105. Kapitel*
P. o. V. Bella
Ich wachte auf, nackt, in eine warme, blütenweiße Decke gewickelt; fand meine Haare in einer flauschigen und etwas sexy wirkenden Unordnung und neben mir ein friedlich schlummernder Marius. Ich betrachtete mir seine feinen Züge, die Locke, die ihm in die Stirn fiel. Schlafend wirkte er so friedlich, so unschuldig; er ähnelte dem selbstbewussten, brutalen, herrischen und Angst einflößenden Kerl, der er zu Wachzeiten war, in keiner Weise. Er war einfach ein junger Mann in seinen besten Jahren, 26, um genau zu sein, auf dessen breiten, starken Schultern eine enorme Verantwortung lastete. Manchmal sorgte ich mich um seine mentale Gesundheit, grübelte darüber, ob sein Job vielleicht etwas mit seinen sexuellen Ausschweifungen zu tun haben konnte. Aber den Gedanken verwarf ich meist schnell, denn alles in allem ergab das wenig Sinn oder warf, genauer gesagt, nur neue Fragen auf, die auch mich betrafen. Denn woher käme dann bei mir die so scheinbar latent ausgeprägte Neigung? Hatte ich etwa einen Vaterkomplex, weil ich ihn 'Daddy' nannte? Ich schloss kurz meine Augen, um die Gedanken zu vertreiben.
Mächtige Schmerzen machten sich im Rücken, auf meinem Hintern, in meinem Unterleib, in meinem Gesicht, auf meinen Brüsten, meinem Bauch und auch meinen Handgelenken bemerkbar. Fast mein ganzer Körper schien geschunden, schien Blessuren von dem Abend, nein der ganzen Nacht davongetragen zu haben. Leise seufzte ich. Nicht, dass mir das Rollenspiel nicht gefallen hatte- im Gegenteil. Ich verstand das gesamte Konzept BDSM oder wie immer man das, was Marius da trieb (und treiben wollte), nannte. Natürlich ging es auch um ein wirkliches, existentes Machtgefälle, aber es machte einfach viel mehr Spaß, wenn beide Parteien es übertrieben und sich noch viel mehr in ihre Rolle hineinfanden.
Nur wusste ich nicht ganz damit umzugehen. Ich konnte nur von meiner Seite sprechen, dass ich das Wehrhafte und Gequälte nur gespielt hatte, jetzt wieder zurück war in meinem Körper, mit meiner Seele. Ob es ihm auch so ging?
Wenn nicht, ging er immer mit mir so um wie gestern? Wir hatten einen neuen Hochpunkt in unserer Bettgeschichte erreicht, so intensiv (um es harmlos auszudrücken) wie gestern hatten wir es noch nie gehalten.
Wie sollte ich überhaupt mit ihm umgehen jetzt, wo er solch verletzliche Seiten an mir kannte und wir (besser gesagt er) ins nächste Level vorgestoßen waren? Wie konnte ich mit ihm umgehen nach seiner Abwesenheit, nach der Sache mit David und würde Herr Tjarks mich weiter erpressen?
Überfordert von all den Fragen drehte ich mich von dem Blonden weg, um klare Gedanken zu bekommen. Ich versuchte alles zu ordnen.
Marius war mein Boss, gleichzeitig meine Affäre, eine Art Fickbeziehung, von der ich mehr wollte als er. Ich aber hatte mich entschieden, mich ihm zu fügen, um ihm nahe sein zu können und er gab mir sexuelle Befriedigung, die sehr zufriedenstellend sein müsste- wenn er nicht andauernd Grenzen maßlos überschreiten würde. Mich wirklich benutzte und nicht nur so, dass es okay für mich war. In seiner Abwesenheit war das Einzige wichtige an mir mein Körper gewesen, mal wieder, und obwohl es mir ein Kribbeln zwischen den Beinen beschert hatte, war ich nicht zufrieden mit der Art, wie er sich alles nahm, ohne zurückzugeben oder nur im Entferntesten an mich dachte.
Denn er setzte mir zu. Ich war so an ihn gebunden, dass ich ihm niemals widersprechen konnte, aus Angst, er würde mich nicht mehr wollen.
Deswegen David, den ich mochte, der sehr nett war, auf einer Augenhöhe, aber scheinbar auch absolut auf mehr aus als die platonische Beziehung, die wir vor wenigen Tagen erst zerstört hatten.
In dem Moment und auch am nächsten Tag hatte mir das nicht leidgetan, im Gegenteil: Er war eine wertschätzende Abwechslung zu dem groben Blonden gewesen, der zwar beim Anblick meines Körpers die Fassung verlor (was an sich Kompliment genug war), der es hingegen für selbstverständlich nahm und der nicht danach mit mir auf seinem Balkon die obligatorische Kippe danach rauchte. Er interessierte sich gar nicht für mich, für meine Person, meine Meinung zur Politik, zur Welt, meinen Musik- und Filmgeschmack, meine liebsten Erinnerungen. Als Menschen kannte er mich nicht- und schien mich doch zu kennen, so wie er so souverän mit mir umging. Und ich wusste auch ganz genau, wer er war und gleichzeitig war er ein Fremder, wenn ich ihn mir betrachtete in seinem makellosen Anzug.
Und bei unserem Sex ging es nicht um Annäherung, ums Kennenlernen, um jemandem ein gutes Gefühl zu geben, es ging um die Befriedigung existentieller Bedürfnisse. Er war der Jäger und ich die Gejagte, das Wild, das er mit Leichtigkeit zur Strecke brachte und seins nennen konnte.
Bei diesen Gedanken überlief es mich heiß und kalt, ich dachte an den etwas emotionalen Moment seiner Rückkehr, zwei Tage zuvor, zurück und in Kombination über das, was zwischen ihm und mir war, wurde ich von etwas gepackt.
Beim Aufwachen noch hatte ich keinerlei Regung in mir verspürt, keine Wut, keine Freude, keine Lust, doch wie ihn nun in meinem Kopf vor mir sah, die romantisierten Vorstellungen überwogen, drehte ich mich sanft um zu ihm. Seine Augen waren immer noch geschlossen, doch schien mir sein Schlaf nicht fest, nicht tief, nicht fesselnd. Ein Blick auf die Uhr bestärkte mein Vorhaben, es war spät genug, dass er mich nicht köpfen konnte, weil ich ihn so früh aus dem Schlaf gerissen hatte.
Lächelnd, sanft lächelnd, strich ich ihm die Strähne aus der Stirn, fuhr mit meinem Daumen über seinen Bart. Ich verfolgte den Schwung seiner Wimpern, die Form seiner Augenbrauen mit meinen Augen, ließ den Blick hauchzart über ihn streifen und wie von alleine schob sich mein Bein über die seinen, während meine Hand über sein herausblitzendes Schlüsselbein streichelte. Nur mit den Fingerspitzen, ganz sachte.
Ein Lächeln erschien auf seinem Gesicht. "Macht's Spaß an mir rumzufummeln?", grummelte er in einer süß-verschlafenen Morgenstimme. Ich kicherte leise. "Dir auch einen wunderschönen guten Morgen, du alter Sack", gab ich neckisch zurück. "Hm, gut, mir macht es ja auch Spaß, dich zu befummeln", fuhr er fort, zunächst, ohne das Gesagte von mir zu beachten. "Guten Morgen, Prinzessin." Ich ergriff die Gelegenheit beim Schopf und küsste ihn. Aus einem schüchternen Guten-Morgen-Kuss wurde ein schon etwas beachtlicherer Speichelaustausch. "Wie viel älter als du bin ich nochmal?", fragte er leicht grinsend, strich mir eine Strähne hinters Ohr. "Sechs Jahre und ein paar Monate", murmelte ich gegen seine Schulter. "Gut, dann bin ich im Vergleich zu dir wirklich alt. Das..." Ich unterbrach ihn. "Das macht dich nicht weniger attraktiv, nur so nebenbei. Eher sogar mehr." Grinsen. "Ach, ist das so?" Seine Augen hatten mich mal wieder im Griff, aber nicht so sehr, dass ich wie gelähmt war. Eher konnte man meinen Zustand als hypnotisiert bezeichnen, wie ich so langsam auf ihn rutschte. Wirklich wie nebenbei, und ich glaube, auch er bemerkte es nicht wirklich, so sehr, wie er damit beschäftigt war, meinen Blick zu erwidern.
Ich lag auf ihm.
Wie war das denn plötzlich passiert?
Egal.
Ich fühlte seine weichen Lippen auf meinen, sein Bart kribbelte angenehm, sein Atem strich gleichmäßig über mein Gesicht. Meine Daumen zogen mit kreisenden Bewegungen über seine Schlüsselbeine, mein Mund wandterte über seinen Hals und führte eine Schar schmetterlingsleichter Küsse mit sich. Hoch, runter, ein wenig zur Seite, kurzer Verweil: Es gab kein System in dem, was ich da tat. Es war gut, das allein zählte.
Angespornt rieb ich sanft mein Becken gegen seins, gegen seinen Schritt, in dem sich etwas regte, das mein Herz heftiger pochen und seinen Atem tiefer gehen ließ.
Reines Glück durchflutete mich, als ich mich wieder seinem Gesicht zuwandte und unsere Blicke sich trafen, Blau auf Blau, in mir kribbelte es. Mit noch mehr Elan, mit der Magie, die frei ward, vereinigten wir uns wieder.
Mit geschlossenen Augen drehte sich alles in mir und ich machte die Gefühle dafür verantwortlich, bis ich merkte, dass ich nun unter ihm lag und meine Arme wie bei einem Rettungsanker um seinen Hals geschlungen hatte. Ich ließ mich aber davon nicht stören und fuhr fort, mit seiner Unterstützung natürlich und ein Feuer entfachte sich zwischen unseren Leibern, heiß und kalt, weder brennend, noch schneidend zugleich, dass der gerade dahingezogene Sommer und der in Aussicht stehende Winter neidisch die Augen auf uns gerichtet haben mussten.
Ganz ohne Worte fanden wir zueinander, meine Augen schlossen sich und aus meinem leicht geöffneten Mund kam kein Laut, obwohl die Empfindungen in mir so stark waren. Vielleicht aber auch genau deswegen, und mein Körper wollte die prickelnde Energie nicht so schnell durch Visuelles ablenken oder durch Stöhnen aus mir ausdringen lassen.
So atmete ich nur weiter, sehr tief, genießend, erfüllt. Meine Augenlider flackerten hie und da auf, erhaschten einen Blick auf ihn, der mit seiner Gottgleichheit genug für die nächsten Sekunden war.
Selbst nach dem Ende schlug mein Herz noch heftig gegen meine Brust und es lag nicht an der Anstrengung. Das war ein anderes Klopfen, eines, das nach Nähe aufbegehrte und schmerzhaft langsamer, aber nicht weniger heftig wurde, als er sich von mir löste und aufstand, um sich anzuziehen, ohne einen letzten innigen Kuss, ohne die liebevolle Geste, die ich gewollt hatte, ohne die zarten Worte, die ich mir so sehr wünschte.
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