Kapitel 3 - Seltsamer Besuch
Meine Mutter steckte ihren Kopf aus dem Türrahmen der Eingangstür und lächelte, als sie mich sah. Ich war gerade dabei, die Schüssel vom Boden aufzuheben, um in die Küche zugehen und sie wieder mit Wasser zu befüllen.
„Schatz, ich fahr eben zum Kiosk, den ich vorne an der Küste entdeckt habe. Essen und Putzmittel kaufen. Wenn der Umzugswagen in der Zwischenzeit hier ankommt, sag den Männern bitte, sie sollen die Kartons und die paar Möbel erst einmal ins Wohnzimmer bringen und, sollte der Platz nicht reichen, ansonsten in den Flur. Ich bin aber nicht länger als eine halbe Stunde weg, denke ich."
Ich nickte und zeigte ihr meinen Daumen nach oben.
„Alles klar."
Der Umzugswagen kam auch nach einer halben Stunde nicht. Nachdem ich mit dem Fensterputzen fertig war, hatte ich das Obergeschoss begonnen auszufegen. Zwei der drei Türen waren jedoch verschlossen. Das einzige Zimmer, das ich betreten konnte, war leerstehend. Die dicken Spinnen in den Ecken machten mir zu schaffen. Nach einem Blick auf mein Handy – ich befand mich in einem gewaltigen Funkloch – merkte ich, dass meine Mutter bereits eine knappe Stunde weg blieb.
Ich hatte mir natürlich nichts dabei gedacht; wahrscheinlich hatte sie sich einfach nur verquatscht. Das passierte immerhin häufiger. Bloß die eintretende Dämmerung machte mir Sorgen. Immerhin funktionierte nur die Glühbirne im Keller und die im Wohnzimmer. Der Flur lag bereits in Schwärze gehüllt.
Nach eineinhalb Stunden, in denen mir die letzten Minuten die Langeweile zu Kopf stieg und mein Magen ein schlechtes Konzert abgab, hörte ich den Kies unten in der Auffahrt knacken. Ich rannte die Treppe nach unten und öffnete die Eingangstür. Meine Mutter war bestimmt endlich da!
In der Auffahrt hielt der Umzugswagen. Ein Mann Mitte vierzig stieg aus. Heute Morgen hatte er uns beim Einladen der Kartons aber noch nicht geholfen gehabt. Zumindest kam mir sein Gesicht nicht bekannt vor. Und es war nicht so, als hätte man dieses leicht vergessen können. Sein Gesicht war von unzähligen Narben verunstaltet.
„Sie sind Corinna Morgan?", fragte er mit gerunzelter Stirn und sah von seinem Klemmbrett auf.
„Ihre Tochter", beeilte ich mich zu sagen. Ein starker Wind wehte über die Büsche und Sträucher hinweg, ließ mich frösteln.
„Und ihre Mutter ist wo?", fragte er. Mit der linken Hand richtete er sein dunkelblaues Cappi.
„Gerade einkaufen."
Ein Lächeln breitete sich auf seinen Lippen aus. „Gut. Ich bin Thomas. Sollen die Kartons gleich in die richtigen Zimmer getragen werden? Ich habe gesehen, dass sie nicht beschriftet sind."
Das Klacken einer Autotür ließ mich zusammenzucken. Mein Herzschlag beschleunigte sich. Eine weitere Person stieg aus dem Umzugswagen aus.
„Nein, erst einmal alles ins Wohnzimmer", murmelte ich. So ganz alleine mit zwei unbekannten Männern in der Dunkelheit der Nacht zu stehen, fand ich unheimlich. Sie ins Haus zu lassen umso mehr. Aber was hatte ich schon für eine Wahl?
Die Person, die aus dem Auto gestiegen war, trat zu uns. Das Gesicht wurde von den Scheinwerfern des Umzugswagen erhellt. Ein blonder Junge. Er war groß und schlacksig.
„Boss, wo soll'n die Kartons hin?", fragte er. Als er mich entdeckte, schenkte er mir ein herzliches Lächeln. Irgendwie beruhigte mich das.
„Ins Wohnzimmer. Na los, mach schon mal hinten auf, dann können wir alles ausräumen." Als der Junge hinter dem Umzugswagen verschwunden war, trat der Mann mit dem vernarbten Gesicht einen Schritt auf mich zu. Ich wich sofort zurück.
„Oh, keine Angst", sagte er sogleich und hob beschwichtigend die Hände. „Ich find's nur schön, dass das Haus...Nachfolger gefunden hat, weißt du?"
„Ja. Wäre schade, wenn das Haus verfällt - oder so?" Der Typ kam mir irgendwie gruselig vor.
Er lachte kurz auf. „Wir sollten da nicht allzu offen drüber reden. Du verstehst?"
Mir zu zwinkernd überkreuzte er seine Arme, wackelte mit den Händen auf und ab. Die Geste wirkte wie der Versuch einen Adler als Schattenspiel darzustellen. Ich wusste echt nicht, was der Kerl von mir wollte.
Er schien zu merken, dass ich keine Ahnung hatte, was er meinte, denn er setzte hinterher: "Max, also mein junges Helferlein, ist keiner von uns."
Wie gerufen, kam jener Junge mit einem Karton in den Armen um den Umzugswagen gebogen. Sein Gesicht wirkte angestrengt. Wahrscheinlich schleppte er gerade meine Bücher. Der Arme!
„Ah, hey, Max. Dann zeigt dir – Wie heißt du noch mal? – gleich, wo das Wohnzimmer ist."
„Ich bin Zoe", meinte ich und ging in Richtung Haus, um dem Jungen namens Max den Weg zu zeigen.
„Irgendwie ist der Kerl komisch", murmelte ich vor mich hin. Max hatte es offenbar gehört, denn er begann leise zu lachen.
"Ja, Thomas ist manchmal etwas schräg. Aber keine Sorge, eigentlich ist er voll in Ordnung."
So verging die Zeit. Wir schleppten unsere Sachen ins Haus und ich stellte fest, dass ich auf die gleiche Schule wie Max ging. Er erzählte mir auch, wo die besten Badestellen der Gegend waren, welche Orte die beliebtesten Treffpunkte waren und wo man das beste Eis essen konnte.
Als wir irgendwann alle Kartons ins Haus getragen hatten und der gruselige Mann, den ich mittlerweile nicht mehr ganz so schlimm fand, den letzten im dunklen Flur abstellte, fuhr ein weiteres Auto unsere Auffahrt hinauf. Die abgewrackte Karre meiner Mutter.
Sie stieg aus und kam eilig auf uns zu. „Entschuldigt! Ich hab mich total verquatscht. Eine alte Schulfreundin von mir arbeitet in dem Laden und ich... Mensch, das tut mir Leid!"
„Alles gut, Ma", beruhigte ich sie. „Sind jetzt fertig."
„Oh", entfuhr es ihr überrascht. Dachte sie etwa, wir hätten die ganze Zeit auf sie gewartet?
„Dann sind Sie Corinna, ja?, fragte der Mittvierziger.
„Richtig. Und wer sind Sie?"
„Der Typ, der das Umzugsauto gefahren hat. Meine Kollegen von heute Morgen sind nicht mitgekommen. Wir sind nämlich aus der Gegend hier", sagte er und zeigte auf sich und Max.
„Gut. Dann: Dankeschön, dass der Umzug so unkompliziert abgelaufen ist", meinte meine Mutter und strich sich die Haare aus dem Gesicht. „Muss ich noch etwas unterschreiben?"
„Ah, ja", antwortete der Mann und schickte Max los, damit er das Klemmbrett aus der Fahrerkabine des Umzugswagens holte. „Freut mich, dass Sie hierher gezogen sind. Ich war ziemlich erstaunt, als ich gehört habe, dass sie aus der Großstadt kommen."
Ich runzelte die Stirn. Schon wieder sagte der Typ so etwas seltsames. Ein kurzer Blick zu meiner Mutter verriet mir, dass auch sie nicht recht wusste, was gemeint war. Obwohl. Ihre Augenbrauen waren zusammengezogen und ihr Mund zu einer schmalen Linie gepresst. Sie wirkte viel mehr...angespannt. Oder verärgert.
„Warum sollte es Sie überraschen, wenn wir aus der Großstadt kommen?", fragte meine Mutter in scharfem Ton. „Manche Menschen haben den Trubel einfach irgendwann satt."
Der Mann öffnete seinen Mund, als wollte er etwas erwidern, schloss ihn aber wieder. Max kam mit dem Klemmbrett in der Hand zurück.
„Wo soll ich unterschreiben?", fragte meine Mutter sofort. Sie schien es eilig zu haben, die beiden Typen wieder los zu werden.
„Dort und hier drüben, bitte." Max hielt ihr einen Stift hin, mit dem sie ihren Namen auf das Papier kritzelte.
„Dann auf Wiedersehen", murmelte der Mann und setzte sein Cappi ab, um sich die dunklen Haare nach hinten zu streichen. „Schöne Festtage."
„Was für Festtage?", fragte Max. Er nahm mir die Frage aus dem Mund.
Weder meine Mutter noch der Mann antworteten, aber offenbar vershanden sie beide, was gemeint war. Sie schauten sich lange an. Schweigen, das mir unerträglich vorkam, breitete sich in der Dunkelheit aus. Ich beendete die unangenehme Stille mit einem Klatschen meiner Hände. „Na dann: Tschüssi."
Max lächelte daraufhin und hob zum Abschied die Hand. „Vielleicht sieht man sich ja in der Schule."
„Bestimmt", sagte ich und erwiderte das Lächeln. Jetzt würde ich auf meiner neuen Schule zumindest schon Mal ein Gesicht kennen.
Die beiden Kerle verschwanden im Umzugswagen und fuhren unsere Auffahrt hinab.
Der Schatten, der sich die ganze Zeit hinter unseren Rosenbüschen verborgen hatte, war uns nicht aufgefallen. Nichtsahnend kehrten wir zurück ins Haus und waren froh, dass der Umzug nun geschafft war. Wir hörten nicht, wie das Kies unten in der Auffahrt knackte, als der Schatten näher an unser neues Zuhause trat...
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