VIII
Für einige Minuten herrschte völlige Stille. Bei jedem kleinen Geräusch – was meistens nur das Knarzen des Holzbodens unter meinen eigenen Füßen war – ließ ich meine erloschenen Hände wieder auflodern und wartete nervös darauf, dass Leela zurückkam. Hoffentlich mit Hilfe.
Ich verlagerte langsam mein Gewicht von einem auf das andere Bein, als es vor der Tür plötzlich laut wurde. Ich hörte Schritte, dann warf sich beziehungsweise sprang jemand von draußen gegen die Tür und erneut wurde die Klinke nach unten gedrückt.
Die Haare auf meinen Armen stellten sich auf und ich konnte spüren, dass auch meine Kopfhaare diesem Beispiel nacheifern wollten. Meine Hände fingen wieder Feuer und ich hob eine Hand, bereit, dem Eindringling einen Feuerball mitten ins Gesicht zu schleudern. Plötzlich ertönte ein ohrenbetäubendes Schrillen direkt über mir. Ich zuckte zusammen, als hätte man mir ins Gesicht geschlagen und sah erschrocken nach oben. Die LED-Lampe des Rauchmelders an der Decke unseres Zimmers leuchtete knallrot und das kleine Ding gab ein lautes Piepen von sich. Erschrocken bemerkte ich, dass von meinem Körper Rauch aufstieg, der den Alarm ausgelöst hatte. So schnell wie möglich stoppte ich den Austritt von Rauch und wandte meine Aufmerksamkeit wieder der Tür zu, von wo nun ein Klirren drang.
Ich konnte hören, wie auch überall anders in dem Schulgebäude der Feueralarm losging, als von draußen etwas im Schloss klirrte.
Meine rechte Hand, die ich nach vorne ausgestreckt hatte, zitterte ein wenig und ich spannte mich an, um das Zittern zu unterdrücken. Kleine Flammen leckten an meinen Fingern und dann schwang die Tür auf.
Ich schoss sofort einen Feuerball aus meiner Hand und bemerkte zu spät, dass das Gesicht, in welches ich sah, nicht zu einem nächtlichen Eindringling, sondern zu Mrs. Walsh gehörte. Im letzten Moment zog ich meine Hand zur Seite und der von mir losgeschickte Feuerball verpuffte direkt neben der Direktorin an der Wand. Die blonde Frau zuckte heftig zusammen und machte einen Schritt zurück, wobei sie mit Leela zusammenstieß, die direkt hinter ihr stand. Die Schulleiterin trug einen dünnen Schlafanzug aus Seide und hatte ungewöhnlich unordentliche Haare, offensichtlich hatte Leela sie tatsächlich geweckt.
„Oh Gott, das tut mir leid", ich schlug mir die Hände vor den Mund, „ich wusste nicht, dass Sie das sind, Entschuldigung."
„Alles gut", Mrs. Walsh begutachtete den verkohlten Fleck an der Wand und trat dann in den Raum, „ist bei dir alles in Ordnung?"
„Ja, mir geht's gut", versicherte ich sofort, „wer war das vor der Tür? Und wo ist er jetzt?"
„Es war ein Junge aus dem mittleren Jahrgang, Mrs. Walsh hat ihn erkannt", erklärte Leela und betrat unser Zimmer, hielt sich leicht die Ohren wegen des Piepsens zu, „hast du den Feueralarm ausgelöst?"
„Ja, das war ich versehentlich", zerknirscht senkte ich den Blick, „ich habe nicht aufgepasst und ein wenig Rauch erzeugt, es gibt kein Feuer."
„Gut, dann wird Mr. Graves den Feueralarm ausschalten und alle Schüler zurück in ihre Betten schicken", erst jetzt bemerkte ich den riesigen Schatten des Lehrers hinter der Direktorin auf dem Flur. Der große Mr. Graves nickte und schritt dann den Flur hinab, um wahrscheinlich von Mrs. Walsh' Büro aus den Alarm zu deaktivieren. Mrs. Walsh sah ihm nach, bevor sie uns erzählte, was sie nun vorhatte.
„Ich werde jetzt zum Zimmer des Jungen gehen und ihr-..."
„Wir kommen mit", beschloss Leela kurzerhand und ich nickte. Die Direktorin schien einen Augenblick zu überlegen, dann nickte sie und wartete, bis ich unsere Zimmertür, die sie mit einem Generalschlüssel geöffnet hatte, wieder abgeschlossen hatte, bevor wir ihr im Stechschritt den Flur hinab folgten.
Aus all den Zimmern, an denen wir vorüberkamen, sahen uns die Mädchen aus meinem Jahrgang verwirrt hinterher und ich konnte die Gerüchte, die sich gerade bildeten, praktisch riechen. Die Schulleiterin ging mit uns schnurstracks zum Ostturm, wo die beiden unteren Jahrgänge untergebracht waren und stieg dort die Treppe in den ersten Stock hoch. Dort lagen die Schlafzimmer der Jungen und auch hier wurden wir aus vielen Zimmern neugierig beäugt. Mrs. Walsh ging auf einige Fragen ein und versicherte einigen der Jungen flüchtig, dass es keinen Brand gab und sie wieder in ihre Betten gehen konnten, bis wir vor einer Tür in der hinteren Hälfte des Flures stehenblieben.
Die Tür stand offen, weswegen Mrs. Walsh an den Türrahmen klopfte und dann ihren Kopf in den Raum steckte.
„Kuckuck?"
Von drinnen ertönten Geräusche, doch da ich noch hinter Mrs. Walsh und Leela stand, konnte ich nicht erkennen, wer die Bewohner des Raumes waren, bis einer von ihnen zur Tür kam. Sehr zu meiner Überraschung handelte es sich um Anthony, der im letzten Jahr von Noah in eine Glasvitrine geschubst worden war.
Der Junge aus dem Jahrgang unter mir hatte damals Schnitte an Händen und Gesicht gehabt und obwohl diese scheinbar gut verheilt waren, zogen sich deutliche Narben durch sein Gesicht: seine rechte Augenbraue wurde durch eine Narbe geteilt und eine zweite, auffälligere Narbe zog sich diagonal über einen Teil der Stirn, über das Nasenbein, nur knapp am linken Auge vorbei und schließlich bis zum linken Jochbein. Die Narben waren jedoch sehr schmal und entstellten Anthony in keiner Weise, taten auch seiner Attraktivität keinerlei Abbruch.
„Oh, Mrs. Walsh", der dunkelhaarige Junge, der inzwischen in den mittleren Jahrgang ging, sah uns drei Ankömmlinge verwirrt an, „was gibt es denn? Ist es wegen dem Feueralarm?"
„Nein, der Alarm wurde versehentlich ausgelöst, es besteht diesbezüglich keine Gefahr", erklärte die Schulleiterin dem Jungen, „ist dein Mitbewohner Henry zufällig da?"
„Henry?", Anthony sah ein wenig verlegen aus, schüttelte dann aber den Kopf, „nein, leider nicht... suchen Sie ihn?"
„Ja, das tue ich", bestätigte Mrs. Walsh, „wo ist er denn?"
Anthony wurde noch verlegener und schien für einen Moment mit sich zu ringen, dann knickte er jedoch sprichwörtlich ein.
„Er hat gesagt, dass er seiner Freundin einen nächtlichen Besuch abstatten wollte und die beiden wollten spazieren gehen oder so", gab er zu.
„Wer ist denn seine Freundin?"
Anthony ließ sich aber wirklich eine Information nach der anderen aus der Nase ziehen wie hartnäckige Blutegel.
„Rachel Hobbs, Zimmer 203", eröffnete er und Mrs. Walsh bedankte sich flüchtig.
„Falls Henry hier auftauchen sollte, sorg bitte dafür, dass er das Zimmer nicht wieder verlässt – wir sind gleich wieder da."
Ein Besuch bei Henrys Freundin brachte jedoch leider keine neuen Erkenntnisse. Rachel, ein zierliches, blondes Mädchen mit großen, braunen Augen, hatte ihren Freund seit dem Abendessen nicht mehr gesehen und wirkte ehrlich überrascht, als sie erfuhr, dass er wohl bei ihr sein wollte. Natürlich machte sie sich sofort Sorgen um ihren Freund und Mrs. Walsh konnte sie nur mit Mühe und viel gutem Zureden davon überzeugen, in ihrem Zimmer zu bleiben.
Nur wenige Minuten später kamen wir wieder bei Anthonys Zimmer an. Mittlerweile war der Feueralarm verstummt und die meisten Türen auf dem Flur waren geschlossen oder wurden eilig zugezogen, als man Mrs. Walsh durch den Flur eilen sah. Anthony erwartete uns bereits und zuckte ratlos mit den Schultern.
„Henry ist nicht wieder aufgetaucht", berichtete er, „was ist denn überhaupt los? Ist ihm etwas zugestoßen?"
„Eher das Gegenteil", Mrs. Walsh betrat kurzerhand den Raum, in dem noch zwei andere Jungs wohnten, die uns verwundert ansahen, „welches Bett ist seines? Und welcher Schrank?"
Verwirrt zeigte Anthony der Direktorin, welche Möbelstücke von Henry benutzt worden und die Schulleiterin öffnete kurzerhand den Schrank, warf einen flüchtigen Blick hinein, schaute in und unter das Bett, begutachtete den Inhalt des Nachttisches und fand dann schließlich ein Handy in der Schublade. Die Schulleiterin schaltete es an und was auch immer sie sah, schien sie sehr zu beunruhigen, denn die sonst immer sehr gefasste und ausgeglichene Frau raufte sich abwesend die Haare und starrte dann für einige Sekunden stumm auf das Display.
„Mrs. Walsh?", wagte ich schließlich, sie anzusprechen, „ist alles in Ordnung?"
„Ich fürchte nicht", die Direktorin atmete einmal tief durch, „okay, wir disponieren um. Ich werde sofort jemanden rufen, der Henrys Sachen hier abholt. Niemand fasst hier irgendetwas an, nimmt etwas weg oder legt etwas dazu. Ihr drei Jungs geht jetzt schlafen und ihr Mädchen auch, ich bringe euch zu eurem Zimmer."
„Aber...", wandte einer der Jungs ein, „was ist denn mit Henry?"
„Das werdet ihr noch früh genug erfahren", Mrs. Walsh klang schroffer als sonst und schloss die Schublade des Nachttisches wieder, behielt das Handy jedoch in der Hand und schickte dann noch einmal einen strengen Blick an die drei Jungs, „ihr fasst nichts an, ist das klar?"
„Sonnenklar", entgegnete Anthony, „wir legen uns jetzt schlafen und tun so, als wäre nichts passiert. Aber Sorgen machen dürfen wir uns ja wohl."
„Natürlich, nur glaube ich nicht, dass das nötig ist. Wenn ihr euch um jemanden Sorgen machen möchtet, dann um euch selbst."
Mrs. Walsh verließ das Zimmer und wies uns mit einer Handbewegung an, ihr zu folgen. Wir schwiegen während des Weges zu unserem Zimmer, erst, als ich bereits die Hand auf der Türklinke hatte, traute ich mich, wieder etwas zu sagen. Mrs. Walsh wirkte zwar noch ein wenig durch den Wind und sehr gestresst, aber nicht mehr so ernst und schroff wie vorhin.
„Mrs. Walsh, sagen Sie denn wenigstens uns, was los ist?", fragte ich verlegen, „denken Sie, dass Henry wiederkommen könnte?"
„Ich denke nicht, er ist ja offensichtlich sehr überstürzt gegangen", die Direktorin seufzte schwer, „ich befürchte, dass wir ein sehr viel größeres Problem haben als nur Henry."
Meine Augen wurden groß und ich sah beunruhigt und sprachlos zu, wie Mrs. Walsh das Handy erneut einschaltete und es zu uns hindrehte. Offenbar hatte Henry seine Daten mit einem Code gesichert, doch auf dem Sperrbildschirm konnte man eingegangene Mitteilungen, Nachrichten und Neuigkeiten erkennen, zusammen mit einem Wettersymbol – momentan ein Mond hinter Wolken – und der Uhrzeit.
Die oberste Nachricht war von What's App und lautete:
‚Nachricht von „N": Ist alles nach Plan gelaufen?'
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(1616)
Mist, da hätte ich doch beinahe erneut vergessen, zu updaten! Dabei wollte ich euch doch wirklich nicht so lange auf dem Cliffhanger sitzen lassen, oops.
Wer könnte wohl der mysteriöse "N" sein? xD
Ich hoffe, euch hat dieses Kapitel gefallen, ich wünsche euch noch einen schönen Tag! ^-^
Lg, Lotta
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