das schien es mir nicht so wert zu sein. Außerdem war ich immer etwas deprimiert nach dem Einkaufen, weil man da immer mit vielen Menschen konfrontiert war, die allesamt besser aussahen als man selbst und einem die eigenen Mängel noch mehr unter die Nase gerieben wurden als sowieso schon.
Seit dem wahrhaftig unvorhergesehenen Ausbruch seinerseits machte ich mir um jeden Schritt doppelt so viele Gedanken wie vorher. Ich fühlte mich unsicher, heute erneut Fehler zu begehen und dafür mit Ignoranz oder etwas Schlimmerem gestraft zu sein, auch wenn er das vielleicht nicht absichtlich tat.
Eher konnte ich es mir vorstellen, dass ich ihm dann einfach egal war, wenn er in mir nicht sein perfektes Kätzchen sehen konnte. An der Tatsache, dass er dafür vielleicht auch keine Zeit und keine Lust hatte, konnte es auch liegen, aber ich zog es nicht wirklich in Betracht für mich. Mich selbst ablenkend tat ich noch ein wenig mehr Süßzeugs auf meine Pfannkuchen und erfreute mich an dem Geschmack.
Aufatmend durschritt ich den Eingang und steuerte, diesmal ohne die Frau am Empfang zu grüßen, auf den Fahrstuhl zu. Ich war pünktlich, wie immer. Nun ja, bis auf einmal. Ich sah meinen Finger bei dem Knopfdruck für die Chefetage zittern und schalt mich selbst hyperaufgeregt wegen nichts und wieder nichts. Klar, ich sollte mich darum bemühen, nichts falsch zu machen, aber was war denn schon dabei? Alle Menschen machen Fehler.
Klopfen. Meine Hand zitterte immer noch. "Herein."
Es klang wie das folgende "Guten Morgen" sehr abwesend, wie seit einer Woche, und ich griff mir schnell einen bereitgelegten Ordner und verschwand in mein Büro. Zur Mittagspause, die ich mit ihm zusammen anzutreten gedacht hatte, saß er in ein scheinbar wichtiges Telefonat verwickelt am Schreibtisch und schenkte mir nicht einmal einen einzigen Blick. So kam es, dass ich alleine etwas essen ging, um ihn bei der Rückkehr erneut in einem Telefonat vorzufinden. Es schien aber jemand anderes zu sein und ich ging sogar extra langsam auf mein Tür zu, damit er die Gelegenheit hatte, mir noch Sonderaufträge oder Spezielles geben konnte. Aber dann blickte er einmal hoch und winkte mich weg- er schien mich nicht einmal wirklich wahrzunehmen.
Also zuckte ich nur mit den Schultern und beendete schließlich meinen Arbeitstag damit, noch einmal kurz mit David zu schreiben, der mir seit dem Vorfall immer mal wieder textete, und dann aus dem Büro zu gehen. Ich durchquerte das seine und ließ die obligatorische Verabschiedung hören, "Wiedersehen, Herr Ley". Er blickte nur kurz von einem Zettel auf und nickte mir stumm zu, ehe er sich dem ominösen Blatt wieder zuwandte. Ich legte den Kopf schief. Was war denn da los?
Langsam schritt ich aus dem Büro, über die weichen Teppichböden hin zum Treppenaufgang. Irgendetwas in mir hatte gerade das Verlangen, zumindest ein paar Treppen zu nehmen und beim Laufen den Kopf frei zu bekommen. In gemäßigtem Tempo schritt ich also die Stufen herab, bei jedem Schritt klang das für Pumps typische Klappern an meine Ohren, es hallte im Treppenhaus etwas wieder. Ich war noch nicht oft, genau gesagt erst einmal, vorher die Treppen gegangen und das nur, weil ich wissen wollte, wie mein Weg aussah, wenn der Fahrstuhl aus irgendeinem Grund nicht funktionieren sollte.
Meine Gedanken kreisten wie sooft um den Blonden mit den eigentlich schon niedlichen Locken und den blauen Augen, die mich so sehr in ihren Bann ziehen konnten. Vor einer Woche noch hatte er mir in Rage und mit einer Wucht an scheinbaren Gefühlen, die ja nicht unbedingt in Richtung Liebe gehen mussten, deutlich machen wollen, was ich für ihn sei. Ich schien ihm ja doch etwas zu bedeuten, und wenn es letztendlich doch nur mein Körper war, der ihm etwas bedeutete- so fühlte es sich heute nicht an. Und auch nach seinem Ausbruch, keine Geste mehr, keine einzige. War er denn noch sauer auf mich? Nahm er mir die Aktion noch krumm, obgleich ich niemals mit David geschlafen hatte, denn genau das musste er mit seinen semikryptischen Sätzen gemeint haben.
Ich hatte mich ja entschuldigt, mich ergeben von ihm, nun ja, gegen die Wand nehmen lassen und war auch ehrlich gesagt sehr betroffen von meinem Fehler. Sein letztes Lächeln, die Genugtuung auf seinen wunderschönen Zügen schien mir Absolution gewesen zu sein, dass er nicht mehr böse war. Scheinbar falsch gedacht, oder aber ich war ihm egal, er ignorierte mich absichtlich als Strafe und war gar nicht mehr wütend, sondern enttäuscht.
Gestresst und angestrengt biss ich mir auf der Lippe herum und spürte in meinen Gedankengängen nicht, wie viele Treppenstufen es wurden, bis ich irgendwann ganz unten ankam.
Ich warf einen schnellen Blick auf die Uhr, ich hatte bestimmt mehr als zwanzig Minuten gebraucht, eher Tendenz steigend. "Uff", stieß ich einen leisen Seufzer aus, als ich die Eingangshalle durchquert hatte und nun in der langsam abkühlenden Abendluft stand.
Marius musste davon ausgehen, dass ich mittlerweile schon zuhause war, und so fasste ich den Beschluss, ihn einfach mal anzurufen. Auf seiner Privatnummer, versteht sich.
Ich wartete und wartete, hörte das Verbindungszeichen und nach fünfzehnmaligem Tuten schaltete sich seine Mailbox an. "Hier ist die Mailbox von Marius Ley. Ich bin gerade nicht erreichbar, hinterlassen Sie mir eine Nachricht oder wenden Sie sich an mein Büro unter folgender Nummer 01234/56789." Piepton. Schnell legte ich auf, steckte mein Handy weg. Kaum war es in meiner Handtasche verschwunden, summte es und ich riss es in einer wahnsinnigen Geschwindigkeit erneut hervor. Aber es war nicht Marius, es war David. Ich hob ab.
"Ja?" Neugierig lächelnd starrte ich auf einen unbestimmten Punkt auf dem Straßenpflaster. "Hey, Bella... Ich hoffe, ich störe nicht." Ich lachte leise auf. "Keinesfalls, keinesfalls. Wieso rufst du an?" Er schien auch zu lächeln, zumindest hörte sich seine Stimme so an. "Das wollte ich dir gerade verraten. Also, ich bin gerade mit der Arbeit fertig und wollte auf gut Glück bei dir nachhorchen, ob du noch in der Stadt bist." Ich nickte, obwohl er mich ja gar nicht sehen konnte. "Ja, ich stehe sogar noch vor dem Ley Tower, hihi." Er räusperte sich kurz, schien sehr zufrieden. "Hey, cool. Da würde ich dich ja glatt mal ganz unverschämt fragen, ob ich dich noch auf etwas zu trinken treffen kann. Einfach ein bisschen quatschen." Meine Antwort kam vielleicht ein wenig zu schnell: "Ja, gern. Das hört sich super an. Wo?" "Komm einfach an den Brunnen in der Altstadt, dort treffen wir uns dann, okay?" "Gebongt." "Dann, bis gleich.." Wir legten auf. Einmal noch ließ ich meine Blicke an der Glasfassade des Hochhauses entlanggleiten, ungewiss, hinter welcher der Scheiben Marius sich nun befand. Dann machte ich mich auf den Weg.
Unsicher ging ich auf den schönen Brunnen in römischer Stilart zu, hielt nach dem jungen Mann Ausschau. Die Anspannung fiel erst von mir ab, als er in mein Blickfeld trat und lächelnd auf mich zukam. "Hey, na? Wie geht's dir?" Ich schenkte ihm ein halbes Lächeln. "Soweit gut, und bei dir?" Er lachte. "Ach, heute war viel los auf der Arbeit. Ich weiß nicht, aber Donnerstags haben wir immer die meisten Aufträge." Wir schlenderten plaudernd über den Platz auf ein Straßencafé zu, nahe dem Brunnen mit einer schönen Aussicht auf einen Platz, der von alten, schmucken Häusern eingrahmt wurde. Dort ließen wir uns nieder. "Hat die Caféwahl einen bestimmten Grund?", fragte ich neugierig nach, David nickte. "Ich mag das Café alleine wegen der wunderschönen Atmosphäre, und die Getränke und so sind alle top." Ich zuckte zufrieden mit der Antwort mit den Schultern. "Na dann."
Nach ein wenig Smalltalk hatten wir schon mit intensiveren Gesprächen begonnen, David hatte mich nach Alter, Herkunft gefragt und ich war nun zum zweiten Mal in kurzer Zeit daran, meine halbe Lebensgeschichte zum Besten zu geben. David hörte aufmerksam zu und schnell wurde aus dem netten Geplauder eine angeregte Konversation über das Schulsystem, unter dem er sehr stark gelitten haben musste. Irgendwann hatten wir uns darüber vollkommen ausgetauscht, waren größtenteils einer Meinung und ich hatte mein Getränk beinahe ganz geleert. Nach einer Minute des Schweigens nahm der Braunhaarige wieder das Wort an sich. "Das mag nicht ganz zum Thema passen, aber dennoch brennt mir diese Frage auf der Zunge", begonn er, ich musterte ihn eindringlich. Er war wie Marius selbstbewusst, durfte es aber auch sein. Er schien von einigen Dingen wirklich Anhnung zu haben und man konnte sich wirklich gut mit ihm unterhalten.
"Hast du einen Parter oder eine Partnerin?" Er lächelte, wurde dabei nicht einmal rot. Solche Menschen beneidete ich wirklich. Denn nun war es an mir, geschmeichelt zu sein und zu erröten. Ich rührte mit meinem edelstählernen Trinkhalm in meinen verbliebenen Eiswürfeln. "Ja und nein... Sagen wir, es ist kompliziert." Ich blickte wieder hoch, seine Mundwinkel waren zu einem belustigten Lächeln gehoben. "Interessant. Darf ich erfahren, ob es sich um einen doppel X oder XY Chromosomenträger handelt?" Ich musste kichern. "Es ist ein er. Ich bin hetero... Ich denke mal, dass es das ist, was du wissen wolltest." Er grinste. "Die Kandidatin erhält einhundert Punkte." Ich lächelte verschämt, mein Blick fiel auf die Uhr und in mein leeres Glas. "Ich will nicht unhöflich sein, aber ich sollte mich langsam auf den Weg machen." Er nickte lachend. "Ich folge dir unauffällig in die U-Bahn, wenn es genehm ist." Ich nickte grinsend, legte den aufgerundeten Betrag für mein Trinken auf den Tisch und stand auf.
"War schön, das spontane Treffen. Ich würde mich über etwaige Wiederholungen freuen." Ich nickte. "Geht mir genau so. Ich wünsche dir noch einen schönen Heimweg." Wir verabschiedeten uns mit einem Winken und ich machte mich auf, meinen Weg zu beenden. Ich zog mein Handy hervor und wählte noch einmal die Nummer von Marius. Die ganze Zeit, das ganze Treffen über, hatte es über mir geschwebt und mir keine freie Minute gelassen. Nach dem zehnten Klingeln wollte ich schon aufgeben, als er sich meldete. "Ja..?" Man hörte deutlich den Argwohn in seiner Stimme, scheinbar wusste er keinen Grund, wieso ich ihn kontaktieren sollte. "Eh, ehm, hi. Ich... ich wollte nur fragen, ob bei dir alles klar ist... Du..." Ich beendete den Satz nicht. Es herrschte kurzes Schweigen, dann antwortete er. "Alles in Ordnung, du.. musst dir keine Gedanken machen. Wir sehen uns morgen, ja? Ruh dich gut aus." "M-mach ich..", piepste ich auf seine abgebrüht wirkende Antwort. "Bis morgen." Ich hielt kurz inne, dann hatte er schon aufgelegt.
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