Kapitel 8 - Ein verhängnisvoller Diebstahl | 2
»Arda?« Stirnrunzelnd und sichtlich überrascht betrachtete Arroh sie, als sie einem Wirbelwind gleich in ihre Wohnung stürmte. Die junge Diebin gab sich nicht der Verwunderung hin, dass der Assassine die Dreistigkeit besessen hatte, einfach erneut in ihr Zuhause einzusteigen. Es gab deutlich wichtigere Dinge. Sie durfte keine Minute länger als unbedingt notwendig verweilen. Jetzt ging es nicht mehr bloß um ihr Leben, das in Gefahr war. Die Perlen in ihrer Hosentasche konnten über Leben und Tod des gesamten Landes entscheiden.
Die Feuertänzerin schenkte Arroh keine Beachtung und wie im Wahn klaubte sie ihre wenigen Habseligkeiten und Vorräte zusammen. Vorsichtig versuchte der Assassine, hartnäckig wie immer, sie mit einem Griff an der Schulter zum Stehenbleiben zu zwingen. Doch sie schüttelte seine Hand mit Leichtigkeit ab, als hätte sie lediglich eine Fliege genervt. Sie hatte wahrlich keine Zeit für Arroh.
»Arda?«, wiederholte er dieses Mal nachdrücklicher. »Was ist los?« Ihr Verhalten machte ihn sichtlich nervös.
»Nichts, was dich angeht.«, entgegnete sie knapp, ohne in ihrem Tun innezuhalten. Eilig stopfte sie ihre wenigen Vorräte in einen alten Beutel, riss Honras gekürzte Assassinenkleidung aus dem Wäschekorb.
»Arda!« Dieses Mal peitschte Arrohs Stimme wie ein Donnerschlag.
Jeder andere wäre jetzt zusammengezuckt, hätte innegehalten. Nicht aber Ardenwyn, die mit drei Assassinen aufgewachsen war und sich schon lange nicht mehr fürchtete.
Der Ärger stand ihm ins Gesicht geschrieben. Mächtig wie ein Fels in der Brandung stand Arroh mitten in ihrer kleinen Wohnung. Jeder Schalk war aus seinen Zügen gewichen. So musste er wohl seinen Opfern gegenübertreten.
»Jetzt hör endlich auf, hier herumzuwieseln und sag mit, was los ist!« Doch Ardenwyn dachte gar nicht erst daran. Zum einen, weil sie nur sich selbst trauen konnte. Jetzt mehr denn je. Und zum anderen, weil sie ihn nicht mit in ihr Chaos hineinziehen wollte. Arroh mochte sie im Stich gelassen haben, als sie ihn am dringendsten gebraucht hatte, dennoch konnte sie nicht leugnen, dass ihr trotz alldem etwas an ihm lag. Und sie würde ihn, der ihr einst wie ein Bruder gewesen war, nicht mit sich in den Abgrund reißen.
»Ich wiederhole mich nur ungern.« Ihre Stimme war überraschend kalt. »Aber das geht dich nichts an. Sei froh drum.« Unnachgiebig blitzten der Weltenwandler und die Feuertänzerin einander an, keiner gewillt, nachzugeben. Doch letztlich war es zu aller Überraschung Arroh, der seinen Blick abwandte.
»Arda, ich weiß, dass du unglaublich stur bist und einen wirklich ätzenden Dickkopf hast, den man manchmal nur allzu gern gegen die Wand schlagen würde, aber ich möchte dir doch nur helfen, wenn du deinen verdammten Stolz endlich ablegst und meine Hilfe zulassen würdest.«
»Das hat nichts mit meinem Stolz zu tun. Ich brauchte deine Hilfe ganz einfach nicht.«, erwiderte sie trocken. Sie kannte Arroh gut genug, um zu wissen, dass sie ihn nur lange genug reizen musste, ehe er wieder in alte Muster verfallen und sie einander genervt ankeifen würden. Genau darauf legte sie es an.
Er war schon immer ein Hitzkopf und nicht sonderlich einfühlsam gewesen. Sein Egoismus siegte jedes Mal, gab man ihm nur die Zeit.
Der Assassine lachte spöttisch auf. »Das sieht mir aber nicht so aus, so hektisch wie du hier herumwuselst. Du wirkst, als könnten jederzeit die königlichen Wachen durch die Tür stürmen.« Er wusste gar nicht, wie recht er damit hatte. Aber das war ihre Sache.
Sie ignorierte seine Worte. »Wenn du willst, kannst du bleiben. Mir ist das egal. Aber vergiss nicht, die Miete zu zahlen. Krenas Schlägern willst auch du nicht begegnen. Vertrau mir in diesem Punkt.«, sagte sie beiläufig und schulterte den alten Beutel.
»Moment mal.« Irritiert stellte Arroh sich ihr in den Weg. »Kommst du denn nicht wieder?« Für den Moment eines Wimpernschlages meinte sie, Sorge in seinen hellen Augen zu erblicken. Beinahe hätte sie aufgelacht. Dass Arroh sich einmal um sie sorgen würde! Damals hätte sie sich über diese Entdeckung, diesen Blick hinter den Spott, gefreut und gar nicht mehr damit aufgehört, ihn damit aufzuziehen. Aber diese Zeiten waren lange vorbei.
»Nein.« Warum sollte sie ihn, was das anging, anlügen? Früher oder später würde er ohnehin bemerken, dass ihr langes Fehlen auffällig war.
Er runzelte seine Stirn und stieß ein ungläubiges Lachen aus. »Du sagst mir jetzt aber nicht, dass du auf Abenteuerreise gehst und am Ende womöglich mit einer Kiste Gold und anderen Reichtümern wiederkehrst?«
Sie warf ihm bloß einen gereizten Blick zu.
Er seufzte gespielt enttäuscht. »Du bist so ungebildet, dass es wehtut, Arda. So fangen die besten Abenteuergeschichten an? Hast du denn nie ein Buch zur Hand genommen?«
»Ach, willst du mir weismachen, dass du lesen kannst?« Ihre Worte waren so trocken wie der Sand in der Wüste.
»Natürlich kann ich lesen!«, empörte er sich.
»Schön für dich.« Gleichgültig schob sie sich an seiner dunklen Gestalt vorbei. Doch er ließ sie nicht gehen. Augenblicklich packte er sie am Ärmel.
»Ernsthaft, Arda: Wo willst du hin?«
»Irgendetwas scheint mit deinen Ohren zu sein, wenn ich mich erneut wiederholen muss: Das geht dich nichts an.«, sagte Ardenwyn, der langsam aber sicher die Geduld ausging. Jahrelang hatte Arroh sich nicht blicken lassen. Weshalb musste er gerade jetzt zurückkehren und ihr das Leben schwer machen?
»Ich finde es doch sehr auffällig, dass du aus dem Nichts anfängst, wie eine Besessene deine Sachen zu packen und mir dann sagst, dass du wahrscheinlich nicht wiederkehrst. Du hast Ärger. Und ich werde dich ganz sicher nicht in dein Verderben rennen lassen!«, meinte er. »So gern ich auch den Ausdruck auf deinem Gesicht sehen würde, wenn das geschieht und dir in diesem Moment in den Kopf schießt, dass ich es dir ja gesagt habe.«
»Du bist unausstehlich.«
»Oh, andere würden das Gegenteil behaupte.« Er schenkte ihr ein schmeichelndes Lächeln. Noch immer hielt er sie an dem Zipfel ihres Oberteils gepackt. Kurz spielte die Diebin mit dem Gedanken, ihm die Hand zu verbrennen, ehe sie sich dagegen entschied. Arroh war zwar ein unglaublich nerviges Individuum, aber nicht ihr Feind. Dennoch zählte jede Sekunde. Bestimmt war dem falschen König schon mitgeteilt worden, dass die Perlen gestohlen worden waren. Bald schon würde es in ganz Mortas Potera nur so vor Wachen wimmeln. Und ganz sicher würden sie bei einer solchen Angelegenheit auch keinen Bogen um das Labyrinth-Viertel machen.
»Geh und such dir einen Spiegel.«, meinte Ardenwyn genervt und riss sich von ihm los. Sie wusste nicht, weshalb, doch der schwache, verräterische Teil ihres Herzen zog sich bei dieser Bewegung schmerzlich zusammen.
»Arda -« Erneut wollte er sie packen, doch sie schlüpfte unter seinem Arm hindurch und riss die Tür auf. »Arda, warte!« Jetzt rief er. Doch sie achtete nicht auf ihn und eilte aus der Wohnung. Dabei stieß sie geradewegs mit Wisteria zusammen, die überrascht zurücktaumelte. Hinter ihr in der Wohnung polterte es. »Arda, geh nicht!«
Ganz in schwarz gekleidet und bedrohlich wie ein unheilvoller Schatten stürzte Arroh aus ihrer Wohnung, genau auf sie zu. Dieses Mal schrie Wisteria vor Entsetzen auf, hastete zurück, presste sich an die Wand und rührte sich nicht mehr. Aus großen, Angst erfüllten Augen starrte sie den Assassinen an. Wenn sie schon keine Ahnung von diesem Viertel hatte, hatte sie immerhin von den Assassinen gehört und genug Vernunft, um Angst zu haben.
»Scher dich um deinen eigenen Dreck!«, zischte Ardenwyn ihren ehemaligen Freund an. Ihr blödes Herz schmerzte bei jedem Schritt, mit dem sie sich weiter von ihm entfernte. Er hätte niemals wiederkommen sollen. Hätte genauso verschollen bleiben sollen wie Honra.
»Arda, ich warne dich!« Arroh ließ die junge Diebin nicht aus seinen Augen. »Wenn du noch einen weiteren Schritt machst, schwöre ich dir, dass ich dich durch die ganze Stadt jage, wenn es sein muss! Und wenn ich dich erst in meine Finger bekommen habe, werde ich dich mit allem, was ich finden kann, an einen Stuhl in deiner Wohnung fesseln, selbst wenn es Gedärme sein sollten.«
»Viel Glück dabei. In meiner Wohnung gibt es keine Stühle.« Unbeeindruckt tat sie einen weiteren, knarzenden Schritt. Das alte Holz unter ihren Füßen protestierte.
Wie auf Kommando schoss Arroh erneut los, doch damit hatte sie gerechnet. Geschickt wich sie aus, nur um ihn plötzlich genau vor sich vorzufinden. Spöttisch lächelte er sie an. Sie allerdings schritt einfach durch ihn hindurch, als bestände sein Körper bloß aus Nebel.
»Der Trick ist alt.«, informierte sie ihn. Seine Illusionen legten sie nicht mehr herein. Zu oft hatte sie mit Arroh trainiert, um noch immer darauf hinein zu fallen. Und tatsächlich stand der Assassine gar nicht vor ihr, sondern noch immer hinter ihr, wo sie ihn stehengelassen hatte.
Dieses Mal rannte er wirklich los. Zu gerne hätte sie ihn angeschrien, es endlich sein zu lassen. Wenn sie auf diese Weise, mit einem Assassinen auf ihren Fersen, das Labyrinth verlassen müsste, würde sie nur unerwünschte Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Selbst, wenn ihr die Bande nicht im Nacken gesessen hätte, konnte sie das jetzt nicht gebrauchen. Die Perlen mussten in Sicherheit gebracht werden. Aber das alles konnte sie ihm natürlich nicht sagen. Sonst würde er sich noch vehementer weigern, von ihrer Seite zu weichen.
»Arda, nicht!« Verzweiflung mischte sich in seinen Blick. Verzweiflung und Angst, als sie das Haus hinter sich ließ und in das Gewirr aus Gassen eintauchte. Er wusste, dass sie ihm jetzt nur zu leicht entkommen konnte.
Mit einem Mal kam ihr der leise Gedanke in den Sinn, dass er glaubte, sie auf die Weise zu verlieren, wie er einst seinen besten Freund verloren hatte.
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